Wolfram von Eschenbach
Parzival und Titurel
Wolfram von Eschenbach

 << zurück weiter >> 

Anzeige. Gutenberg Edition 16. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++

        705   Indes ein Bischof Messe sang
Gawanen, gab es großen Drang
Von Rittern und von Frauen,
Die man zu Rosse schauen
5   Mochte vor Artusens Zelt,
Während man die Messe hält.
Artus selbst im Schmuck der Waffen
Stand bei den singenden Pfaffen.
Da man den Segen hatt empfahn,
10   Wappnete sich Herr Gawan;
Man sah zuvor den Stolzen
Schon tragen Eisenkolzen
An wohlgeschaffnen Beinen.
Da sah man Frauen weinen.
15   Das Heer zog aus überall
Hin, wo sie hörten Schwerterschall
Und Funken sahn aus Helmen springen
Und Schwerter kräftiglich erschwingen.

König Gramoflanz verschmähte Streit

20   Mit Einem Manne lange Zeit;
Doch daucht es ihn nicht anders nun,
Mit Sechsen hätt ers hier zu thun.
Es war doch Parzival allein,
Dessen Kampf ihm schuf die Pein.
25   Ihn lehrte der Bescheidenheit,
Die noch empfiehlt in dieser Zeit.
Er fühlte künftig kein Gelüsten
Mit der Rede sich zu brüsten,
Als böt er zweien Mannen Kampf;
Der Eine bracht ihn schon in Dampf.

706  

Die Heere standen links und rechts
Vor den Schranken des Gefechts
Auf dem grünen Anger breit
Und sahn der beiden Kämpfer Streit.

5   Die Rosse seitwärts standen
Den kühnen Weiganden,
Während in der Mitten
Zu Fuß die Helden stritten
Einen Kampf, der lange währte.
10   Hoch aus der Hand die Schwerte
Warfen oft die beiden:
Sie wechselten die Schneiden.

So empfing der König Gramoflanz
Sauern Zins für seinen Kranz.

15   Doch hatt es auch bei ihm nicht gut
Seiner Freundin nahverwandtes Blut.
Parzival entgalt im Streit
Itonjês, der schönen Maid,
Die ihm zu Gute müste kommen,
20   Wär nicht dem Recht sein Recht benommen.
Mit Hieb auf Hieb befleißen
Um Preis sich die Gepreisten:
Der Eine für des Freundes Noth;
Der Andre folgte dem Gebot
25   Der Minne als ihr Unterthan.
Da kam auch mein Herr Gawan,
Als es schier dazu gekommen,
Daß den Sieg dahin genommen
Der stolze kühne Waleis.
Brandelidelein von Punturteis
707   Und Bernaut de Riviers
Und Affinamus de Klitiers,
Näher zu dem Kampf herbei
Ritten barhaupt diese drei.
5   Artus und Gawan
Ritten jenseits heran
Zu den kampfmüden Zwein.
Diese fünfe kamen überein,
Sie wollten scheiden diesen Streit.
10   Scheidens daucht es hohe Zeit
Gramoflanzen: denn sein Mund
That den Sieg des Helden kund,
Den er zu schwach war zu bestehn;
Das musten Andre auch gestehn.

15  

Spöttisch sprach Herr Gawan nun:
»Ich will euch heut, Herr König, thun,
Wie ihr mir gestern habt gethan,
Da ihr mir Ruhe riethet an.
Nun ruhet heut: das ist euch Noth.

20   Der euch diesen Kampf gebot,
Der hätt euch jetzt zu schwach erkannt,
Kampf zu bieten meiner Hand:
Ich bestund euch wohl allein;
Ihr fechtet freilich nur mit Zwein.
25   Allein wag ich es morgen;
Für den Ausgang mag Gott sorgen.«
Zu den Seinen ritt der König fort:
Doch erst verpfändet' er sein Wort,
Daß er am Morgen mit Gawan
Zu streiten käme auf den Plan.

