Friedrich de la Motte Fouqué
Der Zauberring
Friedrich de la Motte Fouqué

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Dreizehntes Kapitel

Heerdegen und Bertha reisten viele Tage lang, und je höher sie gegen die nördlichen Küsten hinaufkamen, je still fröhlicher ward die Jungfrau, je unzufriedner der Jüngling. Sie fragte ihn einmal deshalb, und da sagte er: »Es ist ja doch um nichts besser, oder doch um nicht viel, als ob ich dich einem Kloster entgegenführte. Denn hat dich die stille Frau einmal, läßt sie dich gewißlich nicht so bald wieder fort. Und so wie ich dich kenne, mit deinem wehmütigen Blumenherzen, trachtest du aus den Mondscheinmauern auch wohl nimmer wieder heraus.« – »Nun, lieber Bruder,« entgegnete Bertha, »so geschieht mir ja nach meinem Willen, und das siehst du doch ohne Zweifel gern.« – »Es ist schade für die Welt«, murrte Heerdegen. »Zum Altare hätt' ich dich gern geführt.« – »Ei«, sagte Bertha, »Wir finden in der frommen Muhme Haus gewiß, was nur zum Gottesdienste taugt: Kapelle, Betstuhl, Kreuz und Altar.« – »Ich meinte aber was anders mit dem Altar«, entgegnete Heerdegen, und sahe schmollend auf die Hufe seines Rosses hinunter, während Bertha ihre halbgeschlossenen Augen und leiserrötenden Wangen auf der andern Seite nach den Blumen und Gräsern abwärts sinken ließ.

Wenn sie nach solchen Gesprächen dachte, den Bruder zu erheitern, ihm zeigend, wie die Gegend mild werde, und friedlich mit sanftgehobnen, weichbegrasten Hügeln und grüner Hecken frischer Umkränzung, antwortete er wohl: »Das macht sich im hohen Sommer ganz hübsch. Laß nur den Winter herankommen mit seinem hohlen Sturmgepfeif zwischen die Hügel hin, mit seinem Schneetreiben, wenn es Hecken und Wege unter die kalte lockere Decke begräbt, und sieh dann, wie die einzeln rauchigen Wohnungen in der pfadlosen Wüste liegen, weit minder Häusern ähnlich, als heidnischen Gräbern, von denen ein trüber Scheiterhaufendampf durch die graue Luft hinqualmt, – da wirst du schon aufhören, des Landes Milde zu preisen.« – »Oben bei der Frau Minnetrost soll es ja nicht schneien und heulen?« fragte dann öfters Bertha, und Heerdegen antwortete verdrießlich: »Ja, ja, man sagt's; ich selbsten bin zu Winterszeit nicht dort gewesen.« – Dann zog er schweigend des Weges weiter, und je mürrischer er aussah, je mehr wuchs Berthas herzinnige Sehnsucht nach der sanften, geheimnisreichen Muhme, die aller liebefrommen Hulden kräftig war.

Eines Tages war des Bruders Antlitz noch weit nachdenklicher, als zuvor, und Bertha meinte daraus abnehmen zu können, das Ziel ihrer Reise müsse ganz nahe sein. Ihr schlug das junge Herz vor träumerischem Erwarten, während Heerdegen gegen Abend fast ängstlich nach einer Herberge umherschaute, ohne doch etwas anders entdecken zu können, als einsam gelegne, moosige Bauerhütten. Beide Reisige sandte er hier und dorthin aus, und als sie nach einer ganzen Weile noch immer nicht zurück waren, hieß er die Führer der Saumrosse seiner auf der Stelle, wo man angehalten hatte, warten, und ritt mit Bertha nach einer andern Richtung suchend aus. Aber in den Gewinden von Hecken und kleinen Hügeltälern verlor man sich bald gänzlich, und die Sterne zogen golden am Himmel herauf, ohne daß die Reisenden ein Nachtlager antrafen, ja, ohne daß sie auch nur gewußt hätten, sich nach dem angegebnen Sammelplatze zurückzufinden. Da hielten sie plötzlich vor einer steilen Höhe, und der Bruder sagte: »Mein Gott, irr' ich mich, oder sind wir dennoch früher zur Stelle, als ich wollte? Wie gern, wie gern, o du liebe Bertha, hätt' ich dich erst morgen von der Hand gelassen. Sieh doch einmal recht scharf nach dem dunkeln Berge hinauf, ob denn wirklich eine Veste droben steht.« – Und im selbigen Augenblicke stieg der Mond hinter ihnen voll und goldig über die Hügel herauf, und die Fenster der Burg leuchteten vor seinem Scheine festlich hell in schöner, geordneter Reihe, und blanke Kreuze schimmerten von den Türmen gegen den Himmel empor, und ein süßes Tönen schlich die Gräser und Gebüsche herab, während Bertha sehnend ihre Arme ausbreitete nach der milden Herrlichkeit, ihr Bruder aber mißmutig mit der beerzten Faust gegen den Küris schlug.

