Friedrich de la Motte Fouqué
Der Zauberring
Friedrich de la Motte Fouqué

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Sechsundzwanzigstes Kapitel

Eine Stimme, wie von seligen Paradieseshöhen herüber, rief: »Halt!« – Und urplötzlich hielt das grause Getümmel; der linde, und doch so hochgewaltige Ton war fast in jedwede Brust gedrungen, daß man ihm unbedingt Folge leisten mußte, und einander regungslos gegenüber stehen blieb, nicht von den starrenden Kräften der Versteinung, sondern von den himmlisch lösenden der versöhnenden Liebe bezwungen. Wo sich in wildern Sinnen noch irgend ein ungedämpfter Zornesausbruch zu regen versuchte, da sprengten glänzende Kriegsleute in fremder Tracht vor die Widerspenstigen hin, und brachten mit dem Dräuen ihrer zweigespitzten Wurflanzen, ihrer leuchtenden Säbel, die noch halb verzauberten Gemüter zu Ruhe und Ordnung zurück. Tebaldo schwieg, und sahe, die Hand über die Augen, wie nach einer ihn blendenden Sonne empor.

Und eine Sonne auch in der Tat, aber nur schuldigen Augen eine blendende, sonst alles balsamisch erquickend um sich her, war das still leuchtende Frauenbild zu nennen, welches, mit einem Lächeln der Hoheit und der Kindlichkeit gleich nahe verwandt, auf einem schneeweißen Zelter in der Mitte des Burghofes hielt, und früher das beruhigende Halt! über die Kämpfer ausgerufen hatte. Ihr prächtig ausländisches Gefolge reihete sich achtsam um sie her; ihr zur Seite zeigte sich ein herrlicher, Ehrfurcht gebietender Mann, von Purpurkleidern umwallt, ein großes goldnes Kreuz herabhängend über seine Brust. Im leisen Donnern rollte das Gewitter nach Westen hinunter, das Rauschen des Regen- und Hagelschauers schwieg.

Da war es, als wolle Tebaldo sich noch einmal zum verderblichen Kampf ermannen; er schwang ingrimmig den Zauberring über sein Haupt; aber das Frauenbild sagte abermals mit der engelreinen Stimme: »Halt! – Für solche Gegner hat mir der heilige Vater dies geheimnisreiche Weihwasser anvertraut.« – Und aus goldner Phiole sprengte sie gegen Tebaldo einen in der Abendsonne leuchtenden Sprühregen hin, davor der noch eben erst so mächtige Zaubrer bebend in die Knie sank. – »Das ist nicht genug«, sagte das Frauenbild, mit einer Strenge, die seltsam schreckend über den lieblichen Zügen lag. »Den Ring hierher, in meine Hand.« – Und da Tebaldo noch unwillig zögerte, fragte sie ihn, die Phiole hebend: »Oder soll ich abermal des zauberstörenden Regens auf dich sprengen? Dann jedoch stehe ich dir für nichts.« – Tebaldo kam zitternd heran, und legte, niedergesenktem Blickes, den Zauberring in der mächtigen Herrin schöne Hände.

Da bat sie ihren Geleiter, daß er sie vom Rosse hebe, und führte diesen alsdann gegen die Linde zu, wo der alte Herr Hugh sich eben, wie neu belebt vor der Nähe der holden Erscheinung, aus Zelotes dunklem Gewande loswickelte, und wieder in das tröstende Himmelblau emporschaute. Freilich überzog ihn, da sein erster Blick auf Arinbiörns Helm traf, ein ahnender Schauder, und er sagte: »Herr Gott, da ist der Rächer mit den Geierfittichen ja auch! Aber er muß ja wohl zur Versühnung hergekommen sein, denn es geht eben ein weiblicher Engel an ihm vorüber, dessen selige Züge mir gar wohl bekannt sind.« –

»Ja wohl Versöhnung! Alles ist heute Versöhnung!« so tönten Himmelslaute von des reinen Frauenbildes Lippen. Dann führte sie ihm ihren wundersam geschmückten, halb arabisch, halb christlich aussehenden Gefährten in die Arme, und sagte: »So wahr Ihr ehmals auf Kreta Herr Hygies gewesen seid, so wahr ist das Euer und der damaszenischen Jungfrau in des Donnerers Zeus Höhlenwölbung geborner Sohn, vormals der große Emir Nureddin, jetzt aber größeren Namens, Christophorus genannt.« –

