Friedrich de la Motte Fouqué
Der Zauberring
Friedrich de la Motte Fouqué

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Viertes Kapitel

Hoch auf seiner alten Veste saß Herr Hugh von Trautwangen in dem gewölbten Saal, darinnen seine eignen Waffenstücke und die der Ahnherrn aufgehangen waren, und wo er sich den größten Teil des Tages hindurch zu befinden pflegte, seitdem er Alters halben nicht mehr auf Jagd, Ringelrennen, Turnier oder Fehde hinausritt. Diesmal waren die beiden Kerzen, welche vor ihm den großen runden Tisch auf schwersilbernen Leuchtern erhellten, schon fast heruntergebrannt, und Sohn und Nichte ließen wider ihre Gewohnheit noch immer vergeblich auf sich warten. So oft jemand die Wendelsteige heraufgeschritten kam, dachte der Alte, es seien die zwei jungen Leute, und blickte freundlich verlangend nach der Tür; wenn aber dann nur ein Knappe hereintrat, der etwa sehn wollte, ob der Herr noch Licht habe, und noch Wein in dem großen, aus silbernen Schaustücken geformten Kruge zu seiner Seite, da tat Herr Hugh, als habe er eben nichts erwartet, und auf irgend eine befremdende Äußerung des Dieners kam keine Antwort zurück; oder höchstens hieß es. »Junges Blut, lust'ger Mut! Was ist da viel zu sorgen. Es wird sich schon finden.«

Aber die Uhr im Schloßturme schlug neun, schlug zehn, und weder Sohn noch Nichte trat aus dem tiefen Dunkel draußen in den heimatlichen Saal. Da nahm der Greis sein grünsamtnes Käpplein vom kahlen Haupte, hielt es in den gefaltnen Händen, und betete inbrünstig, der Herr wolle doch die vielfachen Sünden seiner Jugend den unbewußten Kindern nicht zurechnen, und beide nach seiner ewigen Gnade schuldlos und gesund in die Veste zurückführen.

Noch betete er, da ging die große eichne Tür ihm gegenüber auf, und die zwei Ersehnten standen verneigend mit ihren jugendlich frischen Gesichtern in der Halle. Diesmal hatte er nichts auf der Steige gehn hören, und die Erfüllung trat nun ganz unerwartet vor ihn, wie es die rechten Erfüllungen denn überhaupt an der Art haben, vorzüglich, wenn eins darum betet. Den jungen Leuten aber ward es gar beweglich und reuevoll zu Sinn, als sie so den großen eisgrauen Alten barhaupt in seinem Lehnsessel sich gegenüber mit gefaltnen Händen sitzen sahen, bleich durch viele Jahre und eben jetzt erlittne Besorgnis, gebleicht noch durch die abgebrannten Kerzen zwischen ihnen und ihm. Sie fühlten wohl, für wen er gebetet habe, und hoben zugleich und in selber Stellung die Hände dankend und Verzeihung flehend in die Höhe. Aber Herr Hugh war wieder in seiner gewohnten Fassung, bedeckte sein Haupt, und fragte, die beiden näherwinkend, mit ernst freundlichem Wesen, was sie so lange draußen getrieben hätten. Da sagte der junge Ott' von Trautwangen: »Herr Vater, wenn wir noch ein ganz klein wenig länger geblieben wären, ständ es nach meinem Bedünken besser und leichtherziger um uns alle, und um die schöne Dame mit dem Ringe auch, denn alsbald wäre der Strauß bereits ausgefochten, und hoffentlich sieghaft für uns; so aber weiß Gott, wie lang ich nach meinem Gelübde durch die Welt nachziehn muß, und das alles kommt davon her, daß Ihr mich nicht früher zum Ritter geschlagen habt.« – Herr Hugh sah mit großer Verwunderung seinem jungen kecken Sohn in das Antlitz, nicht allein wegen der seltsamen Worte, die er sprach, sondern noch mehr wegen seines so gar veränderten Wesens, als sei er in den wenigen Stunden ganz anders geworden. Bertha aber fing unverhohlen und bitterlich zu weinen an, wohl noch viel bitterlicher, als vorhin Gabriele um ihren Ring. Darüber sahe sich Otto ganz verwundernd um, und als er nun bemerkte, daß des Mägdleins Augen schon von vielen früher vergessenen Tränen rot und trübe waren, sprach er: »Ach, liebe Bertha, so hast du ja doch unterwegens geweint! Warum sagtest du denn immer nein, wenn ich dich fragte? Und warum weinst du denn überhaupt?« – Bertha antwortete ihm nur durch ein freundlich schmerzhaftes Lächeln, dann bat sie den alten Herrn, er möge ihr vergönnen, zur Ruhe zu gehen, und somit schritt sie verhüllten Angesichts aus dem Saal. Otto wollte sie aufhalten, aber Herr Hugh bannte ihn mit einem strengen Blick an den Tisch, und sagte, als Bertha hinaus war: »Junger Bursch, du hast entweder geträumt und gefaselt, und dann gibt sich morgen alles von selbst; oder es ist Ernst mit Gelübde und Ritterfahrt, und dann haben ein paar Tränen deines Mühmchens nicht so viel Recht mehr mitzusprechen, als vordem. Setze dich nun mir gegenüber, und erzähle mir ausführlich und besonnen, was sich mit dir zugetragen hat, so wollen wir baldigst mit einander im reinen sein.«

