Wolfram von Eschenbach
Parzival und Titurel
Wolfram von Eschenbach

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II.
Gardevias.

Inhalt.

Schionatulander weilt mit Sigunen in dem Gezelt, das sie in einem Walde aufgeschlagen haben, als ein lautjagender Bracke auf der Fährte eines angeschobenen Wildes das Dickicht durchbricht. Schionatulander fängt ihn seines Schmuckes wegen und bringt ihn Sigunen. Der Hund hieß Gardevias, zu deutsch: Hüte der Fährte, und war dem Pfalzgrafen Eckunat entsprungen, dem ihn seine Geliebte Klauditte von Kanedig, die Schwester und Erbin jener Florie, für die Ilinot, Artus Sohn, im Kampfe gefallen war, erst bei dieser Jagd als einen »wildlichen« Brief zugesandt hatte: denn das köstliche Halsband und das noch reicher geschmückte zwölf Klafter lange Seil trug eine Schrift, deren Buchstaben Edelsteine bildeten, die mit goldenen Nägeln auf den Strang genietet waren, und deren Inhalt nebst einer sittlichen Auslegung des Hundenamens die Geschichte der beiden Liebenden war. Sigune liest die Aventüre, während Schionatulander draußen im Bach mit bloßen Beinen nach Fischen angelt. Auf die Fortsetzung begierig, löst sie das an der Zeltstange befestigte Seil, als der Hund ausreißt, das Seil nach sich zieht und durch das Zugloch (Winde) des Zeltes lautbellend auf die Fährte des Wildes entkommt. Vergebens setzt ihm Schionatulander nach, Dornen und Stifte verwunden seine bloßen Beine, die noch bluten, als er ohne den Bracken in das Zelt tritt, wo er Sigunen findet, deren Hände das durchgestreifte Seil blutig geschunden hat. Sie verlangt von ihm das Brackenseil, an dem sie die Aventüre zu Ende lesen will und erklärt, daß sie ihren Besitz an diese Bedingung knüpfe. Mit Schionatulanders Versprechen, nicht zu rasten, bis er ihr das Brackenseil wieder erworben habe, schließt das Abenteuer.

 

        132   So lagen sie nicht lange,
    Als aus dem Waldreviere
Mit heller schöner Stimme
    auf blutger Fährte hinter wundem Thiere
Ein Bracke kam hochlautend an mit Jagen.
Der fand hier kurzen Aufenthalt:
    das muß ich lieber Freunde halb beklagen.

133  

Da so den Wald durchhallte
    der Stimme lautes Bellen,
Schionatulander,
    der von Jugend auf vor allen Schnellen
War bekannt – nur Trevrezent der reine
Lief und sprang Jedem vor,
    den jemals trugen ritterliche Beine –

134  

Da gedacht er: »Wenn den Hund
    Jemand mag erlaufen,
So braucht er schnelle Füße!«
    Nun will er Ruh und Freude verkaufen
Und ein stätes Trauern hier empfangen.
Auf sprang er nach der Stimme:
    den Bracken dacht er seinem Lieb zu langen.

135  

Daß in den weiten
    Wald nicht wollte kehren
Das flüchtge Wild, sondern her
    vor den Delfin, das wird ihm Sorge mehren:
Langer Kummer ward ihm drum zu Theile.
Er barg sich hinter dichtem Strauch:
    sieh, da kam er jagend an dem Seile,

136  

Des Fürsten Bracke, eilends
    war er dessen Händen
Entfahren auf die blutge Spur.
    Möchte sie nimmer einen Hund mehr senden,
Die ihn jüngst dem Hochgemuthen sandte,
Dem er entsprang dem Jüngling zu,
    und dem damit viel hoher Freuden bannte.

137  

Da er so das Dickicht
    durchbrach auf der Fährte,
Mit arabschem Gold gestickt
    trug er am Hals ein Band von hohem Werthe:
Da sah man lichtes, köstliches Gesteine,
Das wie die Sonne glänzte.
    Er fing sich da den Bracken nicht alleine;

138  

Was er mit dem Bracken
    fing, will ich euch sagen:
Leid mit Noth gefüttert
    ward ihm da zu Theil ohne Zagen,
Und immerdar groß Kriegen und groß Streiten.
Das Brackenseil war ihm Beginn
    verlorner Freuden und betrübter Zeiten.

139  

Er trug den Hund im Arme
    Sigunen der klaren.
Das Seil war wohl zwölf Klafter lang,
    die von vierfarbgen Seidenborten waren,
Grün, gelb, roth und braun angestücket
Stäts in Spannenlänge,
    die Näte schön und köstlich geschmücket.

