Friedrich de la Motte Fouqué
Der Zauberring
Friedrich de la Motte Fouqué

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Drittes Kapitel

So wie der Fremde sich näherte, riefen Otto und Bertha wie aus einem Munde: »Ei Gott, da ist ja der starke Ritter Folko von Montfaucon selbst!« – Wie es wohl zu geschehen pflegt, hatten sich beide während des Erzählens ein Bild von diesem sieghaften Helden im Gemüte ausgedacht, und nun paßte der Ankömmling auf eine gar wunderbare Weise dazu. Daß sie sich nicht darin geirrt hatten, bewies das Erblassen Gabrielens und des Ritters sittige Anrede, der sich ehrerbietig vor der Dame neigte, und sie fragte, ob sie den Herrn, welcher ihn auf sein Bitten soeben eingeführt habe, für ihren Verteidiger erkenne, von welchem es erlaubt sei, das Ringeskleinod durch die Waffen zurückzufordern? – Gabriele winkte bejahend, und Herr Archimbald sagte: »Mein fremder Degen, so liegt mir noch ob, Euch kund zu tun, daß ich der Graf von Walbeck bin. Ihr werdet von mir gehört haben, und es kommt nun auf Euch an, ob Ihr noch um den Preis mit mir ringen, oder Euch dessen in Frieden begeben wollt.« – Ein hohes Rot flog über Ritter Montfaucons Wangen, und seine dunkeln Augen funkelten, wie ein fernes Wettergewölk, aber dennoch verneigte er sich höflich, und sagte mit sanfter Stimme: »Ich weiß nicht, Herr Graf, ob es Euch der Mühe wert dünkt, den Freiherrn Folko von Montfaucon zu besiegen; soviel aber weiß ich, daß mir die Lust, mit dem berühmten Archimbald von Walbeck zu fechten, Kampfesbegier erwecken würde, fehlte mir es auch sonst an Ursachen dazu.« – »Wollen wir noch heute abend an den Reihen?« fragte Archimbald. »Das wird dieses edle Fräulein entscheiden«, entgegnete Folko, »es ist ihr vielleicht auf die Ermüdung der Reise nicht mehr gelegen, unsern Wettkampf anzusehn.« »Lieber heute als morgen«, sprach Gabriele mit ängstlicher Hast. Da ging Archimbald hinaus, den Kampfplatz zu ordnen, nachdem die Ritter vorher einig geworden waren, daß wer aus dem bezeichneten Runde um irgend einer Ursache halben weiche, für überwunden gelten solle, und nichts mehr fürder mit diesem Abenteuer zu schaffen haben dürfe. Sonst gelte auch nach dem Lanzenrennen der Kampf mit geschliffenen Schwertern wie es im Rittergarten König Löwenherzens ausgefochten worden sei. Derweil nun Archimbald draußen die Vorbereitungen machte zum ernsten Spiel, hatte Folko Gabrielens Laute ergriffen, ließ sich auf eine zierlich leichte Weise zu ihren Füßen nieder, und tändelte anmutig mit den Saiten. Er war hübsch anzusehn in seinem Harnisch vom tiefblauesten Stahle, mit reichen güldnen Zieraten prächtig eingefaßt und überblitzt, mit seinem schwarzbraunen Haar und zierlich gestutztem Knebelbart, unter welchem der frische Mund anmutig hervorlächelte, und zwei Reihen perlenweißer Zähne blicken ließ. Gabriele sah in stummer Ungeduld und Unsicherheit vor sich nieder. Wer die beiden so im gleichen himmelblau und goldnen Schmucke hätte sitzen sehn, wäre wohl nicht auf den Gedanken gekommen, daß sie Feindliches mitsammen zu teilen hätten, sondern eher, daß die Dame dem Ritter die schöne blau und gold gewobene Schärpe geschenkt habe, die von seinen kräftigen Schultern nach den schlanken Hüften hernieder wehte, und daß er ihr nun mit den anmutigen Zitherklängen Dank dafür zuspielen wolle. Es blieb aber nicht lange so friedlich: Archimbald erschien alsbald am Eingange des Gezeltes in furchtbarer Gestalt, denn er hatte den geschlossenen Helm bereits auf, dessen wunderliches Visier das Antlitz eines Adlers mit gewaltigem Silberschnabel nachbildete, und zu den übrigen seltsamen Formen seiner Rüstung so eigentümlich paßte, daß man ihn wohl für einen Bewohner irgend fabelhafter Wunderländer hätte ansehn mögen. – »Es ist fertig!« sagte er, und Folko war federleicht auf den Füßen, legte die Laute mit großer Sorgfalt auf die Teppiche hin, und verließ zierlich grüßend das Gezelt. Dann bot Graf Archimbald der Dame seinen Arm, und führte sie hinaus; Otto und Bertha folgten, mit glühenden, staunenden Blicken, als seien sie träumend in die Märchenwelt ihrer oft gelesenen und gesungenen Sagen entrückt.

