Friedrich de la Motte Fouqué
Der Zauberring
Friedrich de la Motte Fouqué

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Fünfundzwanzigstes Kapitel

Auf flogen die Pforten, und sich wegen seiner Größe in der Wölbung beugend, des vorigen riesigen Boten Fürst auch an hohem Wuchse, trat ein goldgeharnischter Mann herein, zwei goldgetriebene Geierflügel von dem leuchtenden Helme voransteckend. Otto fuhr unwillkürlich zusammen vor den metallnen Fittichen; er mußte an seinen Kampf mit dem Totengerippe in der Kapelle denken. Es kamen noch mancherlei wundersame Gestalten hinter dem Seekönig her, aber einzig auf diesen gerichtet, sahen die Augen der Gesellschaft von den übrigen wenig oder nichts. Arinbiörn schritt, die Frauen alle, so wie er vorbeiging, ehrfurchtsvoll grüßend, grade auf den Freiherrn von Montfaucon zu, faßte ihn freundlich bei der Hand, und sagte: »Ei Folko, was soll denn das? Findet man dich Glückskind doch auch einmal so recht tüchtig wund? Das muß ein rühmlicher Kämpe gewesen sein, der dich so hart getroffen hat, aber er ist wohl schon tot; denn was mir mein Bote erzählen wollte, du hättest ein siegloses Gefecht gehalten, und den oft verfochtnen Ring verloren – da ist ja in der ganzen Welt keine Möglichkeit dazu.« – »Doch, doch!« sagte Folko etwas verwirrt und mit glühenden Wangen. »Ich habe meinen Meister gefunden, und das wunderschöne Fräulein dorten ist gegenwärtig des Ringes und des Schlosses Herrin und dein und meine gütige Wirtin, Arinbiörn.« Der Seekönig neigte sich sittig vor Gabrielen, dann aber bat er, man möge ihm doch den unerhörten Fechter zeigen, der des gewaltigen Folkos Schwert nicht nur ertragen habe, sondern es auch bezwungen noch obendrein; sein Auge ruhte auf Don Hernandez. Als man ihm aber den jugendlich rosigen Otto vorstellte, sah er ihn höchst verwundert an, so daß der Jüngling eine Beleidigung darin zu fühlen anfing, und reden wollte; da neigte der tapfre Arinbiörn sehr ehrerbietig das Haupt vor ihm, sprechend: »Wenn das, wie ich denn nicht daran zweifle, mit rechten Dingen zugegangen ist, – mein Gott und Herr, Ihr junger Degen, was kann und muß nicht alles noch aus Euch werden, in solcher frühen Jugend so groß!« – Und wieder neigte er sich mit ernster Ehrfurcht, und Gabriele, in freudigem Stolz über ihren Kämpfer erglühend, legte die Schwanenhand in Ottos Rechte, senkte das lockige Haupt vor ihm, und sagte: »Ich bin des edlen Ritter Trautwangen verlobte Braut!« – Und die Instrumente jubelten, und die Gäste riefen glückwünschend drein, und die Becher klangen, und Otto, den Mund an Gabrielens Lippen drückend, sah den Himmel in ihren mildleuchtenden Augen.

