Friedrich de la Motte Fouqué
Der Zauberring
Friedrich de la Motte Fouqué

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Vierzehntes Kapitel

Ein heller, frischduftiger Herbstmorgen sahe das ganze Heer im leuchtenden Panzerschmucke auf der weiten Ebne, zierlich geordnet, stehn. Die Führer ritten die Reihen auf und ab, dankend für die Taten der gestrigen Schlacht, die Hörner bliesen lustige Stücke darein.

Da war doch einer unter den Scharen, dem konnte die Freudigkeit nicht das ganze Herz durchdringen, und der war Herr Ott' von Trautwangen geheißen. Wie ein finsterer Schatten sah ihm die Erscheinung seines Ebenbildes aus der vergangenen Nacht zwischen den vielen erfreulichen Bildern des Morgens vor. Und wenn das Grausen auch stumm ward und verblich, vor der Tageshelle und den Tagesgrüßen, mußte er es sich doch oftmalen selbst wieder herauf rufen; so wie man es nicht wohl lassen kann, nach einem Gegenstande, der uns stört und verwirrt, mit angestrengtester Kraft der Augen hinzuspähen. Selbst mit den Geistesaugen ist es auch dir wohl schon oftmalen so ergangen, lieber Leser. Mache es in solchen Fällen nur getrost dem Otto nach. Der konnte zwar nicht verhindern, daß ihm der lästige Gast auf und ab durch die Seele toste, aber er stand ihm mit rüstiger Heldenkraft entgegen, tat auch endlich, als sei der unruhige Fremde gar nicht da, und blieb auf die Weise ein tüchtiger, freudiger Mensch nach wie vor.

Der fürstliche Heerführer kam die Scharen entlängst geritten. Er grüßte sehr freundlich, und als er auf einer kleinen Anhöhe vor der Mitte hielt, schwang er den im Morgenrote blitzenden Speer, und schlug dreimal damit gegen den Schild, daß es von den Bergen mit einem gewaltigen Widerhall zurückscholl. Und alle Hörner des Heeres jubelten, und alle Scharen trabten mit lustiger Schwenkung zu Roß und Fuß gegen die Anhöhe heran, so daß sie bald einen Kreis um den Feldherrn her schlossen. Die Hauptleute sprengten zu ihm, den Hügel hinauf. Indem sie sich ordneten, streifte der junge Kolbein an Otto vorüber, sich tief neigend, und sprechend: »Ihr hoher Krieger, ich habe gestern auch in Arinbiörns Geschwader mitgeholfen. Seht mich nur immerhin ein wenig freundlich an.« – Otto faßte mit herzlichem Drucke seine Hand, ward aber am Antworten verhindert, denn der alte Fürst erhob seine Stimme.

Die tönte hell und vernehmlich und stark, wie Waldhornklang aus der kräftigen Brust hervor, daß jeglicher Kriegsmann es vernehmen konnte, wie der greise Held allen dankte, im Namen des Vaterlandes und der Religion. Dann sah er im Kreise der Hauptleute um, und sein Auge verweilte zuerst auf Arinbiörn. – »Seekönig«, sprach er, »Ihr habt die Schlacht entschieden. Euer Umseglungsstück, zusamt dem schnellen Landen am rechten Ort, und dem Dreinhauen zu rechten Zeit, das ist ein Ding, wie nur große Feldherrn es tun. Aber der Adler, der so lange den Paß am linken Flügel mit siegendem Fittichschlag hielt, daß Ihr mit Eurer Geierschnelligkeit uns noch erretten konntet, den Adler kennen wir. Hab' Dank, mein lieber Sohn!« – Er reichte dem Ritter Trautwangen seine Rechte hin – »du kamst mir gleich bei unsrer ersten Bekanntschaft als der vor, der du bist.« – Und dann wandte er sich um, nahm das Heidenbanner, welches Otto ersiegt hatte, aus eines Reisigen Hand, und übergab es ihm, sprechend: »Das ist schon dein durch deinen eignen Arm. Aber zum Andenken der Liebe, die alle echte Schweden zu dir tragen, haben wir dir was drauf schreiben lassen, und so bewahr' es dir und deinen Kindern und Enkeln in deiner Väter Hallen.« – Otto las um den Stab herumgewunden folgende Schrift, mit hellglänzenden Runenbuchstaben aufgezeichnet:

»Der an der Finnengrenze focht,
Riß frisch dies Banner aus Heidenfaust;
Da schlug er drein zum Schwedensieg,
Drob Schwedenvolk den Sieger preist;
Herr Otto ist sein Name,
Von Trautwangen sein Geschlecht.«

