Gustaf af Geijerstam
Frauenmacht
Gustaf af Geijerstam

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Dreizehntes Kapitel

Du wunderst dich darüber, daß ich mich an dieses alles erinnern kann. Ach, ich erinnere mich noch an viel mehr. Denn ich habe Zeit genug gehabt zum Denken während der Jahre, da ich nicht gelebt, sondern nur gegrübelt und mit der Seele nach all dem Großen gesucht habe, um das mich das Leben betrog.

Als ich erwachte, schlief Gretchen noch, und ich ließ sie schlafen, zufrieden, sie in meiner Nähe zu wissen, und froh, daß ihre Kindernatur sich ihr Recht genommen. Als sie erwachte, beobachtete ich, daß sie sich erst mit erstaunten Augen umsah, als könne sie in der Eile nicht fassen, wo sie sei. Dann schloß sie die Augen, als erinnere sie sich an etwas Furchtbares. Ich merkte sehr wohl, daß sie mich gesehen hatte, ich verstand sofort, daß sie sich nur schlafend stellte, um mir gegenüber Selbstbeherrschung zu gewinnen. Des Kindes zarte und beherrschte Empfindung rührte mich unbeschreiblich, ich konnte ihr ja nicht einmal dafür danken. Da sah sie mich an, richtete sich hastig auf im Bett und rief:

»Was ist die Uhr? Muß ich nicht in die Schule?«

»Ja,« sagte ich, »morgen, aber nicht heute.«

Da legte sie sich wieder nieder und genoß ihre Ferien. Als sie aber angezogen war und wir den Kaffee getrunken hatten, nahm ich sie mit mir und ging geradenwegs zu Elise.

Sie sah durchaus nicht überrascht aus, als ich so früh ankam. Ich gab ihr auch nicht Zeit zum Fragen, sondern nachdem ich Gretchen ins Kinderzimmer geschickt hatte, teilte ich Elise ohne Vorbereitung mit, was geschehen war.

Jetzt war ich nicht zerrissen, auch nicht weich wie am vorhergehenden Abend. Jetzt war ich ein Mann, der handeln konnte und wollte. Sie war es, Elise, die mich an einem Tage dazu gemacht hatte. Und ich sagte es ihr. Es war, als ob wir einander die ganze Zeit hindurch, Schritt für Schritt, gefolgt wären, als hätten wir uns nie aus den Augen verloren. So ruhig, so ganz ohne Umschweife konnte ich ihr alles anvertrauen, ich brauchte sie nicht um Verständnis zu bitten, wir wußten beide, daß das zwischen uns unnötig sei.

Als ich meinen Bericht zu Ende gebracht hatte, erhob Elise sich und ging mit schnellen Schritten von mir, und als sie zurückkam, waren sie und Gretchen gute Freunde geworden. Sie setzte sich mir gegenüber und zog das Kind an sich. Ungewohnt wie das Kind jeglicher Äußerung von Mütterlichkeit war, betrachtete sie scheu diese feine, stattliche Dame, von der sie nie hatte sprechen hören und die mich wie einen Bruder behandelte.

»Jetzt bleibst du bei mir«, sagte Elise zu meiner Tochter. »Willst du?«

Gretchen sah unschlüssig von ihr zu mir und wußte nicht, was sie antworten sollte. Sie errötete verlegen und lachte. Und als ich meine Tochter an Elisens Knie sah, während diese ihren Arm um die Schulter des Kindes legte, da stieg ein seltsames Gefühl in mir empor, und ich mußte mich abwenden, um meine Rührung zu beherrschen. Ich dachte ganz einfach an . . . ja, an alles, woran ein Mann in gewissem Alter nicht denken darf.

Elise verstand das auch. Aber so natürlich faßte sie alles auf, mit soviel weiblichem Instinkt beherrschte sie jede Situation, daß sie dem konventionellen Gefühl, welches mich eben veranlaßt hatte wegzublicken, unzugänglich war.

»Ich bin so froh, daß sie mich leiden mag«, sagte sie, und ihr Blick suchte den meinen. »Geh jetzt, und komme zu Mittag wieder. Dem Kinde soll nichts Böses geschehen.«

Sie reichte mir die Hand, und ich ging an meine Arbeit, mit leichterem Herzen, als ich es in vielen Jahren getan. Als ich aber ging, wandte ich mich um und blickte sie beide an, und jetzt war die Reihe zu lächeln an mir, als ich sah, daß Elise plötzlich errötete wie ein junges Mädchen.

 


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