Gustaf af Geijerstam
Frauenmacht
Gustaf af Geijerstam

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Zweites Kapitel

Bei näherer Überlegung schlug ich mir indessen diesen Plan bis auf weiteres aus dem Sinn. Und sorglos wie ich überhaupt lebte, ließ ich auch diese Liebesgeschichte weitergehen, bis zu einem gewissen Grade neugierig, welches Ende diese Episode meines Lebens nehmen würde. Ich war verliebt, aber nicht mehr, als daß ich recht gut den Abstand gesehen hätte zwischen mir und meinen Interessen, und diesem niedlichen Mädchen, das tagsüber hinter dem Laden in einer Konditorei stand, während sie mich des Abends an irgendeiner verabredeten Stelle aufsuchte oder an der Tür meines Zimmers anklopfte. Jetzt, hinterher wird es mir schwer zu begreifen – aber ich weiß, daß dieses Verhältnis mich damals fast glücklich machte, nur deshalb, weil ich jemand hatte, den ich beschützen, für den ich sorgen konnte und der mich, auf seine Weise, ebenfalls liebhatte. Ich mußte nun auch an einen anderen denken, nicht nur an mich selber, und schon das gibt dem Leben Wert. Deshalb empfand ich nicht nur Zärtlichkeit, sondern auch Dankbarkeit gegen dieses Mädchen, das mir ihre Jugend schenkte und meinem Dasein Licht spendete.

Natürlicherweise gab es schon in diesem Stadium unseres Verhältnisses Augenblicke, in denen ich deutlich erkannte, wie sehr es zu wünschen gewesen wäre, daß diese Verbindung nie zustande gekommen wäre oder daß ich sie wenigstens abbrechen und mich freimachen könnte. Dieses Gefühl überkam mich besonders, wenn ich den Unterschied zwischen ihr und mir allzu deutlich merkte, zum Beispiel wenn sie mich zwang, ihr unzusammenhängendes Geklatsch über Freundinnen und deren Liebhaber anzuhören, ihr Gerede über Herren, die ihr auf der Straße Aufmerksamkeiten erwiesen, und ihren Zorn gegen einen Bekannten, der sie geärgert hatte. Kurzum, dieser ganze unerzogene Wirrwarr von Gut und Böse, der ihr unentwickeltes Hirn erfüllte und an dem sie mich teilnehmen ließ, ohne auch nur zu ahnen, wie unfein sie darin handelte oder daß ich Ekel verspürte, während ich sie anhörte.

Bei solchen Gelegenheiten konnte mich ein heftiger Unwillen ergreifen gegen diese hübsche Außenseite, die so große Leere verdeckte, und ich ließ sie dann unter irgendeinem Vorwande mehrere Tage allein. Ich fühlte, wie dieses Leben mich niederdrückte, schrieb Briefe, in denen ich dem Mädchen zu erklären suchte, daß zwischen uns alles vorbei sein müsse. Als ich aber die Briefe abschicken wollte, versagte mir der Mut, ich verbrannte sie im Ofen und saß dabei und sah zu, wie die Asche des Papieres sich im Feuer zusammenballte, während ich die Empfindung hatte, als gingen alle meine Vorsätze in Rauch auf. Ich war an sie gebunden, weil sie mein Mitleid erweckt hatte und weil ich mir einbildete, daß sie ohne mich zugrunde gehen würde.

Wenn ich sie aber nach solchen Tagen der peinlichen Trennung wiedersah und sie an meine Schulter gelehnt weinte, weil ihr Instinkt ihr sagte, daß ich sie hatte verlassen wollen, »wie es alle Männer zu tun pflegen«, da rührte sie mein Herz wieder. Ich fühlte und verstand, daß dieser Instinkt immer schlummern würde, wenn ich ihn wach wünschte, um das Gemeine in ihrem Wesen zu dämpfen, das mich in die Flucht trieb. Statt dessen würde er nicht schlafen, wenn es galt, mit beiden Händen festzuhalten, was einmal ihr Eigen geworden. Mit unbarmherziger Klarheit sah ich das, aber ich versuchte es von mir zu schieben, und es gelang mir. Mit der Leidenschaft, die sie erweckte, mischte sich auf eine wohl nicht ganz unergründliche Weise in meiner Seele der weiche, schmeichelnde Gedanke, daß ich nicht das Recht hätte, diese Hilflose ihrem Schicksal zu überlassen. Ich wurde besiegt von der Versuchung – in der so viel Ironie liegt für den Menschen – mich edel zu fühlen.