»Danke, großer Fürstenheld, danke!« sagte Otto gesenkten Hauptes, und der alte Heerführer sprach, ihn freundlich anlächelnd, folgendergestalt weiter:

»Ihr lieben Herrn und Ritter, nun liegt uns noch eine Hauptfrage auf der Seele. Der Feind ist in seine Grenzen zurückgesprengt, unsre Bauern haben ihre Saat in der Erde, und warten auf deren Gedeihen im künftigen Jahr mit fröhlichem zuversichtlichem Herzen. Daß ihr in Gott begründetes Hoffen sie nicht trüge, daß ihnen der Winter still und friedlich vorüberziehe, das hat Gott auf unsre Schultern gelegt. Dazu gehört's nun, daß eine oder zwei Scharen sich die kalten Monde hindurch in den Pässen vor uns zu behelfen und zu behaupten wissen. Es wohnen zwar Kobolde und Elfen dort, wie die Leute sagen wollen, und die Jahrszeit wird auch da sehr strenge. Aber ich denke immer, ein echter Nordlandssohn treibt recht gerne einmal mit dergleichen sein Spiel. Wer aus euch hätte wohl Lust dazu?«

Die Hauptleute hielten nachsinnend und still umher. Man sah es ihnen an, es wollte mancher gern die ernste Aufgabe lösen, aber er ging erst über Unterschiedliches dabei mit sich selbst zu Rate. Derweil hatten Ottos und Arinbiörns Augen einander begegnet, und wie auf einen Wink ritten beide zugleich gegen den Feldherrn vor. – »Wir möchten uns wohl gerne in den Bergen versuchen«, sprachen sie, »läuft es aber anders ab, als Ihr wünscht, so denkt nur sicherlich, daß die Schuld nicht an unserm guten Willen gelegen hat.« – Da schlug der alte Fürst mit großen Freuden ein, und lud die Hauptleute alle zum Mahle. Noch ward beschlossen, daß die zwei Waffenbrüder, der Seekönig und der Ritter, gleich diesen Nachmittag in die Gebirge hineinrücken sollten, als warum sie selbsten sehr baten, denn sie waren verständige Kriegsleute, und wußten wohl, wie viel in solchen Stellungen auf die Besetzung eines oder des andern beherrschenden Hügels ankommt.

Während die jubelnden Scharen wieder in das Lager einrückten, sagte Otto zu Arinbiörn: »Ich danke meinem lieben Herrgott, daß er mich wieder in die Gegend hineinschickt, wo meine furchtbaren Rätsel wohnen. Sie hätten mir sonsten ja immerdar im Hintergrunde des Herzens gelauert; nun wird es mit einem einzigen tücht'gen, wenn auch vielleicht etwas schreckhaften Dreinschauen abgemacht.« – »Mir ist es ebenso zumut«, entgegnete der Seekönig. »Nun will ich wissen, was es mit dem Spiegel heißt, und dahinter sehn, oder meinen eignen Lebensspiegel drum zerschlagen, und so überhaupt erfahren, was hinter den wunderlichen Gläsern steckt, die wir unsre Sinne zu heißen gewohnt sind.«

Vor seinem Zelte fand Otto den tapfern Swerker stehn, seinen Gefangnen aus der gestrigen Schlacht. Der Jüngling starrte in großer Betrübnis gegen den Boden, als er aber Ottos Lichtbraunen herantraben hörte, schlug er die Augen in die Höhe, und besah sich seinen Sieger, wie es schien, nicht ohne Wohlgefallen und Zuversicht. – »Höre, Swerker«, sagte Otto, »wir wollen einen Vertrag miteinander schließen.« – »Kommt drauf an«, entgegnete Swerker, »wie der Vertrag beschaffen ist.« – »Fürs erste«, sagte Otto, »nimmst du die christliche Lehre an.« – »Lehrt nur auf mich los«, sprach Swerker zurück, »wenn die Lehre was taugt, nehm' ich sie wohl gerne an. Taugt sie aber nichts, so ist all Euer Lehren ein Wind.« – »Versteht sich«, sagte Otto. »Glaubst du, daß ich fechte, um einen nichtigen Lufthauch zu fördern?« – »Darnach sehn deine Streiche keineswegs aus«, sagte Swerker. – »Wohl gut«, sprach Otto. »So schick' ich dich auf dein Ehrenwort nach Deutschland. Da suchst du im Schwabenlande, am Ufer der Donau, nach einer ritterlichen Burg, die ist Trautwangen geheißen, und wohnt mein edler Vater drauf, der ist der alte Herr Hugh genannt. Den grüßest du von seinem Sohn, und bringst ihm mein erobert Banner, und gibst ihm Bescheid von allem, was hier vorgefallen ist. Dann kehrst du wieder her zu mir, erzählst mir deiner Botschaft ganzen Verlauf, und hörst christliche Lehre an, daß sie in dir fruchte, dafür ist mir der Herr Christus gut. Willst du nun alle Bedingungen halten, wie ich sie dir vorgesprochen habe?« – »So Odin mir helfe!" antwortete Swerker. »Du sollst wohl bessern Schwur lernen«, sagte Otto. »Für jetzt nimm das Banner und begib dich auf die Fahrt. Du kannst dir von den Beutpferden meiner Schar eins aussuchen, und einige Pfund Silbers aus meinem Reisesäckel nimm dir auch.« – Damit schüttelten sie sich die Hände und schieden voneinander.

