Friedrich de la Motte Fouqué
Der Zauberring
Friedrich de la Motte Fouqué

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Dritter Teil

Erstes Kapitel

Bertha von Lichtenried saß eines Abends auf Gabrielens Burg in der Gascogne vor einem großen Buche, und las. Es enthielt die Geschichten frommer Heiligen und Märtyrer, und sie konnte sich um so ungestörteren Mutes darin vertiefen, da sie in dem prächtigen Baue, das wenige Schloßgesinde ausgenommen, ganz allein war, seit vielen Tagen immer noch vergeblich auf die Rückkehr Folkos und der beiden Jungfrauen wartend. Heute rollte draußen des abschiednehmenden Sommers letzter Gruß: ein ernstes Gewitter, mit seinen roten Blitzen die Meeresfläche, über den nahen dunkeln Bäumen hervor, als einen feierlichen Spiegel kundgebend. Ein linder Regen rauschte dazu auf des Gartens Terrassen herab, und drein hallte das Getöne der silberreinen Glocke, welche der Burgwart zu Abwendung alles Schadens auf dem Kapellentürmchen des Schlosses läutete. In den vielen nahegelegnen Dörfern des fruchtbaren Landes läutete man auch, und so war es, als rolle der mächtige Donnerwagen auf Schwingen des frommen Wohlklanges einher. Bertha fühlte sich dreifach erbaut: durch die ernsten Gottesworte, die hoch über den Wolken hinrasselten, durch das harmonisch aufschwebende Betgetön der Menschen, und durch die frommen Geschichten, die aus dem alten Buche vor ihrem Geiste emporstiegen.

Da trat in das Gemach eine ältliche mohrische Dienerin, schwarzen Antlitzes, denn sie war tief im sengenden Afrika geboren, aber ganz nach europäischer Sitte umgewandelt, seitdem sie sich zum christlichen Glauben bekehrt hatte. Man hätte sie für eine gewöhnliche Schaffnerin nach Tracht und Wesen gehalten; nur daß zwischen den vielgefalteten, weißen Kopftüchern das dunkle Antlitz befremdend hervorschaute.

»Was bringst du, Zulma?« fragte das Fräulein, und die Alte entgegnete: »Eine ängstliche Bitte, die gradezu an Euch gerichtet ist. Draußen auf dem Felde liegt ein todwunder mohrischer Mann; ich weiß nicht, ist er von Räubern überfallen, oder in einem Zweikampf erschlagen; der will die christliche Einsegnung noch empfangen vor seinem nahen Ende, aber von niemand anders, als von Euch, die Ihr durch alles Mohrenland berühmt geworden seid, von dem Tage her, wo Ihr des Muza tapfern Gesellen, Euch an das Steinkreuz lehnend, so gewaltig herrschend in die Flucht triebt. Unfern von jenem Steinkreuz auch eben liegt der verwundete Mohr. Ich fand ihn, als ich von der Meierei zurücke kam.«

»Berufe den Kapellan, daß er mit mir geht«, sagte Bertha, Mantel und Schleier zusammensuchend, »und bestelle auch einige Knechte zu unsrer Sicherheit und zu des Wunden Hülfe.«

»Der Kapellan«, entgegnete Zulma, »ist schon zu Bett, die Knechte schnarchen in den Ställen. Eh' wir die alle wecken und rüsten, muß der Todwunde schon längst verschieden sein. Und wo er dann hinscheidet, wenn er ohne Trost und Einsegnung erstirbt, das müßt Ihr noch viel besser verstehen, als ich.«

»Ei Zulma«, rief Fräulein Lichtenried aus, »wie billig und wahrhaft du mein saumseliges Gemüt zu schelten weißt! Nein, allerdings, auf Gottes Wegen soll sich ein Menschenkind nicht erst viel umsehn nach Gefährten und Beschützern. Laß uns nur gleich zu dem wunden Manne hinaus. Gott, wie viel Großes haben die heiligen Menschen getan, von denen ich eben las, und ich zögre vor so unbedeutender Fahrt! Und wie bange dem Sterbenden nach mir sein mag!« Eingehüllt vor dem Unwetter draußen, schritt sie mit Zulma die Steige zu einem heimlichen Pförtlein des Schlosses eilig hinab, und nachdem sie eine dort einsam brennende Lampe zur Leuchte mitgenommen hatte, traten die beiden Frauen in die gewitternde und regnende Nacht hinaus.

Zulma wußte die Wege zum Steinkreuze besser, als es Bertha der neuen Bekennerin zugetraut hatte. Sie schritt eilig durch die Finsternis hin, so daß ihr das Fräulein nur mit Anstrengung zu folgen vermochte, sie um den Eifer, den sie für die Seelenrettung des Verwundeten bezeigte, liebgewinnend. Über wildverzweigte Hügel hin, durch unwegsame Täler fort, ging der Pfad der mächtigen Wandlerinnen, und wenn Bertha zweifelnd fragte, weshalb sie so vom Wege abwichen, entgegnete Zulma: »Es ist die geradeste Richtung. Vertraut doch einer Afrikanerin bei solchen Dingen. Auf unsern öden Sandwüsten, wo der Sturm alsbald jedweden Fußtritt verweht, lernen wir das Zurechtfinden wohl.« – Und wirklich zeigte sich, so oft ein leuchtender Blitz Hügel oder Gebäu oder Baum oder andre Gegenstände kundgab, daß die Mohrin allerdings den nächsten Weg nach dem Steinkreuze fürder schritt. Bald aber ward Bertha gewahr, Zulma lasse sich noch von ganz eigentümlichen Zeichen leiten, denn oftmalen pfiff sie auf eine widerwärtig durchdringende Weise laut durch die Nacht, und ein ähnlicher gehender Schall kam ihr entgegen, die Richtung ihres Ganges bestimmend. Bertha fuhr einigemale unwillkürlich davor zusammen, und Zulma, die es bemerkte, sagte zu ihr: »Es hört sich unlieblich an, Fräulein, aber es hilft uns durch die Finsternis zu dem kranken Manne. Ein Glück, daß er in dieser Mohrenkunst erfahren ist, ob er gleich nicht zu uns schwarzen Afrikanern, sondern zu unsern weißen arabischen Glaubensgenossen gehört.«

