Gustaf af Geijerstam
Frauenmacht
Gustaf af Geijerstam

 << zurück weiter >> 

Anzeige. Gutenberg Edition 16. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++

Vierundzwanzigstes Kapitel

Es gab einen dunklen Punkt in unserem Dasein. Ohne daß ich wußte, weshalb, beunruhigte mich Gretchens Gesundheit. Sie war niemals eigentlich krank, aber in ihrer Gesichtsfarbe lag etwas, womit ich mich nicht versöhnen konnte. Und eines Tages konsultierte ich einen Arzt. Er untersuchte Gretchen sehr genau. Als die Untersuchung beendet war, äußerte er einige nichtssagende Worte, daß sie der Stärkung bedürfe, und forderte mich auf, ihn am nächsten Tage wieder zu besuchen.

Als ich zu ihm kam, sah ich sofort, daß mir etwas Ernstes bevorstand. Der Mann fragte mich nämlich mit auffallender Ausführlichkeit über alles aus, was das Kind betraf, über ihre persönlichen Erfahrungen und was sie erlebt hätte, über ihr Naturell und ihre Eigenschaften, kurzum: über alles. Als ich zu Ende war, sah er bekümmert aus und sagte in einem freundlichen Ton, der mir in die Seele schnitt: »Es tut mir leid, es Ihnen sagen zu müssen. Aber sie müssen darauf gefaßt sein, Ihre Tochter nicht lange zu behalten. Sie leidet an einem schweren Herzübel. Das einzige, was man tun kann, ist, sie zu stärken. Wir wollen hoffen, daß die Gefahr nicht zu nahe bevorsteht. Sie tun am besten alles zu vermeiden, was sie darauf aufmerksam machen könnte. Und vor allem: jede Gemütsbewegung, welcher Art sie auch sein mag, kann eine Katastrophe hervorrufen.«

Er schrieb ein Rezept für den Fall, daß sie einen »Anfall« bekäme. Und ich verließ ihn, ohne ihm auch nur danken zu können für das Mitgefühl, das er einem Fremden erwiesen.

In meiner Sorge ging ich direkt zu Bohrns und fand sie beide zu Hause. Mit kurzen Worten teilte ich ihnen mit, was geschehen war und blieb dort sitzen während der Stunden, deren ich bedurfte, um Kräfte zu sammeln, ehe ich es wagen konnte heimzugehen. Viel Güte habe ich von ihnen beiden empfangen, aber niemals mehr als in dieser Stunde. Niemals ist es mir auch fremder, unnatürlicher und unwahrscheinlicher vorgekommen, daß ich einst, um mir das Glück zu ertrotzen, daran hatte denken können, in das einzugreifen, das ändern zu wollen, was das Leben bereits zwischen zwei anderen aufgebaut hatte.

Nur während eines Augenblicks freilich empfand ich das. Es durchbrach meinen Kummer wie ein plötzliches, vorübergehendes Erstaunen. Von einem anderen Gefühl ganz erfüllt, ging ich heim; es schien mir, als traure ich eigentlich nicht über das, was ich so plötzlich erfahren hatte, sondern als sehne ich mich nur danach, bei meinem Kinde zu sitzen, sie zu sehen und ihr nahe zu sein.

Als ich heimkam, war es mir, als sei alles, was ich sah, neu geworden. Mein kleines Mädchen selber schien mir eine andere geworden zu sein. So wunderbar hatte sich meine Auffassung von ihr während dieser zwei Stunden verändert, daß es mir jetzt schien, als hätte ich immer gewußt, was ich jetzt wußte, und als wäre Gretchen gerade deshalb so geworden, wie sie jetzt war.

Wir setzten uns zu Tische, und als der Abend kam, machten wir einen Spaziergang. Wir gingen ganz bis nach Söder und kamen nach Gegenden, wo wir während vieler Jahre nie gewesen. Wir gingen in Straßen, die wir nicht wieder gesehen hatten seit der unglücklichen Zeit in unser beider Leben, von der wir niemals sprachen, und die Erinnerungen wurden milder, deshalb, weil sie näher schienen. Gretchen war es, die dorthin wollte, um die vielen Lichter zu sehen. Wir sahen sie auch über dem dunkeln Wasser schimmern, nach dem die Straßen steil hinunterliefen und phantastische Aussichten eröffneten. Wir aßen in einem kleinen Café zu Abend, unter uns lag die Stadt wie in lichtgesättigtem Nebel. Die ganze Zeit dachte ich an all das Böse, das gewesen war. Aber ich tat es ohne Bitterkeit. Denn ohne das hätte ich niemals das Wunderbare erreicht, das jetzt mein Leben erfüllte.

Was Gretchen dachte, weiß ich nicht. Denn sie sprach nur wenig. Aber es war mir, als folgten ihre Gedanken den meinen, und ich genoß es, sie glücklich zu sehen, was sie immer war, wenn sie mit mir allein war.

Sie wußte ja nicht, daß ich diesen ganzen Abend arrangiert hatte, um mich ihr gegenüber beherrschen zu können. Ich tat einen tiefen Atemzug der Erleichterung, als ich sie schließlich schlafen sah und mir keinen Zwang mehr anzutun brauchte.

 


 << zurück weiter >>