Friedrich de la Motte Fouqué
Der Zauberring
Friedrich de la Motte Fouqué

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Einundzwanzigstes Kapitel

Ein lautes Waffenklingen vom Stein herunter, auf welchem Archimbald von Walbeck stand, drang durch des Aufbruches Geräusch. Emporblickend sahen alle den Grafen im unversehenen Kampfe mit einem hochschlanken Fechter, sahen ihn fast im selben Augenblick vor der überraschenden Gewalt, mit welcher der Fremde ihm seinen ungeheuern Schildrand gegen Brust und Stirn drängte, niedertaumeln, und nun des Siegenden Streitaxt über den Gefällten hin hoch und erbarmungslos durch die Luft wirbeln. Kaum noch wußte man, ob es nicht ein Blendwerk seie, viel minder, wie man den hohen Stein zur Rettung des Grafen schnell genug hinanklimmen solle. Da war schon Swerker mit echt nordländischer Gewandtheit die Klippe hinauf, hielt mit seiner Klinge, schnell sie dazwischen schwenkend, den Streich des Siegers ab, daß Klinge und Streitaxt im selben Augenblicke zerstückt auseinanderflogen, und faßte alsdann im kräftigen Ringen des Fremden Leib. Noch ehe sich der Graf emporrichten konnte, waren die beiden Kämpfer ausgeglitten in ihrem Ungestüm, und rollten nun, sich unauflöslich umfaßt haltend, vom Steine herab. Unten – war es überwiegende Gewandtheit, war es nach dem raschen Falle bloßes Glück – kam der Fremde über Swerker zu liegen, und zuckte, in einem löwenartigen Ingrimm, sich von seiner Beute gerissen zu sehen, den Dolch, seines Gegners Harnischfugen zwischen Halsberge und Küris suchend. Aber auch Swerker hatte alsbald die gleiche verderbliche Wehr von seiner Seite gerissen, und nun blitzten die kleinen, leuchtenden Messer wie dräuende Schlangen in den nervigen Fäusten umeinander her. Plötzlich stöhnte der Fremde tief auf, seine Arme erschlafften, und während sich Swerker unter ihm kräftig in die Höhe riß, taumelte jener heißblutend, sich auf die Hände stützend, hin und her, bis er endlich langgestreckt in den rotgefärbten Gräsern liegen blieb.

Die Ritter umstanden ihn, seinen geschloßnem Helm aufschnallend, und die neben ihm kniende Hilldiridur sagte, so wie vor der gelöseten Halsberge die gräßliche Wunde offenbar ward, mit einem mitleidigen Seufzer: »Er ist zum Tode getroffen. Kein Heilkraut und kein Spruch mehr kann ihn retten.« – »Das glaub' ich gern, wahrhaftig recht gern«, röchelte der Blutende, indem ein mildes Lächeln auf seinen schon blau werdenden Lippen zuckte, und Otto und Arinbiörn in ihm den einst so frisch blühenden Kolbein erkannten.

Eine allgemeine Trauer legte sich über den Kreis, welcher den gefallnen Heldenjüngling umschloß, und Archimbald sagte, die Hand an den Wimpern: »Das ist ein rechter Jammer, du schönes, junges Ritterblut, daß du um meinetwillen so früh in den Tod gehen mußt. Aber was hätt' ich dir auch getan, daß du mich so mordlustig und so unverwarnter Sachen auf dem Steine anfielst?« – »Du hattest mir fast mehr genommen, als mein ganzes Lebensglück«, sagte Kolbein schmerzlich lächelnd, »und ich wollte dir weiter nichts nehmen, als das Leben allein. Ohne Gerda konnte ich nun einmal nicht leben. Weißt du noch, Vetter« – fuhr er, gegen den Seekönig gewandt fort – »wie du mir einmal mein Schifflein mit den griechischen Flammenbolzen anzündetest? So hat es Gerdas Schönheit mit meinem ganzen Leben gemacht. O ihr glaubt es gar nicht, wie dergleichen einem armen Schifflein wehe tut.« – Arinbiörn konnte es nicht lassen, über die so früh welkende Blume seines Heldenstammes bittre Tränen zu vergießen. Hilldiridur, noch immer neben dem Sterbenden kniend, sagte ihm, wie mit Nachtigallentönen, ins Ohr: »Denk' an Gott, denk' an den liebenden Gott. Auch den, der spät kommt, nimmt er in frommen Hulden auf.« – »Das fühl ich wohl«, sagte Kolbein mit immer seligerm Lächeln. »Wer viel geliebt hat, dem soll viel verziehen werden, und Gott ist die Liebessonne, und wird befreiend klar, durch alle abgöttischen Nebelwolken herdurch.« – »Ach Vetter«, seufzte Arinbiörn, »wie warest du nur im Leben so verstockt, und nun wacht dir ein solches Himmelslicht auf? Kannst du denn nicht den Tod noch von dir halten, und eine Zeitlang also leuchtend bei uns bleiben.« – »Ei nicht doch«, lächelte der Jüngling. »Leuchtete denn das Schifflein nicht am schönsten, ebenda es im Verbrennen war?« – Und mit den Worten zuckte es wie ein flüchtiger Strahl aus seinen Augen, die sich gleich darauf schlossen. Er lag, eine schöne, friedliche Leiche, auf dem blühenden Wiesengrund.