708  

Zu Parzival sprach Artus da:
»Neffe, wenn es gleich geschah,
Daß du dir den Kampf erbatest,
Mit dem du gern den Freund vertratest,

5   So hatt es Gawan doch versagt:
Du hast es laut genug beklagt.
Nun hast du doch den Kampf gestritten
Für ihn, der sich nicht ließ erbitten,
Ob es uns leid war oder lieb.
10   Du schlichst dich von uns wie ein Dieb:
Wir hätten sonst wohl deine Hand
Von diesem Zweikampf abgewandt.
Nun zürne dir Herr Gawan nicht,
Wieviel man dir zum Lob auch spricht.«
15   Da sprach Gawan: »Mir ist nicht leid
Meines Vetters hohe Würdigkeit.
Morgen kommt mir noch zu früh
Dieses Kampfes Sorg und Müh.
Erließe jener mir den Strauß
20   Das legt' ich ihm für Tugend aus.«

Das Heer ritt scharweis von dem Plan.
Man sah da Frauen wohlgethan,
Und so manchen Mann im Eisenkleid,
Kein Heer gewann wohl nach der Zeit

25   Von Waffenschmuck solch Wunder.
Alle die Tafelrunder
Und das Ingesind der Herzogin,
Von ihren Wappenröcken schien
Seidenstoff von Cinidonte
Und Pfellel von Pelpionte.
709   Licht sind die Ueberdecken.
Parzival den Kecken
Priesen beide Heere so,
Seine Freunde hörtens froh.
5   Man sprach in Gramoflanzens Heer,
Gestritten habe nimmermehr
Wohl ein Ritter noch so kühn,
Den je die Sonne überschien;
Was auf beiden Seiten auch geschehn,
10   Ihm sei der Preis zuzugestehn.
Doch noch erkennen sie ihn nicht,
Dem jeder Mund zum Lobe spricht.

Gramoflanzens Ritter riethen
Ihm, Artusen zu entbieten,

15   Der König möchte sorgen,
Daß kein Andrer morgen
Käme, wider ihn zu fechten;
Daß er ihm sendete den rechten:
König Lotens Sohn, Gawanen
20   Woll er zum Zweikampf mahnen.
Als Boten sandte man geschwinde
Zwei kluge, höfische Kinde.
Der König sprach: »Nun sollt ihr spähn,
Wem ihr den Preis wollt zugestehn
25   Von all den klaren Frauen.
Auch sollt ihr sie beschauen,
Die ihr seht bei Benen sitzen.
Gebt Acht darauf mit Witzen,
Wie sich geberden wird die Maid,
Mit Freuden oder Traurigkeit:
710   Erforscht mir heimlich all ihr Wesen.
Ihr mögts in ihren Augen lesen
Ob Kummer um den Freund sie presst.
Seht auch, daß ihrs nicht vergeßt:
5   Benen gebt, der Freundin mein,
Diesen Brief und dieses Ringelein.
Die weiß, an wen das weiter soll.
Bestellt es klug, so thut ihr wohl.«

Nun war es drüben so gekommen,

10   Itonjê hatte jetzt vernommen,
Daß ihr Bruder und der liebste Mann,
Den je ein Mädchenherz gewann,
Miteinander kämpfen sollten
Und das mit Nichten laßen wollten.
15   Da überwand ihr Leid die Scham.
Wen nun freut des Mägdleins Gram,
Das Niemand was zu Leide that,
Der thut es wider meinen Rath.

Mutter und Großmutter beide,

20   In ein kleines Zelt von Seide
Führten sie das Mägdelein.
Da verwies Arniv ihr diese Pein,
Sie schalt sie um die Missethat.
Da blieb ihr auch kein andrer Rath,
25   Sie gestand hier offenbar,
Was ihnen lang verborgen war.
Da sprach das Mägdlein auserkannt:
»Soll mir nun meines Bruders Hand
Des Liebsten Herz zerschneiden,
Das möcht er lieber meiden.«

711  

Da sprach zu einem Junkerlein
Arnive: »Sag dem Sohne mein,
Daß er eilends kommen solle,
Allein, weil ich ihn sprechen wolle.«

5   Der führte bald Artusen hin.
Arnive dacht in ihrem Sinn,
Wenn er alles von ihr höre,
Vielleicht, daß er dem Kampfe wehre,
Um den so bittres Herzeweh
10   Trug die schöne Itonjê.

