Friedrich de la Motte Fouqué
Der Zauberring
Friedrich de la Motte Fouqué

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Drittes Kapitel

Der mächtige Emir zeigte sich nach wie vorher in einer geheimnisreichen, ununterbrochnen Tätigkeit, die seine ganze Seele zu füllen schien. Schiffe wurden ausgerüstet, Kriegsleute geworben, Vorräte an Waffen und Lebensmitteln aufgehäuft, und niemand vermochte auch nur entfernt zu erraten, wohin Nureddins Geist die furchtbaren Fittiche auszubreiten willens sei. Daß es für ein großes entscheidendes Ziel gelte, dafür bürgte das Wesen des fürstlichen Helden selbst, der nie mit Geringen oder um Geringes willen in die Schranken getreten war.

Eines Abends spät, nach arbeitsam vollbrachtem Tagwerk, saß Nureddin auf purpurnen Polsterkissen in seiner Halle, eine Laute im Arm, der er seltsame, bald feindlich, bald süß tönende Klänge entlockte, oder vielmehr entriß, denn das Instrument schien unter seines Meisters gewaltiger Hand zu ächzen. Seine Sklaven meinten, er ruhe von der Arbeit aus, aber wer die glühend rollenden Augen, die streitenden Lautentöne, die zuckenden Lippen verstand, der konnte bald wissen, daß in dieser Ruhe das rechte Ringen erst seinen Anfang nehme, und zwar mit dem mächtigsten Feinde, welchen Emir Nureddin bisher noch bestanden hatte, und welcher er selbst war. Vor diesem einzig und allein pflegte ihn auch bisweilen ein Zittern anzuwandeln.

Ein Heerführer seiner Scharen trat mit einer Meldung in das Gemach, ein hoher, feierlicher Kriegsmann greisen Bartes und leuchtenden Blickes, Abdallah geheißen. Indem er sprach und berichtete, sah ihm der Emir unverwandt ins Auge, immer noch an den Saiten der Zither reißend. Die sprangen endlich mit einem Weheschrei auseinander, und Nureddin warf das Instrument zertrümmernd gegen eine Säule, mit den Worten: »Das kommt davon, Laute, daß du mich gar nicht verstehst. Es ist deine eigne Schuld.« – Dann winkte er die aufwertenden Sklaven hinaus, gebot dem Heerführer, sich neben ihn zu setzen, und hub folgendermaßen zu sprechen an:

»Abdallah, das Herz schlägt mir noch die Brust entzwei, dafern ich nicht frei heraussprechen kann, was drinnen wohnt, nach meiner Art, und vor einem Ohre, das ordentlich zu hören versteht, und wieder ans Herz zu bringen, was vom Herzen kam. Ich weiß wohl, man gibt dergleichen am allerbesten mit Taten kund, aber die brauchen der Zeit so viel, ehe sie ans Licht herausbrechen, und könnte man ein rechtes Wort dazwischen vernehmen und reden, man bildete noch ganz andre Herrlichkeiten heraus, und auf die man sonsten vielleicht nimmer mit einem einzigen Gedanken verfällt.«

»Das Wort ist der mächtigste Pfeil von allen Geschossen«, sagte Abdallah. »Es ist zugleich ein Baum, der nicht nur aufwärts Früchte treibt, sondern auch Früchte sendet in den eignen mütterlichen Schoß zurück in die Brust, die ihn gebar.«

»Recht, Abdallah!« rief Nureddin aus. »Ich glaube, wir verstehen einander. Viel habe ich bei der Jugend umher gesucht, meinend, in deren flammenden Lustwäldern müsse doch irgend ein Heldenbaum wachsen, der mir die ersehnten Früchte biete. Vergeblich hab' ich gesucht. Sie zischten wohl allsamt lustig in die Höh', so wie ich nur einen Funken dran brachte, aber der rechte innre Kern, versteh' mich, so das rechte, eigentümliche Dasein, das einen Kerl erst zu dem Kerl macht, der er ist, – das war bei ihnen entweder noch gar nicht da, oder bei weitem nicht reif, oder doch in seinen ersten Ahnungen von meinem Treiben himmelweit verschieden. Sie freuten sich meist immer, mit dem großen Emir Nureddin zu tun zu kriegen, und den Leuten sagen zu können: ›Heut hab' ich ihn anderthalb Stunden gesprochen; saht ihr, wie er mit mir spazieren ging?‹ und was der Ärmlichkeiten mehr sind. Alles andre aber nahmen sie sich nicht eben sonderlich zu Herzen.«

