Friedrich de la Motte Fouqué
Der Zauberring
Friedrich de la Motte Fouqué

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Zweiundzwanzigstes Kapitel

Es haben sich gar ernstliche Schlagbäume vor euer ungestümes Eilen geworfen«, sagte Hilldiridur im Weiterreiten zu den Rittern. »Todeswunde und Trennung ist ihr Name. Meint ihr nun nicht, daß ich gut tat, euch vor der gewaltsamen Heftigkeit zu warnen? Und wollt ihr dem wunderlichen Zuge noch immer mit so unaufhaltsamer Schnelle nach?« – Sie blieben eine Zeitlang nachdenklich still, bis Otto endlich erglühenden Antlitzes begann: »Aber Mutter, liebe Mutter, wenn es nun Bertha wäre? Die Ähnlichkeit, die Gleichheit, möcht' ich sagen, nur daß eine so feierliche Herrlichkeit diese Jungfrau umleuchtet, ist Euch doch gewißlich so gut aufs Herz gefallen, als mir.« – »Glaubst du denn nicht, daß mir die ganze Seele nach meinem lieben Pflegekinde brennt?« lächelte Hilldiridur. »Wer kann aber wissen, ob diese königliche Erscheinung auch wirklich Bertha ist! Und wenn sie es ist, ob sie aus den Strahlen einer solchen Verherrlichung hervor, noch dich zu kennen den Willen trägt!« – »Dann ist ihr Geleiter ein Zaubermeister und Verführer«, sprach Otto mit zurückgedrängtem, wehmütigem Zorn, »und ich will auf eine Art mit ihm sprechen, die ihm fast ebenso schlecht gefallen soll, als mir Berthas Entfremdung.« – Die Mutter sah ihren Sohn schweigend und kopfschüttelnd an. Dann sagte sie: »Wer gibt dir, Otto, wer eben dir das Recht, über Berthas Betragen so entscheidend abzusprechen? Wer dir das Recht, einem edlen Herrn zu drohen, den sich die fromme Verlaßne zum Beschützer erkoren hat? – Zudem, junger Herr von Trautwangen, Ihr reiset Euern Vasallen, den durch Eures Vaters Tod Verwaisten zu, und dürft Euch in kein fremdes Abenteuer einlassen, bevor Ihr diese getröstet haben werdet und erquickt.«

Eine heiße Schamröte lösete die des ungeduldigen Verlangens auf Ottos Wangen ab; er beugte sich ehrerbietig, und sagte: »Tut nach Eurer höheren und bessern Einsicht, Mutter; ich ergebe mich in alles. Auch sehe ich es nur allzuklar ein: wäre es Bertha gewesen, und hätte sie mich des Wiedererkennens zu würdigen geachtet, warum vorbeiziehen vor unserer Schar ohne Wort und Gruß? Sei es! Ich trage der eignen Torheit Schuld, und bin vielleicht nicht mehr wert, meine Augen nach der Himmelsbotin zu erheben.« – Hilldiridur klopfte ihm freundlich lächelnd die Schulter, und sprach: »O das Jünglingsherz! Das Jünglingsherz! Wie es auch bei einem versuchten Helden noch so sehr der Meereswoge gleicht! Im schäumenden Übermut nach den Sternen hinauf, Augenblicks nachher verschwimmend in die namenlosen Seetale hinunter. Nein, lieber Sohn, du mußt es auch nicht so gar ohne Stolz mit dir halten. Du bist ein herrlicher und recht frommer Ritter, der wohl jegliches Fräulein in der Welt mit holden Augen anschauen mag.« Dabei überleuchtete die Mutter selbst mit holden Augen wohlgefällig lächelnd die sittige Heldengestalt.

