Friedrich de la Motte Fouqué
Der Zauberring
Friedrich de la Motte Fouqué

 << zurück weiter >> 

Anzeige. Gutenberg Edition 16. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++

Fünfundzwanzigstes Kapitel

Von dieser Zeit an kamen alle drei Ritter fast jeden Abend auf Hilldiridurs Warte. Die Heiden hielten sich still. Otto konnte nichts von seinem Halbbruder Ottur, nach welchem er sich nun mit unendlicher Innigkeit sehnte, Arinbiörn nichts von seinem Vetter Kolbein vernehmen. Sie hätten oft beinahe gewünscht, Gerdas Zauber möge zu neuen Entscheidungskämpfen erwachen, bloß, um dabei die teuern, verirrten Helden zu Gesichte zu bekommen; aber es schien, alle Glut des Hasses wie der Liebe sei auf der finnischen Grenzmark erloschen. Dagegen flammte das Licht der christlichen Lehre in Swerkers Gemüt hell auf. Er hing mit inniger Achtsamkeit an seines ritterlichen Meisters Lippen, und nach dem ernsten Ringen weniger Tage bekannte er sich feierlich zu dem Glauben, der als der einzig klare Weg zu Leben und Seligkeit, diesseits und jenseits, in seine treue Seele leuchtete. Die Ritter trösteten einander damit über Otturs und Kolbeins Verlust, erfreut, doch mindestens einen, und zwar ein recht heldenkräftiges Herz, für des Herren Lehre gewonnen zu haben.

Aber vor der äußern Ruhe schossen in Ottos Sinne die Schmerzen der verlornen Liebe wieder heiß und heißer empor. In diesem tiefen Weh, das er seinen Genossen, ja selbsten seiner Mutter, zu verbergen strebte, zündete sich ein wehmütiger Ingrimm über das wechselseitige Mißgeschick seiner Eltern an, über die lange Entbehrung der Mutterliebe, die gleich einer Sonnenverfinsterung ob seinem ganzen frühern Leben kalt ausgestreckt lag, über alle das Leid, das er seither erlitten, und von dem er wohl nicht ganz mit Unrecht glaubte, unter einer holden Mutter Leitung sei er davor gesichert geblieben. Er ritt jetzt oftmalen weit in die wilde Waldung hinein, bis über die finnische Grenzscheide fort; teils um seinen Halbbruder auf jegliche Gefahr hin aufzusuchen, teils die grilligen Schmerzen, die ihn bedrängten, von sich abzuschütteln, so daß er bisweilen erst spät in Hilldiridurs mondighelles Gemach trat, wenn Arinbiörn und Heerdegen schon längst ihre Plätze an dem runden Steintische eingenommen hatten.

Eines Abends traf es sich auf eben diese Weise. Der rasche Ritt hatte die Funken des Unmutes in Ottos Gemüte nur lodernder angefacht, und während er die Wendeltreppe einsam hinanstieg, einsam durch die gewölbten Gänge hinschritt, und endlich in das Gemach kam, wo der Spiegel, vom blutroten Tuche verhangen, in die Wand eingefugt war, kam es ihm ganz notwendig vor, er müsse das verzauberte Glas, den Ursacher alle des vielen Elendes und Kummers, mit rüstiger Faust noch diesen Abend zerstören. – »Heraus, Gesell!« sprach er zu seinem Schwerte. »Du hast noch gut zu machen, aus dem Forste her, wo du mein holdes Mütterlein bedrohen durftest. Reinige dich nun in der Rache an diesem verderblichen Gerät.« – Und im Augenblicke auch funkelte das gute Schwert, Ottur geheißen, in des Jünglings Rechter, flog klirrend gegen den umhüllenden Purpurvorhang, und nach einigen schmetternden Hieben blitzte der Boden rings umher von des magischen Spiegels Trümmern.

Wie ein heftiger Donnerschlag rollte es über die Warte hin; ihre Grundvesten schwankten, dumpfes Geheul stieg aus den unterirdischen Kellern herauf, ängstliches Gewinsel von den Gewölben des Daches hernieder. Hilldiridur, Arinbiörn und Heerdegen traten bleich und verstört in das Gemach.

Da stand Otto starr in dessen Mitte, sein Haar sträubte sich, mit einem seltsamen Lächeln sah er auf die Trümmer des Spiegels umher. – »Daß ich den zerschlagen habe«, sagte er zu seiner Mutter, auf die Stelle deutend, wo nun der zerfetzte Vorhang vor der leeren Mauerblende im Zugwinde schwankte, »das ist fürwahr nur das wenigste. Er hat es nicht besser verdient. Aber daß wahrscheinlich Berthas Bild soeben auf seiner verhüllten Oberfläche spielte, daß es mich jetzt aus allen diesen Scherben, so viel ihrer sind, in hundertfacher Vervielfältigung wehmütig klagend anlacht, – das ist das Schlimme bei der Sache. Um Gott, Mutter, es ist mir doch nicht etwa wie dem starken Hugur ergangen? Ich habe doch nicht erschlagen mein treues Lieb? Mit diesem selben Schwerte hat er ohnehin Schön-Astrid getötet. Mutter, Mutter, nicht wahr?«

Die Stimmen heulten wilder, unsichtbare Fittiche strichen durch das Gemach, Hilldiridur barg ihr Antlitz in das grüne Schleiergewand. »Reißt euern Freund aus diesen verstörten Hallen«, rief sie dem Seekönig und Heerdegen zu. »Faßt ihr ihn nicht schnell, so faßt ihn der Wahnsinn fest.« – Die Ritter taten, wie ihnen geboten war. Sie führten, rissen, trugen den taumelnden Otto die Hallen hindurch, die Steigen hinab, die Felshöhe hinunter; Hilldiridur war immer mit. Vom Turme donnerte und heulte es entsetzlich, die Rosse der drei Kriegsleute setzten schnaubend neben den Flüchtenden her.

