Friedrich de la Motte Fouqué
Der Zauberring
Friedrich de la Motte Fouqué

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Siebenzehntes Kapitel

Im Morgenrote hatte Ritter Trautwangen seinen Hengst bei der Schar zurückgelassen, und war einen beschneiten Felshügel hinangeklommen, um von da aus zu übersehen, wie sich das Verfolgen lenke, und ob man noch weiter in die Täler hineindringen dürfe, oder ob man nachgrade den Rückweg antreten solle. Der Stein war oben durch einen breiten und sehr tiefen Spalt in zwei Hälften gesondert; hart am Rande desselben stand Otto, und freute sich, zu bemerken, daß sie recht weit in die finnischen Grenzmarken hineingekommen waren; auch daß man wohl imstande sei, auf Finnlandsgebiet einen starken Vorposten stehen zu lassen, und dadurch die christlichen Lande noch weit besser zu sichern. Indem er noch so bei sich darüber nachsann, kam durch die Morgennebel eine sehr große Rittergestalt von der andern Seite des Klippenspaltes heran, stellte sich aufgeschlagnen Helmgitters, umschauend wie er, an den Rand ihm gegenüber, und plötzlich bebten die beiden Helden zusammen, denn schon wieder sahen Otto und Ottur einander in die täuschend ähnlichen Gesichter.

»Ich kann und will das nicht fürder so ertragen«, sagte Ottur endlich. »Du machst mich mit deinem Aussehen noch toll; es darf nur einer leben, der dies Antlitz trägt. Zudem hast du uns heute Nacht geschlagen, und wenn du von der Welt bist, kann unser Odinsheer vielleicht eher auf Rache hoffen. Deshalb schwing' deinen Speer; der Klippenspalt wehrt es uns, daß wir einander mit Schwertern reichen, aber unsre Lanzen fliegen ja frisch. Mach' fort. Eh' noch die Sonne vollends heraufkommt, muß es entschieden sein, wer so aussehn darf, du oder ich.« – Er schwang den Wurfspeer gewaltig über das Haupt.

»Warte noch«, sagte Otto. »Ich meine, wir finden auf diese Weise keine Ruhe. Wie soll denn nun der künftig leben, der sein Ebenbild erschlagen hat. Das wird ja sein, als hätt' er sich selbsten totgeschlagen.«

»Freilich wohl«, entgegnete Ottur. »Aber wir wollen die Helmgitter zumachen; da sieht man's nicht, wie die Züge des eignen Antlitzes einem gegenüber im Tod erstarren und in Blut verschwimmen.« Und damit ließ er den Helmsturz fallen, und schwang abermals seinen Speer.

»Wir könnten ja aber auch Waffenbrüder und Freunde werden«, sagte Otto freundlich, »und das im innigern Verein, als sonst zwei Helden auf der ganzen Welt.«

»Wirst du der Gerda folgen? Werd' ich die Gerda lassen?« rief Ottur dumpf aus dem geschloßnem Helme vor. »Und drum nur frisch ans blut'ge Werk. Wirfst du nicht her, so werf ich hin; und feldflüchtig werden kann mein Ebenbild ja doch nun und nimmermehr.«

»Da sei Gott vor!« entgegnete Ritter Trautwangen, und bereitete sich, geschloßnem Visiers wie Ottur, zum Kampfe. Indem nun die Recken, zielend und von den großen Schildrändern gedeckt, einander noch harrend gegenüberstanden, brach es hinter Ottur schnaubend aus dem Föhrengebüsch hervor. Ein ungeheurer Stier, vermutlich durch das Schlachtgetümmel aufgejagt und erzürnt, rannte gesenkten Horns und funkelnden Auges auf den Heidenritter los, der seiner in der Begier des begonnenen Zweikampfes nicht gewahrte. Augenblicks flog Ottos Speer im gewaltigen Schwung hoch über das Haupt des Gegners hin, mit sichrer Kraft in den Nacken des zornigen Tieres, und warf es auf den Schnee. – »Was machst du, Otto?« sagte der Heide, und senkte seinen Speer. »So schlecht hast du aus Ungeschick nicht geschleudert. Gedenkst du mein zu spotten?« – »Sieh dich doch um«, entgegnete der junge Deutsche, und rückwärts blickend, sahe Ottur, wie der gefällte Stier eben seine letzten Kräfte in riesigen Zuckungen verhauchte. Da schlug er, nach Otto blickend, sein Visier in die Höhe, und dieser tat desgleichen. Die eben aufgehende Morgensonne strahlte verklärend in die Gesichter beider junger Helden. Sie sahen einander mit leuchtender Freundlichkeit an; endlich sprach Ottur: »Wollen wir die Schwerter miteinander tauschen?« – »Ich darf meins nicht weggeben«, sagte Otto. »Es ist ein heiliges Andenken aus meines Vaters Hand. Sonst tät ich es gern. Aber weißt du was? Nenne dein Schwert hinfürder Otto, wenn du mich lieb gewonnen hast, und ich will meines Ottur nennen.« – »Von Herzen gern«, entgegnete Ottur. »Es kommt mir überhaupt vor, als wüßtest du alles besser und verständiger anzufangen, wie ich, wenn du gleich wohl um mehrere Jahre magst jünger sein.« – »Ja, ein wenig älter, als ich, kommst du mir vor«, erwiderte Ritter Trautwangen. »Sonst sähen wir einander auch allzuähnlich.« – »Also der heißt nun Otto?« rief Ottur, und schlug klirrend an sein Schwert. – »Und der heißt Ottur«, sprach Otto zurück, gleichfalls mit der beerzten Rechten am goldnen Griffe rasselnd. Damit nickten die versöhnten Helden einander abschiednehmend und lächelnd zu, und schritten den Felshügel hinunter, jeglicher nach seinen Geschwaden zurück.

Von diesem Tage an gab es einen stillen, ernstfriedlichen Winter im Gebirg. Die geschlagnen Heiden wagten sich zu keiner Neckerei mehr gegen die Normannakrieger vor, und deren beide Hauptleute verlebten wieder viel heiter feierliche Stunden in Frau Minnetrostens einsamer Warte. Die fromme Drude war immer still vergnügt und lächelnd um diese Zeit, ein geistiger Vollmond; nur einmal, als Otto am runden Steintische das Abschiedslied schön Astrids und des starken Hugurs sang, fing sie recht mildiglich zu weinen an und bat den Jüngling, er solle ihr das nicht wieder singen. Der hielt ihre Bitte, wie ein kaiserlich Gebot, und das Leben strömte anmutig und störungslos fürder, so daß sich die beiden Ritter über die Kürze des langen Nordwinters wundern mußten. Denn ehe sie noch an eine Veränderung dachten, wehten bereits Frühlingslüfte durch die Täler hin, rieselten die Quellen, vom Eis befreit, in ihren Betten, und sahen einzelne Gräslein und Blumenknospen aus der Erde hervor.


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