Vater und Sohn blickten einander lange mit schweigender Rührung in die Augen. Sie hatten sich durch ein ganzes langes Leben so gut wie nimmer gesehen, und nun saß der eine als ein schneeweißer Alter am Lindenbaume, der andre stand vor ihm, als ein bereits greisender Mann. Da überschauerte es den Sohn plötzlich mit einer tiefen Ehrfurcht, und alle frühern Klagen vergessend, wollte er in demütiger Liebe niederknien, aber der Vater fing ihn in seinen Armen auf, und rief aus: »O du herrliches Damaszenerschwert, wie bist du so leuchtend aus der Rose von Damaskus entsprossen!« – Und beide lagen heißweinend aneinander, während Blancheflour mit anmutigem Lächeln zu dem alten Herrn Hugh emporblickte, sprechend: »O lieber Gott, was hast du mir für einen milden und ehrwürdigen Vater beschert!« – Der Greis senkte seine Hand segnend auf ihr liebliches Lockenhaupt, und Montfaucon trat herzu, dem ehemaligen Waffenmeister verkündend, wie er ihm die holde Tochter bisher gepflegt habe, und es nicht seine, sondern die Schuld des Waffenglückes sei, daß sie den Zauberring nicht mehr am Finger trage. »Aber«, setzte er hinzu, »es hätte mir ihn auch wohl so leicht niemand abgerungen, nur daß Euer eigner, tapfrer Sohn in die Schranken trat, und da mußte der Zögling wohl vor dem Erzeugten zurückestehn.« – Otto umarmte über Herrn Hughs Haupte den ritterlichen Freiherrn, auf dessen Helmgefieder der Falke sich wieder niedergelassen hatte, und freudig, den neubelebten Herrn erkennend, mit den Fittichen schlug. – »Das hat mir der Falke gebracht, aber nur aus Irrtum«, sagte Otto, und drückte das rosenfarbne Pergament, worauf Gabriele in Cartagena dem Freiherrn ihre Liebe bekannt hatte, in dessen Hand. Ein helles Erröten flog über Folkos Wangen; Gabriele verhüllte das leuchtende Gesicht. »Von jenem frühern Kampfe her«, sagte Otto, Gabrielens Hand fassend, »bleiben mir wohl noch einige Rechte auf diesen zarten Schnee. Darf ich sie ausüben?« – Und er legte Montfaucons und Gabrielens Hände ineinander, welche fast vor ihrem Freunde niedergekniet wären, nun aber, da er schnell zurücktrat, und sich in das Getümmel verlor, einander in die Arme sanken. – Archimbald nahte sich Gerda, und blickte fragenden Auges auf Hilldiridur. – »Sie hat sich als Christin bewährt«, sagte diese, »und ich stehe für sie ein.« – Da neigte sich Archimbald über des Norderfräuleins schöne Hand, und sprach das feierliche Verlobungswort aus. Gerda glühete hell, wie eine schlanke, festliche Kerze. – Derweile hatte das hohe Frauenbild sehr ernst mit Zelotes gescholten, linden Wortes, aber tief eindringenden Sinnes, daß er den Vater so habe erschrecken und in strenge Buße hineintreiben wollen. Ob er denn nicht wisse, daß der Christ mit freundlichen Gebärden die Verirrten zu sich locke? – »Wo es aber der Schreckensglut zur völligen Reinigung bedarf«, fuhr sie fort, »ach lieber Freund, da sorgt unser Vater schon selbsten, auch oft durch unbewußte Helfer dafür.« Und Zelotes stand demütig vor dem hohen Weibe still, und erkannte ihre göttliche Obergewalt im neigenden Verstummen an. Der arme Otto aber blickte unverwandten, sehnenden Auges nach der Herrin. Er wußte nicht, war es Bertha, war sie es nicht; das aber wußte er wohl, daß in dem oder jenem Falle bloß eine ganz überschwengliche Huld und Nachsicht von ihrer Seite ihn berechtigen konnte, nur den leisesten und mindesten seiner Wünsche nach ihr zu erheben.

Da traf ihn ein freundlicher Strahl aus den zwei blauen Augenhimmeln. – »Ritter Trautwangen«, sagte sie mit einem lächelnden Erröten, »warum so in die schwarze Rüstung verstellt? Ich dächte, Ihr tätet besser, das silberne Gewaffen wieder anzulegen, welches jetzt der Graf Archimbald von Walbeck führt. Wohl weiß ich, daß euch beide etwas bindet, wie ein Gelübd. Aber Ihr, Herr Graf, habt das Eure gelöset, als Ihr in den Harzbergen Ritter und Rüstung zugleich aus einem Grabe, dem Centro der Erden nahe, wieder heraufgewannet an das Licht. Euch aber, Ritter Otto, soll der Blutflecken auf jener Rüstung nicht mehr ängstigen, seitdem Ihr ihn gelöscht habt mit der tiefen Narbe, welche Eure dunkle Halsberge zur Rettung des armen Heerdegen empfing. Zelotes, auf den ich unterweges stieß, hat mir alles erzählt. O der arme, vielgetreue Heerdegen!« – Es funkelten helle Tränen aus ihren schattenden Wimpern hervor. Plötzlich aber neigte sie sich, rührte mit ihren schönen Lippen die Narbe auf der schwarzsilbernen Halsberge an, und sagte: »So entbindet eine reine Jungfrau jeden von euch, ihr beiden Ritter, des Gelübdes und aller Schuld. Eilt, und wechselt eure Harnische um.« – Gehorsam neigten sich die zwei Herrn, und schritten, von einigen Knappen begleitet, in die Burg.

Derweile bat die wundersame Jungfrau die Reisigen, ein frischloderndes Feuer anzuzünden auf dem Herde des Hauses, welchen man durch die offene Tür in der gewölbten Halle wahrnahm, und bald auch strahlte die helle Flamme gastlich mild unter dem Grün der Bäume, welche die Schwelle überschatteten, herauf.

