Friedrich de la Motte Fouqué
Der Zauberring
Friedrich de la Motte Fouqué

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Vierzehntes Kapitel

Es soll, behauptet die alte Sage, verzauberten Menschen zumute sein, als lägen sie in einem Fieberschlummer, welcher die Kraft der Sinne nur eben genugsam frei läßt, um ihnen zu offenbaren, daß sie gebunden sind. Die Bezauberung der Krankheit hat viele von uns wohl mit einem ähnlichen Zustande bekannt gemacht, und diese werden die wunderliche, halb besonnene Betäubung der drei Ritter desto besser verstehen.

Sie lagen am Boden nebeneinander in dem seltsamlichen Gemach, eine lange, lange Zeit, regten sich bisweilen, als wollten sie aufstehn, aber sanken immer mit einem halb lächelnden, halb mißvergnügten Murmeln wieder zurück. – Wer sich am besten von ihnen besinnen konnte, und bisweilen so hell, daß er alles um sich her wahrnahm, und fast auf die Füße zu stehn gekommen wäre, das war Otto, denn dieser hatte im Niedersinken ein Gebetlein gemurmelt, welches er einmal von Bertha erlernt hatte, als sie beide noch Kinder waren. Das hielt er auch immer während der Bezauberung im Sinne fest, und wenn es ihm gelang, es einmal mit rechter Kraft zu sprechen, oder auch nur zu denken, wurden seine Augen alsbald wacker und hell.

In solchen Zwischenräumen sahe er bisweilen, wie sein Halbbruder Ottur an Gerdas Seite vor ihm stand. Die beiden pflegten dann immer eifrig und heimlich miteinander zu sprechen, oft auch vernahm Otto einige von ihren Reden. Dann sagte Ottur wohl: »Ich kann mich nun ein für allemal an keinem Ohnmächtigen und Bezauberten vergreifen. Zudem seht Ihr ja selbsten wohl, wie der Mittelste die Züge meines eignen Antlitzes trägt. Wir sind einen Bund miteinander eingegangen; sein Schwert heißt nach mir und meines nach ihm. Laßt mich in Frieden mit Euerm Einreden. Und blühten auch Idunens Goldäpfel aus dem Blute der Schlafenden für mich auf, dennoch ritzte ich keinem von ihnen in diesem Zustande die Haut.« – Dann stampfte Gerda mit dem Fuß, und wandte sich, den armen betörten Ritter mit fortwinkend, welchem vergebens Otto nachzurufen bemüht war, daß er sein Halbbruder sei. Lippe und Zunge waren ihm gebunden, wie von eines ängstlichen Traumes Gewalt, und nach dergleichen vergeblichen Anstrengungen breitete sich eine desto tiefere Betäubung über seine müden Augen. Ebenso umsonst auch war er öfter bemüht, seine beiden Gefährten zu ermuntern. Die lagen meist immer ganz starr und leblos neben ihm, und ihr totenartiges Ansehn erfüllte ihm die Seele mit kaltem Grauen. Er meinte wohl manchmal, sie seien schon alle dreie gestorben, und lägen in einem Grabgewölbe, nur in ihm allein noch ringe das Leben sieglos mit dem Tod. Dennoch, wenn er die halbverschlossenen Augen auf Heerdegen wendete, der zu seiner Linken lag, ward es ihm, als gehe es wie Frühling und wehmütige Sehnsucht in seinem Herzen auf. Die Ähnlichkeit mit Bertha, die er schon früher am Maingestade in der Stille der Ohnmacht auf des Jünglings Zügen bemerkt hatte, lag jetzt wieder in sänftigender Milde darüber ausgegossen. Otto meinte, bloß deshalb vor der Betäubung nicht ganz erlegen zu sein, damit er Berthas Bruder bewachen könne. – »Wenn ich nur das Opfer werden könnte an seiner Statt«, murmelte er dann wohl vor sich hin. »Um Berthas willen müßte es sehr schön sein, zum Opfer zu werden.« – Denn daß einer aus dieser Dreizahl dazu erkoren sei, glaubte er sicher zu wissen; so auch, daß freilich alsdann die andern beiden gänzlich bezwungen wären, weil man nur zu dreien dies Abenteuer siegreich vollenden könne; aber dennoch war es, als liege wieder am Tode des einen die Rettung des andern. Woher das alles in ihm aufstieg, wußte er nicht; manchmal kam es ihm vor, als habe er es aus verworrenen Liedern der Bergkobolde, tief durch die Schachten herauftönend, vernommen. – »Die Männer im feurigen Ofen«, dachte er bisweilen, »wurden alle gerettet. Aber wir sind auch keine Heiligen. Da muß wohl einer von den dreien in den Tod. Wenn es nur nicht Berthas Bruder ist!« – Und abermals begann er, nach allen Kräften, die ihm der Zauber übrig ließ, sein Wächteramt neben dem Antlitze, das in der reinen, geliebten Züge Erinnerung leuchtete, zu verwalten.

