Friedrich de la Motte Fouqué
Der Zauberring
Friedrich de la Motte Fouqué

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Otto sah freudeglühend in seiner Mutter Augen, und sie sagte lächelnd: »Du hast dich eben nicht viel mehr verändert seit damals, als notwendig war, um aus einem Knaben zum Ritter zu erwachsen. Ich habe dich auch gleich nach dem ersten Anblick wiedererkannt.«

»Und verbargt Euch so lange vor mir?« fragte Otto wehmütig. »Und hieltet uns beide so lang' von den seligen Freuden, die uns jetzo umgeben, fern?«

»Mein Sohn«, sprach Hilldiridur tief aufseufzend, »es ist oft eine drückende Last, allzuscharf in die Wunder der Natur und Geisterwelt hineinzuschauen. Ich habe darüber schon einmal mit Bertha gesprochen. Wo ihr in kindlicher Unbefangenheit eures Weges hoffend und wünschend fürder eilt, da hält es uns an tausend heimlichen Zeichen und Mahnungen fest, denen wir folgen müssen, wenn wir uns nicht versündigen wollen an der ernsten Gabe, die nach des Himmels Ratschluß auf unsern Scheiteln liegt. Es war die rechte Stunde noch nicht gekommen.«

»Habt Ihr wohl früher«, sagte Otto, »mein seltsames Ebenbild, den Ottur, nach welchem jetzo mein Schwert geheißen ist, für Euern Sohn gehalten?«

»Das hab' ich wohl auf Augenblicke«, entgegnete Hilldiridur, »aber ich merkte nur allzubald, wer er ist. Du wirst es auch erfahren, denn meine Geschichte nähert sich der unheilbringenden Stunde, wo es klar vor mir aufstieg, wie furchtbar innig sein seltsames Geschick sich dem deinen und dem meinen verzweigt.« – Und nach einem ernsten Schweigen fuhr sie folgendermaßen zu sprechen fort:

»An drei Jahre lang waren wir umhergezogen durch viele blühende Gauen des deutschen Landes, da erwachte die Sehnsucht nach der Heimat in deines Vaters Herzen. Er hieß in diesen Gegenden nicht mehr, wie ihn unsre nordliche Mundart genannt hatte, der starke Hugur, sondern Herr Hugh von Trautwangen, und auch ich gewöhnte mich, ihn so zu nennen, zugleich die anmutigsten Bilder von der Veste Trautwangen in meinem Geiste erweckend, wohl deswegen, weil ich ihren Namen immer verbunden hörte mit dem einzig liebsten Namen, den ich in der ganzen Welt kannte. Ich sehnte mich recht innig und in hoffender Freudigkeit nach der Burg, und habe sie dennoch nun und nimmermehr anders zu Gesicht bekommen, als lange nachher, in dem furchtbaren Spiegel. Und grade der furchtbare Spiegel hat mich doch um ihren wirklichen Anblick gebracht.

Denn wie wir uns mehr und mehr der Veste naheten, stiegen auch immer seltsamere Träume allnächtlich vor mir auf, mich sämtlich auf eine unbegreifliche Weise anreizend, ich solle in den magischen Spiegel schauen, und Herrn Hughs nächste Vergangenheit darin erforschen. Beim Erwachen empfand ich, – ohne mich deutlich besinnen zu können, von was für Gestalten ich eigentlich geträumt hatte, – immer eine gewaltige Begier, jenes Gebot zu erfüllen; doch machte mich Liebe zu Herrn Hugh, und zugleich eine entsetzliche Scheu vor ihm, beständig stark genug, der seltsamen Versuchung zu widerstehen, bis mir einst in einer Nacht, die wir unter Zelten im tiefen Walde verlebten, mein Traum aufs deutlichste, aber auch aufs furchtbarste klar ward, und es auch nach dem Erwachen blieb.

Es war mir nämlich immer, als ginge Schön-Astrid, meine Schwester, von deren Tode ich noch nichts wußte, emsig nach Blumen suchend, unter den Bäumen umher, als streife bisweilen ein Mondesstrahl ihr Gesicht, und müsse ich dann immer zu mir selbsten sagen: ›Es ist doch wunderlich, wie die Nachtlichter bleich machen! Sieht sie nicht aus, wie eine Leiche?‹ – Dabei ward mir sehr schauerlich und betrübt zumut. Schön-Astrid suchte indes immerfort, aber wenn sie einen recht hellen Kranz gebunden hatte, und nur noch die letzte Blume fehlte, brachte sie diese kaum an das Geflecht, so zerstäubte auch schon die bunte Blütenpracht in graue Asche, die ihr feindselig in die Augen flog, daß ihr die zu bittern Tränen übergingen, und sie nun erst recht leichenartig mit dem Staub auf ihrem Antlitze aussah. Dann rang sie kläglich die Hände, fing wieder an zu suchen, und wieder kam ihr Suchen zu demselben traurigen Ziel. Ich wollte aufstehen, ihr zu helfen, aber das Blei des Traumes lag festgewaltig über mir; ich konnte mich nicht regen, und als Schön-Astrid meine vergeblichen Anstrengungen gewahrte, sagte sie: ›Laß nur, es sind ja Erdenblumen, und die kann mir niemand geben. Es ist dumm von mir, daß ich mich noch darnach abmühe, denn ich bin ja schon längst gestorben.‹ – Darauf kam sie, und setzte sich dicht zu meinen Häupten, sprechend: ›Du sollst durchaus in den Spiegel sehen, und nach dem starken Hugur fragen. Wozu hast du denn den Spiegel? Ich lasse dir doch keine Ruhe, bis du hineingesehen hast. Willst du dann noch, da magst du dann gerne nach Burg Trautwangen ziehen. Aber eh'r keine Ruhe, sag' ich dir; keine Ruhe eh'r!‹ – Sie brachte das alles mit einem seltsam eiligen Geschwirre und Geschrille vor, welches mir bei seiner leisen Heftigkeit so weh im Kopfe tat, daß ich schreiend aus dem Schlafe emporfuhr. Diesmal wußte ich meinen Traum noch recht gut, die Eulen schrien draußen im wilden Forst, meine Dienerinnen schliefen fest, vor dem Gezelte schnarchten die Wachen. Voll des entsetzlichen Grausens suchte ich wieder in die schirmenden Wogen des Schlafes unterzutauchen, aber so wie ich die Augen schloß, neigte sich abermals Astrids bleiches, grabbestäubtes Antlitz über das meine, schrillte ihr schmerzend eiliges Geflüster in mein Ohr. So aus Schlafen in Wachen, aus Wachen in Schlafen gescheucht, sprang ich endlich in wilder Angst nach dem Gepäck hinaus, wo ich wußte, daß der Spiegel lag. Alles schlief um mich her, die Feuer waren erloschen, untergegangen der Mond, tiefdunkel und schweigend die Nacht.

