Friedrich de la Motte Fouqué
Der Zauberring
Friedrich de la Motte Fouqué

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Fünftes Kapitel

In der Höhe der Kapelle brannte fern oben eine einzige Lampe, das Gewölb mit all seinen reichen Bogen, welche gleich Orgelklängen pfeilernd emporstiegen und einander umfaßten, so wunderbar erleuchtend, daß man meinte, durch Waldesäste in den offnen Himmel hinaufzuschauen, während der untre Teil des Gebäudes in zweifelhafte Dämmerung versenkt blieb, so wie es die Erde mit ihren Gebilden ja auch vor unsern blöden Menschenaugen tut. Die Frommheit des Gedankens erfaßte zu Anfang den jungen Ritter ausschließlich; er kniete nieder, die Hände um seine Schwertklinge faltend, und den goldnen Griff als ein Kreuzesbild in die Höhe hebend, und dabei schaute er immer recht inbrünstig nach der obern Helle des Gewölbes empor, und dachte an seine selige Mutter, von der er sich nur erinnern konnte, daß sie auf der Reise im freien Walde gestorben sei, und ihm, dem weinenden Knaben, immer mit süßem Lächeln nach dem lichtblauen Frühlingshimmel hinauf gedeutet habe, denn sprechen konnte sie schon nicht mehr. An der Mutter Tod knüpften sich andre Erinnerungen fest, und so kam das Gemüt des Jünglings nach und nach wieder vorgeschritten in die gegenwärtige Stunde. Da fiel es Ihm auf, wie bis heute diese Kapelle ein unbekannter, verbotner Raum für ihn gewesen war, und mit einem Gemisch von Neugier und Grauen sprang er in die Höhe. Bild an Bild ward neben ihm an den Wänden sichtbar, einige so weit aus der Mauer vorgeschritten, daß die Dämmerung sie fast mit ihrem wechselnden Dunkel und Licht zu lebendigen Leibern gestaltete; andere wieder nur mit Farben leicht auf die Fläche hingehaucht, selbst Schatten in den Schatten, die von der lodernden Ampel daran hinstreiften. Es war ihm, als müßten alle diese Gestaltungen in das Leben seines Vaters gehören, welches er auch nicht viel anders kennengelernt hatte, als eben jetzt die Wände der Kapelle: einzelne Bilder deutlich, die mehrsten aber kaum geahnt, und der Zusammenhang des Ganzen unbegriffen, und von nebligem Dunkel überhüllt. Soviel sah er wohl, daß hier teils Grabstätten mit ihren ernsten Verzierungen standen, teils auch erbeutete Waffen und ganze Rüstungen von unerhörter Gestalt, denn Herr Hugh war sehr weit umhergekommen, sowohl in die heiligen Morgenlande, als auch durch den blühenden Westen von Europa, und hinauf gen Mitternacht, wo es mehr Winter gibt als Sommer, und die Sonne oft viele Wochen hintereinander unsichtbar bleibt. Aus allen solchen fernen Regionen schienen sich hier Bilder oder sonst Andenken eingefunden zu haben, um in dem engen Raume Kunde zu geben von dem reichen Leben des alten Ritters, welches jetzt einem noch weit engeren Raume schon ganz nahestand. Es wehten im Nachthauche große Banner, und muhammedanische Roßschweife daneben, und krumme Säbel funkelten mit reichen Juwelengefäßen neben uralt rostigen Schwertern und Streitäxten; wie zum Treffen geschart standen Harnische da, und neben ihnen sahen ernste Greisenantlitze, hart gemeißelt, oder milde Frauenangesichter mit bleichen Farben wie Mondschein von den Wänden heraus. Ach, unter diesen war eines, das ihn mit dem allersüßesten Zauber anzog, dessen er sich je bewußt geworden! Er konnte es kaum vor einigen finstern Rüstungen recht gewahr werden, und doch meinte er, es müsse niemand anders als seine selige Mutter sein. Es war ordentlich, als winke es ihm mit der einen in die Höhe gereckten Hand zu sich hin. Er wäre auch gleich gegangen: nur wußte er nicht, ob es seinem Ritterstande gebührlich sei, die Waffen, welche er bewachen sollte, so weit zu verlassen, denn das Bild stand fast am andern Ende der Kapelle. Da erwachte ein wunderliches Kämpfen in seinem Gemüt, und ließ ihm keinen Frieden; die Mutter schien immerfort zu winken, und endlich meinte er gar die süße Stimme zu vernehmen, die aus der frühen Kindheit herauf noch oftmals durch seine Träume gegangen war, und daß sie spreche: »Ach du herzlieber Sohn, ach nur den einen, einen Augenblick! Ich bin ja schon so lange tot und fern von dir. Ach nur den einen Augenblick! Die Waffen liegen ja in Gottes Hut!« – Wohl sagte sich der junge Ritter, daß er das alles nicht von außen höre, aber weil es doch allzurührend in seinem Herzen klang, neigte er sich endlich vor dem Bilde des Gekreuzigten, das lebensgroß in weißem Marmor über dem Altare stand und sagte: »Ach Gottmensch, du hast ja auch deine Mutter so sehr lieb gehabt! Schirme mir meine Gewaffen, derweil ich nachsehe, ob das dort das Bildnis der meinigen ist!« – Und damit schritt er getrost nach der ersehnten Stelle hinab.