Während sie noch so redete, machte ein Blitz das nun schon ganz nahe steinerne Kreuz sichtbar, und zugleich einen Mann in mohrischer Tracht, der sich halb liegend, halb sitzend gegen das gemauerte Fußgestell desselben gelehnt hatte. – »Gottlob, daß Ihr noch am Leben seid!« rief Bertha, zu ihm hineilend, und sich über ihn niederbeugend. »Ich bin Bertha von Lichtenried, nach der Ihr verlangtet, und bringe Euch Gottes und der heiligen Kirche Trost.«

Aber wie ward ihr, als der vermeinte Todwunde plötzlich in die Höhe fuhr, sie wild in seine Arme faßte, und während das gellende Pfeifen dicht an ihrem Ohr vorüber aus seinem Munde sprang, ringsum zwischen Hügeln und Hecken hervor alles lebendig ward, und plötzlich ein dichter Kreis von mohrischen Männern um das Kreuz herangedrungen kam. Zulma lachte laut und frech darein, und schrie in einem fort: »Haben wir dich, du rares, scheues Vögelchen! Haben wir dich!« – Bertha indessen rang sich mit kräftiger Gewandtheit, die ihren Entführer bei der Zartheit ihrer Gestalt überraschte und erschreckte, von ihm los, und floh, wie ehemals bei ähnlicher Gelegenheit, das Mäuerlein an des Kreuzes Fuße hinauf, mit vertrauender Inbrunst den Stamm des geheiligten Zeichens umschlingend. Es mochte beweglich anzuschauen sein, wie die holde, magdlich reine Gestalt, von der Leuchte in ihrer Hand mit hellem Licht übergossen, sich an dem göttlichen Lebensbaume festhielt, einzelne Strahlen von da hinunter sendend in das Gewimmel der häßlichbedräuenden Gestalten um sie her. Zulma hatte bereits ihre Schleier zu einem Turban über das schwarze Haupt zusammengeflochten, und sagte mit frechem Grinsen: »Bin nun wieder eine Mohrin nach wie vor. Meint Ihr wirklich, das nüchterne Leben bei Euch hätte mir je gefallen? Du mußt nun mit nach Cartagena, und wirst dort auch schon Beßres kennen lernen, als dir je in deinem ganzen, blöden Leben geträumt hat.« – Verachtend wandte sich Bertha von ihr ab, und rief den Anführer der Schar an, er möge seiner Rittertreue und Ritterehre gedenken, und nicht im Bunde mit einem so verworfenen Weibe ein reines, edelbürtiges Fräulein gewaltsam entführen. Aber der schändliche Bursche brach gleichfalls in ein Hohngelächter aus, und rief: »Für dasmal hilft Euch Euer Kreuz und Eure vornehm strenge Schönheit zu nichts. Ihr habt keinen seufzenden Liebhaber vor Euch, wie ehemals, sondern den klugen Alhafiz, den Gesandten des mächtigen Emir Nureddin, der Euch unfehlbar in dessen Arme nach Cartagena bringt.« – »Rühre mich keiner an, dem sein Leben lieb ist!« sprach Bertha zurück. »Ich weiß es nicht, wer es in meinen Sinn gelegt hat, aber daß es wahr ist, weiß ich gewiß, und hab' es auch schon früher dem Genossen Muzas verkündet: wer mich gewaltsam hier wegreißt, der muß es büßen mit bitterm Tod. Nehmt Euch in acht!« – Alhafiz lachte, und schritt gegen das Kreuz vor. Da fiel eben ein gewaltiger Donnerschlag vom Himmel, daß der Räuber und seine Rotte geblendet und betäubt in die Kniee sanken, die frevle Zulma mit. – »Gott hat gesprochen«, sagte Bertha, »und das ist die letzte Gnade, die er Euch erzeugt, dafern Ihr in Euerm Treiben beharrt. Seid weise; kehrt in Frieden zurück zu Euern Schiffen.« – Es war, als wolle sich der Kreis, dem Gebote der verherrlichten Bertha zufolge, lösen; sogar Alhafiz war stumm geworden, und wandte sich abwärts vor den Strahlen der Leuchte in der Jungfrau Hand. Doch plötzlich schrie die widerwärtige Zulma auf: »Gedenk, Alhafiz, an das Dritteil von Nureddins Schätzen! Das soll dir nicht entgehen, und mir das Achtel nicht, so du mir davon verheißen hast.« – Und mit Katzenschnelligkeit flog sie das Gemäuer hinan, riß die Leuchte zerschmetternd aus Berthas Hand, und rief: »Nun blendet Euch das Ansehen der Hexe nicht mehr. Nun nehmt sie mit!« – Und zugleich auch hatte Alhafiz das Fräulein erfaßt, und trug sie der Barke zu, sein Gefolge, jubelnd, wie über einen Sieg, ihm nach. Kein Blitz mehr erleuchtete den Himmel; im tiefen Dunkel gelangten sie ans Gestad, im tiefen Dunkel segelten sie auf das öde Meer hinaus.


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