Nun kamen Gramoflanzens Kinde
An bei Artus Heergesinde:
Sie stiegen nieder aus dem Feld.
Vor dem kleinen Seidenzelt

15   Der eine Benen sitzen sah.
Ihr Gespiel begann zu Artus da:
»Ist das der Herzogin zur Lust,
Wenn mein Bruder mir des Freundes Brust
Durchbohrt auf ihren losen Rath?
20   Das schien' ihr billig Missethat.
Was hat der König ihm gethan?
Das rechn er meinthalb ihm nicht an.
Ist mein Bruder recht bei Sinnen
(Er weiß, wie wir uns beide minnen,
25   Ohne Trübe klar und lauter),
So gereut ihn selbst mein Trauter.
Soll mir seine Hand erwerben
Nach des Königs Tod ein bittres Sterben,«
Sprach zu Artus die süße Magd,
»Das sei euch, edler Herr, geklagt.
712   Bedenkt, daß ihr mein Oheim seid,
Und scheidet treulich diesen Streit.«

Da sprach aus weisem Munde
Artus zur selben Stunde:

5   »O weh, geliebte Nichte mein,
Daß du so früh der Minne Pein
Empfandst! das must du bitter büßen.
Deiner Schwester Sürdamur der Süßen
Gab Tod der Griechen Kaiser.
10   Süße Magd, sei weiser!
Diesen Kampf wohl möcht ich scheiden,
Wüst ist das von euch beiden.
Daß eure Herzen einig sind.
Gramoflanz, Irotens Kind,
15   Ist so mannlich von Sitten,
Dieser Kampf wird gestritten,
Hemmt ihn deine Minne nicht.
Sah er dein holdes Angesicht
Bei Freunden nie zu einer Stund,
20   Und deinen süßen rothen Mund?«

Da sprach sie: »Das ist nie geschehn:
Wir minnen uns noch ohne Sehn.
Doch hat er mir als Liebeszeichen,
Daß er nicht wanken will noch weichen,

25   Manches Kleinod zugesandt.
Er empfing auch von meiner Hand,
Was zum Minnetrost gehört
Und Minnezweifel wohl zerstört:
Mir ist des Königs Herz beständig,
In Falschheit nie abwendig.«

713  

Da erkannte Fräulein Bene,
Jene Knappen, die zwene,
König Gramoflanzens Kinde,
Gesandt zu Artus Heergesinde.

5   Sie sprach: »Hier sollte niemand stehn;
Erlaubt, das Volk nur heiß ich gehn
Hinweg aus unsern Schnüren.
Hört man euch hier vollführen
Solchen Jammer um eur Traut,
10   Die Märe würde leicht zu laut.«
Bene ward hinausgesandt.
Da schob ein Kind in ihre Hand
Den Brief mit dem Ringelein.
Sie hatten auch die hohe Pein
15   Ihrer Herrin wohl vernommen
Und sprachen, sie sei'n hergekommen,
Daß Artus sie sprechen sollte:
Ob sie das fügen wollte?
Sie sprach: »Bleibt aus dem Kreiße,
20   Bis ich euch kommen heiße.«

Von Benen ward, der süßen Magd,
Den dreien im Gezelt gesagt,
Gramoflanzens Boten wären dort
Und fragten, an welchem Ort

25   König Artus sich befände?
»Wohl dünkt mich, daß es übel stände,
Hörten sie, was wir hier sprechen.
Wofür sollt ich mich wohl rächen
An meiner Frau, ließ' ich sie sehn,
Wie ihr die Thränen niedergehn?«

714  

Artus sprach: »Sind es die Knaben,
Die ich mir hinterdrein sah traben?
Es sind zwei Kinde hoher Art,
Vor aller Missethat bewahrt,