Als man sich eine Weile darauf, wie nach mitgeweinten Tränen und nach anderm Troste fragend, untereinander ansahe, stand noch ein Mann in weißen Kleidern unter ihnen. Das war der Kapellan der Hügelkirche. Sie empfahlen ihm den Toten zum christlichen Begräbnis, und erzählten von seinen letzten, erbaulichen Äußerungen. »Ich glaube euch sehr gern«, sagte der Geistliche. »Der himmlische Frieden auf diesem erblichenen Angesicht ist eures Wortes ein unverwerflicher Zeuge für den, der sich auf die Sache versteht. Reiset ihr in Gottes Namen fürder. Der Tote bleibt in Gottes und in seines Dieners Behütung zurück, und ihr kommt nimmer so weit von ihm ab, als es euch wohl künftig, wenn ihr wieder recht in die Welt hinein seid, erscheinen mag. Denkt mir hübsch daran.«

Er segnete sie ernstlächelnd mit dem Zeichen des heiligen Kreuzes, und sie gingen still nach den Rossen. Da konnte es dennoch Otto nicht lassen, sich wieder nach ihm zurückzuwenden, und zu sprechen: »Frommer Mann, denkt nicht Arges von mir, wenn ich Euch in dieser ernsten Stunde eine Frage vorlege, die fast wie Neugierde klingt. Aber es ist was Besseres als Neugier, und viel was Ernsteres. Meines Erdenlebens Glück und meiner Seelen Ruhe hält daran fest. War das eine Erscheinung, was vorhin um den Hügel so wunderbar leuchtend herumzog? Oder waren es wirkliche Menschen? Und hat die himmlische Frau, die neben dem fremden Herren des Zuges ritt, wirklich vorher in Eurer Kirche gebetet, oben in dem hohen, goldgegitterten Stuhle?« – Der gute alte Kapellan wiegte einigemale sein schneeiges Haupt mit lindem Lächeln hin und her. Dann sagte er: »Es kommt unsereinem seltsam vor, wenn so plötzlich das längst vergessene Weltleben fragend in unsre Abgeschiedenheit hereinblickt. Aber ich geb' Euch von Herzen gern Bescheid. Tragen doch die Vöglein, die viel auf der Erde umherzufliegen bestimmt sind, eine schuldlose Neubegier mit sich; warum nicht in gleichem Beruf auch der Mensch! Vernehmt denn, lieber Herr, daß die gottesfürchtige Dame, nach welcher Ihr fragt, wirklich soeben in unsrer Kirche gebetet hat, und zwar oben in dem prachtvollsten Gestühle des Baues, denn solches hatte ihr Geleiter für sie bestellt. Auf jener Seite der Anhöhe, unter prächtigen Gezelten, haben sie Rast gehalten, und kein gespenstischer, sondern ein wahrhafter königlicher Reisezug ist es gewesen, der vor Euern Augen hier die Landstraße entlang gewandelt ist.« – »Und wer ist die edle Frau? Wer der fürstliche Geleiter?« – »Davon vermag ich Euch keine Nachricht zu geben. Sie überschütten alle Klöster, Wallfahrtsörter und Armen mit Gaben, wie sie nie ein Kaiser seit Menschengedenken ausgeteilt hat, aller Herzen erfreuen sich an ihren weisen Sprüchen und milden Tröstungen; wohin sie kommen, da schweigt die Zwietracht und lächelt der Frieden auf, aber wie man sie mit Namen zu nennen hat, weiß weder ich, noch irgend ein andrer in diesen Gegenden, wie weit und wie verherrlichend auch der Ruf ihnen voranfleugt. Viele glauben, der Zug komme aus India, und sein Führer seie der große Priester Johann, von dessen Christentum und Herrlichkeit einige bis dahin gedrungene Reisende zu erzählen wissen. Die engelschöne Dame hält man für seine Tochter oder Nichte, und meint, ihre Hand gehöre einem der größesten Fürsten unsrer europäischen Lande wohl bereits durch feierliche Verlobung zu. Minderes wenigstens, das kann ich Euch versichern, denken Herren, Geistliche und Volk von dem erhabenen Paare nicht.«

Otto legte dankend eine Goldmünze in das Kästlein, welches der Kapellan zum Einsammeln für die Armen des Kirchspiels in Händen trug, bemerkte aber bei Eröffnung des Deckels mit Beschämung, welch ein reicher Schatz von Gold und Perlen, durch die rätselhaften Reisenden verehrt, bereits darinnen lag.

Indem er nun aufsaß, kam Swerker an ihn herangeritten und sagte ihm ins Ohr: »Leb' wohl, du mein tapfrer Sieger und Bekehrer. Der Schwedenadler fleugt wieder nach seinen heimischen Horstungen hinauf.« – Otto sah ihn mit fragendem Staunen an, und er fuhr fort: »Sieh', der Arinbiörn kann mich doch nimmer mit frohem Mute betrachten, seit ich ihm seinen blühenden Vetter erschlagen habe. Blutrache, weiß ich wohl, übt ein Christenmensch an seinesgleichen nicht, aber das weiß ich auch, daß der Gedanke daran in uns Nordländern sehr tief eingewachsen ist, und zum Feinde des eignen Lebens wird, wo ihm die Befriedigung fehlt. Der Seekönig, glaube mir nur, müßte vergehn, hätt' er mich länger vor Augen. Zudem, was soll daraus werden, wenn wir, die wir uns als mutige Christen und freudige Kampfleute fühlen, allzumal in deinen Hallen schmausen und freien wollen, ohne daß einmal wieder ein Funken der edlen, vereinten Glut in die Nacht hinausfliegt, wo es noch Not tut, daß erleuchtet werde und erwärmt? Fahr' wohl; ich will dem edlen Swerkerstamm erzählen, wie lieb ich dich habe, und vor allem, wie lieb den Christ.«

Und nach einem herzinnigen Küssen und Drücken an seines Freundes Halse, sprengte er sein Roß an, und verschwand mit Windesschnelle hinter dem Hügel. Bevor noch Otto der Mutter und den Genossen recht verkündet hatte, wovon sich der edle Schwede getrieben fühle, war dieser schon weit und für immer von ihnen entfernt.


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