Wie nun der Knabe zu erzählen anhub, und immer weiter und weiter sprach, hub auch der Alte an, sehr ernst zu werden, und ward es immer und immer mehr, wobei er vorzüglich gegen das Ende der Geschichte die Augen gar nicht von einem großen Schwerte wegbrachte, das unfern von den beiden an der Wand hing, und halb aus der Scheide hervor sah.

Als das Abenteuer vom Anger zu Ende war, sagte Herr Hugh zu dem alten Schwerte: »Du hast doch wahrhaftig beständig etwas gegen die Verborgenheit einzuwenden gehabt, und durchaus nicht gänzlich hinein gewollt, so oft ich's auch versucht habe, dich in Ruh und Frieden zu bringen. Nun seh' ich's wohl, du tatest so gar unrecht nicht daran. Frisch heraus, mein alter Fehdegesell, und Otto, hol mir ihn ungesäumt herunter.«

Mit einigem Schauer wendete sich der Jüngling nach dem Gegenstande zurück, zu welchem sein Vater sprach. Es war ihm, als könne es auch wohl ein plötzlich heraufgestiegenes Gespenst, oder irgend etwas dergleichen sein. Aber es leuchtete ihm nichts, als die wohlbekannte Waffe in die Augen, nur daß sie vom Schimmer der einen heruntergebrannten Kerze in ganz ausnehmender Helle funkelte. Da faßte er freudig das große Goldgefäß, und achtlos dessen, daß die schwerbeschlagene Scheide klirrend auf das Pflaster der Halle fiel, trug er das blanke Gewehr zu seinem Vater, sprechend: »Ei fröhlicher Anblick! Nicht lustiger selbst hat Ritter Montfaucons Klinge im Fackelkreise gefunkelt!« – »Von Ritter Montfaucons Klinge wäre vieles zu sprechen«, sagte der Alte, das große Schwert in seinen Händen haltend und wägend, »und noch mehr wäre zu sprechen von übereilten Gelübden und sonst dergleichen; aber davon nachher, aber auch wohl gar nicht, denn Gelübde wollen gehalten sein, und du hast Gabrielen das deine geleistet. Nur wenn du einmal einen Juwelier antriffst, der einen kostbaren Stein auf keine Weise von sich lassen, sondern an dessen Karfunkelschein die Augen bis in den Tod laben und erstärken wollte, und dem eine reisende Fürstin sein Kleinod wider Dank und Willen mit fortnahm, oder einen Gärtner, der ein Blümlein zu seiner stillen Freude im heimlichsten Winkel seines Geheges zog, und es schoß plötzlich eine gaukelnde Taube herab, und raffte es ihm mit Stiel und Wurzel aus, und schwang sich damit über die See, – wenn du einmal das oder etwas Ähnliches siehst, so ermiß ungefähr, wie dem alten Herrn Hugh in dieser Stunde zumute war.« – Dabei drängten sich ihm zwei große, kristallhelle Tropfen in die alterstiefen Augen, während er festen Trittes in die Mitte der Halle vorschritt, und Otto wollte ihn mit Demut und Rührung umfassen, aber der Rittersmann sagte: »Junger Degen, die Stunde ist allzu ernst und feierlich, als daß man sich nur das geringste darin verstatten könnte, was irgend jemand Narrenteidung oder Weichlichkeit nennen dürfte. Kniet nieder, junger Herr von Trautwangen. Es ist an dem, daß man Euch zum Ritter schlägt.«

