Friedrich de la Motte Fouqué
Der Zauberring
Friedrich de la Motte Fouqué

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Siebentes Kapitel

Da, wo der Mainstrom seinen silberblauen Spiegelstreif nach der alten freien Reichsstadt Frankfurt hinlenkt, und von den ebnen milden Ufern einander Lusthäuser und Fruchtfelder und helle Dörfer hinüber und herüber zuwinken, lebt es sich ein ergötzliches Leben. Vorzüglich wer im beginnenden Frühlinge dort Atem schöpfen darf, und ein junger Kriegsmann ist, seinen ersten Gefechten und Abenteuern voll wunderlicher Hoffnungen entgegenreitend, kostet einen Becher der Freudigkeit und Herzenslust, wie er ihm nachher im Leben nicht leicht so schön wieder vor die Lippen kommen möchte. Etwas Ähnliches hat der, welcher diese Geschichte beschreibt, erfahren, und wünschte, seine Leser hätten es auch; sowohl um ihrer selbst willen, als auch, damit sie sich desto besser in das lustige Gefühl versetzen könnten, welches in jenen schönen Gegenden ein Goldnetz um den jungen Ritter Otto von Trautwangen her, und über alle Gegenstände hin spann, deren er ansichtig ward. Er wußte gar nicht, was er lieber haben sollte: den Frühling, oder seine Reise, oder die blühenden Fruchtbäume und sanften Hügel und Täler; oder die fröhlichen Menschen, welche diese bewohnten.

In solchen Gesinnungen kam er vor eine Herberge geritten, die unfern vom Ufer des Stromes lag, und deren Vordach, aus einer Laube von Weinblättern und Jasmin bestehend, den jungen Reisenden freundlich einlud, die Mittagsstunden über hier auszuruhen. Sein edler Streithengst war bald in den Stall geführt, und ihm Futter vorgeschüttet, – der Ritter mußte das alles selbst tun, denn keinen andern ließ das stolzgetreue Roß so nahe an sich heran, – und nun saß Herr Ott' unter dem erquicklichen Laubdach, Flasche und Becher vor sich, und den edlen rheinischen Wein zwiefach goldig blinkend unter der tiefen Umschattung des kühlen, dunkelnden Grüns.

Da trat ein Mann aus der Haustür, eben nicht viel älter als Otto, schien es, aber sehr ernsten und sonnegebräunten Antlitzes, der Bewaffnung nach ein Ritter, aber all sein Gezeug rostig und staubig, wie von weiter Fahrt; auch die Waffenstücke ohne alle Zier, die Schnallen und Riemen unversteckt, welche es zusammenhielten und schmucklos angebracht, nachdem es sich eben am bequemsten hatte schicken wollen, so daß er wohl seltsam gegen den jungen silbergeharnischten Trinker abstechen mochte. Der Fremde grüßte mit einer gewissen, derb treuherzigen Höflichkeit, die beinah etwas Mürrisches an sich hatte, setzte sich dann dem jungen Ritter gegenüber, und forderte auch Rheinwein für sich.

Otto war anfangs nicht recht zufrieden mit diesem Zechgesellen; er dachte, die anmutigen Bilder, welche sich auf dem Saftgrün der Laube und dem Sonnenblau des Himmels in seine Sinne hereinwiegten, würden vor jenem verschwinden, ohne daß etwas Gutes an ihre Stelle käme. Aber es zeigte sich bald, daß der Fremde zu einer Art von Leuten gehöre, die wir wohl noch in unserm lieben Deutschland anzutreffen pflegen: scharfkantige, unscheinbare Steine von außen, aber auf die leiseste Berührung fliegen ergötzliche und erleuchtende Funken hervor, und wer recht alchimistisch nach dem Innern zu fragen versteht, findet wohl endlich ein über alle Vorstellung köstliches Gold. Der Fremde war sehr weit in der Welt umher gewesen, und dennoch ein getreuer, frommer Deutscher geblieben, oder gar dorten recht eigentlich geworden, weil ihm der Abstich erst klar gezeigt haben mochte, wie teuer das alte Vaterland zu halten sei. Die beiden jungen Ritter gewannen eine rechte Freude aneinander, und fühlten sich noch behaglicher, als sich ein dritter zu ihnen gesellte, ein junger Kaufherr aus Frankfurt, Tebaldo geheißen, und von seinen italienischen Verwandten, wie er berichtete, auf einige Jahre nach Deutschland geschickt, um unter Handel und Wandel mit dem ehrbaren Sinne der Reichsstädte und ihren großen kaufmännischen Ansichten recht vertraut zu werden. Zwischen vielen andern Gesprächen erzählte auch der fremde Ritter folgende Geschichte, welcher Otto und Tebaldo mit großer Achtsamkeit zuhörten:

»In den hochnordlichen Landen unsrer deutschen Brüder, die sich Schweden nennen, gibt es noch allerhand Volk in der Umstrickung des Heidentums und der wüsten Hexerei, vorzüglich nach der Grenze des Finnlandes hin, weil die bösen Nachbarn dorten sich nichts Beßres wissen, als Geister und Alraunen herauf zu beschwören, oder mit häßlichen Sprüchen ihren Widersachern allerlei Feindseliges an Leib, Haus, Gut und Gesinde anzuwünschen. Recht auf den finnischen Marken liegt ein ganz runder Berg, von der schwedischen Seite mit dunklem Laubholz, von der andern mit unglaublich dichtverschränkten Kiefern bewachsen, so daß wohl kaum der kleinste Vogel seinen Weg durch die gitterhaft verschlungenen Zweige finden möchte. Unten am Fuße des Laubgehölzes steht eine Kapelle mit dem Bilde des heiligen Georg, der wie zum Grenzhüter gegen heidnische Lindwürmer dort in die Öde hineingepflanzt ist; an der andern Bergseite, zu Fuße des starren Kiefernhaines, sollen die Hütten einiger abscheulichen Zauberer aufgeschlagen sein, auch eine Höhle von dortaus tief, tief in den Berg hinabreichen, und gar mit dem Schlunde der Höllen Gemeinschaft haben. Die wenigen schwedischen Christen, welche so hoch hinauf wohnen, dachten der üblen Nähe noch außer dem Heiligen einen recht mannhaften Wächter entgegenstellen zu müssen, und wählten deshalb zum absonderlichen Diener des heiligen Georg und zum Bewohner der bei der Kapelle aufgerichteten Siedelei einen alten berühmten Kriegshelden, der in seinen Greisenjahren Mönch geworden war. Als dieser dahin zog, wollte sein früher erzeugter, ehelicher Sohn nicht von ihm weichen, vielmehr ward er sein Aufwärter, stand in Büßung und Gebet mit fester Anstrengung ihm zur Seite, und ließ überhaupt ebensowenig von dem Vater, als er früher jemals im Schlachtgetümmel von ihm gelassen hatte. Es soll ein sehr erbauliches Leben mit den beiden frommen Rittersleuten gewesen sein.

Einstmalen ging der junge Gottesheld nach Holz aus; er trug eine scharfe Axt auf der Schulter, und war noch überdem mit einem großen Schwert umgürtet, denn weil es dorten so viele grimmige Tiere und boshafte Menschen gibt, hatten die frommen Siedler Lizenz, ritterliches Gewaffen mit sich zu führen. Wie nun der gute junge Mann eben im dichtesten Gehölze umhergeht, und schon die spitzen Kiefern über den Laubforst hinausragen sieht, – so nahe war er an der finnischen Grenzscheide, – da fährt aus dem dichtesten Buschwerk eine große, weiße Wölfin auf ihn los, daß er nur eben noch Zeit behält, zur Seite zu springen, und weil er nicht gleich zum Schwerte kommen kann, die Axt nach seiner Feindin zu schleudern. Der Wurf war so gut geraten, daß die Wölfin mit zerschmettertem Vorderfuß und ängstlichem Geheul in den Wald zurücke floh. Aber der junge Siedlerdegen gedachte: nicht genug, daß ich gerettet bin; es muß auch hinfürder kein andrer Mensch von dem Untiere mehr Schaden leiden, oder auch nur Schreck. – Und gleich ging es in hohen Sprüngen durch die Gebüsche hintendrein, wo er denn auch die Wölfin mit einem Schwertschwunge so tüchtig an den Kopf traf, daß sie winselnd zu Boden stürzte. Da kam ihn mit einemmale ein seltsames Mitleiden gegen das Tier an. Statt es vollends zu töten, hub er es auf, band ihm seine Wunden mit Moos und Reisig zu, und trug es endlich gar in die Hütte, des heißen Wunsches voll, es möge ihm doch vergönnt werden, seine gefällte Feindin zu heilen, und endlich durch die milde Pflege zu zähmen.

Er fand seinen Vater nicht daheim, und in der großen Angst legte er den wunderbaren Fang auf sein eignes Moosbett, worüber er das Bild des heiligen Georg an die Wand gezeichnet hatte, und dann wandte er sich wieder nach dem Herde des kleinen Häusleins, um dorten eine heilkräftige Salbe für die Wunden des Tieres zu bereiten. Aber während der Arbeit schien es ihm, als höre er ein menschliches Ächzen, ein vernehmliches Klagen von dem Mooslager herauf. Und wie ward ihm nun vollends, als er sich dorthin wandte, und eine wunderschöne Jungfrau an der Wölfin Statt erblickte, durch ihr goldhelles Haar vorblutend die Wunde, die sein Schwert geschlagen, den rechten Arm in all seiner Zartheit und Weiße regungslos ausgestreckt, durch seinen Axtenwurf zerschmettert. – ›Bitte, bitte‹ sagte sie, indem er sich nach ihr umwandte, ›macht mich nicht gänzlich tot. Das bißchen Leben, so noch in mir ist, tut freilich weh, und mag wohl nicht lange mehr dauern, aber es ist doch gewißlich zehntausendmal besser, als das abscheuliche Sterben.‹ Da kniete der junge Mensch weinend neben ihr, und sie erzählte ihm nun, wie sie die Tochter eines der Zaubermenschen am andern Rande des Berges sei, und wie der sie ausgesendet habe, in der verhexten Wolfsgestalt Kräuter auszuraufen, und sie nur in Angst und Schreck so losgefahren sei. – ›Da schmissest du mir aber gleich den Arm entzwei‹, winselte sie, ›und ich meint' es doch wahrlich nicht so böse!‹ – Wie sie nun plötzlich entwandelt sei, konnte sie gar nicht begreifen, dem jungen Mann aber war es klar, daß die Nähe von Sankt Georgens Bild die arme Betörte wohl habe entzaubern müssen.

Wie nun der Sohn noch weinend und besänftigend neben ihr kniete, kam der alte fromme Mann nach Hause, und merkte bald, was hier geschehen sei: daß nämlich wohl das Heidenmädchen von ihrer Wolfshülle entzaubert sei, der Jüngling hingegen um desto bezauberten durch der Jungfrau Schönheit und süße Liebsgewalt. Von nun an ging alle seine Sorge darauf, sie geistlich zu heilen: wie der Sohn sie leiblich zu heilen bestrebt war, und indem beiden ihre Mühe auf das Beste gelang, beschloß man gemeinschaftlich, daß die Liebenden einander heiraten und in die Welt zurücke kehren sollten, denn der Jüngling hatte kein Gelübde abgelegt.


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