»Glück zu, mein lieber Otto«; sagte eine leise Flötenstimme hinter ihm. »Ach Gott, ich bin so von Herzen froh, daß du in dieser irdischen Seligkeit lebst!« – Und umschauend, erkannte er Mühmchen Berthas holdes Gesicht, aber ganz freundlich, ganz heiter, wenn auch etwas mondenbleich, alles das, wie noch aus Frau Minnetrostens Gemächern her. Weiter zurück drohte gleich einer Gewitterwolke des zürnenden Heerdegens benarbtes Antlitz. – »So war ja doch wohl alles nur ein Traum!« sagte Otto, und wehte sich mit der Hand vor der Stirne hin und her, als wolle er den Schlaf von seinen Wimpern scheuchen; Heerdegen drängte sich vor und schien sprechen zu wollen. Aber Bertha trat zwischen Otto und Gabriele, schlang deren Hände zusammen und ergoß sich in einen Strom so anmutiger und freudenreicher Glückwünsche, daß man glauben mochte, es sei ein leuchtender und tönender Engel vom Himmel heruntergeschwebt, dies herrliche Bündnis zu segnen. Auch von Heerdegens Brauen schwanden die Wolken vor Berthas lieblichen Worten, und Arinbiörn sagte: »Die zweie dort waren einstmalen meine Gefangne; ich hab sie mir an der ostfriesischen Küste im ehrlichen Holmgang erstritten, und hätte sie gern mit zu dem heimischen Herd geführt, als Siegeszeichen, und als meine eignen lieben Geschwister oben ein, denn nicht wahr, Heerdegen und Bertha, so haben wir bisher miteinander gelebt? Aber seid beide nur immerhin meiner Vormundschaft entlassen, zur Feier dieses hohen Festes, und weil ihr dem jungen Heldenbesieger dorten wohl lieb sein müßt!« – Und ein neuer Jubel erhob sich in dem schallenden Saale; Gabriele küßte Bertha, sie nun vom Donaustrande her wiedererkennend, und streichelte ihr die blaßrosigen Wangen, Otto und Heerdegen drückten einander in freudiger Versöhnung die Hände.

Man saß schon wieder vertraulich kosend an der Tafel, Bertha bei Gabriele, Heerdegen bei Folko, Arinbiörn neben Otto, da bemerkte dieser, daß hinter des Seeköniges Stuhl ein hohes, goldlockiges Frauenbild stand, mit einem langen Schwert umgürtet, wunderschön, aber streng und regungslos, und indem Otto aufsprang, ihr mit zierlichen Entschuldigungen seinen Platz anbietend, wandte sie sich unwillig von ihm und schritt aus dem Saal. – »Ach, ist es weiter nichts als das?« sprach Arinbiörn, da er auf sein Befragen die Ursache von Ottos und vieler andern Gäste Staunen vernahm. »Ihr holde Fraun und edle Herrn, meine Eltern wollten mich einstmalen mit dieser kriegerischen Jungfrau verloben, die Gerda geheißen ist, und weit berühmt wegen ihrer Zauberkräfte in den nördlichen Landen, auch unserm Stamme nah verwandt. Mich aber hielt ein Traumbild, das ich irgendwo in einem Spiegel gesehn, – ach, so wunderhold, so wunderzart, – und das ich jetzt eben wiedersehe.« –

Der Seekönig stockte und geriet in eine seltsame Verwirrung. Es war hübsch anzusehn, wie eine mädchenhafte Schamröte über das kräftige Heldenantlitz flog. Bald aber ermannte er sich wieder, und fuhr folgendermaßen fort:

»Genug, ihr Frauen und Männer, es ward aus unsrer Heirat nichts. Gerda sagte: ›Kann ich nicht dein Eheweib sein, so will ich doch deine siegbringende Walküre sein‹; und seit dieser Zeit folgt sie, auch ungebeten, meinen Zügen nach, und bringt mir oft unerwartetes Glück, und kocht mir bisweilen den wunderlichen Heldentrank unsres Norderlandes, davor man auf lange Zeit hinaus unbezwingbar wird, als nur vor bezauberten Waffen; und weil ich es in manchen Fällen unritterlich halte, ihn zu brauchen, bringt sie mir ihn öfters mit unterschiedlichen Listen bei.«

»Der Freiherr Montfaucon hat uns jüngsthin eine Sage von solch einem Trank erzählt«, sagte Don Hernandez.

»Mit dem Tranke hat es seine Richtigkeit-, fuhr Arinbiörn fort. »Weil er aber, in Unvorsichtigkeit und maßloser Gier genossen, gar abscheuliche und entsetzliche Wirkungen hervorbringen soll, scheuen ihn meine Kriegsleute, und scheuen die Gerda mit. Und sie meint es doch gewiß immer sehr gut; aber was seltsam ist sie, das ist wahr. Dort Heerdegen hat auf eine eigne Weise ihre Bekanntschaft gemacht: an der ostfriesischen Küste, nicht lange bevor er mit mir zum Holmgange kam ...«

