Friedrich de la Motte Fouqué
Der Zauberring
Friedrich de la Motte Fouqué

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Zwölftes Kapitel

So wie nur Ritter Heerdegens Erzählungen an seine Schwester milder wurden und frömmer, – seit der letztern handelten sie fast alle von Frau Minnetrost, – ward es auch sanfter und stiller in seinem Sinn, und endlich auch in seinem Körper, und in dem ganzen Menschen durchaus. Da fing er an, nach Herrn Hugh zu fragen, und wenn der herein kam, sich ehrerbietig und sittig zu bezeigen gegen den alten Mann, und sich zu entschuldigen, falls die Fieberglut ihm irgend Ungeziemliches habe sagen heißen oder tun. Nun saß Herr Hugh vielmalen an seinem Bette, aber es war nicht lange mehr nötig, denn wie Heerdegen erst einmal im Siegen war gegen das Kranksein, ward er es auch bald vollends über die Grenze fort, zog freudig in die Wälder und Ebnen nach dem Waidwerk hinaus, und saß zu Mittag und Abend mit Herrn Hugh bei den vollen Bechern.

Dagegen ward Fräulein Bertha, so wie der Bruder aufblühte und genas, bleicher und trauriger mit jedem Tage. Man sah es ihr wohl an, daß nur die Sorge für seine Heilung und für den Trost des alten Herrn Hugh sie so aufrecht gehalten hatte. Nun die beiden Männer miteinander zechten und sprachen, und oftmals wieder der alte Meister Walther mit seinen fröhlichen Heldenliedern auf die Burg gerufen ward, tat die holde Blume ungestört, wie die Art solcher holden, verlassenen Blumen zu sein pflegt: sie hauchte in wehmütigen Liedern und Seufzern und Träumen den reinen Duft ihres Lebens aus in die stille Natur, und wäre wohl bald verwelkend zusammengesunken, wie der Waldbruder an der finnischen Grenzmark, und wie Lisberta in Mailand. Aber der Bruder wußte die beiden Geschichten auch, und stellte sich neben sein Schwesterlein, wie ein aufrecht erhaltender Gartenstab neben die zarte Blüte. Nun rankte sie sich immer am zuversichtlichsten zu ihm auf, wenn er von Frau Minnetrost erzählte, und es gereichte ihr zu einer ganz absonderlichen Freude, daß diese fromme Drude nicht etwa nur ein mondliches Fiebergebild in den kranken Träumen ihres Bruders gewesen sei, sondern daß es wirklich in dem nördlichen Ostfriesland eine so wunderbare Herrin des Friedens gebe und des Trostes, und die noch obenein ihre freundliche Muhme sei.

Aber demungeachtet nahm Berthas Erbleichen und Schweigen zu, und wenn Heerdegen sie deshalben fragte, pflegte sie wohl zu antworten: »Bruder, die eine Frau Minnetrost hienieden bekomm ich wohl nimmer von Angesicht zu Angesicht zu schauen. Aber jenseits des Grabens, welcher so tief ist, daß man ihn ausschließlich das Grab geheißen hat, wohnt ja nichts, als lauter Minnetrost. Und siehe, wer uns hinüberhebt, tut es im Schlaf, und muß also eine gar leichte Hand haben.«

Diese und ähnliche Reden hinterbrachte Heerdegen dem alten Herrn Hugh, mit dem Beifügen, wenn man Bertha nicht baldigst leiblich zu ihrer Muhme Frau Minnetrost geleite, werde sie derengleichen wohl nach wenigen Monden jenseits aufsuchen. Da nahm Herr Hugh seine ganze Kraft zusammen, ließ die Nichte vor sich rufen, und gebot ihr sehr ernstlich, sie solle mit dem Bruder in diesen Tagen nach Ostfriesland abreisen, zu ihrer Muhme, welche dorten Frau Minnetrost geheißen sei. Bertha schaute dem greisen, schon längst vom Sohne verlassenen Oheim zweifelnd ins Gesicht. Da lachte Herr Hugh laut auf, und sagte: »Denkt so ein klein töricht Maienvögelein, ich alter Turm müßte zusammenfallen, flög' es nicht mehr drum herum.« – Und laut lachend ging er in seine Kammer, und schloß die Tür hinter sich zu. Dann rollten zwei große Tränen in seinen Bart.

Als er aber wieder hervorkam, machte er schleunige Anstalten zur Abreise der beiden Geschwister, und das zweite Morgenrot, von da an, sahe die Saumrosse und zwei Reisige zur Bedeckung und Heerdegens gerüsteten Streithengst im Hofe. Die große Steige herab kam Herr Hugh mit den Reisenden, und summte ein lustiges Liedchen aus alten Tagen dazu. Er küßte sie beide, und trieb, daß sie zum Schloßhofe hinauskamen. Dann ging er nebst Meister Walther, den er sich hereingeladen hatte, um diesen und die nächsten Tage zu verzechen, auf den Burgwall, setzte sich schweigend ins Gras, und sahe zu, wie Heerdegen und seine Schwester weit und immer weiter über den morgenbeglänzten Anger trabten. Dem Meister Walther kam es dabei in den Sinn, wie er hier mit Bertha gesessen hatte, als der junge Ritter Otto seinen lichtbraunen Hengst denselben Anger entlängst spornte, und ohne etwas Bestimmtes dabei zu denken, fing er wieder an zu singen, wie damals:

»Ich bin ein schwacher Greise,
Zieh nicht mehr weit hinaus« –

Da faßte der alte Herr Hugh im Grimme die Schulter des Meisters. Mit Löwenzorn im Auge, mit Löwenkraft im Arme brüllte er laut: »Ich schleudre dich hier den Burgwall hinab, falls du mein spotten willst! Der alte Greise fühlt noch der Kräfte genug.« – Meister Walther schwankte bereits am glatten Rande, doch sah er dem zornigen Starken getrost ins Antlitz, sprechend: »Wenn Ihr Euch an einem Sänger vergreifen wollt, der noch dazu Euer Gast ist, tut's! Euer ist die Rechnung, nicht mein, und der Abschluß ist nah.« – Darüber ließ ihn der alte Herr Hugh bebend los, und sagte: »Um Gott, verzeiht mir! Ihr wißt, es haben grimmige Geister im Leben Gewalt über mich gehabt, und wie ich nun hier so still empfand, daß meine jetzt beginnende Einsamkeit die Buße dafür sei, drang Euer Singen mir ins Ohr, wie von einem ganz fremden Menschen her, der über mich ohnmächtigen Greisen zu spotten gedächte. Den wollte ich denn über den Burgwall hinabschleudern.« – »Das wär auch eine schöne Buße gewesen!« sagte Walther. Herr Hugh stand eine Weile beschämt, welches man selten an ihm zu schauen gewohnt war; dann fing er an: »Ich weiß nicht mehr, ob Ihr nun noch Lust und Mut habt, mit mir auf einen Becher Weins hereinzukommen?« – »Warum nicht?« entgegnete Walther. »Sänger verstehn sich schon darauf, mit edlen reißenden Kreaturen umzugehn.« – Und damit folgte er seinem ernsthaften Wirte in die Burg.


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