Ich kann es jetzt kaum begreifen, daß ich es wirklich bin, der dieses alles durchgemacht hat. Und wenn ich mich jetzt anstrenge, diese Periode aus meinem Leben zu berichten, ohne sie gar zu tragisch zu nehmen, so weiß ich doch, daß sie sowohl damals wie jetzt den furchtbarsten Ernst für mich bedeutete. Und dieser Ernst wurde mir völlig klar an dem Tage, da Signe ihrem Geliebten mitteilte, daß sie Mutter werden sollte. Da ergriff mich eine unbeschreibliche Beklemmung. Da verstand ich mich mit einem Male, wie tief mir die Hoffnung im Herzen gelegen, daß ich doch noch einst die Frau treffen würde, die ich in Wahrheit lieben würde und mit der ich deshalb ein Heim gründen konnte. Wie in einem hoffnungslosen Dunkel verschwand nun dieser Traum und wurde zu einer Unmöglichkeit, an die ich nicht länger denken durfte. Und Hugo Brenner wurde von diesem Tage an ein anderer Mensch. Er wurde sanfter und stiller. Seine Sorglosigkeit verschwand, wurde aber von einem lichten Optimismus ersetzt, der mich zwang, alles in einem so glücklichen Lichte zu sehen, so hoffnungsvoll und so wohlgeordnet wie nur möglich.

Ich begreife es ja jetzt, daß, wenn jemand Signe gesagt hätte, als sie nun einsam in einem kleinen, für sie gemieteten Zimmer saß und an Kinderzeug nähte, daß ihr Liebhaber verpflichtet wäre, noch mehr für sie zu tun, als gut gegen sie zu sein und aufs beste für sie und ihr Kind zu sorgen, sie wohl anfangs ein Stündchen geweint hätte, nervös und sentimental, wie die arme Kleine dank ihrem Zustande war. Später aber hätte sie sicher solche überspannte Phantasien belacht und den Betreffenden gebeten, nicht solchen Unsinn zu treiben und solch dummes Zeug zu reden.

Aber der Hugo Brenner, der ich damals war, sah nun einmal die Welt aus seinem eigenen Gesichtswinkel an. Und als er erst angefangen hatte, darüber nachzudenken, was er in dieser Angelegenheit zu tun habe und was nicht, dauerte es nicht lange, bevor er, seiner Gewohnheit gemäß, nur einen Weg sah, den er mit Ehren betreten konnte. Dieser Weg führte geradeaus, ohne Abschweife und Krümmungen, und ich wußte es auch sehr gut, schon bevor ich es mir eingestehen wollte, daß ich früher oder später diesen Weg gehen würde und keinen anderen.

In der Zeit hatte ich nämlich ein Moralprinzip, das ich einst, halb im Scherz, in einer Gesellschaft ausgesprochen hatte, das aber jetzt zu mir zurückkehrte und bitterer Ernst wurde: »Sollte das Schicksal mir eine Last auf die Schultern legen, so will ich hoffen, daß ich sie zu tragen vermag.« In diesem Falle nun legte ich das Wort auf meine besondere Weise aus; es wäre aber zuviel gesagt, wenn ich behaupten wollte, daß der Weg, den ich damals vor mir sah und den ich für den einzig möglichen, den einzig richtigen hielt, mir gerade ein rosenbestreuter zu sein schien.

Im Gegenteil, ich scheute davor zurück, ihn zu betreten, und ich führte lange, nüchterne Unterredungen mit mir selber, in denen ich mit der ganzen Dialektik des Weltmannes dem Doktor der Philosophie Hugo Brenner bewies, daß er ein Narr sei und daß kein Mensch, der seinen gesunden Verstand beisammen habe, unter ähnlichen Verhältnissen darauf verfallen könne, so zu handeln. Ja, ich ging so weit, daß ich, trotz der empfindlichen Scheu meiner Natur, diese Angelegenheit einem Freunde vorlegte und ihn um Rat bat.

Indessen machte ich damals – nicht zum ersten Male in meinem Leben und auch nicht zum letzten – die Erfahrung, daß man, wenn man in intimen Verhältnissen einen anderen um Rat fragt, sich genau vorsehen muß, ehe man sich zu stark entblößt. Die Art und Weise, wie mein Freund diese Sache auffaßte, war nämlich so verschieden von dem, was ich erwartet hatte, daß mir am Schlusse der Unterredung nur ein Gefühl der Scham blieb, mich einem Fremden anvertraut zu haben. Obendrein flößte mir dieses Gespräch eine Abneigung gegen diesen alten Freund ein, die im Laufe einiger Tage so stark wurde, daß wir beide nach jenem Meinungsaustausch nie so recht das Interesse wiederfinden konnten, das wir einst aneinander gehegt hatten.

In meiner unbeschreiblichen Seelennot ging ich statt dessen direkt zu Signe hin, klopfte an ihre Tür, ganz vergessend, daß es Nacht und für sie besser war, nicht so spät gestört zu werden. Dies war die unmittelbare Frucht des guten Rats meines Freundes und meiner eigenen aufgeregten Gemütsstimmung.

