Gustaf af Geijerstam
Frauenmacht
Gustaf af Geijerstam

 << zurück weiter >> 

Anzeige. Gutenberg Edition 16. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++

Siebentes Kapitel

Ein ganzes Jahr lebten wir noch miteinander, und ich entsinne mich, daß es eine Zeit voll beständiger Angst war, wo jeder Schritt, den ich tat, nur den Zweck hatte, um jeden Preis Gewißheit darüber zu erlangen, wie groß mein Unglück war und worin es eigentlich bestand. Ich erinnere mich dieses Jahres mit einer sonderbaren Klarheit, fast als ob es etwas gewesen wäre, das ich nicht erlebt, sondern so oft gelesen hätte, daß ich es auswendig wußte.

Gretchen war damals zwischen zehn und elf Jahre alt, und eines Abends, dicht vor Weihnachten, saß sie in meinem Zimmer und las, während ich meine Gedanken für die Arbeit zu sammeln versuchte, die uns Brot geben sollte.

Da blickte das Mädchen von ihrem Buche auf und sagte:

»Wo ist die Mama?«

»Sie ist zu Bekannten gegangen«, antwortete ich.

»Weshalb bleibt sie so lange weg?« fuhr sie fort.

»Sie wird wohl bald zurück sein«, antwortete ich, um sie zu beruhigen.

Darauf versuchte ich, sie wieder zu ihrem Buche zurückzubringen, und dachte, daß es mir geglückt sei. Mechanisch setzte ich meine eigene Arbeit fort, konnte aber meine Gedanken nicht zusammenhalten. Nervös horchte ich auf jeden Laut auf der Treppe, draußen auf der Straße.

Zuletzt muß ich ganz vergessen haben, wo ich war und daß Gretchen drinnen bei mir war, denn ich kam erst wieder zu mir, als eine kleine, schmächtige Kinderhand mein Haar streichelte und eine Stimme sagte:

»Weshalb weinst du, Papa?«

Ich zuckte zusammen und antwortete:

»Ich weine nicht, mein Kind. Das siehst du ja.«

»Ja, aber du bist traurig.« Ihr Gesicht erhielt einen unbeschreiblich gedankenvollen und grübelnden Ausdruck, und als sie merkte, daß meine Mienen sich doch noch immer nicht erhellten, sagte sie langsam, als ob sie die Sache im voraus genau überlegt und gewußt hätte, daß sie es einmal sagen würde:

»Ich habe die Mama nicht mehr lieb. Sie ist nicht gut gegen dich.«

»So darfst du nicht sprechen«, antwortete ich.

Aber im selben Augenblick hörte ich, daß der Schlüssel in der Korridortür umgedreht wurde, und von Gott weiß welchem Instinkt getrieben, vielleicht nur um den Blicken meiner Tochter auszuweichen, ging ich schnell in den Korridor hinaus.

Dann hörte ich, oder es schien mir, als hörte ich jemanden mit hastigen Schritten die Treppen hinunterspringen. Zugleich wurde die Tür zugeworfen, und Signe stand gerade vor mir. Ich zündete, ohne ein Wort, die Gasflamme an, unsere Augen begegneten sich, und ich sah, daß in den ihren etwas wie Hohn lag.

»Wer war das, der die Treppe hinunterging?« fragte ich atemlos.

Sie nannte ganz ruhig einen Namen, und ich fühlte, wie sie es genoß, mich in Aufruhr zu sehen.

»Was wollte er hier?«

»Ich begegnete ihm auf der Straße, und er begleitete mich nach Hause.«

»Weshalb kam er nicht herein?«

»Er wollte mir nur auf der Treppe leuchten. Ich glaube, er hatte es eilig. Wir wohnen ja in einem solchen Hause, daß nicht einmal im Flur eine Gasflamme ist.«

Ich fühlte, daß sie log, aber ich konnte nicht glauben, was ich ahnte. Eine Art von Lähmung überfiel meinen Körper, und meine Adern brannten wie Feuer.

Da lachte Signe. Es steht mir noch vor Augen, wie sie sich von mir abwandte und den Mantel an den Kleiderhaken hängte, indem sie sagte:

»Bist du eifersüchtig?«

»Schweig«, sagte ich still, damit Gretchen uns nicht hören sollte. »Schweig, und geh in dein Zimmer.«

Darauf ging ich wieder in mein Zimmer zurück; mein Kopf war so kühl und klar, daß es mir schien, als könnte ich in mich selber hineinschauen wie in einen Raum.

Am Tisch saß meine Tochter noch, mit großen, weitoffenen Augen starrte sie nach der Tür, die ich hinter mir schloß. Aber sie stellte keine Fragen, sie saß unberührt und still auf ihrem Platz, als ob sie mich nicht hätte zurückkommen sehn.

»Mama ist zu Hause«, sagte ich.

Das Kind nickte bloß als Antwort, aber ihr Blick schien der eines erwachsenen Weibes zu sein. Ich stand vor der Kleinen, ich konnte mich weniger beherrschen als sie, war unentschlossen, ob ich etwas sagen sollte und was ich sagen sollte, als sie sich plötzlich erhob, die Arme um meinen Hals schlang und in ein krampfhaftes Weinen ausbrach.

Eine unsagbare Angst überfiel mich. Weshalb weinte das Kind? Was konnte wohl geschehen sein? Ich ließ sie sich in meinen Armen ausweinen, und dann, als letzten Versuch, sie zu trösten und zu beruhigen, sagte ich:

»Soll Papa dich heute abend ausziehen, wie ich es tat, als du klein warst?«

»Ja«, schluchzte sie und drückte sich noch näher an mich.

Und indem sie ihre Lippen meinem Ohr näherte, flüsterte sie:

»Erzähle es der Mama nicht wieder, was ich vorhin sagte.«

Ich verstand sie zuerst nicht. Als ich aber späterhin mich ihrer Worte über die Mutter erinnerte, ergriff mich ein neuer Verdacht, der noch schlimmer war als der erste. Ich fühlte mich wie in einen Wirbel hingerissen, aus dem ich nicht loskommen konnte, und die Nacht schlief ich in meinen Kleidern allein auf meinem Sofa.

 


 << zurück weiter >>