Friedrich de la Motte Fouqué
Der Zauberring
Friedrich de la Motte Fouqué

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Eilftes Kapitel

Während nun Otto und sein Gefährt immer weiter in die fremde Welt hinein ritten, die Grenzen des deutschen Vaterlandes bereits überflogen hatten, mit den Leuten in französischer Mundart verkehrend, und manches lustige, manches ernsthafte Abenteuer im bunten Wechsel erlebten, sah es auf der alten Burg Trautwangen am Donaustrand gar anders aus. Es war außer Herrn Hugh und Bertha noch ein dritter Inwohner dazu gekommen; aber der machte eben das Leben dorten noch viel trauriger, denn er war Herr Heerdegen von Lichtenried, der sich trotz seiner schweren Wunde geeilt hatte, zu der Schwester zu gelangen, und dessen Leib nun von der zu großen Anspannung in desto tiefere und fieberhaftere Erschöpfung gefallen war. Unweit von der alten Waffenhalle, drinnen Herr Hugh zu hausen pflegte, lag Ritter Heerdegen, damit Bertha nach ihm sehen könne, ohne doch den greisen Ohm gänzlich aus der Acht zu lassen. Herr Hugh und Bertha bedurften es gleichermaßen, sich aneinander zu trösten, denn Heerdegen hatte in seiner trüben Fieberglut alles herausgesagt, von wessen Faust er die Wunde trage, und auch warum. Darüber weinte nun Bertha oftmals recht helle Tränen auf die verschämte Wange, daß es fast anzusehen war, wie ein Mairegenguß im Morgenrot. Herr Hugh dagegen schaute sehr finster vor sich hin, und zog daraus, daß seines Sohnes erster Kampf ein so unheilbringender gewesen sei, allerhand trübe Folgerungen, die er jedoch meistens mit einem heitern, gottvertrauenden Lächeln zu unterbrechen pflegte, wie sie denn überhaupt mehr auf seinen Gesichtszügen lagen, als daß sie sich über seine Zunge herausgemacht hätten. Ein Trostsprüchlein Meister Walthers aber sagte er, wenn das Lächeln aufzog, gewöhnlich ganz laut:

»Man geht aus Nacht in Sonne,
Man geht aus Graus in Wonne,
Aus Tod in Leben ein.«

Es war dasselbe, welches Otto vormalen in der Kapelle gebetet hatte.

Zu dem Kranken durfte Herr Hugh gar nicht, denn in den Lichtern der Fieberhitze schien er sich vor dessen Augen zu verjüngen, und sich in den Sohn zu verwandeln, indem ihn Heerdegen beständig mit harten Worten ansprach, und schalt, und ihm gebot, sich hinauszumachen, sonst werde er ihm noch die ganze glühende Stirnwunde mit all ihrem lodernden Brand an den Kopf werfen. Wirklich faßte er alsdann ingrimmig nach seinem Verbande, und der alte Herr Hugh ging schwer seufzend und kopfschüttelnd nach der einsamen Halle zurück, durch deren große eichne Tür die beiden holden Kinder, Bertha und Otto, nun nicht mehr hereintreten konnten.

Wenn aber an des Wunden Lager die holde Schwester ganz alleine saß, und nur eine milde Lampe fernher aus dem Winkel des Gemaches brannte, ward er still und friedlich, erzählte ihr auch wohl ein Geschichtchen. So unter andern einmal das folgende:

»Hoch an den Ufern des Meeres liegt ein Land, welches Ostfriesland geheißen ist. Da gibt es einen unaustilgbaren Streit zwischen Häuptlingen und zwischen Untersassen, denn jene wollen alles durch ihren Willen allein ausrichten, diese vermeinen nicht minder, Bestallung zu haben, daß sie es nach ihren eignen besten Einsichten verordnen könnten. Drum tost es auf und ab im Lande von häßlichen Streitwiderwärtigkeiten, wie es ja auch mir, du holde Schwester, im Kopfe tost. Aber dann gibt es auch einen stillen, mondlichen Lampenschein, wie soeben, wenn du an dem Hauptende meines Lagers sitzest, und ich wie in einer Wiege woge, dort Schatten, hier Licht, und wieder hier Licht, dort Schatten. Das kommt aus einer hohen, stillen, dem Monde frei gelegnen, und heilig von seinen Lichtern bestrahlten Felsenburg. Da wohnt eine Abkömmlingin der alten Druden, welche zu gleicher Zeit unsre Muhme ist, unsre wunderbare, von uralter Zeit gewaltige Muhme, liebe Schwester. Sie heißt Frau Minnetrost, und kocht alle Tage viele Kräuter in einem einzigen Kessel zusammen, der aber aus nichts als aus lauterm Golde getrieben ist.

