Friedrich de la Motte Fouqué
Der Zauberring
Friedrich de la Motte Fouqué

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Sechzehntes Kapitel

Der Herbst schüttelte die Blätter in der nördlichen Gebirgsluft bald vollends von den Zweigen, der Winter streckte seine starrglänzenden Decken über Tal und Höhe, nur die finnischen Föhrenwälder strebten mit ihrem traurigen Grün keck und schauerlich aus den verödeten Schluften herauf, aber unsern Freunden war wohl in ihrem einsamen Winterlager. Mochten sie den bereiften Forst hintraben auf der Jagd nach den Tieren des Waldes, oder auf der ernstern gegen heidnische Räuberhaufen, die sich bisweilen durch die besetzten Pässe zu kämpfen und zu schleichen versuchten; mochten sie, müde von sieghaften Anstrengungen, in der warmen Blockhütte an dem niedrigen Herde einander gegenübersitzen, und sich aus vollen Hörnern Met zutrinken, über künftige Taten besprechend, und sich an vergangnen erlabend, – es war ihnen immer sehr freudig und hell zumut. Wohl fühlten sie, daß sie rechte Schilder seien für das edle Schwedenland, und für Arinbiörns heimisch liebes Norweg zugleich. Und zwischen den ernsten, oftmals den Schnee mit Blut besprützenden Tagen, zwischen den Abenden in stillbrüderlicher Traulichkeit verlebt, leuchteten die Stunden in Frau Minnetrostens Wohnung hell und farbig herauf, wie Blumen, die es verstünden, mitten unter Eis und Sturm in unversehrter Schönheit fortzulächeln. Auch Arinbiörn war zutraulich geworden, und wie zu Haus in der seltsamen Warte. Wundersame Geschichten, Lieder und Rätsel spielten mehrenteils auf den Lippen der frommen Drude, oder wenn sie auch bisweilen sehr still und nachdenklich war, so fiel es doch nie davon wie eine drückende Mittagshitze auf das Gemüt, sondern wiegte es vielmehr wie ein linde tauender, schweigender Abend ein. Nur das noch wünschten die Jünglinge: das Antlitz ihrer gütigen Pflegerin und Helferin ohne den verhüllenden grünen Schleier zu sehn. Denn so anmutig das Lächeln der großen braunen Augen daraus hervorleuchtete, und jede Regung des mütterlich ernsten und milden Gemütes verkündete, so blieben doch die übrigen Züge in einen undurchdringlichen Nebel gehüllt. Otto sprach einstmalen zu der gütigen Drude davon, aber sie sagte bloß auf eine sehr ruhige Weise: »O nein, daran ist noch gar nicht zu denken!« und ihr Liebling wagte es nicht fürder, den Mund deshalb gegen sie aufzutun.

Eines Abends spät saßen die beiden jungen Helden im freundlich ernsten Gespräch am runden Steintische bei Frau Minnetrost, als sie plötzlich still ward, mit auf den Mund gelegtem Finger auch die Ritter schweigen hieß, und wie auf einen geheimnisreichen Laut horchend, starr, hellfunkelnden Auges in die Höhe sah. Dann trat sie ans Fenster, schaute achtsam in die nächtliche Sternensaat hinaus, und rief plötzlich: »Zu Roß, ihr jungen Degen, zu Roß! Mit Sturmesschnelle nach euern Scharen hin. Die Heidenwaffen sind blank! Der Heidenzauber ist los! Haltet euch gut. Heut' ist die entscheidende Nacht!« – Die rüstigen Fechter hatten ihre Helme schon festgeschnallt, die Schwerter umgegürtet, die Wurfspeere gefaßt, und neigten sich, freudig abschiednehmend vor der Drude, die das heilige Zeichen des Kreuzes über sie hin beschrieb, und dann abermals sprach: »Zu Roß! Mit Sturmesschnelle zur Schar!« – Sie flogen in die Sättel, die Rosse flogen mit ihnen den steilen Bergpfad hinab.

Ein dumpfes, verworrenes Getöse rasselte auf ihrem Wege in den nächsten Bergschluchten neben ihnen fort; Feuerzeichen flammten hin und wieder von den schneeigen Gipfeln herab, über die finnischen Föhrenwälder heraus. Vor all diesen ungewöhnlichen Mahnungen fanden sie ihre Schar bereits munter, und bei den Rossen und Waffen. Als nun die beiden Führer sich zeigten, war alles voller Vertrauen und Kampflust. – »Aufgesessen!« rief Otto, und: »Leichtes Fußvolk vor!« rief Arinbiörn, und bald geordnet, trabte und rannte man durch die engen Täler vor sich hin, unter dem Schutze der jenseits aufgestellten Wachen, die, von dem jungen Kolbein befehligt, schon im heftigen Wechsel der Pfeil- und Lanzenwürfe mit den heulend anstürmenden Finnländern begriffen waren. Im Vorrücken flog es bisweilen, wie feurige Sternbilder, über die Häupter der antrabenden Normannakrieger hin. »Der Feind schießt mit flammenden Speeren!« sagten welche, andere aber entgegneten: »Es ist Hexenwerk. Gespenstische Luftschlangen jagen sie auf uns her.« – »Laß sein, was es wolle!« riefen Arinbiörn und Otto durch die Geschwader. »Wir sind auf gutem Weg. Hier Christus! Hier Vaterland!« – Der begeisternde Zuruf, der einzige, unter welchem Christenkrieger mit rechter Zuversicht und Freudigkeit siegen können, hallte im vielfachen Donner von vielen Lippen durch die Scharen nach, und plötzlich brach man aus mehrern Schluften gegen die gräßlichen Widersacher vor.