140  

Darüber lagen Ringe
    mit Perlen lichten Scheines;
Je zwischen den Ringen,
    schier spannenlang, ledig des Gesteines,
Vierfarbge Blätter, wohl von Fingers Breite.
Nehm ich den Hund an solch ein Seil,
    so bleibt es bei mir, ob auch er entgleite.

141  

Wenn mans dem Bracken abnahm,
    zwischen den Ringen
Sah man Buchstaben,
    die rund umher an dem Seile gingen.
Aventüre hört, wenn ihr gebietet:
Mit goldnen Nägeln waren
    die Steine fest an den Strang genietet.

142  

Die Schrift war von Smaragden
    mit Rubin verbündet,
Demant, Granat und Chrysolith
    dazwischen. Das Seil war gut gehündet;
Auch war wohl nie ein Hund so gut geseilet.
Ich weiß wohl, ließt ihr mir die Wahl,
    welches ich wählen wollte unverweilet.

143  

Auf grünem Sammet
    mit mailichem Scheine
War des Halsbands Borte
    gestickt und mit mancherlei Gesteine
Beschlagen, deren Schritt ein Fräulein lehrte.
Gardevias hieß der Hund,
    das heißt zu deutsch: hüte der Fährte.

144  

Die Herzogin Sigune
    las den Beginn der Märe:
»Ein Brackennamen ist das Wort,
    das den Werthen doch geziemend wäre:
Mann und Weib, die schön der Fährte hüten,
Hier wird es ihnen Gunst der Welt
    und dort der himmlische Lohn vergüten.

145  

Sie las am Halsband weiter,
    noch nicht an dem Seile:
»Wer immerdar der Fährte
    hütet, dessen Preis ist nimmer feile,
Da er im lautern Herzen so erstarkte,
Daß ihn nie ein Aug ersieht
    auf dem wandelbaren unstäten Markte.«

146  

Einem Fürsten wurden Brack und Seil
    zum Minnelohne
Gesandt: das schenkt' ihm eine
    junge Königin, sie trug die Krone.
Sigune ließ sich von dem Seil bescheiden,
Wer der Fürst war und die Königin;
    die Namen standen deutlich da von beiden.

147  

Sie war von Kanedig entstammt,
    die Schwester von Florien,
Die Ilinot dem Britten
    Herz und Sinn und sich selbst verliehen,
Was sie nur hatte, außer ehlicher Minne:
Sie hatt ihn auferzogen;
    er war ihr lieb vor jeglichem Gewinne.

148  

Er must auch unterm Helm für sie
    sein Leben enden.
Verbot es höfsche Zucht mir nicht,
    so möcht ich wohl fluchen seinen Händen,
Der den Stoß nach seinem Herzen führte;
Florie starb an derselben Tjost,
    ob nie ein spitzes Eisen sie berührte.

149  

Sie ließ einer Schwester
    die Krone zu eigen.
Klauditte hieß dieselbe Magd;
    ihre reine Güte mochte nicht verschweigen
Des Fremden Lob noch dessen, der sie kannte:
Drum drang in manches Land ihr Preis,
    den ihr auch der Neid nicht entwandte.

150  

Die Herzogin las von der Magd
    die Schrift an dem Seile.
Ihre Fürsten wünschten,
    daß sie ihnen einen Herrn ertheile.
Da berief sie einen Hof gen Beuframunde.
Reich und Arm zog dahin;
    da sollte sie ihn wählen gleich zur Stunde.

151  

Dük Eckunaten
    de Salvaschflorien,
Den trug sie längst im Herzen;
    auch kor sie ihn, ihm ward ihr Reich verliehen.
Ihre Krone überflog da sein Gemüthe,
Der sich vor allen Fürsten
    stäts beflißen wie er der Fährte hüte.

152  

Sie zwang seine Jugend
    und das Recht in ihrem Lande:
Da ihr die Wahl gegeben war,
    so wählte denn die Jungfrau sonder Schande.
Wollt ihr zu deutsch des Herzogs Namen kennen?
Von den wilden Blumen,
    also hört ich Eckunaten nennen.

153  

Da er von der Wilde hieß,
    sie schickt ihm in die Wilde
Diesen wildlichen Brief,
    den Bracken, der durch Wald und Gefilde
Der Fährte wahrte, wie ein Bracke sollte.
Die Schrift besagt' auch, daß sie selbst
    weiblicher Fährte hüten wollte.

154  

Schionatulander
    mit einer Federangel
Fing Aeschen und Forellen,
    während sie las, dazu der Freude Mangel:
Denn selten ward ihm Freude mehr zu Theile.
Sigun entwickelte die Schnur,
    daß sie die Schrift zu Ende läs am Seile.

155  

An die Zeltstange
    war es festgebunden.
Ihr Entwickeln ist mir leid;
    Hätte sie sich des nicht unterwunden!
Gardevias litts mit Widerstreben;
Nach seiner Speise rief sie da:
    denn sie wollt ihm zu eßen geben.