Ich hatte mich eines Abends verirrt, und hielt unversehens vor dem steilen Schloßberge, der weit über das ganze flache Land hinaussieht. Und so müde ich auch war, und so Not mir irgend eine Erquickung tat, war es doch, als lagre sich mir etwas in den Weg, wenn ich die stille, unbekannte Höhe hinaufreiten wollte. Eben weil sie so still war, und mir so gänzlich unbekannt, durfte ich vor mir selber nicht hinan. Indem ich noch so halte, und mit mir zu Rate gehe, trabt etwas schnell und luftig über die tauhelle Wiese. Ein Rittersmann war es, mit einer schlanken Maid im Arm, und die schmiegte sich an ihn, gar scheu und inniglich zu gleicher Zeit. Halb sang sie zu ihm, halb sprach sie zu ihm:

›Sporn, Liebling, sporn dein schnelles Roß!
Nah ist der stillen Drude Schloß!‹

Der Ritter entgegnete:

›Was geht die stille Drud uns an?
Bist nicht mein Weib? Ich nicht dein Mann?‹

Sie mußten aber von ihren Liebesreimen bald ablassen, denn es sprang ein Haufen von Untersassen aus verschiednen kleinen Gebüschen vor, wo sie gelauert hatten, und während ein hochschlanker Jüngling dem Ritter in die Zügel fiel, rufend: Du! Du! Wo willst mit meiner Schwester hin?, stellten sich die andern mit hochgehobnen Hallebarten im Kreise umher. Der Ritter aber hatte im Augenblick sein leuchtendes Schwert aus der Scheide, und sagte: ›So leicht kriegst du sie nicht. Sie will mich, und ich will sie. Was hast du drein zu reden, wenn dein Häuptling deine Schwester will? Siehst du nicht, daß ich der Ritter Edekon bin?‹ – ›In einer halben Viertelstunde seid Ihr seine Leiche‹, rief der Untersaß, ›oder gebt mir meine Schwester zurück.‹ – Da hieb der Ritter nach ihm, und es ward ein wildes Gefecht. Weil ich nun wohl sahe, das Mädchen wolle gern bei dem Rittersmann bleiben, sprengte ich ihm zu Hülfe, und traf die Bauern nicht schlecht. So mannhaft sie auch standen, wären wir doch wohl bald mit ihnen fertig geworden, aber Gott weiß, wie es kam, daß wir alle zugleich, mitten durch unser ingrimmiges Hauen und Stoßen durch, den leisen Ton eines Fensters vernahmen, welches fern oben auf der steilen Höhe in der Burg ward aufgetan, und daß wir innehalten mußten, und emporschauen, was sich dorten begebe. Siehe, da schimmerte eben der Vollmond ganz hell gegen das Fenster, und drinnen stand Frau Minnetrost, ganz lang, ganz weiß, die hielt drohend den Zeigefinger der rechten Hand starr gegen den klaren Sternenhimmel empor. Das ging uns allen durch Mark und Bein; wir blieben lange still und sie auch. Endlich sagte sie: ›Ihr habt groß unrecht allzumal, so viel ihr seid. Einer unter euch ist ein fremder Mann, heißt Heerdegen von Lichtenried; der ist mein Neffe, und soll das Mägdlein säuberlich vor sich setzen auf sein Roß, und mir sie heraufbringen in die Veste. Die andern gehn im Frieden nach Hause, und Bruder und Bräutigam fragen, sobald drei Tage verflossen sind, weiter nach.‹ – Da geschah es alles, wie sie gesagt hatte, so bitterlich das Mägdlein weinte, so ingrimmig der Ritter und der Bräutigam knirschten, so unheimlich mir die Verwandtschaft mit der Schloßbewohnerin erschien. Es war, als könne es gar nicht anders sein. Im tiefen Schweigen schieden die Kampffertigen auseinander, im tiefen Schweigen brachte ich die Entführte in die Burg.

