Friedrich de la Motte Fouqué
Der Zauberring
Friedrich de la Motte Fouqué

 << zurück weiter >> 

Anzeige. Gutenberg Edition 16. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++

Funfzehntes Kapitel

Verschiedene Tage der Einsamkeit waren an Bertha still und friedlich vorüber gegangen. Alle die wunderbaren Töne und Gebilde hatten auf das Anmutigste mit ihr gespielt, und indem sie die Sorge für Garten und Wirtschaft und Küche ganz allein übernahm, ward ihr doch alles vor unsichtbaren Begünstigungen so leicht, daß es minder Geschäfte zu sein schienen, als artige Spiele, mit zu den andern gehörig. Da ließ sie sich eines Nachmittags von der Barke auf dem tiefblauen Weiher umherwogen, und die Sommerlüfte spielten erquickend um Stirn und Wangen der holden Schiffenden. Zugleich hielten sonndurchblitzte Wölklein ordentlich einen Reigentanz am Himmel, und viele Vögel flatterten auf die Zinnen der Burg, sahen zwischen die weißen Blumen herein, und schwangen sich dann wieder jubelnd und tirilierend, wie trunken von Lust und Freiheit, durch die heitre Tagesbläue hin. Es war, als wolle ihr das alles zusammen etwas von draußen erzählen, und sie ermuntern, doch wenigstens einen einzigen Blick in die lustige Weit hinaus zu tun. »Was könnte es denn am Ende auch schaden?« sagte sie zu sich selbst. »Es ist die Frage, ob ich überhaupt die Muhme mit ihren Warnungen recht verstanden habe. Auf die Erde hinauszublicken, für die mich Gott erschaffen hat, kann mir doch unmöglich irgend jemand verbieten wollen.« – Und fast so schnell, als der Gedanke gedacht war, hatte auch Bertha die goldhelle Barke zum Ufer zurücke gewandt, und weil sie ja doch weit minder über die Zinnen als zu den Fenstern hatte hinausschauen sollen, erwies sie sich, wie sie meinte, recht gehorsam, ging vor den lockenden weißen Blumenwarten vorbei, und in ein Gemach, von wo sie wohl sonst, wenn sie mit ihrem Bruder an den Zinnen sprach, die Muhme hatte herausblicken sehen. Das Kämmerlein enthielt auch weiter nichts Heimliches, und Bertha hatte alsbald das buntbemalte Glasfenster geöffnet, und schaute über das weite grüne Land dahin.

Eine sehr vergnügliche Aussicht tat sich von hier über fruchtbare Wiesentäler auf in das nahe Meer hinein, auf dessen windstillem Spiegel die Sonnenstrahlen ihr leuchtendes Spiel trieben, ein nahes buschiges Eiland, wie mit goldblauen Gluten umkränzend. Bertha fühlte sich nach dem Eilande von einer tiefen Sehnsucht hinübergezogen; sie dachte, ohne zu wissen warum, Otto müsse darauf wohnen, und sich eine blühende Siedlerhütte unter den Schatten gebaut haben, in gänzlicher Vergessenheit der prächtigen Gabriele, und im stillen Harren und Hoffen nach seiner ersten Minne. Es kam ihr das alles immer wahrhafter und notwendiger vor; sie meinte schon zu wissen, wie der Boden zwischen den Gesträuchen durch Ottos Pflege hell und duftig erblüht sei, und wie zierlich geordnete Pfade sich weißleuchtend durch die Pflanzung hinschlängen. Bald darauf schwebte ein Nachen heran, der zwischen dem Eilande und der Küste hin und her wogte im Sonnenglanze, und die Gestalt ihres Bruders in dem Fahrzeuge ward ihr mit jedem Augenblicke kenntlicher an Wuchs, Bewegung, und Farbe und Schnitt der Kleidung. – »Mein Gott«, dachte sie, »sollte der wohl Otto gefunden haben auf der Insel, und sich mit ihm versöhnt, und mich nun hinüberrudern wollen zu ihm?« – Dabei kam es ihr ganz deutlich vor, als winke Heerdegen mit einem weißen Tuche nach ihr; aber wie sie eben das ihre faßte, den Wink zu erwidern, erschrak sie vor der Versuchung und schlug das Fenster zu. Mit tiefer Wehmut dachte sie an ihre gütige Muhme, und wie sie am Abend vor der Abreise so herzensfromm und betrübt gewesen sei, und sie mußte bitterlich weinen, daß sie deren Rat und Bitten auch nur Augenblicks habe ungetreu werden können. Dennoch, – so schwach in der Versuchung sind wir arme Menschen! – ließ die Lust nach dem Eiland und dem Nachen keinesweges von ihr ab, und um sich selbst vor sich selbsten sicher zu stellen, sagte sie mehrmals laut: »Törichtes Zeug! Ich habe gottlob! ja nicht einmal die Schlüssel zum Burgtor.« – Da ward es plötzlich in ihr ganz klar, daß sie recht gut wisse, wo sie liegen, und ihre Bangigkeit stieg so hoch, daß sie sich auf keine Weise mehr zu raten und zu helfen wußte.