Während dieser Reden hatte sich in einem Erlengehölze zur Seite des Weges bisweilen etwas Leuchtendes wahrnehmen lassen, das beinahe wie Abendfunkeln durch die grünen Zweige anzusehen war, und auch von einigen dafür gehalten ward. Wie man aber recht hinsah, erkannte man wohl, daß es sich immerfort bewegte, und emsig mit der Reisegesellschaft Schritt hielt; ja eine offene Wiesenstelle des Gebüsches gab die Erscheinung als Fräulein Gerda kund, welche, von all ihrem goldnen Gelock umflossen, und wieder in weiblicher Tracht, auf einem Fußsteige eilig vor sich hinschritt. Sie war in diesem Augenblicke ganz nah an der großen Straße, und Archimbald, sein Roß gegen sie wendend, rief ihr zu: »Mache dich von hinnen, du lockendes Bild, oder bete das Kreuz an! Ich sag' es dir nun im guten zum letztenmal.« – Gerda stand, und ihre im schnellen, vornübergebeugten Gehen über die Stirn zusammengefallnen Locken wegstreichend, sahe sie den Grafen aus den großen, tiefblauen Augen halb trotzig, halb weinerlich an. – »Hier, auf dem Fußsteige werd' ich doch gehn können?« sagte sie im Tone eines unartigen Kindes, dessen schon innerlich erweichtes Herz doch alle Augenblicke bereit ist, in Tränen hervorzubrechen. »Was geht Euch denn mein Reisen an? Die Straßen sind breit, und nicht Euer Eigentum. Wollt Ihr mich aber erschlagen, weil ich Euch allzu widerwärtig bin, so macht nur fort, in aller Götter Namen! Denn das sag' ich Euch: begegnen werd' ich Euch noch oft auf Euern Wegen, und nichts soll mich daran verhindern, als der Tod.« – Damit zog sie ihre reichen Goldlocken wieder über das Gesicht zusammen, und hub bitterlich zu weinen an. – »Gott weiß«, sagte Archimbald tiefseufzend, »was noch daraus werden soll!« Er warf sein Roß wieder ungestüm herum, und ließ den Helmsturz klirrend vor sein Antlitz herunterfallen.

Hilldiridur aber wandte ihres Zelters leichte Tritte nach dem Mägdlein hin, und strich ihr den dichten Lockenschleier mit schmeichelnden Händen aus der Stirn. Aufleuchtete das holde Angesicht, wie ein Blumenbeet im Morgentaue, nach der tröstenden Erscheinung empor. – »Weine doch nicht, weine doch nicht so sehr, liebliches Mädchen«, sagte Hilldiridur. »Es gibt noch andre Wege zum Christ, als die der strenge Zelotes dich führen wollte, durch Grabgewölbe und über die Leichen aller gestorbnen Erdenfreuden hin. Siehe, ich bin es, die dir an den schwedischen Grenzmarken so hartnäckig Streit erbot im Namen des Christs, und deine Gaukeleien vereitelte. Weißt du wohl noch? Meine Warte und dein vielverschlungenes Höhlengewölbe? Wie das einander gegenüberstand, und Zauber wider Zauber von beiden Seiten feindlich rang?« – Das Fräulein sahe ganz verstört, und dennoch mit einem Hoffnungsschimmer auf dem verweinten Angesicht, in Hilldiridurs Augen. – »Nun weißt du doch«, fuhr diese fort, »daß ich es mit dem Christ redlich meine; dennoch gedenke ich einen mildern Pfad für dich ausfindig zu machen, als es der rauhe Kriegsmann Zelotes verstand. Der Christ läßt sich von jeglichem auf eigne Weise finden. Willst du mit uns reiten, und Hilldiridurs Schülerin sein?« – »O Himmel, aus wie frohem Herzen!« rief Gerda. »Jedoch der dort im silberblanken Harnisch, mit dem verhelmten Antlitze, leidet es ja nicht.« – In großer Eile hatte Graf Walbeck einen schönen Zelter aus denen, welche die Knechte an den Zäumen hielten, vorgesucht, führte ihn dem Fräulein entgegen, und bat um die Gunst, sie hinaufheben zu dürfen, welches sie mit anmutig lächelndem Kopfneigen geschehen ließ. Darauf schlug Archimbald sein Visier wieder in die Höhe, küßte ehrerbietig Hilldiridurs Hand, und sagte: »Ihr strahlet recht wie ein rettender Engel in unsrer Mitte, edle Frau.« – »Ach«, seufzte Hilldiridur demütig und wie von ernster Ahnung umfangene »es bedarf gewiß noch eines andern, reinern Engels, um unser aller Glück zu gründen.« –

Otto glaubte, den rettenden Engel bereits erblickt zu haben, und fragte allerwärts in Stadt und Dorf nach dem Zuge des vermeintlichen Priesters Johann. Eine Zeitlang traf er immer in die Spuren der ersehnten Herrin, aber bald erfuhr er, wie sie sich zusamt ihrer Gesellschaft von der Straße, die nach Burg Trautwangen führte, ab, und einem berühmten, ziemlich fern gelegnen Wallfahrtsorte zugewandt habe. Um vieles trauriger und in sich gekehrter ritt er von da an seines Weges.


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