Da kam einstmalen die Zauberjungfrau wieder gegangen, aber eine andre Stimme, als Otturs, sprach mit ihr. Indem Otto recht mit Anstrengung hinhorchten bemerkte er, daß es der junge Kolbein war. Dieser sagte: »Fordert lieber nicht von mir, daß ich meinen Vetter, den Seekönig, erschlage. Auch den jungen deutschen Rittersmann träf' ich nur ungern. Doch wenn Ihr es gebietet, ach wunderschöne Herrin, ich bin auch dazu bereit.« – »Triff, wen du willst«, entgegnete Gerda. »Es ist genug, wenn nur die Dreizahl der Kämpfer zerbrochen ist; dann hab' ich die andern beiden gewiß. Odin sei gepriesen, daß nur du endlich von deinem Zuge wieder heim bist. Der Ottur ward alle Tage träumeriger und toller.« – »O gebt acht«, rief Kolbein, »ich dränge noch endlich all andres Menschenkind aus Euerm Herzen, und wohne darin, als ein seliger Gott.« – »Bilde dir nicht so hohe Dinge ein«, sagte Gerda, »nicht du bist es, den mir meine Träume, den mir mein ganzes Sinnen und Sehnen als den künftigen Bergkönig des Harzes zeigt, von dessen Armen umschlungen ich erst mich und ihn recht zu Göttern erheben darf.« – »Ist es Arinbiörn?« murmelte Kolbein. »Da soll ihn mein Beilhieb dennoch treffen. Und wär' er zehnmal mein Vetter, und einstens ach! mein so lieber Heerführer.« – »Nein, Arinbiörn ist es nicht«, lächelte Gerda kalt. »Die Torheit, mit der ich an ihm hing, ist vor dem herrlichen Silbergebilde des Spiegels versunken. Aber triff ihn, wenn du willst. Genug, wenn hier die gefährlichen Widersacher erliegen.« – »Dann lieber den Fremden«, sagte Kolbein, und schwang die Streitaxt über Heerdegens Haupt.

In unbeschreiblicher Beängstigung, diesen Schluß schon lange vorhersehend, hatte Otto der ganzen Verhandlung zugehört. Nun brach die Inbrunst seiner Treue und seines Gebetes so weit durch den Zauberbann, daß er sich am Schilde emporrichten konnte, um den Bruder seiner holden Freundin mit dem eignen Leibe zu decken. Aber ehe er sich noch über ihn hinzuwerfen vermochte, rasselte Kolbeins Streitaxt herunter. Heerdegen stöhnte tief, und ein reicher Blutstrom quoll aus seinem Helm. Dennoch, ihn zu retten hoffend, stützte Otto über ihn hin den Schildrand gegen den Boden, ließ mit gelähmten Kräften das gute Schwert, Ottur geheißen, umherschwirren, und bot seine geharnischte Brust den Streichen des Beiles dar. Die folgten, des ohnmächtigen Widerstandes spottend, einander hageldicht, zertrümmerten Ottos Halsberge, und lockten sein Blut im heftigen Sprudeln hervor, das im Verein mit dem, welches Heerdegen vergossen hatte, eine Purpurdecke um die beiden Jünglinge hin auf den Boden breitete.


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