Ängstlich nach Zerstreuung suchend, vor ihrem eignen Wollen in übereilter Flucht, rannte sie nach dem Gemach, drinnen der Spiegel mit den Bildern eingefugt war. Sie streifte unterweges an einen Sessel, worauf ihre Laute lag, und die freundlichen Saiten klangen ihr nach, als wollten sie ihr zurufen: »Nimm uns doch mit, du sollst uns ja klingen lassen, wenn du etwas von den schönen Wunderdingen willst!« – Aber Berthas aufgeregter Sinn hatte für solche leise Sprüche jetzo kein Gehör, sie stürzte atemlos in das Gemach, und so ernst und feierlich auch der blutrote Vorhang vor dem Spiegel in schweren Falten herunter hing, faßte sie ihn dennoch in wilder Vergessenheit an, und riß ihn heftig vor dem magischen Glase zurück.

Und auf der geheimnisreichen Fläche wogte es, und dunkelte es, wie ein ungeheures Meer, wie ein Schaffen, das noch in den ersten Regungen begriffen sei, und nur unversehens, aller schonenden Hüllen beraubt, hervorgerissen werde an den Tag, davor es sich abscheulich entsetze, und sich ineinanderkräusle zu allerhand Ungestalten des Abgrunds. Bertha wollte es wieder mit dem Vorhang verhüllen, aber so, wie sie nur die zitternde Hand erhub, fing das Drehen und Wirbeln einen zwiefach grimmigen Kreislauf an, und sie blieb entsetzt, und festgebannt, und zweifelnd stehen. Endlich trat eine Menschengestalt in dem Spiegel hervor, aber sie war sehr bleich und sehr verzerrt von wildestem Zorn. Und wie sich es auch Bertha ableugnen wollte, sie mußte dennoch ihren Bruder Heerdegen darin erkennen. Über seinem Kopfe saß etwas mit zwei ungeheuern goldfarbigen Geierflügeln; sie wußte nicht, trug er einen Helm von so wunderlicher Gestaltung, oder war es ein Geier selbst, der ihn vielleicht mit seinem scharfen Schnabel so bleich gehauen hatte. Wie sie noch darüber nachsann, kam ein Frauenbild in dem Spiegelglase zum Vorschein, das war sehr blutig, und recht hinschauend, mußte Bertha mit ungeheuerm Entsetzen aufschreien: »Herr Gott, das bin ich ja selbst!« – Und gejagt von dem Bilde, gejagt von dem Klange ihres eignen Rufes, stürzte sie sträubenden Haares aus dem Gemach, in den Saal hinein, wo die Goldreifen hingen. Starr und regungslos hingen sie da, wie von unsichtbaren Banden gehalten, ohne den leisesten Ton, und Bertha hätte um alles jetzt das lauteste Schallen von ihnen begehrt, denn in dem nahen Gemache regte es sich wunderlich, als seien die Bilder aus dem Spiegel los, und übertäuben, überjubeln sollten die Reifen jenes schauerliche Geräusch, und die drückende Angst in der Jungfrau eignen Brust. Da dachte sie wohl daran, daß sie mit Lautenklängen oder mit Gesang erheischen solle, was sie von diesen Zaubereien verlange. Aber der Gesang war ihr wie eingefroren in Schreck und Bangen, die Laute lag fern jenseit des unheimlichen