Gustaf af Geijerstam
Frauenmacht
Gustaf af Geijerstam

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Fünfzehntes Kapitel

So zog ich denn zu guter Letzt mit Gretchen in unsere neue Wohnung ein. Es ist dieselbe, die du hier siehst. Sie besteht nämlich nicht aus zwei Zimmern, obgleich es so aussieht. Drinnen in meinem Schlafzimmer hängt eine Draperie, die eine kleine Tür verdeckt. Die führt zu einem hübschen und hellen Zimmer hinein, wo die Gardinen jetzt niedergelassen sind. Dort steht ihr Mädchenzimmer noch unberührt, wie sie es verließ. Ich habe es nie über mich vermocht, von hier wegzuziehen, weil es hier nichts gab, das ich je hätte vergessen mögen.

Niemals haben wohl Vater und Tochter ein eigentümlicheres Zusammenleben geführt, als wir beiden. Ein Vater, der allein mit seiner Tochter gelassen wird, bekommt leicht in seinem Benehmen dem Kinde gegenüber ein gewisses Etwas, das zeigt, wie wenig er den Unterschied des Geschlechts zwischen ihnen vergessen kann. So weit ich zurückdenken kann, war Gretchen für mich immer das kleine weibliche Wesen, sie war es von den ersten Tagen an, wo sie sich nachdenklich in der Metallplatte der Ofentür spiegelte oder mich bat, mit ihr zu spielen, daß ich ihr kleines Kind sei, und dann immer so weiter bis zu der Zeit, wo sie den Entschluß faßte, einsam an meiner Seite zu bleiben, weil sie mich über alles liebte.

Hier, gerade hier stand sie jeden Mittag, wenn ich nach Hause kam, sie stand ruhig und wartete, bis ich mich meines Überrockes entledigt hatte, um sich mir dann in die Arme zu werfen, mehr wie ein liebendes Weib als wie ein Kind. Hier saß sie während der langen Nachmittage schweigend mit ihren Spielsachen oder mit ihrem Buch und sah zu, während ich arbeitete; sie störte mich nie, sondern war zufrieden, wenn sie mich nur in ihrer Nähe hatte. Wie sie dasitzen und mich ansehen konnte, wenn sie sich unbemerkt glaubte! Das steht mir jetzt so wunderbar deutlich vor Augen, jetzt, wo alles anders ist!

Wir hatten eine alte Jungfer, die uns den Haushalt führte. Sie ist übrigens noch immer bei mir. Aber Gretchen sorgte stets dafür, daß wir Blumen im Zimmer hatten, und sie war es auch, die meine Lieblingsgerichte herausfand und alles in einer Weise ordnete, daß mir mein Dasein licht und leicht wurde. Sie war schon ein kleines Weib, während sie noch ein Kind war. Und wäre die Liebe ihr einst genaht, ich glaube, sie hätte sie getötet. Ich glaube es schon deshalb, weil ich nie gesehen habe, daß sie ein Kind, und wäre es auch ein noch so kleines Kind, geliebkost hätte. Die stärksten Frauennaturen sparen, denke ich, ihren Schatz von Zärtlichkeit auf für ihre eigenen.

Dieses kleine Weib war bis zum äußersten empfindsam allem gegenüber, was Mißklang im Leben heißt. Wie gut erinnere ich mich aus früheren Zeiten ihres Gesichtchens, wenn die Mutter ein plumpes Wort sagte oder in ihrer ungebildeten Weise ein Gelächter anstimmte, das dem Kinde in die Ohren gellte. Sie konnte mich dann ansehen mit einem hastigen, frühreifen Blick, als wolle sie wissen, ob ich nicht ebenso dächte. Und strich ich ihr dann übers Haar, ohne sie zurechtzuweisen, wurde sie rot vor Dankbarkeit, weil ich sie wie eine Erwachsene behandelte und nicht wie ein Kind. Und ganz dasselbe Verlangen, daß alles vollkommen sein, daß an dem, was ihr lieb war oder sie erfreute, nicht der geringste Fleck zu finden sein sollte, blieb ihr stets und überall, ja, wurde mit den Jahren noch stärker, als ob das Leben, statt sie abzuhärten, sie im Gegenteil immer empfindsamer gemacht hätte. Ein unüberlegtes Wort, so geäußert, daß sie die Gleichgültigkeit oder Irritation dahinter spürte, genügte, sie stumm zu machen. Es war dann, als erstarre ihr Wesen, als ziehe es sich bei der geringsten harten Berührung in schweigender Unerreichbarkeit in sich selbst zurück. Alles aber hing damit zusammen, daß sie mich über alle Maßen liebte.

Es gab keine froheren Stunden für mich, als wenn ich ihr irgendeine Freude machen konnte. Kaufte ich ihr ein Geschenk oder auch nur ein Kleidungsstück, überraschte ich sie mit einer Ausfahrt oder nahm sie, als sie älter wurde, mit ins Theater, war es nicht nur das Geschenk oder das Vergnügen, welches die geradezu überströmende Glückseligkeit hervorrief, mit der sie mir dankte. Es war ebenso sehr – vielleicht in noch höherem Grade, das Glück darüber, daß ich an sie gedacht hatte. Und wenn sie mich froh sah, weil sie es war, wirkte ihre stumme Freude fast feierlich auf mich.

Trotzdem gab es keine Freude, der sie nicht hätte entsagen können, wenn ihr die geringste Ahnung kam, daß sie mir auf irgendeine Weise zuwider wäre.

