Gustaf af Geijerstam
Frauenmacht
Gustaf af Geijerstam

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Hugo Brenner

Erstes Kapitel

Es scheint mir wunderlich, daß ich mich alles dessen so gut erinnern kann. Es ist so lange her jetzt. Aber in meinem Leben gab es doch einen Tag, da ich noch nichts erprobt hatte, als das, was gut war – damals, als ich von der Universität nach der Hauptstadt kam und mich nicht nur jung und sorglos fühlte, sondern es auch wirklich war – als das Leben mir spielend das Glück versprach. Ich hatte vor kurzem meinen Doktor der Philosophie mit Auszeichnung gemacht, wenn ich es selbst sagen darf, war kaum dreißig Jahre alt, und man prophezeite mir allgemein eine gute Zukunft.

Wenn indessen diese Zukunft sich nicht derartig gestaltete, wie meine damaligen Freunde und Gönner hofften, so beruhte dies wohl zum Teil darauf, daß ich in aller Heimlichkeit eine andere Auffassung davon hatte, was man eigentlich unter einer schönen Zukunft zu verstehen habe, als meine Freunde und Gönner samt und sonders. So viel ist sicher, ich trieb mich ein ganzes Jahr in Stockholm umher, ohne, wie man zu sagen pflegt, irgendwo festen Fuß zu fassen. Was ich während dieses Jahres vorhatte, ist schwer zu sagen. Es war eine Art von Sturm- und Drangperiode, wenn auch eine, die sich etwas spät einfand. Und dann, meiner Tatenlosigkeit müde und getrieben von der Begierde, auf eigene Hand zu lernen, verwendete ich den Rest eines kleinen väterlichen Erbes auf eine Reise ins Ausland, die volle zwei Jahre dauerte.

Während dieser Zeit irrte ich aufs Geratewohl in Europa umher, und das Beste, was ich heimbrachte, war die Rembrandtsammlung, die du dort noch an meinen Wänden siehst. Als ich wieder heimkam, weiß ich nur, daß ich wettergebräunt und mager war und daß mein dunkler Vollbart zu einem Spitzbart geschnitten war. Man behauptete, ich sei ein schmucker Bursche und sähe jünger aus als vor meiner Abreise. Aber wo ich eigentlich gewesen war, was ich gesehen und erlebt hatte – danach entsinne ich mich nicht, daß mich jemand gefragt hätte.

War es meine Hoffnung gewesen, durch diese Reise mehr Unternehmungslust oder Energie zu gewinnen, so hatte ich mich allerdings gründlich getäuscht. Es blieb dabei, ich war ebensowenig unternehmend wie vordem, und meine Kameraden sagten von mir, es schiene, ich ließe alle Chancen, die sich mir nacheinander böten, in der Welt vorwärts zu kommen, absichtlich unberücksichtigt. Ich war aufrichtig bis zur Ungeschicklichkeit und ebenso nachlässig. Dadurch erhielt ich in vortrefflicher Weise meine Unabhängigkeit, aber es glückte mir auch, ohne daß ich damals völlig verstanden hätte, was das bedeutete, mich ganz gehörig zu isolieren.

In meinem zweiunddreißigsten Jahre war ich also ebenso unversorgt wie jeder Student, nur deshalb, weil ich mich nie in Harmonie fühlte mit der Welt, von der ich doch ein Glied war. Die Zeit war damals noch nicht gekommen, wo man aus einer eingedämmten Opposition, die plötzlich über alle Ufer ging, eine neue Literatur schaffen konnte, und wäre es auch der Fall gewesen, so hätte ich doch wahrscheinlich in meinem Winkel stumm und grübelnd dagesessen. Was meinen Unterhalt betrifft, so war ich infolge meiner ganzen Natur auf die kleinen Arbeiten angewiesen, die du ja kennst und die einen großen Teil meines Lebens ausgefüllt haben. Darüber habe ich mich übrigens niemals beklagt, denn was ich im Leben suchte, war von ganz anderer Art. Wenn mein Bericht zu Ende ist, kannst du selber darüber urteilen, was ich gewonnen habe. Aber trotz meiner zweiunddreißig Jahre war ich sorglos wie die Jugend von zwanzig, ich nahm den Tag, wie er kam, und ich war zufrieden, wenn ich nach einem arbeitsreichen Tage meinen Abend in anspruchsloser Geselligkeit mit den Kameraden verbringen konnte, die alle jünger waren als ich und die mich ein wenig lieb hatten gerade wegen meiner unverdorbenen, jugendlichen Art und Weise, alles das geringzuschätzen, wonach andere Menschen streben.