Die Becher des Mahles beim alten Heeresfürsten waren noch lange nicht geleert; noch manch nordländischer schöner Sang war zurück, da beurlaubten sich Arinbiörn und Otto schon von ihm, und er entließ sie ohne Zögern, wie gern er sie auch um sich hatte, denn er kannte den unwiderbringlichen Wert der Zeit gar wohl, vorzüglich im Kriege. Seinen Segen legte er noch mit gerührter Stimme, mit funkelnden Augen, mit ausgebreiteten Händen auf die Häupter der Jünglinge; dann zogen sie mit ihren Scharen zu Roß und Fuß hellfreudig und Siegslieder singend gegen die Berge hinan. Die besten Stellungen auf Tal und Höhe waren bald mit Kühnheit und Besonnenheit ausgemittelt, die Wachen zur Hut des Ganzen und zur Verbindung der einzelnen Haufen untereinander ausgesetzt, und während nun die Fußkämpfer für sich, die Reiter vor allem erst für ihre Rosse Bedachungen zu errichten anfingen, wohl wissend, daß man in diesen öden Gegenden überwintern werde, sah Otto den Seekönig an, sprechend: »Ich denke, unsre Pflicht ist vorderhand getan, und die Sonne geht noch sobald nicht unter; wir könnten ja gleich jetzt auf unsre Abenteuer hinausreiten, da sie uns eh'r nach vorwärts, als nach rückwärts führen.« – »Das dächt' ich auch«, entgegnete Arinbiörn. »Dort links vornhin muß der alte Rätselturm zu treffen sein; ordentliche Ruhe findet der Mensch doch nicht eh'r, bis er ins klare gebracht hat, was ihm so wild im Sinne auf- und abrauscht, – und also« – fuhr er mit erhobner Stimme, und zu Kolbein gewandt, fort, – »Vetter, nimm einstweilen hier den Oberbefehl an, und verwalt' ihn tüchtig. Otto und ich haben noch was im Gebirge zu suchen.« – Kolbein neigte sich gehorsam mit ritterlichem Anstand, und die beiden Freunde trabten rasch in die schattigen Täler hinein.

Nicht lange währte es, da kamen sie an einen Bergpfad, zwischen den einzelnen Laubgesträuchen, unter den weitgestreckten Baumzweigen in die Höhe führend, und über die Wipfel sahen die Zinnen der alten Warte hervor. Sie ritten langsam und schweigend hinan. Indem sie nun schon des Baues, zwischen den Blättern hindurch, mehr und mehr gewahrten, sahen sie nun dessen klare Glasfenster hellglänzend vom Abendrote befunkelt. – »Es ist recht seltsam«, sprach Otto zu seinem Freunde, »nun die Spätsonne so auf den Scheiben spielt, kommt mir der ganze Turm gar nicht mehr wüst und unheimlich vor; mir wird, als ritt' ich in meine Heimat ein, ja, ich habe nach dieser niemalen eine so herzinnige und zugleich hoffende Sehnsucht empfunden, als eben jetzt in diesem Augenblick.« – »Ist dir's auch so?« entgegnete Arinbiörn. »Ich habe so gut wie keine Heimat, denn was will meine vater- und mutter- und freudenleere Burg sagen! Aber jetzt weht es mich an, als könne Blancheflour hier wohnen, und ich käme dann als ihr Eheherr aus der Heidenfehde zu ihr zurück. Ach Gott, das sollte mir einmal ein rechter Abend sein. – Und du, Otto, du müßtest auch hier mit zu Hause gehören, du müßtest etwa Blancheflours Bruder sein. Gäbst du mir wohl deine Schwester, wenn sie es wäre?« – »Das versteht sich«, sagte Otto, und schlug in Arinbiörns unwillkürlich dargebotne Rechte ein. »Hätt' ich je eine Schwester, und gefiele sie dir, so wäre sie dir mit diesem Handdrucke verlobt. Ich kann aber jetzt an Braut und Hochzeit wenig denken, kaum einmal recht an meine eigne, so sehr ist mir zumut, als käm' ich, ein heitres Kind, nach einem fernen Lustwandeln wieder in die Heimat, und als wehte mir der Rauch des väterlichen Herdes mit wohlgekanntem Dufte wieder entgegen. Ich könnte ans Tor klopfen und nach meinem Vater fragen, wenn ich mich gehn ließe.«

