Friedrich de la Motte Fouqué
Der Zauberring
Friedrich de la Motte Fouqué

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Siebentes Kapitel

Die Becher waren geleert, die Nacht hereingebrochen, und Otto, von allen mit Gruß und Liebe entlassen, schlief auf den Decken seines Lagers, rastend von der Ermüdung des vorigen Übungstages und der Seefahrt. Aber schon um Mitternacht drang ein dumpfes Klopfen und Singen durch seinen Schlummer, das sich anfangs in seine Träume verwob, endlich aber ihn vollkommen ermunterte. Achtsam um sich herschauend, halb in Grauen, halb in Lust von den wunderlichen Klängen befangen, merkte er endlich, daß er über Asmundurs Schmiedehalle wohne, und der ernste Künstler unten an seinem zertrümmerten Schwerte schmiede, ein Lied dazu singend von dem Schwerte des großen Siegmund Wolsung, wie es in der Schlacht vor Odins Speere brach, und wie es der zauberkräftige Reigen dem Siegmundssohne, Sigurd dem Schlangentöter, wieder zusammenlötete. Sein Vater hatte ihm schon von Jugend auf von dieser Heldensage viel begeisternde Dinge erzählt, und er konnte jetzt der Begier, sie aus eines Normanns Munde zu vernehmen, nicht widerstehn; zumal, da abwechselnd mit dieser die Mär von einem starken Recken, Hugur, dazwischenklang, die Otto noch nicht wußte, und nach welcher ihm auch das ganze Herz brannte. Leise stieg er vom Lager, ergriff Mantel und Streitaxt, half sich vorsichtig die Stiegen hinunter, und, dem Klange von Lied und Schmiedezeug nachtappend, trat er plötzlich in Asmundurs Halle ein. Der Künstler stand zürnend von seiner Arbeit auf, und schritt mit geschwungnem, glührotem Hammer dem Störer entgegen; kaum aber, daß er Otto erkannte, so kehrte er sich begütigt ab, und legte nur sehr ernst den Finger auf den Mund. Dann begab er sich wieder an sein Geschäft, und Otto, dem bedeutsamen Wink Folge leistend, nahm schweigsam gegen ihm über auf einem halb eingesunknen Amboß Platz.

Da begann mit der Arbeit der Waffenschmied auch wieder seinen feierlichen Sang, daß die Wölbung nicht minder von den Hammerschlägen, als von den Taten Sigurds widerhallte. Nach jedem Absatz aber verwandelte er den Ton, und sang folgende Worte:

    »Doch so wie der starke Hugur huldlos
Hat gebraucht die rauchende Klinge, – –
Sehr weinte das süße Weib, im Todkampf!
So brauch man dich nimmer, mein schimmernder Schwertblitz,
Weh, starker Hugur, nicht gut hast getan!
O weh, nie mach's ihm ein Heldenkind nach!«

Dann kam es wieder an die Taten Sigurds, dann wieder an die wehmütigen Worte vom starken Hugur, und nimmer rastete dabei der Hammer, und immer funkelte dabei die Glut, die Bildung des gewaltigen Schmieds mit furchtbarer Feierlichkeit bestrahlend. Endlich war das Schwert vollendet; mit einer Zange nahm es der Künstler aus den Kohlen, und legte es, noch in Gestalt einer Feuerwaffe, an einen kühlenden Ort. Dann tat er seinen Mund auf, und sprach zu Otto: »Hast du mir nun etwas zu sagen, so fang' an. Du kannst es jetzt tun, ohne die mindeste Gefahr für dich und für das Schwert.« – »Ich kam nicht, um zu sprechen«, erwiderte Otto, »sondern um zu hören, denn alte Sagen sind meines Lebens Erquickung. Mit den Sigurdstaten scheinst du zu Ende zu sein; ich kenne sie auch schon meist. Wolltest du mir aber nun noch erzählen, was das für eine Geschichte mit dem starken Hugur war, so tätest du mir recht etwas zuliebe.« – »Das kann wohl geschehn«, sagte der Schmied, »ich will mir aber erst ein Horn voll Met zur Erfrischung holen, und dir ein Goldhorn voll Wein.« – Und nachdem er beides auf den halbversunknen Amboß gestellt hatte, brachte er zwei Kürisse herbei, auf welche sich die beiden Recken einander gegenüber an den eisernen Tisch setzten, worauf Asmundur folgendermaßen zu erzählen anhub:

