Friedrich de la Motte Fouqué
Der Zauberring
Friedrich de la Motte Fouqué

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Neunzehntes Kapitel

Am Stamm eines Oleanderbaumes, inmitten eines der zaubrischen Gärten, die von der spanischen Stadt Cartagena aus an das Meer stoßen, saß Gabriele, die schönen Augen hoch in das leuchtende Himmelsblau gerichtet, neben ihr Blancheflour, einen Kranz flechtend aus den wundersamen Blümchen, welche dieser würzige Boden trägt. Eine schwarze Sklavin rührte unfern die Saiten ihrer Zither, und befremdet, daß die Herrinnen gar nicht darauf zu achten schienen, fragte sie endlich: »Soll ich etwa dazu singen: Ihr schönen, launischen Doncellas?« – Und wie beide, ohne recht zu wissen, was sie taten, bejahend mit den Häuptern nickten, hub die Sklavin in sehr anmutiger Weise folgendes Lied an:

    »›Montjoye, Heil'ger Dionys!‹
Ruft der starke Christenstreiter,
Ritter Folko Montfaucon,
Und die Mohrenbräute weinen.
Kam Guadalquivir geflossen,
Purpurfarb in blut'gem Scheine,
Sagt' es an zu Cordova,
Sagt' es in Sevilla weiter,
Sagt' es bis ans Meer hinaus,
Wie er stritt der kühne Freiherr.
Funfzehn sind hinausgezogen
Unsrer allerbesten Reiter,
Haben sich, ihn einzufangen,
Hoch verschworen, teuern Eides.
Funfzehn sind hinausgezogen,
Doch zurücke kam nicht einer;
Nur ihr Blut ist heimgeflossen,
Stummer Bote tiefen Leides.
›Montjoye, Heil'ger Dionys!‹
Ruft der starke Christenstreiter,
Ritter Folko Montfaucon,
Und die Mohrenbräute weinen.«

»Es weinen wohl noch viele andre Bräute als Mohrenbräute«, sagte Gabriele, und verhüllte ihr glühendes Antlitz in das feine, indische Taschentuch. Die Sklavin aber sprach erschreckt: »Weiß Allah, ich dachte euch recht froh zu machen mit dem Liede, das die Siegestaten eures Landesgenossen preist. Was weint ihr mir denn nun?« – Ohne sie weiter zu beachten, redete Gabriele gegen Blancheflour fort: »O was hast du für einen herrlichen Bruder! Und werden wir ihn wohl je in diesem Leben wiedersehn?« – Da fing auch Blancheflour herzinniglich zu weinen an, und die beiden schönen Frauen umfaßten sich in ihren Tränen, und drückten einander liebkosend ans Herz. Der Fürst Muza trat adligen Anstandes und in ritterlich mohrischer Pracht glänzend in den Garten. Wie er die Damen weinen sah, schritt er ehrfurchtsvoll wieder abwärts, winkte aber die Sklavin sich nach, und sagte leise zu ihr: »Sind das die Dienste, die ich von deiner Geschicklichkeit hoffte? Ich hörte deine Laute klingen, aber du hast mir die holden Frauen zu weinen gemacht. Welch einen Torensang du begannest, weiß ich nicht, soviel weiß ich gewiß: Du sollst mir von dem anmutigen Geschäft, Gabrielen aufzuwarten, künftig ausgeschlossen sein.« – Das schöne Fräulein Portamour aber bemerkte Muzas Unzufriedenheit mit der Sklavin, und sagte: »Scheltet mir das Mädchen nicht, Muza. Sie hat an unsern Tränen keine Schuld, oder wenn ihr Singen welche in meine Augen gelockt hat, sind sie süßer, als alles, was Ihr mir Anmutiges in Euerm üppigen Schlosse bieten könnt.« – Da führte der Fürst die schwarze Sklavin, ihr zum Lohn einen leuchtenden Demant in die dunkle Hand legend, seiner Herrin wieder zu. – »Allah sei gepreist«, sprach er mit anmutiger Verneigung, »daß Ihr mich einmal würdigt, mir etwas zu befehlen oder zu untersagen. Wenn Ihr mir doch nur recht viel gebieten wolltet!« – »Ich gebiete Euch«, entgegnete Gabriele, »mich mit meiner Freundin an die gasconische Küste zurück zu geleiten.« – »Ach, nur das eine«, seufzte Muza, »nur das eine, liebe Herrin, fordert nicht.« – Gabriele wandte sich unwillig von ihm ab.

An den Terrassen des Gartens, dicht vor dem Goldgegitter, welches ihn umschloß, ritt ein Herr in prächtiger Mohrentracht vorbei, hoch und schlank seine Gestalt, ernsthaft sein Gesicht, das, bereits von einem fast mehr als reifen Mannesalter gebräunt und geschärft, dennoch der Anmut nicht ermangelte, tiefschwarz der in reichen Wellen von Kinn und Oberlippe herabfließende Bart, königlich seine ganze Haltung und Gebärde. Eines der alleredelsten arabischen Rosse von nachtschwarzer Farbe wieherte unter ihm, etliche Männer, durch Tracht und Anstand als vornehm ausgezeichnet, ritten gleich Dienern hinter ihm her. Gabriele und Blancheflour erhoben sich, ohne genau zu wissen, warum, von ihren Sitzen, und grüßten die leuchtende Erscheinung mit ehrerbietigem Verneigen. Der Fürst dankte voll höflicher Würde, dann hielt er und winkte den Muza nach dem Gegitter zu sich heran, und der sonst so stolze Jüngling eilte dem Winke demütig entgegen, worauf der Herr den einen Schenkel über den Hals seines schlanken, gehorsamen Rosses weg zum bequemem Sitz nach diesseits mit herüberlegte, und dann ein Gespräch anhub, welches Gabriele und Blancheflour, der arabischen Sprache nicht mehr unkundig, meist gänzlich verstanden. Es lautete etwa folgendermaßen.