Trotz meiner Jahre war ich gewissermaßen wirklich noch ein junger Mann, als das Leben mich zum ersten Male hart anpackte und mich dorthin zwang, wo ich nicht hinwollte. Dieses geschah in Verbindung mit einer Liebesgeschichte, die auf folgende, nicht gerade romantische Weise eingeleitet wurde.

Als ich eines Abends auf dem Heimweg war, mußte ich eine der Querstraßen zwischen Drottninggatan und Östermalm passieren, und wie ich auf dem Trottoir dahinschritt, wurde ich durch das Schluchzen einer weiblichen Stimme aus meinen Grübeleien geweckt. Ich horchte hin, es waren zwei männliche Stimmen, offenbar von Betrunkenen, und dazwischen klang eine schrille weibliche Stimme, welche immer stärker und zugleich immer flehender wurde. Dieses veranlaßte mich, erst stehenzubleiben und dann meinen Weg zu ändern, und so hat dieses kleine Ereignis, vielleicht mehr als alles andere, auf mein ganzes späteres Leben eingewirkt. Als ich näher kam, sah ich im Dunkel die undeutlichen Umrisse eines jungen Mädchens, das in ein großes, verschlossenes Tor hineingedrängt wurde, und zwei betrunkene Herren, die sie nicht an sich vorbeilassen wollten.

Zu der Zeit war ich ziemlich schnell bei der Hand, und mein erster Impuls war ganz einfach: den mir zunächststehenden Herrn am Kragen zu fassen und mich in einen ritterlichen Kampf einzulassen, um das arme Mädchen zu befreien. Im nächsten Augenblick aber flog mir eine andere Idee durch den Kopf. Wie du weißt, habe ich stets einen gewissen Sinn für praktischen Humor besessen, und die Situation eignete sich unleugbar besser für ein Abenteuer in diesem Stil, als für ein Ritterdrama im Degen- und Mantelgenre. Statt mich auf eine Schlägerei einzulassen, kam ich deshalb auf den Gedanken, zu tun, als ob das Mädchen und ich alte Bekannte wären. Ich behandelte die beiden Schwiemelbrüder, als seien sie Luft, faßte an den Hut und sagte ganz gelassen:

»Ei, guten Abend, mein Fräulein, sind Sie so spät noch draußen?«

Die Wirkung dieses Auftretens war eine augenblickliche. Mit unfehlbarem weiblichen Instinkt begriff das junge Mädchen, daß sich hier eine Art von Rettung bot, und während die beiden Herren, die die Angst, möglicherweise erkannt zu werden, plötzlich nüchtern machte, im Dunkel verschwanden, spielte sie ihre Rolle in der Komödie, als sei sie auf die ganze Geschichte vorbereitet gewesen, nahm ohne weiteres den Arm, den ich ihr anbot, und als wir beiden vom Zufall zusammengeführten Menschenkinder einen Augenblick später unter den Schein einer Gaslaterne kamen, begegneten sich unsere Blicke. Da wir beide jung und wohlgestaltet waren und keine Veranlassung hatten, die Sache allzu zeremoniell aufzufassen, sahen wir uns offen in die Augen und lachten. Ich vermute nämlich, daß ich es auch tat. Daß sie lachte, daran erinnere ich mich ganz deutlich.

Mit einem einzigen Blick streifte ich nämlich ein paar blaue, schalkhafte Augen, eine schmächtige, feine Gestalt und einen kindlich gerundeten, halbgeöffneten Mund. Darauf merkte ich, daß sie errötete, und in dieser Stunde ward mein Schicksal besiegelt.

Als ich am folgenden Morgen zum Bewußtsein erwachte, war ich nicht mehr frei. Ich hatte eine Geliebte gewonnen, und naiv wie ich war, unerfahrener in derlei Sachen als die meisten, grübelte ich bereits darüber nach, wie es mir möglich sein würde, ihr mit meinen spärlichen Hilfsquellen ein Heim zu schaffen.

 


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