»Verzeih, mein großer Herr«, entgegnete Abdallah, »wenn du sie erst einmal in deine Höhe hinaufgenommen hattest, so war es an dir, sie fliegen zu lehren. Dafür ist der ältere Adler da.«

»Es ist ja nicht das, o gar nicht das!« rief der Emir mit einiger Ungeduld aus. »Fühlen sollten sie mit mir, was sich gar nicht lehren läßt; sich erkennen, und eben dadurch sich legitimieren als geheiligte Mord- und Brandfackeln in der Hand des Herrn der Heerscharen. Nicht wahr, Abdallah?« Der sah ihn schweigend und mit leisem Kopfschütteln an. Steigend an Heftigkeit und Ungeduld fuhr Nureddin folgendermaßen fort:

»Abdallah, du hast wohl an ein zwanzig Jahr länger in der Welt gelebt, als ich. Was mir als vollreifem Manne, als werdendem Greise kund worden ist, muß dir als gewordnem Greise vorlängst schon sein. Merkst du denn nicht an den wachsenden Kriegen, an dem Schwerterzusammenschlagen der Muselmannen, Christen und Heiden, daß der Zorn Gottes und des Propheten das Himmelsgewölbe zu einem ungeheuern Ofen angeglüht hat, drinnen die Völker sollen geschmolzen werden? Sie haben noch alle meist Leben in sich und Kraft, aber eben, weil das Edelste nicht verrauchen soll, müssen wir auch das Schmelzen fördern, sonsten bleibt vielleicht dem großen Alchimisten nach ein paar hundert Jahren nur eine tote, geistlose Masse zurück. Die Besten von uns sind zu Lichtern angestellt, das heißt, zu Fackeln; drum risch gesprüht, nur risch gesprüht! Und sollten wir auch als Schürstangen die russigen Schwarzen aus Afrika hinantreiben müssen! Nur gemacht, daß die Masse in vollen Fluß kommt! Denn bis jetzt geht die Arbeit noch verteufelt langsam.«

»Herr«, sagte Abdallah ganz erstaunt, »wie es mir vorkommt, wollt Ihr allen Frieden und alles Völkerrecht umstoßen, und was bleibt uns dann?«

»Menschenrecht, Ritterrecht, Frauenrecht!« rief der glühende Emir. »Der einzelne soll vom einzelnen in Ehren gehalten werden, die Massen ineinander gerührt, bis sie nach vollendetem Gusse von selbsten zu schönern Formen erkalten.«

»Aber Herr«, entgegnete Abdallah immer staunender, »wer hat Euch denn das gesagt? Und wer Euch zu solchem Amte eingesetzt?«

»Brennt's denn hier nicht«, rief der Emir, auf seine Brust schlagend, »daß ich eine Fackel bin?« – Plötzlich aber still geworden, sah er den Heerführer mit einem langen, durchdringenden Blicke an, und sagte endlich: »Du freilich bist keine Fackel; drum hebe dich nur getrost hinaus.«

Abdallah stand vom Sopha auf, und neigte sich ziemlich bestürzt; da reichte ihm Nureddin freundlich die Hand, sprechend: »Nun, wenn du auch keine Fackel bist, so bist du doch ein tüchtiger Kriegsmann. Ich werde es nicht mit dir machen, wie mit der zerbrochnen Laute dort, und hätte es auch mit der nicht getan, wäre sie als etwas andres zu brauchen gewesen; etwa als Schild. Aber so eine bloße Laute muß einen verstehn, oder muß zerbrechen. Im übrigen, alter Herr, vergeßt, was ich gesagt habe. Denkt, ich hätte Opium genossen, oder gar einmal das Gesetz des Propheten übertreten und Wein getrunken. Gute Nacht.« – Damit winkte er gütig nach der Tür, und warf sich dann, allein geblieben, seufzend und knirschend auf die Polsterkissen hin.