5   Und so höfisch, daß wir ohne Schaden
Sie wohl zu diesem Rathe laden.
Jedweder hat so kluge Sinne,
Daß er von seines Herren Minne
Zu Itonjê bei niemand spricht.«
10   Bene sprach: »Das weiß ich nicht.
Herr, mags mit euern Hulden sein,
Der König hat dieß Ringelein
Dahergesandt und diesen Brief.
Da ich vor das Zelt nun lief,
15   Gab ihn eins der Kinde mir.
Herrin, seht, den nehmet ihr.«

Wohl ward der Brief geküsst mit Lust:
Itonjê drückt' ihn an die Brust.
Da sprach sie: »Herr, hieraus erseht

20   Ob der König mich um Minne fleht.«
Den Brief nahm Artus in die Hand,
Darin er denn geschrieben fand
Von dem, der Minne hegte,
Was in den Mund sich legte
25   Gramoflanz der treue Mann.
Artus sah dem Brief wohl an,
Daß sie der König minne
Mit so minniglichem Sinne,
Wie er es selten noch vernommen.
Da stand, was mag zur Minne frommen:

715  

»Ich grüße, der ich schulde Gruß,
Ihren Gruß mit Dienst erwerben muß.
Fräulein, ich meine dich,
Da du mit Trost willst trösten mich.

5   Unsre Lieb ist nicht zu scheiden:
Sieh da die Wurzel meiner Freuden!
Kein Trost, der dem Troste gleicht,
Daß sich dein Herz zu meinem neigt.
Du bist der Schlüßel meiner Treue;
10   Nun flieht mich Kummer, flieht mich Reue.
Deine Minne gibt mir Hülf und Rath,
Daß keiner unlautern That
Gedanke wird an mir gesehn.
Zu deiner Güte will ich flehn
15   So stät und so unwandelbar,
Wie der Polarstern immerdar
Nach dem Südpol sich dreht
Und nimmer von der Stelle geht:
So stät soll unsre Minne stehn
20   Und nimmer auseinander gehn.
Nun bedenke, süße Magd,
Den Kummer, den ich dir geklagt,
Und sei zu helfen nimmer laß.
Hegt mir Jemand solchen Haß,
25   Daß er dich von mir will scheiden,
So bedenke, daß uns beiden
Einst noch Minne Lohn gewähre.
Thus allen Fraun zur Ehre,
Und laß mich sein dein Dienstmann:
Ich will dir dienen wo ich kann.«

716  

Artus sprach: »Ich weiß genug:
Der König grüßt dich ohne Trug.
So viel thut dieser Brief mir kund,
Daß ich so wunderbaren Fund

5   In Minnesachen selten fand.
Nun sorge, daß ihm wird gewandt
Sein Ungemach: Er wendets dir.
Ueberlaßt das beide mir:
Diesen Kampf will ich verhindern;
10   Das mag derweil den Schmerz dir lindern.
Doch warst du nicht gefangen?
Sprich, wie ist das ergangen,
Daß ihr euch beide wurdet hold?
Gieb ihm deiner Minne Sold,
15   Bis ihn sein Dienst vergelten mag.«
Itonjê, Artus Nichte, sprach:
»Sie ist hier, die das betrieben;
Wir hielten heimlich unser Lieben.
Wollt ihr, sie fügts, daß ich ihn schaue,
20   Dem ich mein ganzes Herz vertraue.«

Artus sprach: »Die zeige mir.
Kann ich, so füg ichs ihm und dir,
Daß es nach euerm Willen geht
Und ihr am Ziel der Wünsche steht.«

25   Itonjê sprach: »Es ist Bene.
Auch sind hier seiner Knappen zwene:
Wollt ihr euch dafür verwenden
(Mein Leben steht in euern Händen),
Daß der König zu uns kommt,
Der mir allein zur Freude frommt?«

717  

Artus der weise höfsche Mann
Traf vor dem Zelt die Knappen an.
Er grüßte sie, als er sie sah.
»Herr,« sprach eins der Kinde da,

5   »Euch bittet Gramoflanz, zu walten,
Daß das Gelübde wird gehalten,
Das der König hat gethan
Euerm Neffen Gawan:
Das wird euch selber ehren.
10   Er ersucht euch, vorzukehren,
Daß kein andrer mit ihm fechte mehr.
Allzugroß ist euer Heer:
Sollt er mit allen fechten,
Zuwider wärs den Rechten.
15   Stellt ihm keinen als Gawanen:
Den sollt ihr zu dem Zweikampf mahnen.«