Wie es nun dorten aussahe, mein holdes Schwesterlein, davon weiß ich der Worte nicht viele zu machen, und hülfe das auch wohl nichts, denn vor dem recht Wunderbaren gehen doch von keinem Beschreiben dem Sinne die Tore auf. Aber siehe hier den friedlichen Lampenschimmer an, siehe im Spiegel deine Wehmut tauenden Augen, und dein ganzes liebliches Antlitz und Wesen, und denke, ein Strahl, der zarteste Strahl aus alle dem, war über Frau Minnetrost ergossen und über ihre ganze Burg. Ich durfte nicht hinein, aber unter einem Vorsprung am Tore hieß sie mich warten. ›Es wird Euch leicht werden‹, sagte sie, ›hier halb im Freien auszuharren, denn groß Unwetter gibt es hier nicht. Was etwa fällt von Regen, ist nur ein mild freundliches Sprühen, das die Erde erquickt, und die Halme nicht bricht. – So soll auch noch dein Weinen werden, und noch ein fröhlicher Sonnenaufgang hinterdrein‹ sagte sie, zu dem Mädchen gekehrt, und wirklich hörte die auch fast zu weinen auf, wie sie in das vom Mondenstrahl vergoldete Antlitz der freundlichen Drude schaute. Dann gingen die beiden ins Schloß hinein, und eine liebliche Musika von Flöten und Zithern hub an, aus den Kammern zu erklingen. Ich konnte es recht vernehmen, wie das Mädchen anmutig damit eingeschläfert ward. Darauf kam Frau Minnetrost wieder heraus, und brachte einen großen goldnen Pokal voll Weines mit für mich, und auf silbernen Schüsseln köstliche Speise. Auch satzte sie sich neben mich, und erzählte mir, wie sie mit unsrer seligen Mutter verwandt sei, und wie ein heimliches, doch frommes Wissen seit Menschengedenken ihrem Stamme gehöre, und wie sie nun hier lebe, und denke erkoren zu sein zur Sänftigung des wilden Landes. Die Geschichten waren lang und wunderbar, und dauerten die ganze helle Mondnacht durch. Oft ward mir schauerlich dabei zu Sinn, dann aber auch wieder unendlich süß, als halte unsre liebe Mutter mich im Arm, und erzähle mir schmeichelnde Märchen vor. Gegen Morgendämmerung verließ mich die Drude, und sagte: ›Du wirst wohl hier den Ausgang dieser Dinge gern erwarten wollen, und kannst es auch ohne Gefährde.‹ – Da schlief ich fröhlich ein, wie in sichrer Heimat Schirm.

An den folgenden Tagen sahe ich bisweilen, wie Frau Minnetrost mit der Entführten lustwandelte auf der Schloßmauer, hinter hohen, weißen Blumen, die Wohlgeruch duftend wie stille Flammen über die Zinnen heraussahen. Oft weinte das Mädchen bitterlich und schrie nach ihrem Liebsten. Dann aber ließ sich die Drude weder auf Tröstungen noch auf Versprechungen ein, sondern schaute nur die Klagende mit ihren hellen Mondscheinaugen freundlich an, oder brach eine weiße Blume, und wehte ihr damit Kühlung zu, oder sang ihr auch wohl ein altes schlichtes Lied. Und das Mädchen ward still, und lächelte bisweilen in wunderbarer Heiterkeit. Eben so machte sie es auch, wenn, jedesmal nach dreien Tagen, Bruder und Liebster erschienen, um nach der Entführten zu forschen, und ungeduldig wurden, oder gar aussahen wie Drohung und Gewalt. Die Drude brauchte nur zu lächeln, und die Worte schwebten ihnen von den Lippen fort, wie ein Seufzer, oder wurden zu freundlichen Bitten, voll Hoffnung und Trost. Nach dreimal drei Tagen waren alle ganz mild geworden und fromm. Da gab ihnen Frau Minnetrost das lächelnde Mädchen zurück, und die Braut ging zwischen dem Liebsten und Bruder zum Altar, und Häuptling und Untersasse blieben traute Schwäger und Freunde ihr Leben lang.

Viel kennt die Gegend von solchen Taten unsrer Muhme, und heißt sie billig Frau Minnetrost; teils weil sie oftmalen kranke Minne tröstet und heilt, teils, weil ihr Trost nur immer der der Minne und Güte ist, niemalen der des Trotzes und der Gewalt.«


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