Gustaf af Geijerstam
Frauenmacht
Gustaf af Geijerstam

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Zwanzigstes Kapitel

In der Erinnerung sehe ich die Sonne scheinen, die trügerische, lockende Februarsonne, die den Schnee schmilzt und den Himmel deshalb so blau macht, weil man ihn so lange mit Wolken bedeckt gesehen hat. An einem solchen Tage traf ich Elise zum erstenmal wieder nach diesem Abend. Und sie machte einen Spaziergang mit mir ins Freie hinaus.

Ein wenig berauscht von der Frühlingsluft, die so schnell gekommen, gingen wir durch den Hagapark, wo die Bäume feucht und glänzend standen, und der Schnee um uns herum schmolz.

Da sagte Elise plötzlich:

»Du hast mir neulich so wohl getan.«

Damit nahm sie meinen Arm, und über ihr Gesicht kam ein zugleich trauriger und glücklicher Ausdruck.

»Habe ich das?«

»Ja«, antwortete sie still. »Du tatest mir wohl, schon dadurch, daß ich bei dir sein durfte. Du bist mir an dem Abend eine Stütze gewesen, ohne es zu wissen.«

Also hatte mein Gefühl mich nicht betrogen, also war etwas gewesen, das sie niedergedrückt hatte, als sie kam. Aber wir hatten es beide vergessen, bevor sie wieder ging.

»Elise,« sagte ich, »alles, was ich denke, was ich fühle und will, vertraue ich dir an.«

»Ich auch«, antwortete sie. »Ich habe es ja eben getan.«

Da wurde mein Gefühl übermächtig, und mit einer Stimme, die mir selber fremd klang, fing ich an zu sprechen. Ich sah sie nicht an, sprach nur gerade in die Luft hinaus, und ich war ruhig und dachte nicht daran, daß meine Worte etwas anrichten würden, ich sprach nur, weil ich nicht anders konnte, weil ich mußte.

»Willst du, daß ich dir alles sagen soll, Elise?« sagte ich. »Ich bin krank gewesen, denn alles, was gewesen ist, war zu furchtbar. Das Alte kam zurück; und ich glaubte eine Zeitlang, daß ich niemals die Sonne leuchten und das Gras grünen sehen würde, wie andere Menschen. Zumal gegen mein Kind, das mich mehr liebt als ihr Leben, mehr vielleicht als du und ich begreifen, war ich kalt; ich fühlte, wie mein Herz reden wollte, es aber nicht konnte. Da tröstete es mich, daß du da warst, Elise. Ich kann es auf keine andere Weise sagen. Denn es war nur das Gefühl, daß du da warst. Kannst du es wohl verstehen? Oder willst du es nicht? Kannst du dich da hineindenken, was es heißen will, ein Mann zu sein und in der Ehe gelebt zu haben, sogar Vater zu sein, und doch nie geliebt zu haben? Hätte ich nur je eine Frau geliebt und Liebe empfangen, wenn diese Liebe mir auch allen Kummer der Erde gebracht und mein Innerstes zermalmt hätte, ich würde es mit Freuden ertragen haben, ja mit Stolz hätte ich hingenommen, was das Leben mir zugeteilt. Dann wärest du mein Freund und meine Schwester gewesen, und ich hätte mir ein Heiligtum aus meinen Erinnerungen errichtet, ich hätte dich bitten können, einzutreten und mit mir die Knie zu beugen. Dann wäre ich nie dazu gekommen, so für dich zu empfinden, wie ich es jetzt tue. Aber ich habe nie wieder geliebt, seitdem ich mich in meiner Jugend von dir trennte. Und nun begegnest du mir wieder. Ist es denn so wunderlich, daß sich alles plötzlich änderte. Ich lebe ja nur durch dich. Und ich besitze keine Erinnerungen, Elise, ich besitze keine Erinnerungen, aus denen ich mir einen Tempel aufbauen könnte. Ich weiß nur, daß ich nur einmal etwas Gutes wollte. Aber was ich damals wollte, hat sich gegen mich gewendet, hat sich in Schmutz verkehrt, in Widerwillen und Ekel. Meine einzigen Erinnerungen sind die, welche ich vergessen muß.«

Sie hörte mich an und entzog mir ihren Arm nicht. Sie suchte meine Hand und drückte sie, aber ich mißverstand sie doch nicht.

»Ich habe dir dieses gesagt,« sagte ich mit erstickter Stimme, »nicht weil ich etwas zu gewinnen hoffe, sondern weil ich will, daß du es wissen sollst, wie du alles von mir weißt. Verstehst du mich?«

Sie nickte abermals, und wieder gingen wir weiter. In ihren Augen aber lag ein Ausdruck, den ich nicht deuten konnte.

»Ich habe dich so innig lieb,« sagte sie, »daß ich dich niemals verlieren kann.«

»Aber doch nicht so sehr wie einen andern«, antwortete ich, und bereute augenblicklich, was ich gesagt hatte.

Da sah sie weg und antwortete nicht.

Und da ihr Blick mir auswich, kam mir ein Gedanke, an den ich nicht glaubte, der aber doch Macht über mich erhielt. Es war, als lege ein Etwas hoch über mir oder außer mir die Worte auf meine Lippen. Und ich sagte, hart, kalt, fast zwischen zusammengebissenen Zähnen:

»Wenn du mich liebst, Elise, oder wenn du mich lieben würdest, könntest du dann alles verlassen und mir folgen?«

Da blickte sie mir voll und klar in die Augen und sagte:

»Nein, Hugo, so bin ich nicht. Das könnte ich niemals tun.«

Als ich diese Worte hörte, wußte ich, daß ich sie verstanden hatte, ehe sie ausgesprochen wurden. Deshalb fühlte ich keinen Schmerz. Und wie Elise nun zu reden anfing, begriff ich auch, daß sie alles gewußt hatte, daß ich nichts gebeichtet hatte, was sie nicht schon im voraus ahnte.

Wir gingen lange schweigend nebeneinander, um uns her schlummerte noch der Wald. Aber zwischen den Tannen begann es sich zu regen, und ein einsamer Vogel zwitscherte im Sonnenschein.

»Ist es nicht schön, trotz alledem nichts verbergen zu müssen?« sagte Elise.

Und wie sie mir in die Augen sah, fühlte ich, ohne daß ich wüßte wie, daß ich fast glücklich war. Nichts hatte sich zwischen uns verändert, alles war wie vorher. Ich brauchte nicht danach zu fragen. Denn ich wußte es sicherer, besser, als Worte es ausdrücken können.

»Hast du bemerkt, daß mit Gretchen eine Veränderung vor sich gegangen ist?« sagte ich plötzlich.

»Nein.«

»Sie ist eifersüchtig.«

Ich lachte, indem ich es sagte, aber Elise zog ihren Arm aus dem meinen und wurde plötzlich ernst.

»Auf wen?« sagte sie.

»Auf dich natürlich.«

Ich erwähnte dieses hauptsächlich, um einen anderen Gesprächsstoff zu finden. Zwischen uns beiden war ja alles gesagt, und etwas hinzuzufügen gab es nicht.

Sie ging in Gedanken und sagte leise:

»Armes Kind.«

Ihre Worte gingen damals an mir vorüber, und ich dachte daran, wie wunderlich es war, daß ich jetzt zum erstenmal zu einer Frau von Liebe gesprochen. Ich sollte diese Frau niemals besitzen, und niemals war zwischen mir und jener anderen Frau, die ich einst die meine genannt hatte, ein solches Wort gewechselt worden.

Ich hatte das Gefühl, als sei mein ganzes Leben hilflos in Fetzen zerrissen.

 


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