Draußen schlug ihnen eine glänzende Helle blendend aus der alten Nacht entgegen. Ein weiter Kreis, geräumig genug zum Anlauf und Tummeln zweier Rosse, war ringsum durch festlich lodernde Fackeln umkränzt, die ihre roten Flammenwolken gegen das verdunkelte Firmament hinaufwirbelten, und die Gegend außerhalb in das tiefste, gestaltloseste Schwarz versenkten, während sie jedes Blümchen in der ernsten Rundung mit fast mehr als Mittagsklarheit umleuchteten. Archimbald führte Gabrielen zu einem Sitz, aus Rasen zierlich errichtet, mit den prächtigsten Decken überlegt, und so angebracht, daß sie gerade der Mitte des Kampfplatzes gegenüber saß, wo sich die Ritter bei ihrem Zusammenrennen treffen mußten. Um die Dame her stand ihr und Archimbalds reiches Gefolge, Otto und Bertha zu ihren Seiten, während jenseits zwischen den roten Fackellichtern durch, allerlei fremde, reich geschmückte Gestalten sichtbar wurden, die wohl zu der Dienerschaft des Freiherrn von Montfaucon gehören mußten. Während sich nun Archimbald von der Dame beurlaubte, und rechtshin nach seinem Streithengste ging, ward man zur Linken schon Folkos ansichtig, der auf einem schlankgehälsten, leichtfüßigen Pferde von silbergrauer Farbe, den ganz goldnen, bereits geschlossnen Helm von der allerzierlichsten Form auf seinem Haupte, am Ende der Bahn zum Vorschein kam. Da sein Gegner noch nicht kampffertig war, trabte er in spielender Übung über den Rasen hin, sein artiges Pferd mehr mit Worten, schien es, als mit Zügeln lenkend. So wie es in Gabrielens Nähe kam, beugte es, auf seines Reiters Wink, die Vorderfüße, fuhr dann gewaltigen Sprunges wieder in die Höh, und mit so schlanken Sätzen, daß es fast zu fliegen schien, und die goldnen Schellen an Sattel und Hauptgestell anmutig ertönten, wieder an seinen Platz zurück. Da stand es gehorsam still, ein geschmücktes Bild, und drehte dann den feinen gelenken Kopf unter den reichen Decken, wie schmeichelnd und fragend, ob es alles recht gemacht habe, nach seinem Ritter zurück, der den Stahlhandschuh von seiner Rechten zog, und ihm freundlich den Hals klopfte.

Wunderlich stach es dagegen ab, wie Archimbalds Rappe, von weißem Schaume getigert, die silbernen Kettenzügel, an welchen ihn zwei Reisige mit angestrengten Kräften festhielten, steigend und hauend zu sprengen drohte, wie Archimbald mitten im Bäumen dreisten Schwunges auf des unbändigen Tieres Rücken flog, es mit heftig strafenden Spornstößen zu wildern Sprüngen trieb, und, nachdem er sich einigemal ungestüm hin und her getummelt, Zügel und Schenkel mit ungeheurer Kraft und Sicherheit brauchend, der Hengst seinen Meister erkannte, und ganz eingewurzelt nach dessen Willen stehen blieb. Aber die Augen des Rappen flammten so lodernd, daß sie sich wohl mit den Fackelbränden messen konnten, und mit dem rechten Vorderfuße hieb er gewaltig in die Erde, als höhle er dem Feinde seines starken Reiters ein Grab.

