Friedrich de la Motte Fouqué
Der Zauberring
Friedrich de la Motte Fouqué

 << zurück weiter >> 

Anzeige. Gutenberg Edition 16. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++

Eilftes Kapitel

Die drei Frauen gingen einige Wochen darnach am Strande lustwandeln, sich der Kühle des Abends und des Meeres erfreuend, und einander mit Gesprächen ergötzend, wie das ungezwungenste Vertrauen und die anmutigste Einsamkeit sie über die blühenden Lippen hervorlockte. – »Dein Bruder hat doch nicht gut getan, Blancheflour«, sagte Bertha unter anderm, »uns den Mohrenfürsten so allein in der Burg zu lassen, und vollends, da der wunderliche Fremdling immer versichert, sein Ehrenwort binde ihn von nun an durchaus nicht mehr. Ich weiß, es soll Scherz sein, aber mir graut es gewaltig vor ihm.« – »Da haben wir schon wieder die ernsthafte Deutsche«, lächelte Gabriele. »So streng und so scheu! Es gibt wenig Männer, das mußt du doch gestehn, die den edlen Muza überwiegen an feiner Sitte, fürstlichem Anstand und höflich witzigem Gespräch. Zudem habe ich selten einen so schönen Menschen gesehn, und ein leuchtendes Bild in unsern Hallen mehr, ist keine verwerfliche Zier des Schlosses.« – »Schön?« wiederholte Bertha langsam und nachsinnend. – »Findet ihr das beide? Wenn ich mir's recht überlege, kann ich euch nicht ganz unrecht geben; aber es wäre mir von selber wohl nicht eingefallen. Seht, er ist freilich groß, schlank, von schönen Augen, gewölbter Stirn, königlichem Gange; wenn er die Toca mit flatterndem, losgewundnem Turban tanzt, ist es zierlich anzuschauen, und fast wie ein sichtbar gewordenes Märchen; aber wenn er den Mund voll weißer, langer, schneidender Zähne auftut, wird mir zumut, als hätt' ich einen gezähmten Tiger neben mir, der in jedem Augenblick, der alten Wildheit wieder heimfallend, verderblich losbrechen könne. Der Tiger soll freilich auch ein schönes Geschöpf sein, behaupten die Leute, aber ich wüßte nun einmal keine Lust dran zu finden.«

»Und was sagt meine holde Blancheflour dazu?« fragte Gabriele. Die zarte Gestalt fuhr aus einem träumerischen Sinnen in die Höhe, sprechend: »Ich weiß fürwahr nicht, wer es ist; aber das anmutige Klingen hör' ich eben jetzt wieder von der Seeklippe herüber.« – Die beiden andern Frauen lächelten über Blancheflours Zerstreuung, wurden aber am Sprechen durch ein leises, liebliches Getön verhindert, welches in der Tat von der angezeigten Gegend über die Wellen herangeschlichen kam, und ungefähr in folgenden Worten vernehmlich ward:

    »O Flügel mir, um zu ihr hinzuschweben
Im Abendschein,
Ringsher ein Netz aus Traumesgold zu weben,
Mein Bildnis drein!

    Weh, armes Bild, du darfst es nimmer wagen;
Verdämmre nur,
Und höchstens leb' in leisen Liedesklagen
Auf dieser Flur!«

Der Gesang verhallte, und Blancheflour sagte, die hellen Tränen in den Augen: »So hör' ich ihn oftmals singen; selbst noch, wenn das Mondlicht vom Himmel sieht, schwingt er seine süßen Töne durch meines Fensters Blumengitter herein. Glaubt ihr denn auch, Schwestern, daß es Meister Aleard ist?«

Sie hatten keine Zeit, zu antworten, denn zwischen einigen Bäumen vor ihnen wurden unterschiedliche seltsam gestaltete, starkbärtige Männer sichtbar, die plötzlich stehn blieben, heftig aufeinander einredeten, und mit Blick und Gebärde nach den schönen Frauen herüber wiesen. Diese wollten erschreckt umwenden, da zeigten sich hinter ihnen über den Rand eines Hügels hervor eben so furchtbare Gestalten, während einige davon im pfeilschnellen Lauf um beide Seiten heruntergeschossen kamen, und so in Verbindung mit denen unter den Bäumen einen Kreis um die drei überraschten Fräulein herzogen. Dann neigten sie sich alle zusammen mit auf die Brust gekreuzten Händen ehrerbietig, fast mit den Häuptern bis gegen die Erde, wodurch sie aber ein noch greulicheres Ansehen gewannen.