Ich glaube eigentlich, daß niemand sie mit denselben Augen ansah wie ich, schon aus dem einfachen Grunde, weil sie sich andern gegenüber nie so zeigte. Nur Elise hat sie gesehen, wie sie wirklich sein konnte, und auch sie nur selten und für kurze Zeit. Denn so klein wie sie war, konnte sie schweigen, wie selten eine völlig erwachsene Frau. Und hatte ein Mißverständnis oder eine Abneigung gegen jemanden sie tief getroffen, konnte sie dieses mit einer ängstlichen Eifersucht verbergen, die eine Kraft des Hasses verdeckte, die nur der Größe ihrer Hingebung vergleichbar war.

So glaube ich, haßte sie ihre Mutter, und zwar nicht um ihrer selbst willen, sondern meinetwegen. Das Böse, das wir beide zusammen erlebt hatten, entwickelte in ihr diese hingebende, verschlossene, sich selbst verzehrende Natur. Das hatte sie so empfindsam mir gegenüber gemacht und so unempfindlich gegen alle anderen. Es hatte in ihrem Wesen das fanatische Gefühl groß gezogen, daß sie geboren sei, um mir das zu ersetzen, was das Leben mir versagt hatte. Diese herbe Vergangenheit, von der wir selten redeten, war so schwer, so niederdrückend, ja unmöglich zu überwinden. Aber wir waren beide dadurch miteinander verwachsen, beide waren wir wie Schiffbrüchige von einem sinkenden Schiff geflüchtet, und mitten in unserm neuen und unerwarteten Glück gaben uns diese dunklen Erinnerungen aus jener vergangenen, schweren Zeit den Untergrund, auf dem unser ganzes Leben sich abspielte; alle anderen konnten ihn früher oder später vergessen, nur wir beiden nicht.

So spann sich ein Netz von tausend unsichtbaren Fäden zwischen dieser jungen Frauenseele und der meinen, und so seltsam hatte das Leben uns geführt, daß ich mich oft darüber wunderte, wie wenig ich mich als ihr Vater fühlte, wie mich so ganz und gar das Gefühl beherrschte, sie sei ein gutes, lichtes Wesen, das meine Seligkeit in sich trug, so wie ich die seine, das, fast wie ein Traum, plötzlich an meiner Seite emporwuchs zu einem jungen Weibe, das mir seinen ganzen kinderhellen Frühling schenkte.

Von dem Vergangenen sprach Gretchen selten, und wenn es einmal geschah, gebrauchte sie das Wort »früher« stets mit einer besonderen Betonung. Es war, als fürchte sie, meine Ruhe durch die Erinnerung an die Vergangenheit zu stören. Aber sie dachte viel daran, das weiß ich jetzt, mehr als ich damals ahnen konnte. Und einmal, als ich sie in Gedanken versunken fand, bekannte sie, daß sie über das Schicksal der Mutter nachgegrübelt habe. Das Wort kam zögernd über ihre Lippen, und eine Röte färbte ihre Wangen, als ob sie etwas Häßliches gesagt habe.

»Ich muß dich etwas fragen«, sagte sie. »War Mama ein schlechter Mensch?«

Ich wußte, daß es nichts nutzte, ihr etwas vorzulügen. Deshalb strich ich ihr über das Haar, um den Eindruck meiner Worte zu mildern, und antwortete:

»Das war sie wohl, mein Kind. Aber trotzdem sollst du sie nicht verurteilen.«

»War sie eine solche, die in den Straßen umhergehen und mir häßliche Worte nachrufen, wenn ich an ihnen vorübergehe und es dunkel ist?«

»Ist das je geschehen?«

»Ja, einmal, Lena hat mir gesagt, daß man sich vor ihnen in acht nehmen soll. War sie eine solche?«

Ich setzte mich neben sie und versuchte sie zu beruhigen. Mir selbst bereitete dieses eine Qual, die ich nicht zu zeigen wagte.

»Weshalb willst du danach fragen?« sagte ich.

»Du sollst es mir sagen«, rief das Kind. »Ich will es wissen. War sie eine solche?«

»Das weiß ich selbst nicht sicher, mein Kind«, sagte ich. »Aber ich fürchte es.«

»Wie konntest du dich mit ihr verheiraten?« kam es heftig von ihren Lippen.

Und ich verstand jetzt, daß sie die ganze Zeit darauf hinaus gewollt hatte. Ich begriff selber nicht, wie ich so ruhig sprechen konnte. Aber ich hob sie auf mein Knie und lachte, um ihr Entsetzen zu verjagen.

»Das kann ich dir nicht sagen«, antwortete ich. »Weder jetzt noch später. Ich wußte es nicht besser. Oder vielmehr, es war mein Schicksal. Aber du sollst auch wissen, daß ich deine Mutter lieb hatte, als ich mich mit ihr verheiratete. Und damals war sie auch nicht so, wie sie später wurde.«

So erklärte ich es ihr und redete, und während ich redete, fühlte ich, wie ihr Körper, der erst wie steif vor Spannung gewesen, nachließ und in meinen Armen weich wurde, wie sie selber ruhig wurde.

»Hast du über dieses nachgegrübelt, Kind?« sagte ich zuletzt.

»Ja, lange«, antwortete sie.

Und abermals sah ich in ihren Augen einen Widerschein der früheren Angst.

Dann küßte sie mich, und ihre Miene wurde fast heiter.

»Es ist so gut, wenn man etwas Bestimmtes weiß«, sagte sie. »Und du bist so lieb gegen mich. Du machst mir nichts weis, wie es andere Papas mit ihren Kindern tun.«

Dann trocknete sie ihre Augen mit einem kleinen Kindertaschentuch und war wieder so, als wäre nichts geschehen.

Sie war damals dreizehn Jahre alt.

 


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