Wohl war es sein süßes Mütterlein, die in einem dichten Forste abgebildet war, die Arme beide gegen die Wolken ausgestreckt, und weil er vorhin nur den einen davon hatte sehen können, war es ihm vorgekommen, als winke sie ihm damit. Jetzt sahe er wohl, daß sie nach nichts winke, als nach Gott, denn ihre lichtbraunen Augen waren hoch empor nach einem güldnen Dreieck gerichtet, das oben im tiefblauen Gewölke sichtbar ward. Was dem Bilde an Frische und wahrhaftem Leben mangelte, trug des jungen Ritters feuchtes Auge leicht hinein. Ihm ward vollkommen, als sehe er nun wieder den hellen Frühlingshimmel vor sich, nach welchem die Mutter damals hinaufgewinkt habe, und den tiefschattigen saftgrünen Forst, welcher so heimlich umherstand. Selbst daß die Farben auf dem Angesichte der Mutter beinahe gänzlich ausgebleicht waren, rührte ihn unaussprechlich. Er drückte einen ehrfurchtsvollen Kuß darauf, und sagte: »Hab' schönen Dank, du lieber, treuer Maler, daß du sie mir als Leiche gemalt hast, denn als Leiche wollten ja Vater und die andern nicht, daß ich die Vielholde sähe. Nun ist es dennoch nach meinen Wünschen ergangen.« – Er schwieg nachdenklich, und überlegte, ob dies wohl die Grabstätte seiner Mutter sei. Er hätte es gar zu gern geglaubt, und hier ein stilles Gebet bei den teuern Gebeinen gehalten, aber er konnte sich durchaus nicht entsinnen, daß ein Sarg mit her in die Burg gekommen, oder hier ein feierliches Begräbnis gehalten worden sei.

Indem streifte ein Luftzug durch die Halle. Die Türe klirrte im Schloß, ein altes Banner über des Ritters Haupte begann zu rauschen, und er fuhr überrascht aus dem tiefen Sinnen empor, schnell umblickend nach seinen Waffen. Da war es plötzlich, als strecke zwischen diesen und ihm eine riesige Gestalt den langen schwarzen Arm aus, und greife nach seinem anvertrauten Schatze. Ringfertig sprang er auf die finstre Erscheinung los, und wie er sie faßte, rasselte der Helm, den sie trug, auf den Boden und andre Waffenstücke mit, und hinter dem Staubdampfe, der aufstieg aus dem rostigen Gezeug, grinste ihn vom Rumpfe seines Feindes ein entfleischter Totenschädel höhnisch an. In tollem Entsetzen hieb er mit dem Schwerte danach, und Totenschädel und Rüstung und alles fiel klappernd zu seinen Füßen. Da sah er erst, daß ihn nicht ein Kobold äffe, oder ein gottloser Bewohner des Grabes, sondern daß eine der Gestalten an den Mauern ihm feindlich regsam vorgekommen war, und er sie zu Boden gehauen hatte. Es gab nun ein seltsames Geschäft, die alten Waffen wieder in ihre Stellung emporzurichten, vor allem den Totenkopf, der im Helme gesteckt hatte, auf die Schultern der Rüstung zu setzen, und die rostige Eisenhaube darüber zu stülpen. Es kam ihm auch bei der Arbeit vor, als habe er dem Schädel eine tiefe Schramme gehauen, und dieser greine ihn nun deswegen in Schmerzen an. Diese Vorstellung verwirrte ihn ganz, und als schon alles fertig war, riß er noch einmal den Helm ab, um sich besser zu überzeugen. Zwar sah er nun wohl unterschiedliche tiefe Wunden auf dem bleichen Kopfe, und wußte sehr wohl, daß er nur einmal gehauen, aber eine davon, dachte er doch immer, käme von ihm her, und eilte sich, das grause Haupt wieder zu bedecken. Dann trat er an seine Waffen, neigte sich, Vergebung flehend, vor dem Kreuzesbilde, und sagte: »Herr, ich habe gesündigt, daß ich von meiner Stelle ging. Du bist allmächtig, und aller Dinge bester Hort, aber mir war die Wache anvertraut und nicht dir.« – Da kam es ihm vor, als blicke ihn der Herr freundlich an, und er faßte wieder einen frischen Mut. So oft es auch grausend in ihm aufsteigen wollte, daß er seinen ersten Ritterkampf mit einem furchtbar wehrlosen Toten gehalten habe, war es doch immer, als sagte ihm seine Mutter tröstende Reime ins Ohr, die er in einem Liede, das der alte Meister Walther gedichtet, wohl oft vernommen hatte. Sie hießen also:

    »Man geht aus Nacht in Sonne,
Man geht aus Graus in Wonne,
Aus Tod in Leben ein.«

So schritt er denn keck und freudig vor den Waffen auf und nieder, und wenn es ihm wieder vorkam, als winke das holde Bild, nickte er nur freundlich mit dem Kopfe dahin, und grüßte adlig mit dem blanken Schwerte, sprechend: »Kann jetzt nicht fort, lieb Mütterlein; bin auf der Ehrenwacht.«

Darüber sah endlich das helle Morgenrot frisch und duftig an den hohen Fenstern herauf, der Schlüssel drehte im Schloß, und Herr Hugh trat in die Kapelle.


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