Sie wurden eines geharnischten Ritters ansichtig, der stand vor der Warte, und schien zu jemand drinnen hinaufzusprechen. Um erst zu erfahren, was hier vorgehe, hielten sie ihre Rosse an, und blieben still, von dem Fremden, der den Rücken nach ihnen gewandt hatte, unbemerkt.

Aus einem Turmfenster hervor sagte eine sehr anmutige Frauenstimme: »Du wilder Jüngling, und bist du mir bös? Sorg' ich zu mütterlich um dich, was ist die Muttersorge anders, als ein Strahl Gottes, der Wohnung macht, wo er ein reines Frauenherz gewahrt, und es mit so reiner Himmelsgüte füllt, daß dem irdischen Wesen oft wird, als sei es ein Schmerz?«

»Bin ich doch Euer Sohn nicht«, entgegnete der Ritter trotzig. »Was habt Ihr Euch um mich zu grämen? Was habt Ihr mir Eure Tauben und Schwäne und Träume nachzusenden mit endlosen Warnungen? Lasset ab von mir, oder helft mir in meiner Liebe zu der schönen Zauberjungfrau dort überm Tal.«

»Nein, wilder Kampfheld«, sagte die Stimme zurück. »Das ist dir nicht von Gott beschieden, die schöne Zauberjungfrau zu gewinnen. Das ist, als freite die Flamme um die Flut; beide kräftig, rasch und grimm, aber unvereinbar für alle Zeit.«

»Was sprichst du mir da!« rief der Jüngling zornig aus. »Ich werde doch selber wissen, was ich will. Und ach, ich will nichts anders, als nur die holde, wunderbare Jungfrau ganz allein. Gewinn' ich sie nicht, da will ich erst recht eine Flamme werden, die all Euer Christenland verzehrt. Das schwör' ich Euch bei Odin und der Götterdämmerung! Drum helft mir! Zwar freilich, 's hilft Euch nicht. Denn wird sie mein, da strömen wir noch besser im zornig freudigen Bunde über Eure Schützlinge hin. Und mein wird sie doch, dafür ist mir mein rühmlich Kämpfen, mein treues Dienen und Wachen an der Felsenpforte ihrer Wohnung gut.«

Die Stimme sagte zurück: »Ihr Herz ist selbst eine Felsenpforte für dich, die du nimmer bewältigen kannst. Gib dich, armer Jüngling, gib dich. Und von deinem törigen Dräuen laß ab. Der Heiland lenkt vom Himmel her die Seinen zu Sieg und Heil. Hast du's nicht gestern noch erfahren, du armer, irrender Wildling?«

Der Ritter stieß ein höhnisches Lachen aus, und wandte sich, es schien, um den Felsen nach der andern Seite hinabzugehn, da ritt Otto aus dem Gebüsche hervor, sprechend: »Ergebt Euch, Herr! Ihr seid übermannt. Euch wird mit der Tat bewiesen, daß die Stimme im Turme recht hat.«

Der Ritter schwang, nach Otto zurückgewendet, ingrimmig den Speer, da riefen beide, sich ins Antlitz schauend: »Ha, bist du es schon wieder, du Furchtbarer?« und kehrten sich totenbleich voneinander ab; Arinbiörn aber vorsprengend rief: »Und soll uns der Frevler entwischen?« – Doch wie er an den Felsrand kam, und der hinabklimmende Ritter nach ihm zurückschaute, ward auch er vor Schrecken blaß, und warf seinen Falben ungestüm herum, zu Otto mit zitternden Lippen sprechend: »Bist du denn doppelt? Und bist du nun der Rechte, oder jener Flüchtige?« – »Arinbiörn«, sagte Otto, »der Flüchtige hat gefrevelt wider Gott und den Erlöser. Was fragst du noch viel, ob ich es sein kann oder nicht?« – Da faßte der Seekönig seine Hand, sprechend: »Du hast mir den rechten Trost ins Herz gegeben. So hab' ich dich, so halt' ich dich, und keine Höllengaukelei soll mir einen andern unterschieben, du herzensguter und herzenssichrer Freund.«

Währenddem tönte die holde Stimme, wie gestern abend, vom Turme: »Ach Ottur, wilder Ottur, stürme doch nicht so rasch die Klippen hinab!«


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