Gustaf af Geijerstam
Frauenmacht
Gustaf af Geijerstam

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Zweiundzwanzigstes Kapitel

Als ich heimkam, war es dunkel im Korridor und dunkel in meinem Zimmer. Niemand hieß mich willkommen, und in der kleinen Wohnung war es so still, daß ich beklommen stehen blieb und nach irgendeinem Laut horchte, der dies Schweigen stören könnte, das mir unglückverheißend schien.

»Bist du da?« sagte ich.

Aber es kam keine Antwort. Als ich in mein Arbeitszimmer eingetreten war, merkte ich, daß die Tür nach Gretchens Zimmer angelehnt stand und daß durch die offene Ritze ein schmaler Lichtstreifen auf den Boden vor mir fiel. Vor diesem Lichtstreifen blieb ich stehen, und ich fühlte einen Stich im Herzen, als ob mein Gewissen mich anklagte, daß ich in einer unerklärlichen Weise mein Allerheiligstes vergessen, versäumt oder verwahrlost hätte. Was war geschehen? Was konnte es wohl sein? Weshalb antwortete mir niemand? Und weshalb war es so still hier? Ich stand noch immer wie gelähmt, und in diesem Augenblick war ich so sicher, daß ein Unglück geschehen war, daß ich Kraft gebrauchte, um hineinzugehen. Ich weiß jetzt, daß ein Unglück wirklich geschehen war. Aber welches und wie, konnte ich mir damals nicht erklären. Ich dachte an Gretchen, an ihre kleine, lebhafte Gestalt und ihre großen, liebevollen Augen. Ich entsann mich ihres Schmerzensausbruchs darüber, daß ich nicht froh sein könne allein mit ihr. Wie ein Stoß durchfuhr der Gedanke meine Seele, wie ich sie während der letzten Tage allein gelassen. Wie war ich doch meine eigenen Wege gegangen und hatte sie vergessen! Und am allerempfindlichsten hatte ich sie allein gelassen, wenn ich still und verschlossen, in meine Gedanken versunken, sie vergessen hatte, trotzdem sie in meiner Nähe war.

Woher mir diese Gedanken kamen, weiß ich nicht. Sie kamen mit dem schmalen Lichtstreifen, der durch die angelehnte Tür fiel. Und als ich, von einem wundervollen Gefühl der Reue erfüllt, endlich die Türe leise aufstieß, sah ich Gretchen, den Rücken halb der Tür zugewendet, an ihrem kleinen Tisch sitzen. Sie hörte mich nicht, als ich kam, und von dem Platze, wo ich stand, konnte ich den Tisch und einen Teil von ihrem Gesicht sehen. Es war traurig und sanft, und der Mund regte sich, als hätte sie für sich gesprochen. Vor sich auf dem Tische hatte sie einen kleinen Schrein, einen altertümlichen, roten Schrein mit altertümlichen Bronzebeschlägen und mit Leder überzogen. Das war ihr Erinnerungsschrein, in dem sie alle Kleinigkeiten aufbewahrte, die ihr Freude gemacht. Jetzt hatte sie sie hervorgenommen und auf dem Tische ausgekramt und war nun damit beschäftigt, sie langsam und ordentlich wieder hineinzulegen. Beklommen dachte ich daran, daß alles das Sachen waren, die sie von mir im Lauf der Jahre bekommen hatte, und ich erinnerte mich, wie sie mir einmal gesagt hatte, daß zwischen diesen Reliquien niemals etwas, das sie von anderen bekommen, je einen Platz erhalten würde. Ich konnte alles von der Tür aus, wo ich stand, übersehen. Es waren Blumen und allerlei Kleinigkeiten, Miniaturspielsachen und Bonbons, Papiere, auf die ich hin und wieder einen Vers geschrieben. Da war eine kleine Brosche und eine Nadel, unbedeutende Dinge, die ich selber schon seit langem vergessen, die sie aber aufbewahrt hatte. Und wie sie dort saß, glich sie weniger einem vierzehnjährigen Mädchen, als einem lebenserfahrenen Weib, das sie niemals werden sollte.

Zuletzt schlug sie die Augen auf und gewahrte mich. Aber sie erschrak nicht und rührte sich nicht. Sie lächelte mich nur an und fuhr fort, ihre Kostbarkeiten mit ihren kleinen Mädchenhänden umständlich wegzukramen.

»Ich habe hier gesessen und an dich gedacht«, sagte sie.

Ich versuchte zu lächeln, während ich näher kam, ich wußte aber, daß es mir nicht glückte. Denn ich fühlte mich arm und gering, weil ich mehr empfangen hatte, als ich je hatte geben können. Und die Tränen waren mir nahe, als ich dort stand, die Hand auf ihrem Kopfe, und zusah, wie sie ihren Schatz behutsam einschloß.

Sie stellte den kleinen Schrein an seinen Platz, folgte mir langsam und zündete die Lampe an. Aber als ich sie in unsern Zimmern umhergehen sah wie eine kleine Hausfrau, die sie ja war, da fragte ich mich, wie ich das Versprechen gehalten, das ich einst mir selbst gegeben, als wir beide in unserer Wohnung einzogen: nur für sie zu leben, nur an sie zu denken, um ihr Ersatz dafür zu bieten, daß ich ihr zur Mutter ein Weib gegeben, das wir beide vergessen mußten.

Aber während mein Gewissen zu mir redete, war ich zugleich in Aufruhr und hatte die Empfindung, als ob das Leben von mir größere Opfer fordere als von anderen.

 


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