Und während nun Heerdegen auf Verlangen der Gesellschaft die Geschichte jenes Abends erzählte, war Gerda selbsten wieder ins Zimmer getreten, von den meisten unbemerkt, hatte wieder hinter Arinbiörns Stuhl Platz genommen, und ein großes Goldhorn mit lauterm Tranke bis obenan gefüllt, neben ihn hingestellt, ohne daß der Seekönig darauf acht gab. So wie sich Otto, der sie hatte kommen sehn, nach ihr umdrehte, winkte sie ihm mit unzufriednen Mienen, sitzen zu bleiben, trat wie scheu zurück, und schwankte, gleich einer Träumenden, bald hier, bald dort, in der Halle auf und ab. Darüber verlor sie Otto auch alsbald aus den Augen, und um so mehr, da Heerdegen in seiner Erzählung einiges von Frau Minnetrost hatte fallen lassen, und nun von mehrern Gästen angelegentlich darüber befragt ward; Otto konnte nicht fragen, aber seine ganze Seele war bei jener seligleuchtenden Mondscheingestalt; Berthas Augen standen voll Tränen.

Da flüsterte Gabriele mit anmutig neckender Empfindlichkeit in ihres Bräutigams Ohr: »O wie zerstreut schon am Verlobungstage!« – Und wie sich Otto entschuldigen wollte, fuhr sie lächelnd fort: »Nein, nein; es muß Euch etwas ausschließend beschäftigen. Ihr seid ja ein Deutscher, und doch behalten sogar die Becher Ruhe vor Euch. Habt Ihr denn schon ein einzigesmal auf die Gesundheit Eurer Braut getrunken?« – »O mein Leben, mein Heil, meines Sieges Krone!« rief Otto, und in süßbegeisterter Verwirrung leerte er das ihm zunächst stehende Trinkgefäß, erst dann bemerkend, es sei Arinbiörns Goldhorn gewesen, als ihm Gerda auf die Schulter klopfte, und dem sich Umwendenden dräuend ins Ohr sagte: »Du, du! Da hast du Schönes angerichtet! Hab's denn, was du nicht besser haben wolltest.« – Wie ein Feuerstrom brannte ihm derweile das Getränk den Schlund hinab, und gleich darauf sahe er, wie Gerda in einem Winkel der Halle ihm gegenüber stand, eifrig über Arinbiörns Streitaxt hinsprechend, und Zeichen darüber beschreibend, ohne doch ein Auge von Otto zu verwenden. Endlich lehnte sie die Streitaxt an des Seekönigs Sessel, und schritt kopfschüttelnd aus dem Saal.

Heller und freudiger kreiste indessen Sang und Gespräch um die Tafel; ein herzinniges Wohlwollen und Wohlbehagen tauschte sich in fröhlichen Strömungen gegeneinander aus, und in den dazwischen geworfnen Liedern oder Sprüchen der weisen Meister erkannte man gern die Blüten der allgemeinen Festeslust.

Aber in des armen Otto Gemüt entzündete das jubelnde Tönen um ihn her nur wilder und wilder ein verworrnes, unheimliches Ringen. Ganz feindlich drangen Lieder und Worte gegen ihn an, auf ihn ein, über ihn hin, gestalteten zu fremden Mißgebilden, was ihn umgab, engten des Saales freudige Bogen zusammen zur düster engen Grabeskapelle, verzerrten ihm die Züge Arinbiörns und Heerdegens und Folkos und Berthas und Gabrielens selbst. Es ward ihm zumut, als schwimme er in einem endlosen, betäubend brausenden Meer, und Fische mit Menschengesichtern schnappten höhnisch nach ihm, worunter besonders einer entsetzlich anzusehn war, der sich ein Paar große Geierfittiche auf das Haupt gesetzt hatte, und einen von Schwerthieben zernarbten Totenschädel im Rachen trug. – »Es ist der aus der Burgkapelle!« dachte Otto bei sich, und dann ermannte er sich wieder, sich erinnernd, es sei ja niemand anders, als Arinbiörn, der tapfre, freundliche Seekönig, der neben ihm sitze bei einem herrlichen Mahl. Bald aber meinte er wieder, ein Seekönig möge wohl ebensogut ein schrecklicher Raubfisch sein können, und dann fiel ihm ein, was Heerdegen ehmals von Nebelwitwen und Grubenjägern an der finnischen Grenzscheide erzählt hatte, und allerhand tolles Zeug mehr. Er konnte sich kaum erhalten vor Schwindel, und vor einer ungeheuern Kraft, die in seinen Sehnen glühte, durch seine Adern rann.

