Gustaf af Geijerstam
Frauenmacht
Gustaf af Geijerstam

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Elftes Kapitel

Glücklich und stark ging ich, als es Abend wurde, nach Hause. Es war erst acht Uhr, und vor Mittag hatte Elise, obgleich ich erklärte, daß niemand sich über meine Abwesenheit wundern werde, einen Boten abgeschickt, daß ich erst spät heimkäme. Aber ich konnte nicht bleiben. Denn mein Herz war zu voll. Ich hatte das Bedürfnis allein zu sein, um dies wunderliche, neue Gefühl, daß ich so plötzlich reich geworden, so recht empfinden und genießen zu können. Ich war nicht mehr allein, war es eigentlich nie gewesen, hatte es mir nur eingebildet, während dieser schrecklichen Jahre und Monate, in denen ich nur immer tiefer und tiefer zu sinken schien.

So ging ich denn die lange Strecke vom Valhallaweg, über die Norrbrücke und an der Skeppsbrücke entlang, und freute mich darüber, wie hübsch alles war. Es schien mir, als wandere ich durch ein Meer von Licht und als gehöre all diese Pracht mir. So schön habe ich nie eine Stadt gesehen. So in Farben gebadet, so voll Leben, Bewegung und Interesse, glaube ich, habe ich überhaupt nie etwas gesehen, seitdem ich jung war und ernsthaft glaubte, daß die ganze Welt mir gehöre.

Und wie ich dahinging, begann ich an die Meinen daheim zu denken. Ich dachte an sie ohne Bitterkeit, und ich verstand mit einem unnennbaren Gefühl von Dankbarkeit, daß die Güte anderer mich selber gut machen würde. Ich dachte an Signe und begann zu verstehen, daß ich mich getäuscht hatte, wenn ich glaubte, daß sie sich mit den Jahren verändern würde. Dies wurde mir klar, während ich einen Augenblick über den Strom gebeugt stand und das Wasser in farbigem Schimmer vorbeirauschen sah, weit weg nach der großen, schwarzen Fläche, die auf dem Hintergrunde eines blendenden Lichtringes schaukelte. Nein, sie war nicht eine andere geworden. Sie war noch heute die, die sie immer gewesen war, und wäre meine eigene Selbstberauschung nicht so stark gewesen, hätte ich es früher bemerkt. Ich selber war es, der anfing deutlicher zu sehen. Und wenn ich sie nun haßte, weil sie so war, wie sie war, kam dieser Zorn vielleicht ebensosehr aus machtloser Verzweiflung darüber, daß ich selber einst so blind gewesen. Von diesen Gedanken erfüllt, stieg ich in den Elevator bei der Skeppsbrücke, und ich empfand beinahe eine wohltuende Milde selbst Signe gegenüber, sie mochte nun sein, wie sie war, mochte verschuldet haben, was sie wollte. Während ich heimging, war ich von einem eigentümlichen, unsicheren Gefühl erfüllt, was ich tun sollte, wie ich sie behandeln sollte, wie ich ihr überhaupt begreiflich machen sollte, daß ich künftig alles, was gewesen, mit anderen, mit milderen Augen ansehen würde.

Als ich die Treppe hinaufstieg, fühlte ich doch eine heimliche Beklemmung, wie eine Art Warnung, daß alles dieses nicht von Dauer sein könnte. Meine Aufmerksamkeit ward plötzlich erregt durch ein Geräusch, als ob meine Korridortür geöffnet wurde. Es war vollkommen dunkel auf der Treppe, und ich stand still, um zu horchen. Mit einem eigentümlichen, blitzschnellen Übergang von meiner früheren Stimmung erwachte in meiner Brust der alte Haß gegen Signe, den Vampir, so schien es mir, der mir das Blut aussog, und in demselben Augenblick kam mir der Gedanke, daß sie mich ja nicht so früh zurückerwartete. Es war mir, als ob das Blut in meinen Adern dahinrase, um dann plötzlich wieder zu stocken. Ich hörte deutlich, daß meine Tür wirklich geöffnet wurde und daß jemand aus meiner Wohnung herauskam. Ich stürzte hinauf, griff nach der Tür, stellte mich ihm in den Weg und fragte: »Wer ist da?« bekam aber keine Antwort. Ich zündete ein Streichholz an, und vor mir stand ein ganz fremder Mann.

Wir betrachteten einander schweigend, und ich wollte anfangs nicht verstehen. Statt dessen schien er verstanden zu haben. Denn er sah weg, machte einen Versuch, den Hut zu ziehen, und verschwand im Dunkel der Treppe, während das Streichholz meine Finger brannte, ohne daß ich es merkte.

Da ging ich in meine Wohnung hinein und schloß leise die Tür zu. Ich war nicht mehr betäubt von der Entdeckung, ich war mir völlig bewußt, was ich wollte, und obgleich jedes Glied an meinem Körper vor Aufregung zitterte, wußte ich doch, daß ich mich in der Gewalt hatte und endlich allem ein Ende machen würde.

Ich ging direkt zur Schlafzimmertür, öffnete sie und trat ein. In einem Augenblick sah ich alles, ich brauchte keine Erklärung. Ich schloß die Tür hinter mir; und Signe schrie laut:

»Ermorde mich nicht! Schlage mich, wenn du willst, aber laß mich leben!«

»Schweig'«, sagte ich, »und steh' auf.«

Sie gehorchte mir mechanisch. Und während sie sich anzog, setzte ich mich nieder, und alles drehte sich mit mir im Kreis herum. Ich war es nicht, der sprach, sie war es. Unter einem Strom von Tränen berichtete sie mir die ganze Schändlichkeit ihres Lebens, während sie abwechselnd mich anklagte und die Schuld den bösen Männern gab, die eine Frau nicht in Frieden lassen könnten. Ich hörte das alles an und empfand nichts als einen starken Widerwillen, der sich mir wie Eis über die ganze Seele zu legen schien.

»Wie lange dauert das schon? –

»Ich weiß es nicht«, sagte sie. »Erst jetzt, seit ein paar Jahren, ist es öfters geschehen.«

Da stand ich auf und drückte sie aufs Bett nieder. Mit geballten Händen schlug ich sie, einmal über das andere, und sie hielt still unter den Schlägen, wie ein gezüchtigter Hund.

Darauf wendete ich mich ab von ihr, ging hinaus und ließ sie allein. Ich ging in mein Zimmer, dort fand ich Gretchen. An sie dachte ich vor allem, und weil mein Herz erfüllt war von dem Gedanken an meine Tochter, war der Ausbruch gegen die Mutter so stark gewesen. Das Kind kam mir mit verwunderter Miene entgegen, und ich tat einen tiefen Seufzer der Erleichterung, als hätte ich befürchtet, daß jemand ihr ein Leid zugefügt haben könnte.

»Bist du schon zu Hause, Papa?« sagte sie.

»Ja«, sagte ich kurz. »Ich bin gekommen, dich zu holen. Wir beide wollen heute abend ausgehen und uns amüsieren, du und ich.«

Ich sah deutlich, daß das Kind mir nicht glaubte, aber ohne jeden Einwand folgte sie mir hinaus. Sie fragte nicht nach der Mutter, fragte überhaupt nicht, stand nur still und sah mich grübelnd an, während ich ihr den neuen Mantel zuknöpfen half, den sie zu Weihnachten bekommen hatte. Dann faßte sie meine Hand, und wir gingen zusammen schweigend die Treppe hinunter, fort von dem Hause, dessen Schwelle wir nie mehr betreten sollten.

 


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