»Vor beinah vierzig Jahren lebte hier ein Ritter im Lande, der war Hugur geheißen. Hugur war aller Menschen schönster und stärkster, und weil er aus fremden Gegenden gekommen war, bildeten sich viele Leute ein, er seie von dem uralten Odin zauberhafterweise aus dem schönen Lande Gottheim, welches so viele Sterbliche vergebens aufgesucht haben, hier hereingeschickt worden. Wie es damit sei, ich weiß es nicht. Ich habe mich taufen lassen, und bin ein guter Christ geworden; aber wenn einer von Odin und Gottheim spricht, geht mir doch immer das ganze Herz auf. Bloße Lügen, mein junger Held, können die alten Göttersagen nicht gewesen sein. – Nun, der Hugur zeigte sich bald als der sieghafteste Recke in ganz Norweg, einen einzigen ausgenommen. So lieb aber die Leute den Hugur hatten, so unlieb hatten sie jenen, weil dessen Anwesenheit immer Unheil vorbedeutete; er konnte auch mit aller mannhaften Hülfe, und mit einer strengen Rache, damit er für unüberwindlich galt, nie wiedergutmachen, was der Schreck über seine Erscheinung oftmals dem Leben der Menschen an Freudigkeit, ja an Gesundheit und Dauer benahm.«

»War das nicht der Rächer mit den Geierfittichen auf dem Helm?« fragte Otto schaudernd.

»Seht einmal, Ihr wißt schon gut Bescheid bei uns«, entgegnete Asmundur. »Nun, Arinbiörn hat Euch wohl davon erzählt; denn der ist aus jenes Helden Stamm.« – Otto sah stieren Auges in eine Ecke, als werde der Störer mit den Geierfittichen von dorten aufsteigen, und Asmundur fuhr folgendermaßen fort: »Nun gab es damals einen Jarl in Norweg mit fast königlicher Gewalt und Goldesfülle, der hatte zwei wunderschöne Töchter, und die einander sehr ähnlich sahen; die älteste hieß Astrid, die jüngste Hilldiridur. Astrid war ein Mädchen, wie sie oftmalen sind: züchtig, gutherzig, und gern im Umgange mit ihren Gespielen froh. Hilldiridur aber, ebenso gut, und nicht minder sittig, hatte von den Sternen Sehnsucht und Kraft zu der geheimen zaubrischen Weisheit empfangen, die hier in den Nordländern zu Hause ist, und war deshalb in früher Kindheit von einer Muhme, jenes ernsten Wissens mächtig, an Tochterstelle angenommen, und mit nach der eben so flammenden als schneereichen Insel Island hinübergeführt worden.