Auf einer kleinen, düsterumschatteten Ebne ward gefochten; die Scharen drängten sich, man konnte Feind und Freund im mächtigen Wolkendunkel kaum unterscheiden. Aber jenes flammende Leuchten flog wieder bisweilen über die Geschwader hin, und ließ die Christen im ungewissen Schimmer wahrnehmen, daß zwischen den vordersten Heidenrotten entsetzliche Gestalten mitfochten, nicht so wohl durch Schwerthieb oder Lanzenstoß gefährlich dem Leib, als durch abscheuliches Aussehen verwirrend die Seele. Und fern aus den Tälern ragten noch häßlichere Bilder hoch über die Rotten hervor; man wußte nicht, waren es Zauberstandarten, oder waren es riesige Teufel. Dem ohngeachtet drangen die Christen mit freudigem Kampfmut vor, schrien zu ihrem lieben Herrn im Himmel hinauf, und jagten das wilde Gesindel, mochten Hexen und Kobolde, mochten fratzenhafte Untiere drunter sein, geschwungnen Schwertes in die Täler zurück. Arinbiörn und Otto gedachten vor dem Verfolgen die Reihen wieder zu ordnen, Haufen von Reitern und Fußknechten auf der kleinen Ebne zum Nachhalte stehn zu lassen, und was der verständigen Führergedanken mehr waren; aber davon kam in diesem wilden Taumel nichts mehr zur Sprache. Seitdem die Finnländer flohen, schlug die schwarze Nacht ihren Mantel ganz lichtleer über das Gebirge hin, kein Luftmeteor schoß fürder seine Strahlen herunter. Ottos Adlerhelm, Arinbiörns Goldwaffen, alles verschwand im wüsten Gedränge, ja selbst ihr mächtiger Heerruf, ihr gewaltiges Hörnergetön ward überstimmt vom Geheule des flüchtenden Feinds, vom Geheul des wachsenden Sturms, von der Normannakrieger zaumlosem Jubeln. Wollten die beiden Hauptleute nicht unter die Hufen ihrer eignen Geschwader geworfen sein, so mußten sie mit verhängten Zügeln blind in die spurlose Nacht voran.

Es dauerte nicht lange, so trieb sie ihr stürmisches Jagen in einen tiefen weiten Bergkessel, wie sie es abnehmen konnten aus dem verhallend zurückbrausenden Widerhall, aus dem Zusammenströmen der verfolgenden Scharen, von vielen verschiedenen Seiten her sich einander kundgebend, im Feldgeschrei und Rossegewieher. Sie dachten, hier soll noch ein weit besseres Fechten für sie beginnen, aber da flogen die Luftgeschosse wieder flammend durch die Nacht, da nickten kauernd und grinsend bei derem Lichte Greuelgestalten aus allen Ritzen der Felsen, es war, als seie die ganze Gegend ein ungeheures heidnisches Götzenhaus geworden, mit gräßlichen Sprüchen gefeit, so daß für die fremden Opfer an ein Fechten gar nicht mehr zu denken sei, an das Verbluten ganz allein. Die edelscheuen Rosse, wie kühn sie auch ihre Brust den schönern Gefahren entgegenzuwerfen gewohnt waren, schnaubten hier wild vor häßlichen Klängen und Gestalten, warfen sich, selbst Ottos Lichtbrauner nicht ausgenommen, ohne Zaum und Schenkel zu achten, herum, und rissen ihre tapfern, zürnenden Reiter mit sich fort in ungezähmte, ungeordnete Flucht. Da heulten die Finnlandskrieger höhnend hintendrein, da schwirrten deren blitzesschnelle Geschosse nach, manch edlen Reitermann in Todesnacht aus dem Sattel reißend, da erlagen viel wackre normännische Fußknechte, vom Beistand ihrer Roßgeschwader verlassen, dem Grimme des siegenden Heidenvolks. Erst spät, in einem engen Tale, gelang es den beiden Hauptleuten, ihre eignen rasenden Rosse zu bändigen, und eine Schar ihrer Getreuen um sich her zum Stehen zu bringen.