156  

Zwei Jungfrauen sprangen
    vor das Zelt in Eile.
O weh den blanken Händen
    der Herzogin! Litten die vom Seile,
Ich that es nicht, es thats der Steine Härte.
Gardevias zuckte
    und entsprang auf des Jagdwildes Fährte.

157  

Er war auch Eckunaten
    entwischt in gleicher Weise.
Sie rief den Jungfrauen:
    als sie nahten mit des Bracken Speise,
Zu dem Zelte trugen sie die balde.
Der Bracke war derweil entschlüpft
    durch das Zugloch, man hört' ihn schon im Walde.

158  

Er riß halt das Zugloch
    zum Theil aus den Pfählen.
Als er wiederfand die frische,
    rothe Fährte, wollt ers nicht hehlen,
Er jagte öffentlich und nicht verborgen.
Des entgalt des werthen
    Gurzgri Sohn mit mancherlei Sorgen.

159  

Schionatulander
    die großen wie die kleinen
Fische mit der Angel fing,
    wie er dastand mit bloßen, blanken Beinen,
Im lautern schnellen Bach, der Kühle wegen.
Da hört' er Gardevias
    Stimme: sie erscholl zur Qual dem Degen.

160  

Er warf die Angel aus der Hand
    und setzte mit Eile
Ueber Strünke wie durch Dornen;
    doch naht' er nicht dem Bracken noch dem Seile.
Regloses Dickicht hielt ihn weit zurücke;
Schon spürt' er weder Wild noch Hund;
    auch nahm ihm das Gehör des Windes Tücke.

161  

Seine bloßen Beine wurden
    zerkratzt von den Dornen,
Auch verwundeten ihm Stifte
    die blanken Füße hinten und vornen.
Er war noch müder als das Wild der Fährte;
Er ließ sie waschen, eh er trat
    in das Zelt. Da fand er Sigunen, die Werthe.

162  

Grau in den Händen,
    wie von Frost bereifet.
Wie eines Lanzenbrechers Hand,
    wenn vom Gegenstoß hindurchgestreifet
Der Schaft im Saus die bloße Haut geschunden:
So von dem durchgezognen Seil
    war die Hand der Herzogin voll Wunden.

163  

Sie sah seine Wunden
    an Händen und an Füßen.
Sie beklagte ihn, er sie.
    Nun wird sich diese Märe bald entsüßen,
Da die Herzogin mit ihm zu sprechen
Von der Schrift begann am Seil:
der Verlust wird manchen Sper zerbrechen.

164  

Da sprach er: »Wo sah man
    wohl je ein Seil beschrieben?
Französische Liebesbücher
    giebt es viel: mir ist die Kunst nicht geblieben;
Sonst läs ich wahrlich lieber doch darinne.
Sigune, süße Magd, die Schrift
    an dem Seile schlag dir aus dem Sinne.«

165  

Sie sprach: »Aventüre
    fand ich an dem Strange,
Les ich die nicht zu Ende,
    so widert mir mein Land zu Katelange:
Wieviel mir Jemand Reichtum bieten könnte,
Gern wollt ich drauf verzichten,
    wenn er mir die Schrift zu lesen gönnte

166  

»Das sprech ich, werther Freund, nicht dir
    noch Jemand zu Leide;
Doch wieviel der Jahre
    wir noch so jung zusammen lebten beide,
Eh dein Dienst der Minne Lohn begehrte,
Schaff er mir das Seil zuvor,
    daran Gardevias hütet der Fährte.«

167  

Er sprach: »So will ich gerne
    dir das Seil erwerben.
Wenn es Kampf erringen kann,
    so will ich an Leib und Preis verderben
Oder ich bring es wieder dir zu Handen.
Sei gnädig, süße Magd, und halt
    mein Herz nicht so lang' in deinen Banden.«

168  

»Gnad und was nur immer
    eine Magd darf gönnen
Ihrem Freund, gewähr ich dir,
    und Niemand soll mich dran verhindern können,
Wenn du um das Seil dich willst bemühen,
Das der Bracke nach sich zog,
    da ihn meine Hand ließ entfliehen.«

169  

»So will ich nimmer rasten
    noch ruhn, bis ichs erringe.
Du bietest reichen Sold, ich kann
    es kaum erwarten, bis ich es bringe
Und deine Minne soll zum Lohn erhalten.
Ich will es suchen nah und fern;
    mögen Glück und Minne freundlich walten!«

170  

So wusten sie mit Worten
    Trost zu spenden
Und mit gutem Willen.
    Beginn des Leids, wie schrecklich sollt' es enden!
Wohl noch erfährt der Junge wie der Greise,
Der muthige Gelober,
    wie es stieg und sank mit seinem Preise.


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