Friedrich de la Motte Fouqué
Der Zauberring
Friedrich de la Motte Fouqué

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Zwölftes Kapitel

Über das Harzgebirge kamen um diese Zeit einige schwergewaffnete Herren geritten, eine edle Frau, welche sie ehrerbietig geleiteten, in ihrer Mitte. Die Nacht war schon hereingebrochen, und stach mit ihrem tiefblauen Dunkel seltsam gegen die weißen Schneegipfel und die überreiften Forsten ab. Hell stand der Vollmond am Himmel, aber es strichen schwarze Wolken, wie mit Rabenfittichen, im eiligen Zuge darüber hin. Man sahe wohl, die Reisenden mußten von ihrem Wege abgekommen sein, denn bald sonderte sich hier, bald dort, einer von der Gesellschaft, trabte suchend hin und her, stieß in das Heerhorn, und scheu prallte sein Roß vor den Abhängen zurück, oder vor den riesigen Schatten, welche die entblätterten Eichenstämme mit langen Armen über den Schnee hinwarfen. Nur eines von den Pferden, dessen schlanke und kräftige Gestalt sich mit lichtbraunen Farbe sowohl gegen den Nachthimmel, als gegen die weiße Fläche, bestimmt und anmutig abzeichnete, trug seinen dunkelgeharnischten Reiter, so oft er mit ihm vorsprengte, dreist und leicht nach allen Seiten hin, klomm in freudiger Zuversichtlichkeit Berghänge hinunter und Steinwände hinauf, und durch dessen Beistand geschah es denn auch endlich, daß man ohne Schaden das Tal, und drinnen einen betretnen Weg erreichte, auf welchem nun der hülfreiche Lichtbraune lustig wiehernd der Genossenschaft vorantrabte. Manche meiner Leser haben wohl in dem edlen Pferde das Streitroß Herrn Ott' von Trautwangens schon wiedererkannt, und wissen, daß, außer diesem jungen Ritter, Frau Hilldiridur, der Seekönig Arinbiörn und Heerdegen von Lichtenried dieses Weges von den Nordlanden heruntergezogen kamen.

Die Geleise und Hufschläge auf dem Schnee leiteten sie gegen eine Hütte heran, die an einem fast ängstlich schroffen Abhange gegen eine Wendung des Tales gekehrt, unter hohen, schneebeladenen Tannen sichtbar ward. Jemand leuchtete vor dem Geräusche der Nahenden aus einem kleinen Fenster hervor, und der Strahl des Lichtes fiel über den Pfad hin bergab auf den gefrornen Spiegel des Baches im Tale, so daß die Rosse, davor scheu, beinahe hinunter geglitten wären, nur daß die Ritter sie gewaltsam bändigten, und Otto, dem getreuen Mute des Lichtbraunen auch ohne Zaum und Sporen vertrauend, seiner Mutter Zelter kräftig in die Zügel fiel.

»Schön willkommen, ihr edlen Herrschaften!« sagte eine rußige Köhlergestalt, während dem in die Türe tretend. »Ihr werdet wohl tun, bei mir auf eine Nacht fürlieb zu nehmen, denn die Pfade werden von hier aus immer glätter und unsicherer, auch ereignet sich mancherlei verwunderlicher Spuk im Gebirg, und wie ich sehe, führt ihr ein edles, gewißlich zartgewöhntes Frauenbild in eurer Mitten.«

Sie nahmen das Erbieten des gastlichen Mannes gern an. Otto hub seine Mutter vom Zelter, und führte sie in das Gemach, während die übrigen, so gut es sich tun ließ, für die reisemüden Rosse sorgten, denn der Lichtbraune duldete nur vom Seekönig allenfalls Entzäumung und Wartung, da er sich auf den langen Fahrten ziemlich an ihn gewöhnt hatte, wie er denn auch dessen einst so feindlich bestrittenen Falben jetzt gern um sich sah, und ihn gegen alles Bedräuende in tapfern Schutz zu nehmen pflegte.