Der König zu den Kindern
Sprach: »Das will ich hindern.
Meinem Neffen war es schmerzlich leid,

20   Daß er nicht selber kam zum Streit.
Den man euern Herren sah bekriegen,
Dem ist es angestammt, zu siegen:
Er ist Gachmuretens Kind.
Die hier in dreien Heeren sind
25   Von allen Seiten hergekommen,
Die haben Alle nie vernommen
Kühnern Kampf von einem Helden:
Von seiner That ist Preis zu melden.
Es ist mein Neffe Parzival:
Ihr seht den Kühnen wohl einmal.

718  

Schon um Gawanens Willen
Werd ich des Königs Wunsch erfüllen.«

Artus und Bene
Und die Knappen, die zwene,

5   Ritten durch das Heergesinde.
Da nahmen wahr die Kinde
Viel der herlichen Frauen.
Auch mochten sie da schauen
Viel Schmuck auf Helmen blinken.
10   Sollt es zu theuer dünken
Den reichen Mann, in Bildern
Seine Freundschaft abzuschildern?
Von den Pferden kamen sie nicht mehr;
Artus ließ im ganzen Heer
15   Die Knappen all die Besten sehn:
Da mochten sie nach Wunsch erspähn
Ritter, Frauen und Maide,
Manch schönes Weib im schmucken Kleide.

Das Heer bestand aus dreien Stücken,

20   Dazwischen zwei Lücken.
Auf den Plan weit von dem Heer
Mit den Kinden ritt der König hehr.
Da sprach er: »Bene, süße Magd,
Du hörtest, was mir hat geklagt
25   Itonje, meiner Schwester Kind:
Sie weint sich schier die Augen blind.
Wohl glauben dürfen sie es mir,
Meine kleinen Gesellen hier:
Itonjên hat Gramoflanz
Schier verlöscht den lichten Glanz.
719   Nun helfet mir, ihr zwene,
Und du auch, Freundin Bene,
Daß der König zu uns reite,
Bevor er morgen streite.
5   Meinen Neffen Gawan
Werd ich ihm bringen auf den Plan.
Kommt der König heute her,
Das frommt ihm morgen wohl zur Wehr.
Hier giebt ihm einen Schild die Minne
10   Seinem Kampfgenoß zum Ungewinne:
Ich meine, hohen Liebesmuth,
Der oft dem Feinde Schaden thut.
Er soll die Fürsten mit sich bringen:
Zu sühnen mag mir hier gelingen
15   Ihn und die schöne Herzogin.
Das bestellt mit klugem Sinn,
Ihr Lieben: es ehrt euch sehr.
Klagen muß ich euch noch mehr:
Was hab ich unselger Mann
20   Dem König Gramoflanz gethan,
Daß er wider mein Geschlecht
(Vielleicht bedenkt er es nicht recht)
Mit Minne und mit Haß gebahrt?
Ein jeder König meiner Art
25   Sollte mein billig schonen.
Will ers ihrem Bruder lohnen
Mit Haß, daß er die Schwester minnt?
Sein Herz, wenn er sich recht besinnt,
Muß ihm von Minne wanken,
Nährt es solcherlei Gedanken.«

720  

Der Kinde eins zum König sprach:
»Herr, was euch zum Ungemach
Gereicht, davon soll meiner laßen:
Es will sich wenig für ihn passen.