Er hatte noch nicht lange so gelegen, da erhub sich ein gellender Klang von Cymbeln und Pfeifen und anderm festlichen Getöne durch das ganze Schloß. Ergrimmt fuhr der Emir in die Höhe, und rief nach seinen Sklaven. Die traten herein, noch immer jubelnd und freudig, aber ohne dessen zu achten, sprach der zornige Fürst sie dräuend an: »Wer schellt und jauchzt und klingt hier ohne mein Gebot? Das soll euch schwer zu tragen werden, daß ihr meinen Unmut noch reizt mit euerm ungehorsamen, unsinnigen Jubeln.« – Da fielen die Sklaven auf ihre Stirnen nieder, und sagten: »Lasse unser hoher Herr nicht seinen Zorn auf uns herunterblitzen, wenn hier ein Irrtum vorgefallen ist. Niemand, als der Alhafiz trägt die Schuld. Der kam jetzt eben mit seiner Galeere, und führte ein verschleiert Weibsbild in den Palast, und sprach, das sei die lang ersehnte Perle unsers Herrn, und jubeln möchten wir und tanzen zu ihrem Empfang; er stehe mit seinem Kopfe für alles ein. Laß denn auch keinen büßen, gerechter Herr, als den, der des Übels Ursacher ist.«

»In Goldstück und Purpur will ich den Alhafiz kleiden«, rief Nureddin aus, »noch obendrein auf das Dritteil meiner Schätze, das er sich gewonnen hat, zu meiner Linken soll er sitzen beim Mahl, und reiten in der Schlacht, dafern er Wahrheit spricht. Lügt er aber, und bringt die Perle nicht, da soll es auch nicht an grimmigen Hengsten fehlen, die den elenden Prahler nach allen vier Winden hin zerreißen, wie er in meine Ruhe hereingerissen hat.«

Noch war des Emirs Rede nicht zu Ende, da wallten schon die grünsamtnen, goldgefransten Vorhänge von der zederngetäfelten Türe zurück, die sich in ihren silbernen Angeln auseinander tat, und eine hohe, verschleierte Frauengestalt in einfachen Gewändern wahrnehmen ließ; zu ihrer linken Seite eine häßliche Schwarze, zu ihrer rechten den widrig lächelnden Alhafiz. – »Ich bringe dir, Herr«, begann dieser seinen Spruch, »was ich dir verhieß, und hier die schwarze Frau war meine beste Helferin. Ich empfehle sie deiner besondern Huld, und hoffe, du tust nun auch mir, wie du mir verheißen hast.« – Der Emir winkte ihm zu schweigen, und sagte: »Du hast eine unliebliche Stimme, Alhafiz, und dein unsittiges Mahnen soeben beweist mir dein bäurisches Wesen auf's neue. Störe mir diese feierliche Stunde nicht; ich bekenne ja gern, daß du unendlich mehr vollbrachtest, als ich je geglaubt, ja, als ich noch bis auf diese Stunde begreifen kann, und du sollst wahrhaftig nicht der erste werden, dem der Emir Nureddin irgend etwas schuldig geblieben ist.« – Alhafiz und die Schwarze winkten einander mit unangenehmer Fröhlichkeit zu, während der fürstliche Araber von seinen Kissen aufstand, sich ehrerbietig der Jungfrau näherte, und zu ihr sprach: »Ich fühle es durch all mein Leben, Herrin, Ihr seid es, nach welcher meine Sehnsucht rang. Nun rufe ich Eure Huld an, laßt mich nicht länger vom Anblicke des reinsten, lieblichsten Antlitzes geschieden sein, was sicherlich die Erde trägt.« – »Eure Schmeicheleien«, klang der Jungfrau Erwiderung zurück, »sollten mir den Schleier nicht weghauchen. Aber weil es Gott zugelassen hat, daß ich in Eure Macht gefallen bin, und weil es einer christlichen, edlen Magd nicht ungeziemend ist, ihr Antlitz vor fremden Männern zu entschleiern, so tue ich nach meines, obgleich sehr unrechtmäßigen Herrn Gebot.«

Der Schleier wallte zurück; in der stillen Majestät ihrer ernsten, mit unbeschreiblicher Lieblichkeit übergossenen Züge sahe Bertha den erstaunten Emir klar aus den blauen, von schwarzen Wimpern überschatteten Augen an. Ihr lichtbraunes Haar scheitelte sich glatt, nur vorn von einzelnen Löckchen umwallt, über der engelreinen Stirn; ruhig und züchtig, in demütiger Hoheit leuchtete die holde Gestalt, minder beim ersten Anschaun blendend, als bei jedem wiederholten das Gemüt erlabend, und mit seligen Banden der keuschen Liebe umstrickend.

