Gustaf af Geijerstam
Frauenmacht
Gustaf af Geijerstam

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Viertes Kapitel

In einem Augenblick, da ich es am wenigsten erwartete, war in mir diese Erinnerung, die mehrere Jahre zurücklag, wieder emporgetaucht. Sie kam, als ich mein neues Heim zum ersten Male betrat, kam mit der Gewißheit, daß ich einmal in meinem Leben geliebt hatte und vielleicht wiedergeliebt, aber an meinem Glück vorübergegangen war. Ich brauche dir wohl jetzt nicht zu sagen, wer dieses junge Mädchen war, sie, deren Bild mir in mein Brautgemach folgte. Du wirst es wohl, nur zu gut, verstanden haben. Aber was du nicht wirst verstehen können, das ist, daß es mir während langer Jahre glückte, dieses Bild zu verjagen, ja mich obendrein von der Erinnerung selbst bis zu dem Grade freizumachen, daß ich nicht darüber trauerte, was mir verloren gegangen war.

Und ich hatte es nicht nötig, mich anzustrengen, um dieses Resultat zu erreichen. Nein wahrlich, das brauchte ich nicht. So tief liegt in der menschlichen Natur das Bedürfnis, uns wenigstens glücklich zu glauben, daß wir die Macht haben, die Welt, in der wir leben, umzubilden, so daß wir sie in einem verklärenden Lichte sehen. Hast du das nicht bemerkt? Oder bist du nie so unglücklich gewesen, daß du so zu denken brauchtest? Sieh dich um in der Welt und sage mir, wie viele Menschen verstehen denn ihr eigenes Leben? Und wie viele gibt es, die es aushalten würden, hätten sie wirklich die Kraft, es zu verstehen? Möglicherweise lebt eigentlich kein Mensch das Leben, das er selbst zu leben glaubt. So viel ist sicher, daß niemand das Leben eines anderen in dem Lichte sehen kann, in dem er selbst es sieht. Ist dies ein Glück, oder ist es ein Unglück? Ist es die Eitelkeit, die auf der Lauer liegt und selbst in den Verhältnissen, die wir nicht immer selber geschaffen, uns glauben machen möchte, daß wir vor allen anderen bevorzugt wären? Oder ist es bloß das Beste in uns, das zu Worte kommen und uns zwingen möchte, wenigstens unsere Nächsten milder zu beurteilen? Dies Rätsel löst niemand. Und glücklich ist der, welcher niemals darüber zu grübeln braucht.

Ich weiß jetzt, daß ich, seitdem es mir glückte, mir Gewalt anzutun und meine Jugendträume zu verjagen, in meiner Ehe alles, was mir geschah, mein Heim, meine Frau, ja, mein ganzes Leben, in einem Licht sah, das kein anderer als ich ihm hätte verleihen können. Aber es dauerte lange, ehe ich dies entdeckte, und während der Zeit kann ich sagen, daß ich gewissermaßen glücklich war.

Hätte ich nur verstanden, worin dieses Glück lag, wie anspruchslos es war und wie wenig es vertrug, näher angeschaut oder vergoldet zu werden, wäre mir vielleicht aus dieser Zeit etwas zu erinnern übriggeblieben. Aber ich sah damals meine Verhältnisse anders an; in einem gewissen Bedürfnis, mich nicht geringer als andere zu fühlen, dichtete ich alle meine Jugendträume von einer Frau, die ich lieben konnte, um, blies sie hinweg wie leere Illusionen und schuf mir ein Ideal von der Ehe, das nichts anderes war als zwei einfache, gesunde Menschen, welche die Forderung der Natur erfüllen und frische Kinder erzeugen, die nach ihnen die Erde bevölkern sollen.

Was bedeutete mir in meinen damaligen Verhältnissen die Verfeinerung, der Adel des Herzens oder alle jene tausendfältigen geistigen Interessen, welche mit unsichtbaren Fäden die Menschen aneinanderknüpfen und dem Leben Reichtum und Wachstum verleihen? Ich war mit einer einfachen Frau verheiratet, die gut gegen mich war, die immer zu mir emporschaute, meinem leisesten Winke gehorchte, sich meinem Willen in allem unterwarf und die alles dies tat, nur weil sie mein Kind unter ihrem Herzen trug. Was konnte ich denn mehr wünschen? Gab es denn überhaupt anderes in der Welt, nach dem ein Mann streben konnte?