Da neigten sich beide Ritter, zum Zeichen, sie seien des Kampfes gewärtig, gegen Gabrielen, tief, daß die riesig schwankenden Federbüsche beinahe den Boden berührten, dann saßen sie wieder grade und still, die Lanzen eingelegt.

Und Gabrielens weißes Tuch flog in die nächtliche Dunkelheit empor, und helle Trompetenstöße schmetterten, davor die Kämpfer wie Blitze gegeneinander fuhren, daß man fast später ihr Zusammentreffen sah, als man das Krachen der splitternden Lanzen hörte, und das laute Klingen der Waffenstücke von dem ungeheuern Stoß. Aber die Kämpfer waren vorbeigejagt, ohne sich im Sattel zu rühren, warfen nun wieder ihre Rosse an den umgetauschten Enden der Bahn herum, und hielten still, jeglicher, wie es schien, erstaunt, den Gegner noch zu Pferde zu erblicken. – »Neue Stechstangen!« rief Archimbald, und Knappen sprangen herzu, den Herren die Wahl unter mannigfachen gewaltigen Speeren lassend. Als sie nun die neuen Waffen gewählt und gewogen hatten, sprach Archimbald: »Nicht wahr, Ritter Montfaucon, noch zwei Lanzen? Ist es dann nicht fertig, so macht man's mit blanken Schwertesecken aus.« – »Ich bin hier Gast«, sagte Folko, mit höflichem Verneigen, »und was auch mein edler Wirt mir zutrinken mag, ich tue bescheid« – Wieder schmetterten die Trompeten, und wieder flogen die Ritter zusammen; diesmal mit so ungeheurer Gewalt, daß beide Streithengste auf die Kroppen niedersaßen, aber, von ihren Herren heftig gespornt, bald wieder in die Höhe sprangen und aneinander vorbei nach ihren Plätzen rannten. Folkos Lanze war in tausend Trümmer auf seines Gegners Brustharnisch zerstoben, Archimbalds Speer war nur geknickt. Darüber jubelten sowohl Walbecks Knappen und Reisige, als Montfaucons, denn jene sahen es als ein günstiges Vorzeichen an, und diese riefen, ihr Herr müsse fester gestoßen haben, des Grafen Lanze nur abgeglitten sein. Die Herren waren neu bewehrt, der dritte Trompetenruf klang und wie sie mit brennendem Ingrimm zusammenstießen, sahe man Folkos Silbergrauen hoch emporbäumen, schwanken von der Gewalt des Stoßes, aber den Reiter, besonnen gegen den Roßhals gebeugt, die goldnen Sporen brauchen, und das Pferd zum leichten Sprunge nach vorwärts treiben, während Archimbalds Rappe in die Knie stürzte, dann sich brausend wieder aufriß, aber, von des Ritters Faust, der halb ohnmächtig droben schwankte, nicht mehr gebändigt, in toller Wut über den Kampfplatz hinsetzte, daß er und sein wunderlich geharnischter Ritter wie böse Geister anzusehen waren, dann zwischen den lodernden Fackeln aus dem Kreise hinausfuhr, und verschwand. Draußen im mächtigen Dunkel hörte man am Gerassel der fallenden Rüstung, daß Archimbald am Boden lag. Folko hielt eine Zeitlang ruhig an seinem Platze, dann saß er ab, streichelte dem Silbergrauen die Mähne, warf den gebrochnem Lanzenschaft von sich, und trat mit gezücktem Schwerte, das im Fackelschein wie eine Flamme loderte, in die Mitte des Kreises. Niemand schritt ihm entgegen, und draußen im Finstern hörte man der Reisigen und Knappen dumpfes Gemurmel und Hin- und Hergehen bei ihrem gestürzten Herrn. Da rief endlich Folko: »Herr Graf von Walbeck, Euch trug Euer Rappe wider Willen aus dem Rund. Das soll nicht gelten, und Euch gestattet sein, mit geschliffenem Schwert den früheren Unfall zu bessern. Ich stehe hier und warte. « – Es blieb aber lange still; endlich rief ein Knappe zurück: »Mein Herr ist ohnmächtig!« – »Er kann nicht fechten«, sagte eine andere Stimme. »Wir bringen ihn nach dem nächsten Kloster zu den heilkundigen Mönchen«, eine dritte, und gleich darauf hörte man, wie der Zug langsam und trübselig über die Wiese ritt.