Spiegelgemachs. Ohne Wahl riß das Entsetzen Berthas Hand zu einem der nächsten Reifen hinan, und zu drehen begannen sich alle, und zu tönen, aber wie mit dem Tone des Sturmes und Donners, ein heisres Brüllen als von wilden Tieren zwischendurch; Schwertergezische klirrte hinein, und ein jämmerliches Wehklagen, wie von qualvoll sterbenden Sündern. Endlich kreisten die Reifen schneller und schneller, gräßlicher heulte der Lärmen, ein wüstes Lachen schmetterte hindurch, Berthas Haupt begann zu schmerzen und zu schwindeln, und da pochte es an die Tür vom Spiegelgemache her. Bertha meinte, sie werde sich nicht enthalten können, Wer da? zu rufen, und dann werde es ihr mit ihrer eignen Stimme antworten: »Ich selbst!« und sie werde dann sich selbsten hereintreten sehn, blutig und sehr verzerrt, durch die furchtbare Tür, und mit offenen Armen grinsend auf sich zu – im halben Wahnsinn stürzte sie aus den Gebäuden, und über den Burgplatz hin nach den Toren zu, pfeilschnell die Ufer des Weihers entlängst. Der zischte wie kochendes Wasser himmelan, und überhaupt sah alles verwildert und seltsamlich aus; unter anderm waren die mehrsten Blumen blutrot geworden, und schwankten wie ungeheure Flammen von den Zinnen herab, und schlugen auf die Flüchtige los. Wie stieg aber ihr Entsetzen, als sie sich dem Ausgange nahte, und ihr einfiel, daß sie die Schlüssel vergessen hatte. Sollte sie nun durch alle die wunderlichen Greuel wieder darnach zurück? Sie fühlte wohl, das ging nicht, denn sie wäre toll davon geworden. Und so rannte sie immer dem Tore zu, ängstlich nach ihrem Bruder rufend, ob sie gleich wußte, der könne ihr in diesen Mauern nicht helfen. Aber die Pforten standen auf, weit auf, obgleich sie sehr schwankten, und mit ungeheurer Schwere in jeglichem Augenblicke zusammenzuklappen drohten, zerschmetternd, was sich zwischen sie hineingewagt hätte. Dennoch faßte die Jungfrau einen Mut, und rannte gestreckten Laufes zwischen durch, und kaum war sie hinaus, da fielen die ehrnen Flügel mit betäubendem Gerassel hinter ihr zusammen, so daß sie im Entsetzen vor einem so nahen, kaum überstandenen Augenblicke des Zermalmens noch pfeilschneller den Hügel hinunterflog, unten aber in völlig ohnmächtiger Erschöpfung zu Boden sank. Sie hörte nur noch, daß von allen Seiten ein wildes Waffengetös sich erhub, und merkte, wenn sie bisweilen wieder zu sich kam, daß ihr Bruder sie in seinen Armen trug, und wie zu sich selber sagte: »Wir müssen machen, daß wir in den Kahn gelangen, und nach dem Eiland hinüber. Das Volk ist hier ganz toll worden vor dem Spuk auf der Burg.« – Dann flüsterte Bertha, ihrer vorigen Ahnungen gedenkend: »O nach dem Eiland; o ja, nach dem lieben Eiland hinüber!« schloß aber alsbald die ermatteten Augen wieder zu.


 << zurück weiter >>