Friedrich de la Motte Fouqué
Der Zauberring
Friedrich de la Motte Fouqué

 << zurück weiter >> 

Anzeige. Gutenberg Edition 16. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++

Neuntes Kapitel

Zwei ungleiche Reiter waren es, welche unter dem nächtlichen Frühlingshimmel mitsammen dahin trabten; Otto schien allein das ganze Dunkel der Stunde in seine Seele aufgenommen zu haben, Tebaldo hingegen den Duft und die heitre Stille und das blitzende Leuchten des Gestirns. Dieser versuchte, einen Teil der fröhlichen Gabe in seines Gefährten Busen auszuschütten, und da es ihm mißlang, sang er allerhand Liebeslieder in seiner anmutigen Muttersprache durch das kühlige Nachtblau hin. Davon fühlte sich auch Otto nicht gestört. Eben weil er die Worte wenig oder gar nicht verstand, war es ihm, als flattre von den vielen Nachtigallen, welche rings umher aus Anger und Gebüschen die Reisenden anflöteten, eine fortsingend immer neben ihm her, und ihm ward wohl dabei, denn er konnte sich die zierlichen Töne ungehindert in den Sinn übersetzen, welcher seinem Herzen am behaglichsten klang.

So kamen sie endlich über eine grasige Anhöhe hinüber, und die große freie Reichsstadt Frankfurt leuchtete mit unzähligen Lichtern von beiden Mainufern herauf. Otto hielt überrascht seinen Gaul an. Eine solche Menge von hellen Fenstern hatte der Rittersohn, auf einsamer Burg erwachsen, noch niemalen beieinander erblickt, und jemehr sich die Häuser in die Finsternis zurückzogen, jemehr kam es ihm vor, als sehe er eine der kunstreichsten und festlichsten Erleuchtungen, welche es nur je auf Erden gegeben habe. Tebaldo weidete sich eine Zeitlang an dem Erstaunen seines edlen Genossen; dann sagte er: »Ja, Herr, dies ist die weltberühmte Stadt Frankfurt, und wenn es Euch gefällt, mit mir hineinzureiten, und mein Haus dadurch zu ehren, daß Ihr Euch als meinen Gast erzeigt, sollt Ihr wohl noch wundervollere und ergötzlichere Dinge zu sehn bekommen.«

Sie ritten darauf an zierlichen Gärten und Gartenhäusern diesseits der Tore vorbei. Meist war in den Gebäuden vieles Licht; und Saitenklang und Singen und das Getön zusammengestoßner Becher hallte daraus hervor; auch funkelte es durch zierliche Gitter aus manchen Bogengängen und hohen Lauben von goldnem Kerzenschein zwischen grünen Blättern, und noch anmutiger ließ sich von da herüber das Jubeln fröhlicher Gesellschaften vernehmen. Otto meinte, er seie schon lange in der Stadt. Da taten sich erst vor Tebaldos Ruf die ungeheuern Torflügel langsam voneinander, und man ritt durch das widerhallende, gebogne Torgewölb wie in eine Burg hinein, welches auch Otto zu Anfang glaubte, bis er jenseits in die lange erleuchtete Gasse hineinsah, und nun erst begriff, daß die Stadt selbsten eine riesengroße Burg ausmache, deren Bürger doch wohl mit ihrem Stolz, welchen er bisweilen von Herrn Hugh hatte schelten hören, nicht so gänzlich unrecht haben mochten.