»Sind sie das, die schönen Frauenbilder«, hub der glänzende Reiter an, »die du aus dem Frankenlande mit herüber geführt hast?« – Und auf Muzas bejahende Antwort fuhr er fort: »Sonnenhelle Perlen sind es von der reinsten Gestalt. Aber ich will dir sagen, junger Fürst, daß es mir dennoch vorkommt, als habest du das herrlichste und allerunwiederbringlichste Kleinod dahinten gelassen. Oder ist es etwa nicht wahr, was sie mir erzählen wollen von der ernsten Jungfrau, welche deinen Vetter von sich abgedräuet hat, indem sie so furchtbar und hoch an dem steinernen Kreuzesbilde in den feierlichen Lichtern des Abendrotes stand?«

»Das ist alles so«, entgegnete Muza, »Wie man es Euch erzählt hat, mein hoher Herr. Und diese wundersame Maid ist in den Frankenlanden Fräulein Bertha von Lichtenried geheißen.«

»Nun so sag' ich«, rief der königliche Reiter aus, »daß wer mir die brächte, nach Cartagena hierher, unversehrt und ungekränkt, als eine reine Magd, dem gäb' ich all' meiner Schätze ein Dritteil zum ewigen Eigentum für sich und sein ganzes Haus!«

Da kam ein kleiner, schwärzlicher, aber reich geschmückter Mann aus dem Gefolge vorgeritten, und fragte: »Ist das Eu'r voller Ernst, mein hoher Herr? Das Fräulein Bertha von Lichtenried muß denn doch in der Christenheit wohl noch zu finden und zu fangen sein.« – »Du siehst mir nicht danach aus, als ob du das tätest!« entgegnete der stolze Araber mit einem leichten, verächtlichen Lächeln. – »Ich frage nur, ob's Euer Ernst ist mit dem Dritteil, hoher Herr?« sprach der unliebliche Mohrenritter weiter. – »Du kannst wohl wissen, Alhafiz«, kam die Antwort zurück, »daß ich eben mit meinen Verheißungen nicht spaße.« – »So wollen wir drauf denken«, erwiderte der Ritter, »wie Euch die wundersame Bertha, und mir das Dritteil Eurer Schätze zuteil werden möge. Weil aber Zeit gewonnen alles gewonnen ist, beurlaube ich mich für jetzt unverzüglich von Euch.« – Damit ritt er, sich tief verneigend, von dannen, der prächtige Herr sah ihm kopfschüttelnd und lächelnd nach, und zuckte mehrere Male, wie bemitleidend, die Achseln, dann grüßte er Muza freundlich, die Damen ehrerbietig, warf sich wieder in die rechte Reiterstellung, und trabte leichten Fluges mit seinem Gefolge in die hell südliche Gegend hinaus.

»Wie nennt Ihr diese seltsam herrliche Erscheinung?« fragte Gabriele den Fürsten Muza, als er wieder zu den Damen auf die Terrasse trat. – »Es ist der große Emir Nureddin«, war die Antwort, »der gewaltigste und heldenmäßigste Araber, den die Welt vielleicht bis heute noch sah. Nachdem er in dem flammenden Osten an Taten des Mutes und der feinen Sitte einen ganzen Sternenhimmel ausgestreuet hat, ist er zu uns in den Westen herübergezogen, um nicht nur mit den Palmen Asiens, sondern auch mit den Lorbeern Spaniens und Italiens seine königliche Siegerstirn umschlungen zu sehn. Unsre Weisen halten ihn für den Weisesten in ihren Schulen, wie unsre Feldherrn ihn für des Feldes höchsten Herrn, und daß in Eurer Gegenwart, o wunderholdes Fräulein, Strahlen seiner Huld und Freundlichkeit auf mich gefallen sind, macht mich nicht minder stolz und froh, als wär es mir gelungen, vor Euern Himmelsaugen ein siegreich Treffen zu bestehn.« – »Wir haben verstanden, was Ihr mit ihm spracht«, entgegnete Gabriele Portamour stolz und abgewandt; »auch hoffen wir, der alleinig wahre Gott solle Fräulein Lichtenried vor dem Mißgeschick behüten, in die Hände dieses glänzenden Tigers zu fallen, den Ihr wohl als Euern Meister bewundern mögt, da er so schnell seine Gedanken auf Frauenraub zu richten weiß.« – Und ein kalt gebietender Wink entfernte den niedergeschlagenen und verlegnen Muza aus dem Garten, ein zweiter sandte die staunende Sklavin ihm nach. –


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