5   Doch kennt ihr wohl den alten Groll.
Drum dünkt mich, daß er bleiben soll
Und heute nicht herüber ziehn.
Noch zürnt die Herzogin auf ihn,
Sie hat ihm ihre Huld versagt,
10   Ihn bei manchem Mann verklagt.«
»Mit wenig Leuten komm er doch,«
Sprach Artus. »Ich stift ihm heute noch
Sühne für den alten Zorn
Bei der Fürstin wohlgeborn
15   Und schaff ihm gut Geleit zuvor:
Meiner Schwester Sohn Beaukorps
Harre sein auf halbem Wege.
Fährt er so in meine Pflege,
Darin darf er keine Schmach erblicken:
20   Ich will ihm werthe Leute schicken.«

Mit Urlaub fuhren sie hindann;
Allein blieb Artus auf dem Plan.
Bene mit den Junkerlein
Ritt zu Roschsabins hinein

25   Und zu dem Heer, das draußen lag.
Noch erlebte niemals liebern Tag
Gramoflanz, da ihm bekannt
Die Botschaft ward. Sein Herz gestand,
Selig müß es diese Stunde
Preisen, da ihm kam die Kunde.

721  

Er sprach, er wollte gerne kommen.
Gesellschaft hatt er bald genommen:
Seiner Landesfürsten drei
Gesellte sich der König bei.

5   Sein Oheim wollt auch mit ihm sein,
Der König Brandelidelein,
Ferner Bernaut de Riviers
Und Affinamus de Klitiers.
Der Sechse Jeder nahm sich weiter
10   Einen schicklichen Begleiter,
Daß auf zwölfe stieg die Zahl.
Viel Junker wurden auch zumal
Und mancher Knecht, der Waffen trug,
Auserkoren zu dem Zug.

15  

Wie die Herrn gekleidet sei'n?
In Pfellel, die viel lichten Schein
Von des Goldes Schwere gaben.
Des Königs Falkner sah man traben
Mit ihm zu der Vogeljagd.

20   Nun hatt es Artus wohl bedacht:
Beaukorps den schönen Degen
Sandt er halbwegs entgegen
Dem König zum Geleite.
Durch des Gefildes Breite
25   Sah er sich Bäume reihn und Sträuche,
Obs am Bach war oder Teiche:
Da ritt der König beizend her,
Doch um der Minne willen mehr.
Nun empfing ihn Beaukorps da,
Daß ihm Freude dran geschah.

722  

Mit Beaukorps als Gesinde
Kamen mehr als funfzig Kinde;
Ihr Geschlecht gab lichten Schein,
Herzoge meist und Gräfelein,

5   Auch Königssöhne drunter.
Der Empfang ward munter
Von den Kinden beiderseits begangen:
Man sah sie freundlich sich umfangen.

Ein schöner Jüngling war Beaukorps.

10   Da befrug der König sich zuvor:
Bene sagt' ihm Märe,
Wer der klare Ritter wäre.
»Beaukorps ist es, Lotens Sohn.«
Da dacht er: »Herz, du findest schon
15   Auch sie, die gleichen muß dem Degen,
Der so minniglich mir kommt entgegen.
Traun, sie ist seine Schwester,
Die den Hut von Sinzester
Mir mit dem Sperber hat geschickt.
20   Wenn mir ihr Auge freundlich blickt,
Alle irdsche Herlichkeit,
Und wär die Erde zwier so breit,
Ich nähme sie dafür wohl an.
Sie sei mir treulich zugethan.
25   Auf ihre Gnade komm ich her:
Getröstet hat sie mich so sehr,
Ich getraue, daß sie an mir thut,
Was mir noch höher hebt den Muth.«
Ihres klaren Bruders Hand nahm seine;
Die fand man auch in lichtem Scheine.

723  

Unterdessen hatt im Heer
Artus mit dem König hehr
Ausgesöhnt die Herzogin.
Ihr war ersetzender Gewinn

5   Gekommen jetzt für Cidegast,
Um den sie Jenen lang gehaßt.
Ihr Zürnen war verdorben:
Die bei Gawan erworben
Manch zärtliches Umfangen,
10   Ihr war der Zorn vergangen.

Nun nahm Artus, der Britte,
Die klaren Frauen edler Sitte,
So Mägdelein als Frauen,
Die da wonniglich zu schauen.

15   Zu einem Zelte bracht er hundert
Der schönsten, die man meist bewundert.
Liebres konnte nichts geschehn,
Da sie den König sollte sehn,
Itonjên, die auch da saß.
20   Ihre Freude kannte kaum ein Maß:
Doch zeigte ihrer Augen Schein,
Daß sie die Minne lehrte Pein.