Da trat hinter einigen Birkenstämmen eine Frauengestalt hervor, weiß und schlank wie die Birkenstämme selbst, und auch eben so einen lichtgrünen Schleier um Haupt und Schultern hergehangen. Bertha dachte gleich, es müsse wohl Frau Minnetrost sein, und als nur der Schleier zurücke flog, und aus einem freundlich ernsten Antlitze gegen den Mond an zwei milde lichtbraune Augen, unschuldig und freundlich, wie die eines Rehes, strahlten, da ward sie ihrer Sache gewiß, und sank von ihrem Zelter herab, freudig weinend, vor der hohen Gestalt in das Gras. Auch Heerdegen vergaß alles Unwillens. Er stieg sittig vom Roß, neigte sich ehrerbietig gegen die Frau, und wollte ihr Berthas Gesuch anbringen. Aber sie sagte: »Ich weiß schon. Gerngesehenen Gästen geht man mit Freuden entgegen, und bis an die Burg, lieber Heerdegen, darfst du mit.« – Damit reichte sie beiden Geschwistern die Hände, und riet ihnen, sie möchten die Pferde nur hier grasen lassen; sie ständen in guter Hut. So schritten sie alle drei Hand in Hand den Schloßberg hinauf, und Frau Minnetrost sang unterweges mit höchst anmutiger Stimme:

    »Was hat die gute Muhme?
Sie hat, was nur Eu'r Herz begehrt,
Hat Spiel und Fest und sichern Herd,
Hat auch des Friedens Blume,
Die ist den Menschen wert.

    Ei, folgt der guten Muhme!
Wenn gute Ding' Eu'r Herz begehrt:
So blüht Euch Heil auf ihrem Herd,
Und auch des Friedens Blume,
Die ist dem Himmel wert.«

Sie kamen vor der Burg an, und Heerdegen nahm ganz freundlich und ohne alles unmutige Widerstreben von seiner Schwester Abschied. Es war, als hätte er im Leben nichts von schroffem oder heftigem Wesen gewußt. Sie redeten ganz heiter miteinander ab, zu welchen Tagen er vor die Burg kommen solle, um Bertha zu besuchen. Dann wandelte er grüßend die Höhe hinab, und die Jungfrau schritt mit der lächelnden Muhme in die Burg.

Ein klarer Weiher tat sich jenseits der wiedergeschloßnen Pforten vor den beiden Frauen auf, und wie sie in eine Barke stiegen, welche sie von selbst an die feierlichen Gebäude jenseits hinüberwogte, stand der Vollmond hell am Himmel, und sahe mit fast noch vermehrter Klarheit aus dem Gewässer herauf, seine goldne Herde von lichten Sternenfunken um ihn her. Und auf den Zinnen rings wehten und flüsterten im Nachtwinde die hohen weißen Blumen, von welchen Bertha ihren Bruder damals auf dem Krankenbett hatte erzählen hören. Sie sahe nun erst eigentlich was alle seine Worte gemeint hatten, auf dem stillblauen Spiegel des Sees schwebend, die Düfte der weißen Blumen wie ein süß verschlungnen Reigen um ihre Schläfe hin. Aus den Gebäuden klang es grüßend wie Cymbelklang und Harfenrauschen, und wie die Frauen ausstiegen, und die vielfach gewölbten Hallen entlängst wandelten, tönte der holde Laut immer vernehmlichen ihnen entgegen. Es war alles hell in der Burg, aber sehr mild, denn die Erleuchtung strömte einzig vom Vollmonde herab, der, in verschiednen Gläsern und Spiegeln kunstreich aufgefangen, die Gegenstände zumal wie mit einem schneeweißen verklärenden Teppich überzog. Eintretend in einen großen, von reichen Schwibbogen durchzogenen Saal, konnte nun Bertha sehen, woher die schöne Musika komme, welche hier mit ungehemmt wogenden Fluten einherdrang. An dem hohen Gewölbe nämlich kreiseten reingoldne Reifen über- und durcheinander, mit herrlichem Getöne sich berührend, und teils silberne Cymbeln klingen lassend, welche daran hingen, teils Harfensaiten streifend, die sich wie ein goldnes Netz zwischen den Pfeilern hinwebten. Da wußte Bertha erst recht, wie der entführten Braut zumute gewesen war, als sie vor diesen Himmelsklängen getröstet in Schlummer sank, und sich auf die weichen Teppiche zurücklehnend schwebte auch sie ins Land anmutiger Träume hinüber; wenn sie noch bisweilen zwischen Schlaf und Wachen aufsah, erblickte sie die goldnen Reifen im Kreistanz über sich, und das holde Mondscheinauge der sie bewachenden Drude.


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