Nun warben fast alle Helden in Norwegen um schön Astrid, der Rächer mit den Geierfittichen auch; weil sich aber die Jungfrau vor der ernsten Gabe fürchtete, die der Himmel auf dessen Scheitel gelegt hatte, gewann der starke Hugur desto leichter den Preis, und der Tag zu seiner Hochzeit ward angesetzt. Der Rächer schied ohne Zorn, wie er denn überhaupt eines guten Gemütes war, und nur andrer Menschen Leid, niemalen sein eignes rächte; aber am Vermählungsfeste streckte er dennoch die goldnen Geierfittiche seines Helms zu der Halle herein, von nahendem Unglück, der Gewalt gemäß, die ihn trieb, angezogen. Er entschuldigte sich, daß er komme, er könne nicht anders. Die Braut ward bleich, der Bräutigam empfing ihn mit trüber Höflichkeit als einen edlen Gast. – Zur Nachtzeit stand die Burg von einem herabgeschmetterten Donnerkeil in Flammen; der mit den Geierfittichen rettete im kühnsten Wagemut das Brautpaar, welches von plötzlich emporwirbelndem Rauche im ersten Schlaf ohnmächtig hingesunken war. Aber der starke Hugur gewann einen Ingrimm wider den Rächer, und hieß ihn wegbleiben hinfort aus seiner Nähe. – ›Recht gern‹, sagte der geierbeflügelte Held, ›wenn mich nur nicht dein Unglück zu dir hinzwingt!‹ – Und wie er gesprochen hatte, geschah es; Hugur war mannigfachen Unfällen ausgesetzt, und mochte es nun ihm selbst, oder seinem schönen Weibe, oder ihrem im ersten Jahr erzeugten Knaben gelten, oder auch nur ein edles Streitroß bedroht sein, oder eine Ernte; so streckte sich immer der Geierhelm vorher unter das Vordach der Burg. Da hatten, seines Rettens ungeachtet, Astrid und Hugur den Rächer in Verdacht, er bringe das Unglück, dem er nachher widerstrebe, als ein verschmähter Werber zuvor geflissentlich herein. Es kam endlich dahin, daß Hugur dem Helmbeflügelten ins Angesicht schwur, ihn unverwarnt niederzuhauen, wenn er sich ja wieder von ihm in seinem Burgbanne treffen lasse. Der Rächer zuckte die Achseln, und ging sehr betrübt davon.

Es geschah nicht lange nachher, daß schön Astrid einmal, wie sie wohl zu tun pflegte, ganz allein, in die nahe Holzung hinausging. Sie hatte einen leichten Wurfspieß in der Hand, nicht sowohl, um etwas damit zu treffen, denn sie war keine Jägerin, als vielmehr, um ein artiges, blankes Spielzeug mit sich zu führen. Da fand sie an einer Stelle, wo sich das Buschwerk sehr dicht ineinander rankte, den Rächer schlafend liegen, seinen geierbeflügelten Goldhelm neben sich im Grase. Sie erschrak sehr, und konnte sich doch nicht erwehren, stehn zu bleiben, und näher hinzusehn. Es geht uns wohl öfters mit furchtbaren Gegenständen also. Endlich fiel ihr ein, ob nicht vielleicht in dem Helm eine Bezauberung steckte, welche man lösen könne, wenn man die furchtbare Schutzwaffe von ihres Herren Scheitel entfremde. Gedacht, getan; denn sie traute ja dem Rächer nichts Gutes zu, und wollte ihn daher so ohnmächtig machen als möglich. Und durch das finstre Gezweig zurückwandelnd, kam ihr der Helm in ihrer Hand so grauenvoll vor; um ihn weiter von sich zu halten, steckte sie ihn auf ihren Jagdspieß, und trug ihn so vor sich hin.

Da kam aber eben der starke Hugur durch den Forst geritten; die goldnen Geierflügel sahen urplötzlich neben ihm aus dem Laube hervor, und weil er nichts anders denken konnte, als der Rächer laure dort im Versteck, fluchte er fürchterlich, und führte mit all seiner Kraft einen Hieb nach dem vermeinten Gegner hinunter. Die Klinge glitt vom Helme ab, und traf seines herzlieben Weibes Brust, und das war schön Astrids Tod. Bevor sie aber starb, hat sie noch innig geweint, denn sie hatte das Leben sehr lieb. Und Hugur, als er seinen Fehlhieb entdeckte, wollte auch in Jammer und Reumut vergehn. Sie sagen, in Kraft des Liederschwunges, der in unsrer Sprache liegt, und dessen Hugur auch sehr gewaltig war, hätten beide noch vor dem Scheiden also gesungen.

