Friedrich de la Motte Fouqué
Der Zauberring
Friedrich de la Motte Fouqué

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Noch ehe man darüber Worte wechseln konnte, war der königliche Held mit seinem Gefolge vorübergezogen, und man hörte bald darauf, wie er seine Rosse im Galopp ansprengte, und mit verhallendem Gewieher und Hufesdonner über die Wiese dahinflog, »War das nicht –?« fragte Gabriele staunend, in Folkos Auge blickend. – »Ich glaube nicht, daß es noch einen Ritter seinesgleichen auf Erden gibt«; entgegnete der edle Montfaucon. »Der Löwe war es, und kein andrer Bewohner des Forstes sonst.« – Aller Augen hingen fragend an den seinen, und er wollte eben den Mund zum Reden öffnen, da ließ sich von derselben Seite her, wo der Heldenritter zuerst erschienen war, ein so anmutiges Zitherklingen vernehmen, daß sich davon eine rechte Bezauberung über alle die Frauen, Ritter, Knappen und Reisigen ergoß. Niemand regte sich, alles trank wie in durstig wonniglichen Zügen den süßen Laut, welcher immer näher und näher durch die Sommernacht heranschwebte, und endlich die Worte der begleitenden Engelsstimme etwa in folgendem Sinne hören ließ:

    »Und nach den Schlosses Mauern,
So hoch, so fern,
Da klang in Sehnsuchtstrauern,
In öder Nächte Schauern,
Von der entschwundnen Tage Stern
Das Lied so gern.

    Hoch oben lag gefangen
Der Löwenheld.
So wie die Töne klangen,
War hell ihm aufgegangen,
Sein einst so rühmlich Waffenzelt,
Sein Siegesfeld.

    ›So kann nur einer singen!‹
Sang er herab.
›Frisch auf ihr Sangesschwingen!
Dem Meister wird's gelingen,
Der löst mit seinem Zauberstab
Das Königsgrab.‹

    Es ist, mir ist's gelungen!
Das Grab zersprang.
Der Blondel hat gesungen,
Den Blondel hält umschlungen,
Sein Löwenherz so frei und frank,
Im Lieb'sumfang.«

Dies Lied singend hatte sich eine Sängergestalt genähert, auf einem zierlich weißen Rösselein, welches der jüngere, zartere Bruder jenes hohen schneefarbenen Heldenrosses zu sein schien. Ein grüner Sammetmantel umfloß die Bildung des holden Jünglings, dessen Anlitz in unbeschreiblicher Lieblichkeit aus dem dichten Spitzenkragen heraufblühete, fast weiblich, nur daß ein schönes, blondes Bärtchen über der Lippe lag; er hatte sein artiges Tierlein angehalten, sah vergnüglich in den hellen Fackelkreis hinein, und schlug noch immer dabei die Zither, welche ihm an einer reichen goldnen Kette vor der Brust hing.

Otto erkannte die liebliche Erscheinung Meister Blondels, ihm früher in den französischen Blütenwäldern zuteil geworden, und die letzten Zeilen des Liedes hatten auch alsbald der ganzen Gesellschaft kundgegeben, welch ein edles Gestirn der Minne und der Sangeskunst vor ihnen aufgegangen sei.

»O Ihr viel edler Meister Blondel«, riefen ihm Damen und Ritter entgegen, »so ist denn wirklich der große König Löwenherz gerettet? Und war er wohl selbst der herrliche Ritter, welcher eben unserm Kreise vorüberzog?«

Blondel bejahte das alles freundlich, und ließ sich nach Sängerweise von schönen Frauen und edlen Rittern leicht bewegen, bei ihrem Feste zu verweilen, und ihnen zu erzählen, wie er seinen lieben König und Helden und Freund, mit Saitenspiel und Lied das Echo vor allen Burgen versuchend, gefunden und errettet habe, eine Begebenheit, deren treuherzige Anmut dir, mein günstiger Leser, schon in mannigfachen Dichtungen und Sagen durch das Herz gedrungen ist.

Die Ritter alle erhuben laut ihre Stimme, und priesen den Sänger herrlich und selig, und seinen ganzen Stand, durch den errungen worden sei, was so viele starke Helden durch ihre rühmlichen Klingen vergeblich gesucht. Aus den Händen der Frauen regneten Blumen über den siegreichen Troubadour hin.

Da trat Arinbiörn dicht vor Otto, an der einen Hand Blancheflour, an der andern den Meister Aleard führend, welchen er scharfen und schnellen Blickes aus der zuströmenden Menge herausgefunden hatte. – »Lieber Bruder«, sprach der Seekönig, »der hier ist der Jüngling, von dem ich dir früher gesagt habe, daß ich ihn im Zauberspiegel zu Blancheflours Füßen sitzen sah, als ich den jungfräulichen Stern meines Lebens nur mit dem Namen Roselinde nannte.« –Die Farben wechselten auf Ottos Gesicht, er schoß funkensprühende Blicke gegen den Sänger, und so tat auch der sich herzudrängende Folko. Arinbiörn aber fuhr fort: »Was soll der Zorn, ihr herrlichen Ritter? Habt ihr nicht jetzt eben empfunden, daß der Sänger wohl oft über uns waffenhelle Eisenmänner hinausschreitet auf seinen lustigen Bahnen? Meister Aleard ist von edlem Hause; Franken, Spanier, Engländer und Germanen preisen seine Lieder. Otto, was zögerst du? Oder sollen wir eben jetzt die Zither mit unsern beerzten Fersen zertreten, wo sie uns in Blondels Siegestat ihre Herrlichkeit und Obergewalt kundgegeben hat?«