Aus ihren Reihen heraus trat Muza vor die erstaunten Jungfrauen hin, prächtiger geschmückt, als je, ganz von Gold und Farben und Juwelen leuchtend; zwei fast ebenso glänzende Jünglinge in arabischer Tracht hinter ihm. – »Scheltet nicht«, sagte er, sich anmutig vor Gabrielen neigend, »wenn ich Euch sage, daß ich von hinnen ziehe, und erzittert nicht, wenn Ihr vernehmt, daß Ihr mit mir müßt. Ich führe Euch in ein Leben voll Freude und Herrlichkeit ein, und habe zu meiner Hülfe diese zwei jungen Ritter herbeschieden, nicht minder fürstlichen Stammes, als ich, ihnen verheißend, daß sie hier schönere Frauenblumen fänden, als in Mahomas Paradies. – Und habe ich Wort gehalten?« fragte er seine Gefährten, und einer kniete vor der an Gabrielens Arme halb ohnmächtig schwankenden Blancheflour, der andre vor Bertha, die ihm verachtend den Rücken kehrte, und ein kleines Gemäuer hinaufschritt, drauf ein steinernes uraltes Kruzifix stand. Dessen Stamm umfaßte sie mit dem linken Arm, winkte mit dem rechten den jungen Araber abwärts, und sah gedankenvoll in den blauen Himmel hinauf.

Indessen hatte Gabriele Besinnung und Odem wieder gefunden, und schalt mit dreisten Worten Muzas Verletzung des Gastrechts und seines eignen Ehrenwortes. – »Von meinem Worte hab' ich mich offen zu zweien Malen gegen den Montfaucon los und ledig erklärt«, rief Muza aus, »und wenn Eure himmlische Schönheit wie die blendende Sonne durch meine Sinne leuchtet, alles zu bunten Regenbogenfarben verwirrend, wer darf nach Gründen und Rechenschaft fragen, um alles, was ich armer Geblendeter beginne!« – Und damit faßte er Gabrielen in seine Arme, und trug die Hülferufende liebkosend und beruhigend in ein leichtes Fahrzeug, welches während dem an das Ufer gerudert war. Blancheflour sank darüber vollends in die Schleier der Ohnmacht zurück, der junge Araber fing sie auf, und trug sie seinem Führer nach, aber als der andere Mohrenritter näher und dreister gegen Bertha heranschritt, rief diese mit lauter, begeisterter Stimme: »Ich nehme Gott und Menschen und Himmel und Erde zu Zeugen, daß hier eine bodenlos verruchte Gewalttat geschieht. Ob ein Wunder beginnen wird, sie zu rächen und zu hindern, weiß ich nicht, aber hütet euch, ihr Buben, es kann wahrlich geschehn. Und das sag' ich euch, denn ich fühl' es klar und sicher, wie mein eigenstes Leben, wer mich mit fortreißt auf das Raubschiff, reißt sich den Tod auf den Scheitel herab.« –

Der Mohrenritter prallte entsetzt vor der zürnenden Jungfrau zurück, wie sie in allen Glorien der Abendlichter vom Kreuzesstamme zu ihm hinunterschalt. Seine Kriegsleute zogen sich in stiller Scheu nach dem Strande abwärts, und als Bertha dem Zweifelnden noch einmal mit der Hand ernst bedräuend fortwinkte, schrie er auf: »Es ist ein Gespenst in ihr!« und flüchtete sich taumelnd in das Boot, welches gleich darauf vom Lande stieß.

Noch hatte die Jungfrau ihren ernsten Stand nicht wieder verlassen, als schon ein bleicher Jüngling im Sängermantel, wie auf Flügeln, das Ufer entlängst nach ihr hingelaufen kam. – »Um Gott!« rief er, »haben die Mohren Blancheflour geraubt?« – Und kaum war das Ja! über Berthas Lippen, so sprach er mit windschnellen Worten: »Sendet ihrem Bruder alsbald einen Boten. Ich muß ihr auf irgend eine Weise nach.« Und von neuem begann er den Strand mehr hinunterzufliegen, als zu laufen; erst, als er schon ihren Augen entschwunden war, besann sich Bertha, daß Meister Aleard zu ihr gesprochen hatte.


 << zurück weiter >>