Hugur sang:

  »O hab' ich geschlagen mein Rehlein lieb?
O hab' ich's getroffen zum starren Tod?
O weh, o weh! Was soll ich nun auf der Welt?«

Astrid sang:

    »Sollst denken an Rehlein immerdar,
Sollst bau'n ihm ein dichtes Rasengrab,
Und Leide singen; denn Rehlein hatte dich lieb.«

Hugur sang:

    »Ich hab' ihm gelohnt für Gaben süß
Mit grauser Gabe des Sterbens grimm!
Hier fängt mein Weh an, aber wo endet's? wo?«

Astrid sang:

          »Manch Taumeltrank auf der Erden wächst,
Und träufelt dir wieder Lust ins Herz;
Mich aber umschwirrt so kalter Schlaf – gut' Nacht!«

Damit machte schön Astrid für immer die leuchtenden Rehaugen zu, und eben kam der Rächer durch den Wald, und wollte seinen Geierhelm suchen. Den fiel der starke Hugur mit ungeheuerm Ingrimm an, und es war, als hätte des Rächers Amt hier ein Ende. Unüberwindlichkeit verließ ihn; nach einem kurzen Gefecht lag er mit zerhaunem Schädel tot vor Hugurs Füßen. Der starke Hugur lud ihn auf seinen Rücken, nahm schön Astrids Leichnam in die Arme, und trat so in die Burghalle des Schwiegervaters. Da klagte er sich selbsten an, und wollte sein Leben für das Leben der Gattin zur Sühne bringen. Der Jarl aber, vernehmend, wie sich alles zugetragen, sprach den Hugur los und ledig aller Schuld; nur forderte er von ihm, daß er, ein so gewaltiger Kämpfer, ihm jedesmal zur Hülfe ziehn müsse, wenn er es begehre. Der starke Hugur beugte sich nieder, und tauchte ein Speereisen in schön Astrids Blut. Dann reichte er es dem Jarl hin, sprechend: ›Sende mir das, und ob ich an der Welt Ende wär, ich eilte zu deiner Hülfe nach Norweg.‹ – Und das ward die Sühne für schön Astrids Tod. Hugurs Knabe jedoch war dabei, als der Vater das Speereisen in der Mutter Blut tauchte, und gewann daher solch ein abscheuliches Entsetzen vor ihm, daß ihn Hugur durchaus nicht wieder an sich locken konnte, und ihn daher bei dem Großvater zurücklassen mußte.

Nachher – der starke Hugur soll grade in Welschland gewesen sein, – schickte ihm der Jarl wirklich das Speereisen, begehrend, daß er sogleich nach dem Lande Frankreich ziehn, und dort einigen normännischen Abkömmlingen und Stammverwandten zu Hülfe komme. Das hat der Hugur auch ehrlich geleistet. Und wieder von dorten beschied ihn Jarl weiter auf eine Seefahrt. Nachdem nun der starke Hugur auch diese rühmlich vollbracht, traf er im Heimsegeln auf ein Schiff, mit Isländern bemannt, welches die schöne Hilldiridur nach Norweg heimführen sollte. Sie begegneten sich in einer Bucht, er sah die Huldin, die Astrids Reize noch zwiefach blühender in sein geblendet Auge strahlte, und hörend, wer sie sei, nahm er sie mit Gewalt, wohl wissend, er möge des Vaters Einwilligung nie erlangen. Schön Hilldiridur wußte nichts von seinen furchtbaren Taten, die Isländer, ihre Begleiter, auch nicht, und halb geschreckt durch seine zornige Macht, und halb gewonnen durch seine ritterliche Herrlichkeit, ergab sie sich ihm, nachdem ein christlicher Priester den Segen über beide als Eheleute gesprochen hatte. Zugleich mußte sie dem Hugur geloben, solange sie mit ihm verbunden sei, ihre zauberischen Künste nie wieder zu gebrauchen; mochte es sein, daß er einen natürlichen Abscheu davor hatte, oder daß er nur fürchtete, sie könne auf diese Weise erfahren, welch ein Blut an seinen Händen hafte. Die Isländer, welche er mit Geschenken ihres Weges ziehen ließ, erzählten das alles in Norweg; aber sie fanden den alten Jarl schon gestorben, und man hat nicht erfahren können, was seitdem aus dem starken Hugur und aus schön Hilldiridur geworden sei.«


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