Ottos Streithengst scheute soeben vor einigen blendenden Lichtstreifen, welche die hellen Fenster eines prächtigen Gebäudes aus zweien großen Erkern auf die Gasse herabwerfen, da sagte Tebaldo: »Wir sind zur Stelle, edler Gast.« – Und aus dem erleuchteten Hausflur hervor eilten viele glänzende Diener, ihrem Herrn, und auf dessen Wink, dem Ritter sein Roß abzunehmen. Otto sprang adeligen Schwunges leicht aus dem Sattel, und als die Dienerschaft nach den Zügeln seines Pferdes griff, sagte er: »Das geht nicht so leicht, ihr Herren. Den muß ich selbsten in den Stall führen, und absatteln und abstangen und anhalftern, auch ihm Futter vorwerfen, denn von andern Menschen leidet er's nicht.« Des Hengstes loderndes Auge, sein hauender Vorderhuf gab Zeugnis dessen, so sein Herr gesprochen, und man leuchtete dem Ritter nach einem prächtigen Stallgebäude vor, worin viel edle Rosse an schön verzierten Krippen standen. Aber sie fuhren alle scheu zusammen, als Ottos lichtbrauner Hengst an der Hand seines ehrnen Herrn durch die hohen Gewölbe wiehernd und stampfend hinschritt, und nur des Ritters ernster Zuruf ihn hinderte, irgendwo seine Kräfte im Kampf gegen einen der furchtsam schnaubenden Genossen zu versuchen. Die Dienerschaft sahe sich nach Halfterketten um, den hitzigen Gast damit anzulegen, aber Otto sagte. »Das hülfe nichts, liebe Herren. Er sprengt so was leicht. Wenn ich's hingegen ihm sage, bleibt er still.« – »Ruhig, Bursch!« rief er; und der Hengst stand wie ein Lamm, und schnoberte friedlich in dem Hafer, den ihm der Herr vorschüttete. Darauf ging Otto mit Tebaldo, welcher seines ritterlichen Besuches am Eingange geharrt hatte, hinauf in den Saal.

Oben war es zwischen den kerzenhellen Wänden bunt und vielfarbig, und von mannigfacher Pracht erfüllt, denn es wogte eine große Menschenmenge unter den feierlichen Bogen umher, und im Hintergrunde sah es aus, wie eine erhöhte Bühne, auf welcher noch buntere, wunderlichere und glänzender ausgeschmückte Gestalten ihr Spiel trieben. Man konnte alsbald bemerken, daß Tebaldo des Festes König war, denn die minder Geehrten der Gesellschaft wichen ihm mit ehrerbietigen Bücklingen aus, die Vornehmsten, sowohl Frauen als Männer, und unter diesen viele mit güldnen Ratsherrenketten, drängten sich begrüßend um ihn her, und nahmen seine Entschuldigungen, daß er, der Wirt, so spät gekommen sei, als Gunstbezeugungen auf. Das Spiel auf der Bühne im Hintergrunde der Halle schwieg, und schien den Wink des gebietenden Herrn wegen Fortdauer oder Aufhören demütig zu erwarten, bis Tebaldo, nachdem er sich mit seinem Gast auf einer Bank, mit Purpurkissen belegt, ganz vorne niedergelassen hatte, durch ein Kopfnicken ganz freundlich für das Fortspielen entschied.

Nun sahe man, daß in der Mitte des Schauplatzes ein reichgeschmückter, prächtiger Mann auf einem erhöhten Lehnsessel saß, mit vielen Goldsäckeln in der Hand, und auf seiner Brust mit goldnen Lettern den Namen Plutus tragend, wie bei den alten römischen Helden der Gott des Reichtums geheißen war. Diesem näherten sich von allen Seiten vielfach verschiedne Gestalten, als da sind: Priester, Hofleute, Gelehrte, Sänger, Pilger, Richter und so weiter, und baten mit den demütigsten Gebärden um seinen Schutz. Dann warf ihnen Plutus nach Belieben wenig oder viel von den Goldsäcken zu, und sie empfahlen sich, wie sie gekommen waren, jedes mit einem deutsamen gereimten Sprüchlein im Munde. Endlich kam auch ein geharnischter Kriegsmann, der beugte sich gar dienstfertig vor Herrn Plutus und sprach:

»Für Beulen Silber, Gold für Blut!
Herr, gib dein Gut, so schlag' ich gut!«

Herr Plutus wollte eben eine sinnreiche Antwort geben, da fuhr Herr Ott' von Trautwangen zürnend in die Höhe, schlug ans Schwert und rief aus: »Der Bursch dort schändet seinen Harnisch, und ich will's ihm auf seinen Kopf beweisen, falls er das Herz hat, mir zu stehn!«

Halb lächelnd, halb erschreckt blickte die Gesellschaft auf den jungen Zornigen hin, während Tebaldo mit großem Ingrimm die Gaukler auseinander jagte, ihnen die Niedrigkeit ihrer schändlichen Gesinnungen vorwarf, und den Bestürzten auf immer den Eintritt in sein Haus untersagte. Dann kehrte er wieder schamrot zu Otto zurück, und bat ihn mit den erlesensten und zierlichsten Worten, er sollte es nicht auf ihn schieben, daß jenes Pöbelgezücht den reichen Kaufmannsstand durch eine so empörende Vergleichung mit den Waffen zu ehren sich eingebildet habe. Vor diesen Reden ward Otto mild und froh, und entschuldigte sich, daß er seinerseits so ungebührlich aufgefahren sei, worauf man denn insgesamt mit großer Heiterkeit zu einem Mahle ging, welches in einem andern Saale mit fürstlicher Pracht zubereitet war.

Aber wie glänzend auch die Lichter funkelten, wie würzig die Speisen dufteten, wie feurig erlabend die Becher kreisten, – Otto konnte sich des Erinnerns an jene zwei häßlichen Reime nicht entschlagen. Keinesweges zwar, als hätte er einen Unwillen gegen seinen edlen Wirt empfunden, oder gegen die Gesellschaft, aber er mußte sich immer sagen, er werde hier für das Blut, welches er dem edlen Heerdegen von Lichtenried aus der Stirn gehauen habe, so prächtig bewirtet, und empfange doch ohne Zweifel Gold für Blut, denn ob es nun Weingold sei, oder Metallgold, das gelte ja im Grunde einerlei. Zudem schwirrte ein ewiges Reden von Geld und Gut, von Gewinn und Verlust durch die Versammlung hin; ja, als Tebaldo mit edlem Unwillen, schien es, das Gespräch auf den Kreuzzug zu bringen suchte, welchen König Richard Löwenherz bald beginnen werde, ging wieder nur eine Berechnung los, ob die Genueser mehr dabei gewinnen würden, oder die Venetianer. Da ward es in Ottos Gemüt, als sprudle der rote Wein aus christlichen Ritteradern in die Becher, und als trinke man ihn hier mit Lust, zur wohlschmeckenden Arzenei. Ja, ihm selbst, – so glaubte er, – schenke Heerdegen immer die Goldpokale voll, und sage ihm aus seinem zerhauenen Eisenkorbe dumpf ins Ohr: »Hast dir den Weinkeller aus meiner tiefen Wunde geöffnet, hast dir dein schwellendes Lager hier bereitet, indem du mich auf mein Schmerzenslager gebettet hast; mag sein, daß es noch gar ein Totenlager wird.« Da konnte es Otto nicht länger aushalten; es drehte sich alles wie im halben Wahnsinn um ihn her. Und so sprang er auf und bat Tebaldo leise, ihn ziehn zu lassen, er müsse in einer Herberge übernachten, den Grund wolle er ihm morgen sagen. – »Ich brauche ihn nicht zu hören«, antwortete Tebaldo sehr betrübt, »denn ich weiß ihn schon. Aber kommt nur morgen um Gottes willen wieder, sonst muß ich denken, ihr verachtet auch mich.« – »So wahr der Herr lebt, ich komme morgen, und habe Euch sehr lieb!« sagte Otto. – Damit küßten sie einander, und Otto führte, von einem Diener Tebaldos geleitet, seinen scheuenden, vom Schlaf aufgestörten Hengst durch die dunkeln Straßen in eine nahe Herberge hinein.


 << zurück weiter >>