Otto beugte andächtig die Knie und faltete die Hände. Er war fast anzusehen, wie eines von den ernsten Steingebilden, die man auf Grabstätten junger Herren anzutreffen pflegt, fromm, einfältiglich, einer seligen Auferstehung wartend. Herr Hugh aber nahm das große Schwert, berührte mit dessen Klingenfläche dreimal die Schultern des Sohnes, und sagte dazu: »Das leide du jetzt von mir, und von keinem wieder.« – Dann trat er vor den Jüngling hin, und sprach: »Herr von Trautwangen, ich habe Euch nun Kraft meines Rechtes als Ritter und Bannerherr die heilige Ritterwürde übertragen. Übt solches Amt recht ehrbar aus, zum Horte der Frauen, der Witwen, und der Waisen; vor allem aber zur Glorie unsres Allerheiligsten Erlösers Jesu Christi. Für jetzo nun erhebt Euch, kommt in meine Arme und laßt uns gute Waffenbrüder mitsammen sein.«

So herzinnig hatten sich Vater und Sohn noch niemalen umfangene als in diesem feierlichen Augenblick, wo sie über alles hinaus, was sie sonsten verknüpfte, auch noch Brüder und Genossen geworden waren. Darauf ging Herr Hugh mit dem alten Schwerte nach einem goldhellen großen Schilde, welches grade über seinem Sessel hing, und schlug dreimal gewaltig und in gemessenen Zeiträumen dagegen, daß die Hallen dröhnten, und alsbald sich der Saal von den bewaffneten Hausleuten füllte.

»Das ist der Ritter Otto von Trautwangen«, sagte Herr Hugh zu ihnen, indem er seinen Sohn an der Hand hielt. »Dieser teure junge Degen wird heute nacht seine Waffenwache halten. Tragt ihm deshalben die silberhelle Rüstung – denn sie soll sein gehören – hinunter in die Kapelle, und wer es gut meint mit dem Hause der Trautwangen und dessen jüngster Blüte, halte sich munter zu Nacht, und bete zu Gott, daß diese ernsten Stunden eine erquickliche Saat und Frucht tragen mögen für Zeit und Ewigkeit. Amen!«

Und sie schritten hinunter die Wendelsteigen nach der Kapelle, die, wie zum Schutze des Baues, weit hinaus an dem vorspringendsten Gemäuer gegen Morgen stand. Dann legten die Kriegsknechte das glänzende Waffengerät vor dem Altar nieder. Herr Hugh segnete seinen ritterlichen Sohn, ihm das alte Schwert in die Hand drückend, während dieser sich edlen Anstandes und gezückter Wehr, wie ein Paradieseswächter, vor das silberreine Metall hinstellte, betend und schweigend mit seinen Dienstmannen an geheiligter Stätte.


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