Vor meinen Händen, den ihnen wohlbekannten Herrscherinnen, löseten sich schnell die Schlösser und Siegel, darunter des Glases furchtbarer Hort verborgen lag. Aufleuchtete er mit eigentümlichem Lichte durch die schwarze Finsternis, leuchtete noch furchtbarer und blendender aus seinem Rahmen hervor, da ich ihn gegen den Stamm einer uralten Eiche lehnte, ihn befragend, des Traumes Gebot gemäß, um Herrn Hughs Vergangenheit.

Was es mir zeigte – mein Wort braucht es nicht fürder zu enthüllen. Du kennst es wohl schon aus der ernsten Erzählung Asmundurs, des Waffenschmieds, wie auch aus des starken Hugurs und Schön-Astrids Sterbegesang.«

Hilldiridur und Otto vergossen heiße Tränen, und blieben so eine ganze Zeitlang einander stillschweigend gegenüber sitzen. Dann hub die Mutter wieder folgendergestalt zu sprechen an:

»Ich sah auch in dem Spiegel den bildschönen Knaben, aus dem hernach der arme Ottur geworden ist; denn der war Schön-Astrids und des starken Hugurs Sohn. Daß dir der Halbbruder so gleich sieht, ist wohl nicht zu verwundern. Konnte man doch eure Mütter kaum voneinander unterscheiden! Astrid und Hilldiridur wurden als zwei Rehe von gleichem Wuchs und gleicher Farbe in allem Nordland besungen. – Noch weinte ich darüber, daß Ottur sich im Spiegel voll scheuen Zornes von seinem Vater abwandte, der ein Speereisen, als Zeichen der Sühne zwischen ihm und Astrids Vater, in meiner Schwester Blut tauchte, – da stand Herr Hugh von Trautwangen dräuend hinter mir. Des eben aufglühenden Morgens blutrote Lichter funkelten grimmig um seine Züge. ›Du hast dich wieder mit der Hexerei abgegeben', sagte er; 'Du mußt nun sterben.‹ – Und zugleich schwang er sein breites Schwert, wie ein Feuerrad, wirbelnd in der Hand. Es ist dieses dieselbe Klinge, lieber Sohn, welche dir jetzo leuchtend von der Hüfte hängt, und die, wie du vor wenigen Augenblicken sagtest, Ottur geheißen ist.«

Otto sahe mit einer widerwärtigen Scheu nach der ihm vormals so teuern Waffe, und es war, als rücke er sich von ihr ab, da sagte Hilldiridur begütigend: »Das gute Schwert hat mir ja nichts getan, obgleich mein Leben ihm durch meinen Ungehorsam verfemt war. Denn während ich niederkniete, mein Halstuch in stiller Demut als eine überwiesne Schuldige sittig zurückschlagend, um den richtenden Streich zu empfangen, sprach Herr Hugh plötzlich mit unversehenen Weichmütigkeit: ›Nein, Gott sei vor, daß ich dich jemalen verwunden sollte. Aber trennen muß ich mich von dir, denn dir ist ja nun mein ganzes Verbrechen gegen Schön-Astrid bekannt, und zum Vergebungbitten bin ich bei weitem nicht weiblich genug, oder nicht stark genug, wie du es nennen willst. Zudem graut es mir vor einer so eifrigen Zauberin. Darum mache, daß du von mir kommst. Unsern Knaben muß ich behalten, und will ihm sagen, du seiest gestorben.‹ – Aber ich ließ nicht nach mit Bitten, bis ich Abschied nehmen durfte von dir, mein holdes Kind. Sie sagten dir, der Tod breche soeben über mich herein, und ich mag auch wohl ganz ausgesehen haben, wie eine Sterbende, denn das Leid über unsre Trennung, und die Reue über mein Übertreten warf mich sprachlos in die Gräser und Blumen zurück.«

Abermals küßten sich Mutter und Sohn inbrünstig, und die Freude, sich wiedergefunden zu haben, war doch unendlich größer, als der Schmerz, einander so lange verloren gewesen zu sein.


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