Otto und Montfaucon erröteten heiß. Jener nahm den Sänger, dieser die holde Blancheflour an den Arm, und so näherten sie sich dem alten Herrn Hugh; Arinbiörn schritt als ankündigender Herold voraus. Der greise Held willigte sehr freudig ein; es war, als gebe ihm ein begeisternder Strahl des nahen Jenseits kund, wie viel schöner seine weiße Blume sich an dem Rosenbaum des Gesanges emporranken werde, als an dem blutigen Speere der Schlacht. Oder verklärte ihn Hilldiridurs himmlisch beruhigender Mondscheinblick? – Er segnete die holden Liebenden, deren zartes Erröten beim ersten Kusse sich gegenseitig an den ersehnten Wangen in höherm Morgenlichte zu entzünden schien. – »Und du, Arinbiörn?« fragte Otto, wehmütig seines Waffenbruders Rechte fassend. – »Gott hat es gnädig mit mir gemacht«, entgegnete dieser. »Wäre Blancheflour nach strengem Recht eines andern Mannes Verlobte gewesen, ich hätte meinen zürnenden Jammer wohl kaum getragen. Nun aber ist es mir so gut geworden, meinen Anspruch wegschenken zu dürfen, und Wegschenken macht jedwedes königliche Herz freudig und stark. Wohlauf! Es ruft die See mit all ihren grünen, gewaltigen Wogen; Hoffnung rauschet aus ihr herauf, wenn nicht auf Minne, doch auf Ruhm, und Roselinde bleibt sieg- und segenbringend mein Feldgeschrei!« – »Es ist alles so schön und recht«, sagte Bertha friedelächelnd, »wie kann noch irgend jemand zweifeln?« – Und wo es noch in einem Herzen gestockt hatte, oder gebraust, legte es sich zu seliger Meeresstille vor der reinen Jungfrau Gebärden und Worten.

Der greise Held sah in Zelotes und Christophorus' Angesichter, sprechend: »Zwei Söhne also des alten Herrn Hugh sollen durch das Leben ohne Brautkranz gehn?« – »Ich flechte für andre«, entgegnete Zelotes. »Alle diese Paare will ich zusammengeben, meiner heiligen Priesterweihe froh, und fühlend im nicht unwürdigen Stolze, daß auch von dieser Seite das Haus des alten Herrn Hugh sich selbständig und in eigner allseitiger Kraft erbauet und zusammenrankt.« – Ich aber«, sprach Christophorus, »gedenke desselben edlen Hauses Glanz noch fürder auszubreiten durch die Welt mit Siegespreis und edler Wissenschaft. Für mein Liebessehnen ist wohl kein einzeln Weiberherz geschaffen. Die Erde sei meine Braut, so weit sie in ihren vielfach blühenden Reizen prangt.« – Beider Söhne Hände drückte der alte Herr Hugh mit voller, gewaltiger Manneskraft, und sandte Blicke voll glühender Heiterkeit dahinüber, wo Otto, um Berthas hohe Engelsgestalt den Arm in seligem Stolze schlingend, ihm gegenüberstand.

Da nahete sich Meister Blondel, der von seinem Sangesgenossen erkundet hatte, welche Wunder sich hier ereigneten, neigte sich demütig vor Bertha, und sagte, ein zierlich gearbeitetes güldnes Kränzlein, von roten und grünen Edelsteinen durchleuchtet, aus seinem Mantel hervorziehend: »Ach, wenn sich doch nur diesmal die hohe Schönheit nicht weigern wollte, von der Dichtkunst eine Krone zu empfangen. Sie hat dergleichen sonst wohl öfters verstattet.« – Und Bertha neigte süß errötend, und doch im edlen Selbstbewußtsein, das himmlische Haupt, auf dessen schlichtbraunem Haar alsbald die leuchtende Umkränzung prangte, die Herrin auch ungeweihteren Augen bezeichnend, als dieses ganzen Festes und all der vollbrachten Taten anmutige, begeisternde Königin.

Blondel aber hatte sich wieder auf sein weißes Rösselein geschwungen, und sang, durch die Mondscheinnacht dahintrabend, zum Abschiede folgende Worte:

    »Gute Nacht!
Lieben, Sehnen, Liebesschwingen,
Meeresfahrten, blut'ges Ringen,
Alles, alles ist vollbracht;
Unter goldnen Kronenlichtern,
Steht die Herrin da in Pracht,
Zwischen Rittern, Fraun und Dichtern;
Hat ein Leben angefacht,
Wie sich's Heldenzeit erdacht.
Gute Nacht!
Gute Nacht!«

Und sein Singen verklang unter den Zweigen des tauigen Waldes, wie jetzt auch diese ganze Geschichte vor euern Ohren verklungen ist. Gute Nacht!


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