Da steckte Herr Folko von Montfaucon sein leuchtendes Schwert in die Scheide, ging offnen Helmes hin, wo Gabriele ihren Sitz genommen hatte, und bat sie mit gebognem Knie um den Kampfpreis. Das schöne Fräulein zog mit heißen Tränen an der Goldschnur, und holte den Ring aus dem zarten Busen hervor; viel anders, als da sie ihn vor kurzem den beiden jungen Leuten triumphierend gezeigt hatte. Aber noch war er nicht von der Schnur gelöset, da trat schon Otto vor den Ritter Montfaucon hin, und sagte: »Herr, laßt mir eine Rüstung geben, und Roß und Lanze und Schwert; ich fecht Euch das Kleinod im Namen der edlen Frauen ab, dafern sie mich solcher Ehren nicht unwert hält.« – Ein leichter Strahl der Hoffnung und Freude flog über Gabrielens Antlitz. Sie mußte plötzlich an die vielfachen alten Märchen denken, wie junge Helden, kaum der Knabenzeit entwachsen, über berühmte Kämpfer und ungeheure Riesen zum Schutz bedrängter Jungfrauen gesiegt. Folko hatte sich in die Höhe gerichtet, und maß mit den Augen seinen unversehrten Widersacher. Plötzlich aber wandte er sich lächelnd ab und sagte über die Achsel hin zu Otto:»Junger Knappe, junger Knappe, ei wo hast deine goldnen Sporen? Meinst du, es wäre schon jetzt an der Zeit, daß du könntest mit Rittern fechten? Drei Schwertschläge und eine Waffenwache, dann komm mir wieder, so will ich den Kampf recht gerne bestehn.« – Darauf kniete er abermals vor Gabrielen, und bat sie um den Ring, welchen er kaum in den Händen hielt, als er nach einer höflichen Verneigung schon wieder auf dem silbergrauen Rosse saß, und mit seinen Knappen davonsprengte.

Gabriele aber wandte sich in bittern Tränen zu ihrem Gefolge, das gleich nach dem unglücklichen Ausgang des Rennens auf ihren Wink angefangen hatte, die Zelte abzubrechen, alles Gepäcke auf die Saumrosse zu laden, und nun mit diesem Geschäfte zu Ende war. Kein Viertelstündlein länger, sagte das klagende Fräulein, wolle sie an einem so unseligen Orte verharren! Und ohne auf Ottos Reden und Hülfserbietungen nur im geringsten zu achten, kehrte sie sich von ihm ab, wie man sich von einem töricht vorlauten Kinde abkehrt, und ritt in die Schatten hinein. Otto rief ihr nach: »So Gott mir helfe, edle Dame, ich will nicht rasten, bis ich Ritter bin, und Euch Euren Ring zu Euern schönen Füßen lege.« – Aber auch dieses Beteuerns schien sie nicht zu gewahren. Man hörte bald nur noch fernher die leichten Hufe ihrer Zelter über die Aue schreiten.

Einsam und verlassen standen Otto und Bertha an der verhängnisvollen Stätte. Es war, als hätten sie geträumt; nur die niederbrennenden Fackeln, die versengten und zerstampften Gräser taten die Wahrheit jener wunderlichen Erscheinungen kund. Es wußte keines von beiden dem andern etwas zu sagen, und so traten sie schweigend in der mächtig tiefen Finsternis den Rückweg nach der Heimat an, um ein großes anders, als sie vor wenigen Stunden von da auf den Anger hernieder geschritten waren. Nur ein paarmal fragte Otto unterwegens: »Weinst du, liebe Bertha?« – Sie antwortete aber immer: »Nein!« und wand ihr Tuch dicht um das Haupt, so daß Otto dachte, er habe sich nur geirrt, und sein eignes unwilliges Seufzen für Berthas Weinen gehalten.


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