Plötzlich fuhr er empor, seine Augen funkelten gräßlich, seine Stimme tönte wie ein furchtbarer Donner durch den Saal; rechts und links neben ihm sprang alles unwillkürlich auf, wie scheues Wild, er stand allein in der Mitte der Hallen, sein Schwert, das er raschen Sprunges mit entsetzlicher Behendigkeit aus einer Ecke erfaßt hatte, wirbelnd und leuchtend über den Scheitel schwingend. – »Hallo! Hallo!« rief er, »wo ist der böse Feind? Hallo! Hussa! Ich fodr' ihn aus! Ich steh' ihm riesenstark!«

»Weh, weh, er ist besessen? Er ist des bösen Feinds Genoß!« – So ging ein leises Flüstern schon durch Männer und Frauen, die Wände entlängst, an die sich alles gedrängt hatte vor dem Dräuen der furchtbaren Gestalt. »Ich wag's mit ihm auf Tod und Leben zum zweitenmal!« sprach der kühne Freiherr von Montfaucon, die Damen beruhigend, und wollte sich vom Lager erheben, aber vor der schnellen Bewegung sprang die Wunde wieder auf. Ohnmächtig sank er zurück, und ward, von der zitternden Blancheflour begleitet, aus dem Gemach getragen.

Alsbald sprangen Hernandez und drei edle fränkische Ritter heran, den furchtbar rasenden Jüngling zu bändigen – im Augenblick aber taumelten sie schwer verwundet vor seiner Faust nach den Wänden zurück. Er lachte, und stellte sich so, daß niemand mehr nach dem Ausgange des Saales gelangen konnte, ohne von ihm bedroht zu sein. – »Werft Speere, werft Messer nach ihm!« schrie es von allen Seiten in Zorn und Bangigkeit, Berthas leises Bitten: »O schont ihn! O schleudert doch nicht!« ungestüm übertönend. Die Messer, die Speere flogen; sie trafen den Ungeharnischten, und prallten wirkungslos ab. Der Rasende lachte. – »Ihr Fische tut's mir noch nicht mit euerm Besprützen!« schrie er gellend auf. Und durch die entsetzte Versammlung ging abermals das Geflüster. »Der Teufel ist mit ihm und macht ihn fest; der Teufel ist sein Herr.« – »Nein, nimmermehr!« sprach Bertha, ein Paradies der Liebe und des Vertrauens in ihren blauen Augen. »Du Otto, mein lieber Otto, gib mir in Gottes Namen die Hand, und folge mir in Frieden nach deinem Gemach.« – Sie schritt auf ihn zu, so beherzt und liebevoll, daß alle mit Zuversicht ihrem Sieg entgegen sahen, wie dem Siege der Jungfrau, die in heiligen Bildern auf dem Monde und über dem Drachen steht, aber der Sturm in Ottos verwirrten Sinnen fuhr noch wütender auf. – »Was will die Hexe«, schrie er, »die bleiche Hexe!« und mit einer Schwertwunde in der freundlich dargebotenen Hand taumelte Bertha zurück. Heerdegen fing die Schwester auf; seine Blicke trafen glühend den wahnsinnigen, umhertanzenden Gegner, aber er konnte von der schneeig zarten Bürde nicht zum Angriffe los.

Da trat der Seekönig Arinbiörn mit seiner Streitaxt vor. – »So soll doch der teuflische Kerl das Blut der holden Jungfrau büßen«, rief er aus, »oder ich schütte meines allsamt zu dem ihrigen auf den Estrich!« – Und gehobner Waffe schritt er heran. – »Hu, Geierfittich! Hu, Totenschädel!« schrie der Tolle. »Willst noch 'nen Hieb von mir? Da wart, du Satan, wart!« – »Hei Satan selbst!« rief Arinbiörn zurück, und über die wirbelnde Klinge hin, durch ihre Schwingungen auf das Barett hernieder fuhr die gewaltige Streitaxt. Otto sank ohne Laut und Regung zu Boden.


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