Da blitzte es auf einem Schneeberge vor ihnen auf, wie ein drehendes Feuerrad, und mitten drinne ward die Zauberjungfrau sichtbar, in furchtbarer Schöne, fliegend ihre langen, goldnen Locken, dräuend in der gehobnen Rechten ein blitzendes Schwert, aus der Linken emporwehend ein grünender Zweig, der eiskalten Jahreszeit zum Hohn. – »Kennt ihr mich nun?« rief sie zu den Rittern hinunter. »Gerda bin ich, die verschmähte, vertriebene Gerda. Nun ist euer Leben in meiner Hand. Wenn ihr noch zögert, euch zu versöhnen mit mir, da laß ich meine Feuerschlangen auf euch los, und ihr und eure Rosse zerstört euch einander voll entsetzlicher Tollheit in diesem engen Tal. Morgen geht alsdann die Sonne über euch auf, wie über einen Scheiterhaufen von Blut und Gebein, und spiegelt sich in dem gefrornen Rote, das aus euern Herzadern quoll. Oder möchtet ihr fliehen vor mir? Da seht, linkshin ist ein Ausweg.«

Sie wandten unwillkürlich die Augen dahin, und erblickten eine unermeßliche Eisfläche über einen Landsee hingestreckt, davon die Lichter des Feuerrades in langen, glatten Strahlen zurücke flammten. Gerda lachte. »Wollt ihr da drüber sprengen?« fragte sie höhnisch. »Wenn ihr samt euern Rossen erst toll sein werdet, sollt ihr mir gut drauf umhergleiten, und in gräßlicher Zerschmetterung auf die starre Kälte des Eises niederschlagen.« – Arinbiörn und Otto setzten wie auf Verabredung ihre Hörner an die Lippen, und wollten zum Angriff blasen, entschlossen, so lange ehrlich zu fechten, als sie der Sinne, der Faust und des Rosses mächtig blieben. Da sagte Gerda: »Noch halt! Ich laß euch andere Wahl. Sieg und Freude und Ehre sei mit euch, aber verbindet euch mir. Erschrecket nicht. Ihr sollt euerm Christus nicht entsagen dürfen, es soll ein guter Friede mit dem Lande geschlossen werden, für das ihr kämpft, und wir durchziehn alsdann, hochfröhliche Abenteurer, miteinander den Erdenrund. Wollt ihr?« – Sie sahe höchst anmutig dazu in das Tal herab, und plötzlich war der junge Kolbein vom Rosse, klomm den schneeigen Hang empor, und rief immerfort: »O deine Drohungen schrecken mich nicht, aber deine Verheißungen umstricken mich fest, du herrliches Bild. Ich will dein Abenteurer sein; dein Abenteurer will ich sein bis an der Welt Ende.« – Der Seekönig und Otto schalten ihm nach und streckten brüderlich bittend die Arme nach ihm aus, aber Gerda hielt ihm die wunderschöne Linke mit dem magisch grünenden Zweige entgegen, und wie durch Magnetenkraft angezogen, stand der Jüngling plötzlich helleuchtend oben neben der Jungfrau im funkelnden Kreise, und winkte seine Gefährten, vergnüglich lächelnd, zu sich herauf.

Arinbiörn und Otto sahen sich eine Weile ernsthaft, beinah wehmütig, ins Auge. – »Es geht früher mit uns zu Ende, als ich gedacht hätte«, fing endlich der Seekönig an. – »Ja wohl«, entgegnete Otto, »und ich leugne dir's nicht, ich hätte gern noch ein wenig länger auf dieser Erden gefochten und gesiegt.« – »Das hätt' ich auch von Herzen gern«; erwiderte der Seekönig. – »Da es doch aber nun an dem ist«, sagte der Ritter von Trautwangen, »und die Hexe vermutlich bald unsre Sinne verstören wird, so laß uns brüderlich Abschied nehmen, und einander im voraus alles verzeihen, was wir uns etwa wahnsinnigerweise zuleid tun könnten.« – Darauf küßten sie einander herzlich, und nachdem sie zu ihrer Schar gesagt hatten: »Kinder, sterbt ehrlich, und haltet Christum im Herzen!« riefen sie gegen Gerda hinauf: »Fangt nur an, wenn es Euch so gefällt. Wir blasen unser ehrliches Heerhorn.«

Und mit der Hörner ersten Tönen goß sich ein mildes Leuchten von rückwärts über sie her. Sie blickten staunend um; da war es nur der Vollmond gewesen, der eben hell und freundlich über die Berge hervorzuwandeln begann. Aber in seinen Strahlen stand auf einer nahen Höhe betend und dankend Frau Minnetrostens holde Gestalt; die rief zu den Rittern herab: »Ihr habt die Versuchung mit Gottes Hülfe bestanden. In seinem heiligen Namen drauf!«

Gerdas schwindliges Feuerrad war versprüht. Im Mondeslichte, das klar und ernst auf den hellweißen Bergwarten lag, brachen die Normannakrieger siegreich in ihren Feind. Zügellos flüchtend strömten die schwarzen finnischen Horden über die blinkenden Schneegegenden hinaus.


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