Ein kleines Wiesental, von dunkeln Erlen und Haselgesträuchen umbüscht, friedlich schlafend im Scheine des Mondes und Taues, nahm sie in seine stille Umhegung auf. Sie hielten an, und sammelten ihre verstörten Sinne, die Rosse begannen zu weiden im hohen, duftigen Gras und Klee, fernher nur, und vom feuchten Nachthauche verweht, rollte das Getos von der Warte zu ihnen herüber.

In voller, ungehemmter Mondesschönheit schlug Hilldiridur sanft ihre grünen Schleier vom Antlitze wieder zurück, und sprach, die Ritter selig anlächelnd: »Wir sind einer großen Gefahr entronnen. Preist im stillen Gebete Gott den Herrn dafür.« – Da ließen sich alle auf den grünen Rasenteppich kniend nieder – auch Otto, der ganz still und besonnen geworden war, – und beteten in tiefer Inbrunst schweigend vor sich hin. Als sie sich wieder in die Höhe gerichtet hatten, wandte sich Hilldiridur gegen Otto mit ernster Freundlichkeit, und sagte: »Soll ich dir danken, soll ich dich schelten, daß du alle meine Zauber zerstört hast, und mich mit den furchtbaren Mächten entzweit, die bisher noch als grimme, nur kaum gebändigte Helfer in mein Leben hereinsahen? – Ich danke dir, holder Otto«, fuhr sie nach einigem Stillschweigen fort, sich an ihres Lieblings Brust schmiegend, und die Arme um seinen Nacken schlingend. »Du hast es gut gemacht, und hast du nun auch eine minder mächtige Mutter, so darf sie dafür desto ausschließlicher deine Mutter sein. Mit dem Zaubern ist es für mich vorbei; ich müßte denn mit einer unendlichen Anstrengung wieder da hinaufklimmen, wo ich vor etwa noch einer halben Stunde ganz herrschend und ruhig stand; und dazu fühl' ich in mir weder die Lust noch die Kraft.« – Otto küßte seiner Mutter mit erhöhtem, zuversichtlicherem Vertrauen Stirn und Hand, Heerdegen nannte sie seine holde Muhme, und trat in ungestörter Herrlichkeit dicht neben sie, aber Arinbiörn stand tief sinnend da, und sagte endlich: »Wer soll denn nun die Zauberwaffen gegen Gerda führen und gegen ihr Gelichter? Mit den Klingen ihrer Freunde fechten wir's leichtlich aus, aber auch mit den sinnverwirrenden Gaukeleien ihrer Gespenster?« – »Seid unbesorgt«, entgegnete Hilldiridur, sich aus ihres Sohnes Armen emporrichtend. »So viel noch des Wissens habe ich aus dem Zauberturme mit fortgenommen, daß ich euch verkünden kann, wie Finnland sich friedlich unterworfen hat, und Gerda samt Ottur und Kolbein im wilden Grimme darüber zur See gegangen sind, willens, als Christenfeinde durch alle Christenlande zu ziehen. Ihr werdet die Friedensbotschaft bereits in euerm Lager finden, und dann steht es euch frei, entweder mit meinem Sohne und mir nach Burg Trautwangen zu reisen, wohin ich eine unaussprechliche Sehnsucht empfinde, oder sonsten andre Ritterfahrten durch die Welt zu tun. Für jetzt aber laßt uns machen, daß wir weiter von der Warte fortkommen. Ihre erzürnten Gespenster strecken schon glührote Zungen aus allen Maueröffnungen hervor.« – Otto nahm seine Mutter hinter sich auf das Pferd, und der Lichtbraune wieherte freudig unter der holden Last, und trabte sanfter und sorgsamer durch die Täler hin, als man es sonst von ihm gewohnt war. Schon fast eine Stunde von der Warte entfernt, verkündete ihnen ein furchtbarer Donnerschlag und ein schwefelgelb aufsteigender Dampf die gänzliche Zerstörung des Zaubergebäus.

Nahe am Lager kam ihnen Swerker mit der Friedensnachricht entgegen, und nach einer kurzen Ruhe zog die gesamte jubelnde Schar, Liebes- und Heldenlieder singend, das Gebirgsland im Strahl der aufgehenden Morgensonne nach den Ebnen hinab. Otto, einen schönen Zelter, den er seiner Mutter ausgesucht, sorglich am Zügel führend, ritt mit ihr voran, Montfaucons Edelfalken auf der Faust, Arinbiörn und Heerdegen zu beiden Seiten neben ihnen. – »Vorderhand bleiben wir ja noch eine ganze Weile zusammen!« sagte der Seekönig, als sich ein Gespräch über die künftigen Bahnen der Genossenschaft erhub, und Heerdegen setzte hinzu: »Jawohl! Ich mindestens gedenke durch Deutschland und Frankreich zu ziehn, um meine Schwester von dorten abzuholen.« – Ein helles Rot flog über Ottos Angesicht, und er sagte leise: »Ich möchte dich bitten, sie von mir zu grüßen, aber ich bin es nicht wert.« – Da gab ihm Heerdegen schweigend, doch freundlich die Hand, und Hilldiridur streichelte ihres Sohnes erglühende Wange. Der Morgenstrahl aber leuchtete so frisch und duftig darein, daß es durch aller Herzen flog, wie die Ahnung einer eben auftauchenden, freudigen Zukunft.


 << zurück weiter >>