Gustaf af Geijerstam
Frauenmacht
Gustaf af Geijerstam

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Sechsundzwanzigstes Kapitel

Es war um die Mitte des Sommers. Draußen in der Skärgardsnatur lebten wir beide zum zweiten Male wieder neu auf. Nichts störte uns, und die glückliche Einförmigkeit der Tage wurde nur unterbrochen von den Reisen nach der Stadt, die ich wegen meiner Arbeit häufig genug machen mußte. Niemals habe ich so verstehen gelernt, daß das Glück darin liegt, daß nichts geschieht. Die Zeit der Sonnenwende, mit ihren hellen Nächten, ging an uns vorüber, und der Juli kam, der Monat, den ich immer vor allen geliebt habe, weil er so farbenreich und fruchtbar ist, weil er Fröhlichkeit weckt statt Sehnsucht und Wehmut, weil er reich ist an Wärme und Blumen, Licht und Vogelgesang, an all dem, was die Natur in unerschöpflicher, unbewußter Kraft bieten kann. Noch immer liebe ich diesen Monat, obgleich er mir sehr viel Weh zugefügt hat. Und auf meinem Kalender durchstrich ich jeden Tag mit dem ängstlichen Gefühl, daß auf dem nächsten Blatte nun der August kommen würde, der uns dem Herbste näher brachte. Ich entsinne mich keines einzelnen Vorgangs aus dieser Zeit. Sie ist mir eine einzige Melodie voll stillen Glücks. Ich entsinne mich der Blumen und des Vogelgesangs, der hellen Abende und der strahlenden Sonnenuntergänge. Ich entsinne mich der Bootfahrten auf dem ruhigen Wasser und der stürmischen Sonntage, wo der Wind die Wellen zu Schaum blies und das Wasser um den Bug des Schiffes spritzte. Auch anderer Tage entsinne ich mich, wenn der Regen herabströmte und uns ans Haus fesselte, wenn das Wasser von den Bäumen tropfte und die vertrocknete Erde Nahrung einsog, um treiben und Früchte tragen zu können. Ich entsinne mich der ersten Abende, wenn die Lampe angezündet wurde; dann ging ich hinaus, nur um das Licht von draußen anzusehen, das in der Dämmerung zwischen den Birken vor unseren Fenstern leuchtete. Und am besten entsinne ich mich der langen, stillen Abende, wenn mein kleines Mädchen schlief, und ich stundenlang allein auf der Brücke oder in dem schmalen Gang, der zur Treppe hinaufführte, hin und her ging und sah, wie schön alles wurde, nachdem die Sonne untergegangen und der Tag entwichen war, schön, weil alle Umrisse verschwanden, Bäume und Wasser sich in der Dämmerung abtönten und selbst die Sterne am Himmel matter leuchteten.

Ich entsinne mich all dieser Eindrücke, aber nicht dessen, was wirklich geschah. Es war auch eben nicht viel. Denn von allem, was mich umgab, sah ich nur eine kindliche Jungfrauengestalt, mit Haaren, so dunkel wie die meinen einst gewesen, in einer dicken Flechte herabhängend, die doppelt geflochten war, weil das Haar so stark war. Die Augen des jungen Mädchens waren noch tiefer geworden als früher, und in ihrer Stimme lagen Töne, die das Kind früher nicht gehabt hatte. Ihre Hand war weich, wenn sie mich liebkoste, wie ihre Stimme, vor Güte.

Ich wußte ja, daß sie bald gehen und mich verlassen würde. Deshalb schien es mir, daß ich sie nur um so besser verstehen könne. Und wie schwer es mir auch wurde, alles zu wissen und nichts sagen zu dürfen, so gewahrte doch mein Auge keinen Schatten auf ihrem Wege. Noch sah ich sie im Sonnenschein, nur wie von einem sanften, stillen Licht umflossen.

Sie war ja ein Kind; aber mir schien, daß alle sie mit meinen Augen ansehen müßten. Wenn ich zu entdecken glaubte, daß jemand das konnte, wurde mir selbst ein Fremder oder Fernstehender wert und lieb. Und ich war glücklich über unsere Einsamkeit, weil keine Kritik anderer die Verehrung stören konnte, die ich ihr darbrachte und die vielleicht ihre größte Wonne ausmachte.

Meine Gedanken waren erfüllt von dem, was kommen sollte, doch dachte ich selten daran wie an etwas Wirkliches. Ich konnte es mir nicht vorstellen. Zuweilen kam auch die Stimmung über mich, daß es doch eine Barmherzigkeit geben müsse, die sie mir ließe. Aber mehr und mehr verstand ich, was so schwer zu lernen ist, daß sie nicht für mich allein atmete und lebte. Über ihrem Leben schwebte dieselbe bange Frage wie über meinem eigenen Leben und über dem aller anderen Menschen.

 


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