Als nun die Reisegenossen in dem Köhlergemach alle beisammen waren, sahen die hohen, prächtig geharnischten Rittergestalten wunderlich aus in den schmucklos engen Wänden, unter der niedern Decke des Zimmers. Ihre Helme, die sie auf einen kleinen Tisch in der Ecke zusammengehäuft hatten, drohten, das schwache Gerät zu zerbrechen, und rührten mit den ungeheuern Büschen fast an die Simse hinauf; gegenüber funkelten die aneinander gelehnten Schwerter, auf deren gewaltigen Goldgriffen und erzbeschlagnen Scheiden der Flammenschein des Herdes sein gaukelhaftes Spiel trieb. Unfern von diesem, neben des Köhlers alter Mutter, die taub und blind, aber mit ernst ehrwürdigen Zügen, in ihrer dunkeln Abgeschlossenheit dasaß, hatte Hilldiridur ihren Platz genommen. Die reine Mondscheinhuld und lieblich ernste Schönheit stach seltsam ab gegen die wie eingeschneite und versunkene Alte, welcher doch durch ihre Einsamkeit ein ahnender Strahl von dem zu leuchten schien, was Anmutiges neben ihr erschienen war, denn ein Lächeln, wie Abendlicht im Winter, hatte sich über die erstorbnen Züge gelegt. Der Köhler ging als ein muntrer, freundlicher Wirt ab und zu. Er hatte guten Wein vorrätig, womit er die Ritter bewirtete, und auf deren Einladung auch lustig und zutraulich davon mittrank. – »Ihr solltet uns ein hübsches, schauriges Märlein erzählen«, sagte Heerdegen zu ihm. »Köhler, Bergleute und dergleichen Gesellen pflegen an solcher guten und sehr lobenswerten Ware keinen Mangel zu leiden.« – »Ach, wir brauchen hier keine Märchen«, sagte der Köhler, »wir erleben der wunderlichen Dinge im Walde jetzt selbsten genug. Es ist nur keine günstige Zeit und Stunde, um davon zu sprechen.« – »Warum denn nicht«, fragte Heerdegen. »Der Wind fängt eben an, recht hohl gegen die Fenster zu pfeifen, ordentlich wie mit Menschenstimmen; die starren Baumäste knarren über die Hütte hin, als klopften Riesen von oben an, und würden nächstens das Dach abdecken, um mit grauenvollen Gesichtern hereinzusehn, – ich weiß nicht, ob es irgend eine beßre Stunde zu dergleichen Geschichten geben kann, als eben diese.« – »Ja«, entgegnete der Köhler, »wo man es als einen Spaß treibt, von den Dingen erzählt, die tausend Meilen weit von einem passiert sind, da ließ' ich mir auch die Stunde gefallen. Hier aber ist es ganz ein andres. Die gespenstischen Dinge sitzen uns gar zu dicht auf dem Nacken, und reiten uns endlich im ewigen Ängsten und Schrecken noch gar zu Tod.« – »Schnarrt was draußen? Läßt sich was Greuliches hinne schauen?« ächzte die Alte mit heiserm Ton. »Kinder, Kinder, mir wird schon wieder so kalt und bange.« – »Seht, ihr Herren«, sagte der Köhler, seine Mutter liebkosend und mit einem Becher Wein erquickend, »auch in die blinde Taubheit dieser armen Frau dringt das ungeheure Entsetzen hinein. Sie hört kein einziges Wort von mir, hört nicht einmal den Donner, aber die gespenstischen Wesen dürfen nur durch den Wald rauschen, oder ich auch nur anfangen, von diesen Dingen zu sprechen, da merkt sie das Unheimliche gleich, und zittert an allen Gebeinen.« – »Bringt Eure Mutter zu Bett«, sagte Heerdegen, »und dann erzählt uns die Sache ausführlich. Es ist nun nicht mehr um der Ergötzung willen. Als biderben Rittersleuten geziemt uns, nach jeglicher Not zu forschen, um ermessen zu können, ob das Helfen da in unsrer Hand steht, oder nicht.« – Die zwei andern Herren stimmten ihm bei, und der Köhler fügte sich ihrem Willen. Nachdem die Alte zur Ruhe war, hub er folgendergestalt zu erzählen an:

