Gustaf af Geijerstam
Frauenmacht
Gustaf af Geijerstam

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Neunzehntes Kapitel

Die Erinnerungen, die nun folgen, stehen mir näher. Von nun an kann ich kaum die Jahre auseinander halten. Es drängt sich soviel in einen kurzen Zeitraum zusammen; mir ist, als könnte ich kaum das eine Jahr vom andern unterscheiden. Was ging voraus und was kam hinterher von den Ereignissen, die ich berichte? Ich weiß es nicht mehr. Ich weiß, daß alles einmal gewesen und jetzt vorüber ist. Was macht es mir aus, wie oder wann es geschah?

Es war an einem Nachmittage im Februar. Dessen erinnere ich mich jetzt, weil einige Tage später Elisens Geburtstag war. Strahlend und glücklich war Gretchen mit einigen Freundinnen ausgegangen. Auf Nybroviken war Eisbahn, und die Musik spielte. Ich war also allein in diesen Räumen, als Elise kam.

Sie setzte sich hier auf mein Sofa, wo sie immer zu sitzen pflegte. Und für mich war es ein Fest, wie immer, wenn sie kam.

»Was ist dir?« sagte ich.

Denn ich sah sofort, daß sie nicht wie sonst war.

»Was sollte mit mir sein?« sagte sie und versuchte das Gespräch auf andere Dinge zu lenken.

Aber je länger ich sie betrachtete, je deutlicher sah ich, daß etwas geschehen war. Oder richtiger – ich sah es nicht. Denn ihr Gesicht war nicht blaß, und es trug keine Spuren von Tränen. Aber ich fühlte es so gewiß und sicher, wie ich ohne Worte alles fühlte und verstand, was sie betraf – sie und mich.

Plötzlich sagte Elise:

»Ist es nicht sonderbar, daß du und ich uns wiedergefunden haben? Während all der Jahre, da wir uns nicht sahen, warst du eigentlich ganz und gar verschollen für mich. Ich wunderte mich nicht einmal darüber, daß du nie geschrieben hast. So sicher war ich, daß es nicht aus Gleichgültigkeit geschah oder weil du mich vergessen hättest. Jetzt bin ich so froh, daß ich dich habe. Denn es gibt so wenig Menschen, an denen ich wirklich mit dem Herzen hänge.«

Es wurde warm und ruhig in mir. Und wenn sie sprach, konnte niemand mehr hinter ihren Worten suchen, als was sie selber meinte. So rein, so frei von aller Künstelei war ihr Wesen. Nicht einmal ich, der doch schon jetzt keinen höheren Wunsch hatte, als mehr hinter diesen Worten zu suchen, als was sie selbst meinte, nicht einmal ich mißverstand sie auch nur einen Augenblick. Hätte ich es getan, so zweifle ich nicht daran, daß sie es mir verziehen hätte. Aber ich wußte auch, daß ich mir in meinen eigenen Augen lächerlich vorkommen würde.

Und doch konnte ich ihr sagen:

»Weißt du, weshalb wir beide es am meisten genießen, wenn wir uns allein haben? Und nur dann genießt man ja in Wahrheit einen Menschen. Ich glaube, es kommt daher, weil wir einander nichts vorzuwerfen haben. Vor allem nicht, daß wir uns noch jung fühlen.«

Sie lachte und nickte mir zu. Ich hatte eine Flasche Wein herbeigeholt, und nun trank ich ihr zu.

»Und doch sind wir alt, Hugo«, sagte sie. »Besonders ich. Du bist viel jünger als ich, obgleich du es nicht glauben willst.«

Als sie dies sagte, lachte sie und sah ganz glücklich aus.

So saßen wir zusammen, bald plaudernd, bald schweigend, und es wurde licht und heiter um mich her. Gretchen kam nach Hause und setzte sich auf Elisens Schoß. Ich weiß nicht, wie es kam, aber es glückte mir, Elise zum Bleiben zu bewegen, und beim Abendessen saß meine Tochter zwischen meiner Freundin und mir. Elise machte den Tee.

Ich sah das alles, wie ich es jetzt sehe. Ich sah es wie im Traum, in mir waren keine aufrührerischen Gedanken, die darüber grübelten, was gewesen, oder trübe färbten, was war.

Gretchen ging zu Bett, und Elise ging mit ihr hinein. Als sie zurück kam, lachte sie vergnügt und nahm ihren Platz auf dem Sofa wieder ein. Keiner von uns sprach es aus. Aber wir fühlten beide, wie wir es genossen, gleichsam Papa, Mama und Kind zu spielen.

Elise saß lange bei mir, und als sie ging, begleitete ich sie.

Als ich zurück kam, leuchtete ich einen Augenblick mit der Lampe in Gretchens Zimmer hinein. Ich tat es nur, weil alles in mir so licht war. Mein ganzes Heim war wie beseelt von ihr, von der, so schien es mir, noch immer etwas hier weilte.

Da sah ich zu meinem Erstaunen, daß Gretchen noch wach lag. Und als ich näher kam, merkte ich, daß sie geweint hatte.

Ich wurde ganz erschrocken. Aber das Kind wollte meine Fragen nicht beantworten, und ich konnte verstehen, daß es etwas gewesen war, was sie tief ergriffen hatte, denn sie verschloß es in sich und schwieg.

»Wir sind ja alle so vergnügt gewesen, heute abend«, sagte ich.

»Ja«, murmelte sie.

»Bist du betrübt, weil etwas mich froh macht?« wagte ich zu sagen.

Da schlug sie die Arme um meinen Hals, so daß ich fühlen konnte, wie das Herz in ihrem feinen, unentwickelten Körper hämmerte. Und sie schluchzte, als sollte ihr das Herz zerspringen.

»Weshalb kannst du nicht ebenso froh sein, wenn du mit mir allein bist?« kam es unter Schluchzen hervor.

Wie ich mich dessen jetzt erinnere! Wie genau ich mich erinnere! Aber als ich diese Worte hörte, verbitterten sie meine Freude, und es wurde wieder dunkel in meinem Innern.

 


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