Da waren auch schon die beiden Ritter in umgewandelter Harnischtracht zurückgekommen: Archimbald wieder prangend in den wunderlichen Formen der dunkeln Waffenstücke, Otto leuchtend im milden Silberglanze der Rüstung, welche seine Jünglingsgestalt geschmückt hatte, als er von Mühmchen Bertha Abschied nahm.

Die hohe Herrin trat derweilen an den Herd, ihn rings mit Weihwasser aus der goldnen Phiole besprengend, dann stellte sie sich, die schönen Hände faltend, hinter die Flamme, und sagte mit ebenso lieblichem als strengem Ernste zu der Versammlung herüber: »Haltet böse Gedanken fern!«

Und wer auch hätte dergleichen noch hegen mögen oder können, vor dem Anblicke des reinen, flammenbeleuchteten Bildes, demütige Verklärung auf allen Zügen! Sie betete still, dann warf sie den Zauberring mitten in die Flamme, das Zeichen des Kreuzes darüber beschreibend, und während sie wieder ihr inbrünstig stilles Rufen zu Gott erhob, sahe man das schmelzende Gold hier und dort über die Steine hinfließen, hörte, wie die magisch eingefugten Edelsteine in der Glut zersprangen.

Das feierliche Werk war getan; leichten, fast hüpfenden Ganges kam die holde Frauengestalt wieder hinter dem Herde hervor, und Otto konnte sich nicht erwehren, sie in diesem Augenblicke mit voller Gewißheit für Mühmchen Bertha zu halten. Doch leuchtete es auch um dieses lächelnde Kind wie eine verherrlichende Morgenwolke her, und da sie vor dem alten Herrn Hugh mit dem freundlichen Gruße stehen blieb, neigte dieser unwillkürlich vor ihr tief das greise, von so vielen Siegeskränzen sonst wohl stolze Haupt.

»O verzeiht mir«, sagte sie, »lieber Oheim, daß ich Euch nicht eher mit rechter Ehrfurcht entgegen getreten bin, daß ich zu Euch gesprochen, als eine ganz fremde Herrin, und nicht als Euer demütiges Mündel, Bertha von Lichtenried. Aber bis auf diesen Augenblicke war ich es auch nicht, sondern vielmehr die Gesandtin des heiligen Vaters zu Rom. Dem sind, – denn er würdigte mich, meinethalben die Himmelsfürstin anzurufen, – erschienen in einem nächtlichen Gesichte alle die Unbilde, welche Euch und Euer Haus von dem Zauberringe her bedroheten. Da bin ich denn hergeeilt, gradesweges mit Christophorus, nur daß ich unterweges, meines lieben Bruder Heerdegens Tod erfahrend, einen kleinen Umweg nahm zu einem Wallfahrtsorte, um kräftiger da für die Ruhe der ritterlich getreuen Seele zu beten. Nicht eher aber, bis der Zauberring vernichtet sei, – das hieß der heilige Vater mir – solle ich mich zu erkennen geben mit Worten oder Zeichen denen, die mir am liebsten seien auf der Welt, damit nicht aus der Gesandtin eine liebend demütige Jungfrau werde. Darum zog ich auch damals so schweigend an der Kapelle vorüber, wo Ihr gelagert ward – ich meine Euch, Mutter Hilldiridur!« Und in die Arme der holden ehemaligen Pflegerin sinkend, verbarg sie unter deren grünen Schleiern das Angesicht voll Morgenrot, denn bei den letztern Worten hatte sie sich unwillkürlich nach Otto umgewendet. Zu diesem trat Christophorus, und sagte, seine Hand fassend: »Willkommen, Bruder. Ich freue mich, einen Jüngling, dessen tapfre Taten vom Nordpol bis in den Südenpol herunter geleuchtet sind, mit diesem Namen grüßen zu können. Aber weil man mir immer, als ich noch der große Emir Nureddin war, nachgesagt hat, ich vermöge Geschenke zu spenden, wie kein andrer Fürst auf Erden, so sollst du, mein tapfrer deutscher Bruder, auch dessen alsbald beim ersten Gruße inne werden. Du darfst werben, lieber Otto, um diese himmlische Erscheinung; ihr Engelsherz schlägt für dich.« – Damit führte er ihn der noch immer in Hilldiridurs Schleiern verhüllt liegenden Bertha entgegen, und Otto, vor seiner angebeteten Herrin auf ein Knie niedersinkend, sagte nur ganz leise: »O Mutter, Mutter redet Ihr mir das Wort. Ich bin der beseligenden Verzeihung nicht wert.« – Da fügte Hilldiridur die willig folgende Hand der Jungfrau in Ottos Rechte, und Bertha, neben dem Jünglinge niederkniend, sagte: »Wenn dein Vater uns segnen will, lieber Otto.« – Freudeweinend legte der alte Herr Hugh seine Hände auf die Häupter der beiden im vollen Frühling des Lebens und der Liebe blühenden Gestalten.


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