Das Mädchen kam schlaftrunken und erschrocken aus dem Bette und fragte, ob etwas passiert sei. Ohne sie anzuhören, ging ich ruhig ins Zimmer hinein und schloß die Tür hinter mir zu. Doch war ich so aufgeregt, daß ich von Kopf bis zu Fuß zitterte. Und während Signe ihren kleinen Lockenkopf auf dem Kissen zurechtlegte und mit halboffenem Munde und großen Augen, die noch vom Schlafe glänzten, auf eine Schreckensnachricht wartete, die kommen müßte, saß ich altes, großes Menschenkind da auf einem Stuhl und kämpfte mit meiner Bewegung, die mich daran hinderte, auch nur ein Wort hervorzubringen.

Als ich sie betrachtete, wie sie so dalag, schien sie mir so zart, so schutzlos und einsam in der Welt, daß mein Herz, welches wahrlich schon voll genug war, vor Unwillen schwoll bei dem Gedanken, daß alle ohne Ausnahme, alle außer mir, in diesem Falle bereit sein würden, sie zu dem einsamen und verlassenen Wege der Verlorenen zu verurteilen.

»Ich bin hergekommen, um dich zu fragen, ob du willst, daß ich dich heirate«, brachte ich schließlich hervor.

»Herr Gott, Hugo, wie du mich erschreckt hast!« kam es aus den Kissen hervor.

Natürlich konnte Signe sich nicht so hastig in meinen Gedankengang hineinversetzen. Und diese Antwort, die just nicht mit meinen Gefühlen bei dieser Gelegenheit harmonierte, brachte mich für einen Augenblick aus der Fassung. In der nächsten Minute aber war ich am Bette aufs Knie gesunken, hatte das blonde Köpfchen zwischen meine Hände genommen und zu sprechen angefangen. Ich redete davon, wie ich mir die Zukunft dachte, wie unmöglich es mir sein würde, mich jemals mit einer anderen zu verheiraten als mit ihr, der Mutter meines Kindes – als ich das Wort aussprach, schlug meine Stimme über, ich höre es noch – ferner sprach ich davon, wie ich glaube, daß sie mich liebhabe, daß ich selber immer gut gegen sie sein würde und daß meine Verhältnisse klein seien. Mit dem Kopf an ihrer Brust, mit ihren Armen um meinen Hals redete ich mich warm, und ich endete damit, sie so innig zu bitten, meine Frau zu werden, als ob ich gefürchtet hätte, sie würde aus irgendeiner Veranlassung nein sagen.

Signe begriff sicher nicht viel von dem, was ich ihr damals sagte, was übrigens späterhin öfters der Fall war. Vor allem begriff sie nicht, daß alles, was ich sagte, Wirklichkeit war. Als sie mich aber zu wiederholten Malen danach gefragt hatte und ich ihr ebensooft und unter vielen Küssen versichert hatte, daß alles, was ich gesagt, mein voller Ernst wäre, da schlug sie beide Arme um meinen Hals und murmelte schluchzend:

»Niemand ist wie du. Nein, niemand auf der ganzen Welt.«

Und sie weinte, wenn nicht vor Glück, so vor überströmender Freude, mit einem Schlage aus Schande und Not in ein Dasein gehoben zu sein, das für sie gleichbedeutend war mit der größten Ehre, der größten Seligkeit. Ihre Rührung war so aufrichtig, daß sie in meinen Augen hübscher als je wurde, und sie war schüchtern in ihrer Zärtlichkeit, weil sie erkannte, daß sie das Glück, welches ihr zufiel, nicht verdiene.

Wundere dich nicht darüber, daß ich dies jetzt so kaltblütig ansehen, daß ich obendrein darüber sprechen kann. Ich sehe sie ja jetzt, wie ich sie schließlich kennen lernte. Ach! Damals war ich heißblütiger, als ich es dir jetzt beschreiben könnte. Als ich damals Signe sah, wie sie vor lauter Dankbarkeit und Freude ganz Feuer und Flamme wurde, da steckte ihre Freude auch mich an. Und als ich an diesem Abend einsam auf meinem Zimmer saß, da hatte ich das Gefühl, als umgäbe mich etwas Großes, Warmes und Friedvolles, das die Außenwelt mit ihren kalten Bedenklichkeiten vor mir versinken ließ; ich beugte mein Haupt in dem Empfinden, nichts mehr zu wünschen, was über diesen Zustand hinausginge.

In dieser Gemütsverfassung war ich vollkommen glücklich, und ich sah die Zukunft lichtgebadet vor mir liegen wie ein Jüngling.

 


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