Aber trotzdem ich so dachte, lebte ich doch nie danach. Unbewußt vielleicht strebte ich nach einem geistigen Zusammenleben mit meiner Frau. Ich ließ sie Musik hören, ich führte sie ins Theater, zeigte ihr die besten Kunstwerke und las ihr laut vor aus den Meisterwerken der Literatur. Und als ich dies tat, dachte ich, daß ich ihr eine neue Welt erschlossen habe. Ich bildete mir ein, daß sie dankbar dafür sei. Und ich sehe noch ihre Augen, wenn sie versuchte, mir in all dem zu folgen, das ihr so neu war, das sie sicher nur wie eine Aufmerksamkeit von meiner Seite auffaßte, die sie in ihren eigenen Augen erhöhte, die sie aber zugleich ebenso langweilig wie überflüssig fand. Und wenn Signe abends an meiner Seite saß und die Kleidungsstückchen nähte, welche die Vorbereitung sind zu dem, was in unserem Leben das größte Ereignis ist und bleibt, war ich völlig von dem Glück erfüllt, bald Vater zu werden, und vielleicht war es dieses Gefühl, das über alles andere Glanz verbreitete.

Was weiß ich jetzt davon. Und was nützt es, darüber zu grübeln?

Ich kann dir dies alles nicht erklären. Denn ehe du alles weißt, wirst du mich hart, bitter und grausam finden.

Einsam aber war ich durch meine Ehe geworden. Und ich war einsam gerade deshalb, weil niemand den Schritt, den ich getan, mit denselben Augen betrachten konnte wie ich. Selbst meine jungen Freunde waren in diesem Punkte älter und kaltblütiger als ich. Und ich begriff nur allzu schnell, daß diese Freunde aus dem früheren Verkehrskreise mich ungern in meinem Heim aufsuchten. Ich wurde noch einsamer, als ich fühlte, daß die Kameraden mich schweigend bedauerten. Kam ich mitunter abends in unser Café, so fragte mich niemand nach meiner Frau. Wurde ich zuweilen eingeladen, so war überhaupt nicht die Rede davon, daß sie mitkommen sollte. Besuchte mich jemand, so verschwand Signe in die Küche und ließ uns allein.

Ich versuchte vergebens, sie von dieser Gewohnheit abzubringen, die mir wie eine Beleidigung gegen sie selbst vorkam. Und ich war weit entfernt davon zu ahnen, daß sie das alles eigentlich sehr natürlich fand, wenn auch in ganz anderer Weise als ich. Mit ihrer unentwickelten Natur hegte sie nämlich für mich just dasselbe Gefühl, das sie für jeden anderen beliebigen Mann gehegt hätte, der Vater des Kindes gewesen wäre, das sie unterm Herzen trug. Wie einfach ist das, und wie leicht zu verstehen! Dieser Gedanke kam mir schon damals, und wie oft, wie oft während des ersten Halbjahres unserer langen Ehe. Ich weiß, daß es so war. Ich erinnere mich dessen mit qualvoller Deutlichkeit, und ich schäme mich nicht einmal, daß ich naiv genug war, ihn beiseitezuschieben.

Denn ich wollte nicht, daß es so sein sollte. Ich wollte nicht, daß sie in ihrem Verhältnis zu mir dastehen sollte wie eine Dienerin ihrem Hausherrn gegenüber. Ich reizte bei jeder Gelegenheit ihr Selbstgefühl, und ich tat es meinetwegen, nur aus dem Bedürfnis, in ihr eine Gleichgestellte zu sehen.

Ich sagte es ihr mehr als einmal. Und weißt du, was sie mir antwortete?

»Wie kannst du glauben,« sagte sie, »daß ich je vergessen könnte, wer ich bin und wer du bist? Da müßte ich wohl verrückt sein.«

Das waren ihre eigenen Worte, und du kannst daraus, wenn du willst, meinetwegen gern den Schluß ziehen, daß sie die Klügere von uns beiden war.

Als ich sie zu meiner Frau machte, war dies etwas, wofür sie, ihrer Meinung nach, sich dankbar erweisen mußte, indem sie sich während der ersten Zeit unserer Ehe nach ihrer Auffassung auf ihrem Platz hielt. Dieser Platz war für sie der eines Dienstboten des Hauses, und da sie von der frühesten Jugend an gegen Armut und Not gekämpft hatte, schwindelte es ihr vor dem ihr so unbekannten Glücksgefühl, sich versorgt zu wissen. Sie konnte sich nichts Schöneres denken, als mit einem Manne leben zu dürfen, der so hoch über ihr stand, und sie hätte von meiner Seite sowohl Härte als Gleichgültigkeit leicht ertragen, wenn ich nur in diesem Punkte ihre Auffassung unseres Verhältnisses hätte teilen können.

Aber dies konnte ich nicht. Ich wollte sie auf meinen Armen tragen, hoch über den Urteilen und Vorurteilen der Menschen, wollte sie zwingen, zu sein, was sie nicht war. Und ich verstehe jetzt, daß ich dies wollte, um mich selbst aufzurichten, um zu vergessen, daß ich im Innersten meiner Seele mich ihrer und meiner selbst schämte.

 


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