»Auf einer der Höhen unsres Bergwaldes steht ein riesig großer, altheidnischer Opferaltar. Die Holzschläger verirren sich selten da hinauf, dieweil entsetzliche Sagen gehen von dem ehmals wohl oft mit Menschenblute getränktem Rund. Ich habe immer so gedacht: Hat es mit dem ganzen Heidentum hier zu Land ein erwünschtes Ende genommen, was sollen denn dir noch die alten, verwitterten Steine schaden? Und so bin ich vertrauend und freudig zu aller Tages- und Nachtzeit den Berg hinaufgeklommen, und habe mir die besten Eichen, Buchen und Tannen, wie sie dorten, von allen andern Talbewohnern geschont, in Üppigkeit wachsen, zu Bau- und Brennholz ausgesucht. Nun ist es freilich nicht ohne, daß der Zug des wütenden Heeres öfter über diese Stelle hinbrauset, als über irgend eine im Harz; auch haben mir angebrannte Knochen und Kienhölzer, die ich noch oben auf dem Altare liegen sah, ein tüchtiges Grauen erweckt, aber ich enthielt mich aller vorwitzigen Gedanken, und kam immer glücklich und ohne Schrecken durch. Vor einigen Wochen endlich klettre ich auch einmal abends den steinigen Hang hinauf, und weil der Schnee im Dunkeln so wunderlich aus den Felsenritzen hervorleuchtete, ward es mir, als ständen hin und her weiße Männer oder Riesenfrauen lauernd in den Klüften. Aber ich faßte mich dennoch bald, sahe scharfen Auges auf alles, was mir vorkam, hin, und höhnte mich endlich selbsten aus über meine Besorgnis. Wie ich nun oben hinaufgelange, sitzt es auf dem Opferherde, wie ein großer Schneehaufen. Ich denke: wie hat nur das der Sturm so wunderlich zusammengeweht? Kehre mich aber nicht weiter daran, und fange an, auf eine große, schlanke Eiche loszuschlagen, die ich mir schon seit geraumer Zeit zum Fällen erkoren hatte. – Da ruft's mich vom Altare herunter an: ›Köhler, Köhler, laß die Bäume stehn im Rund. Ist Freias Rund. Ist wiedergekommen Freia in Eure Haine. Nehmt Euch in acht vor Freias Bann.‹ – Und wie ich mich umwende, da hebt sich's vom Opferherde lang und feierlich in die Höhe, und reckt den Arm gebietend nach mir aus, und da ist ein schlankes, verschleiertes Weibsbild geworden, was mir als ein Schneehaufen zu Anfang ins Auge gefallen war. Ohne recht zu wissen, was ich tue, nehm' ich meine Mütze ab, und lasse die Axt sinken, und neige mich tief. Während dem ist es, als täte sich der Opferherd zu beiden Seiten auf, und kommen aus der Tiefe zwei schwergeharnischte Ritter, ganz klirrend und flimmernd von Stahl, mit geschloßnem Helmen hervor. Die bringen viel Wurfgeschütz und Schußwaffen, und legen es auf den Altar vor die Füße der Verschleierten hin. Dann bleiben sie selbst wie zwei erzne Bildsäulen regungslos vor ihr stehn, an die baumhohen Hallebarten gestützt. – ›Seid Ihr fertig und rüstig‹, fragt sie, ›zu Freias Jagd?‹ – Die Helden neigen ihre behelmten Köpfe, und rasseln mit den ehrnen Fäusten in den Pfeilgeschossen. – ›Da ist ein schwaches Menschenkind hier aus dem Walde‹, fährt sie fort, und streckt abermals die Hand gegen mich aus, ›der soll ein Zeuge davon sein, wie ich, die wiedererschienene Freia, hier mächtig bin über alles Gewild, auch über das gespenstische selbst; dann mag er es in den Tälern erzählen, damit seinesgleichen es vernehme, und mir opfre, hier an meiner uralten, heiligen Stätte.‹ – Ein Ritter schritt darauf gegen mich heran, mich erfassend mit gewaltiger Faust, daß des Panzerhandschuhs Eisenkälte durch all mein Gebeine drang, und stellte mich dicht vor die weiße Herrin an den Fuß des Altars, und gebot mir zu bleiben, was auch vorgehn möge, auf oder über der Erde. Eine Weile hielt ich mich noch aufrecht, dann sank ich zitternd zu Boden, die Ritter und die Frau standen unbeweglich still.


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