Lange schwiegen sie beide: die Jungfrau in gottbewußter Kraft; in bezwungner, zu Demut umgewandelter Heldenstärke der Emir, bis endlich dieser in folgenden Worten zu reden anhub: »O Gott, meine edle Dame, was sprachet Ihr doch vorhin von einem Herrn, und von Gebot, und von Gewalt? Ich will nicht hoffen, daß irgend wer sich je erfrecht habe, Euern freien Willen zu beschränken, am mindesten in meinem Namen. Der dorten an der Tür vernahm es einstmalen, wie ich das Dritteil meiner Schätze dem kunstreichen Manne bot, welcher es vermochte, Euch zu mir herzubringen, ohne die mindeste Kränkung Eurer Würde. Denn bei Gott, die liegt mir am Herzen, wie meine eigne Ehre, und ich denke, es versteht sich von selbst, er habe Euch nur mit zierlichen Bitten über das Meer gelockt, oder mit dem holden Zauber des Reimes und der Lieder.«

»Ich weiß nicht, was Ihr zierlich nennt; nicht, was Ihr holden Zauber heißt«, entgegnete Bertha, und ein seltsames Lächeln, nicht minder anmutig, als streng, flog über ihr Gesicht. »Euer Gesandte dorten mit seiner Schar hat mich gewaltsam fortgetragen von einem Steingebild unsers heiligen Kreuzes, das ich umfaßt hielt zu meinem Schirm. Die Schwarze neben ihm war meine Dienerin, und verriet mich an ihn.«

»So?« sagte der Emir mit einem grimmigen Zucken durch all sein Gebein, und schritt nach einem Tischlein in der Ecke des Zimmers hin, während Alhafiz ängstlich ausrief: »Herr, hab' ich Euch doch die Maid gebracht, und zwar ganz ungekränkt und unversehrt.«

»Nennst du das ungekränkt?« donnerte der Emir auf ihn ein. »Und konntest du, dies Paradiesesbild erblickend, an Gewalt denken? – Überhaupt, schweigt still, ihr beiden Hunde, wo diese spricht; und schweigt auch nur auf ewig still.«

Zugleich hatte er zwei scharfe Messerlein, die auf dem Tische lagen, ergriffen, und sie, mit einer für Bertha fast unmerklichen Bewegung beider Hände gegen Alhafiz und die Schwarze hingeschleudert, so furchtbar sicher, daß alsbald die todglänzenden Stifte in den beiden sündhaften Herzen steckten, und die Schuldigen fast ohne Laut zu Boden sanken.

»Hinaus damit!« winkte der Emir. »Es soll ein Gesetzkundiger kommen, und all meine Schätze in drei ganz gleiche Parten teilen. Wenn's fertig ist, so ruft Alhafiz nächsten Erben, damit er das Dritteil wähle, welches ihm behagt. Gedeutelt werden soll an meiner Verheißung weiter nicht.« – Die Sklaven verhüllten die Leichen und trugen sie fort; Bertha sahe ihnen seufzend und kopfschüttelnd nach, sprechend: »Ich wußte es ja wohl, ihr Armen, daß es euch schlimm vergolten werden müßte, ich sagte es euch ja auch! Was ließet ihr nicht ab von der bösen Tat? Trage nun Gott Erbarmen mit euern armen Seelen!« – Dann wieder zu Nureddin gewandt, sagte sie: »Was ich aus Euch machen soll, strenger Bluträcher, weiß ich noch nicht. Waret Ihr denn wirklich hier zum Richter bestellt?« – »Ich sollte denken ja, mein edles Fräulein«, gab er zur Antwort. »Für jetzt, bitt ich Euch, wollet es Euch gefallen lassen, zu ruhen von Eurer Fahrt. Ich würde Euch ermuntern, alles Bangens frei zu sein, aber Ihr kennt das blöde Bangen wohl nicht. Schwebt es ja doch wie mit heiligen Fittichen, leuchtet wie mit heiligen Lichtern beschirmend um Euch her, auch Gedanken von Euch abwehrend, die aus der Menschen Geistern aufsteigen, und Eurer nicht würdig sind. Aber haltet nichts Schlechtes von mir, um meines schlechten Gesandten willen. Ich sehnte mich nicht nach Euch, als nach einer Liebschaft, sondern als nach einer herrlichen jüngern Schwester, die zugleich meine höhere, himmlische Freundin würde.« – »Gottes Wille geschehe«, entgegnete Bertha. »Hat er mich Jungfrau bestimmt, Euch furchtbarem Löwen zu ihm zu verhelfen, so wird es zweifelsohn also ergehn.« – Einige ehrbare Frauen waren indes auf des Emirs Wink erschienen. Er übergab ihnen seinen holden Gast zur ehrerbietigsten, zartesten Pflege, und nahm mit einer ernsten Verbeugung Abschied.


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