Schöner Ritter sah man auch genug;
Der werthe Parzival doch trug

25   Den Preis davon vor allem Glanz.
Vor die Schnüre ritt da Gramoflanz:
In Gampfassasch gewoben
War sein Rock und wohl zu loben.
Er war auch reich durchwirkt mit Gold,
Und weit den Schimmer warf er hold.

724  

Ab saß er mit dem Heergesinde.
König Gramoflanzens Kinde
Sprangen zahlreich ihm voraus
Und eilten in das luftge Haus.

5   Die Kämmrer ohne Säumen
Ließen weite Straße räumen
Vor der Britten Königin.
Sein Oheim Brandelidelin
Schritt vor dem Könige daher:
10   Mit Kuss empfing ihn Ginover;
Auch den König selbst empfing ihr Kuss.
Bernaut und Affinamus
Sollten auch den Kuss empfahn.
Zu Gramoflanz hub Artus an:
15   »Eh ihr einen Stuhl gewinnt,
Schauet, ob ihr eine minnt
Dieser Fraun: die mögt ihr küssen:
Wir gönnen euch, die Lust zu büßen.«

Ihm verrieth, wo seine Freundin saß

20   Der Brief, den er im Felde las:
Ihren Bruder hatt er dort gesehn,
Die ihm, nun darf sies frei gestehn,
Geheim verliehn der Minne Glück.
Da erkannte Gramoflanzens Blick
25   Die Schöne, die ihm Minne trug,
Da freute sich sein Herz genug.
Artus hatt es eingeräumt,
Daß sie einander ungesäumt
Durften ohne Haß empfangen:
Itonjen küsst' er Mund und Wangen.

725  

Der König Brandelidelin
Setzte sich zur Königin.
Auch saß der König Gramoflanz
Bei der, die oft den lichten Glanz

5   Getrübt sich hat mit Thränen,
Da sie zwang der Liebe Sehnen.
Will er dieß nicht an ihr rächen,
So muß er freundlich zu ihr sprechen
Und ihr Dienst für Minne bieten.
10   Wie ihr des Herzens Sinne riethen,
Dankte sie ihm für sein Kommen.
Sonst ward ihr Sprechen nicht vernommen;
Sie sahn einander gerne.
Wenn ich einst reden lerne,
15   So meld ich, was sie sprachen da,
Jedes Nein und jedes Ja.

Artus zu Brandelidelein
Begann: »Ihr habt der Frauen mein
Schönes nun genug gesagt.«

20   Darauf dem Degen unverzagt
Winkt' er in ein kleines Zelt,
Kurzen Weg übers Feld.
Gramoflanz blieb stille
Sitzen (das war Artus Wille)
25   Mit allen den Gesellen sein.
Da gaben Frauen klaren Schein,
Was wohl die Ritter nicht verdroß.
Ihre Kurzweil war so groß,
Wohl litte sie ein Mann noch heute,
Der sich nach Sorgen gerne freute.

726  

Der Schenke vor die Köngin trug
Das Trinken. Tranken sie genug,
So wars den Rittern und den Frauen
Wohl am Roth der Wangen anzuschauen.

5   Zu trinken trug man auch hinein
Zu Artus und Brandelidelein.
Da der Schenke wieder ging,
Herr Artus an zu reden fing:

»Herr König, setzt, es hätte schon

10   Der König, eurer Schwester Sohn,
Meiner Schwester Sohn erschlagen:
Wollt er alsdann noch Minne tragen
Meiner Nichte, jener Magd,
Die ihm dort ihr Leid noch klagt,
15   Wo wir sie ließen minnen –
Wär sie bei klugen Sinnen,
Sie würd ihm nimmer wieder hold
Und gäb mit Haß ihm solchen Sold,
Daß es den König wohl verdröße,
20   Wenn er gern noch ihrer Huld genöße.
Wo Haß die Liebe unterbricht,
Wird treuer Herzen Wunsch zunicht.«

Der König sprach von Punturtois
Zu Artus dem Bretanois:

25   »Herr, sie sind unsre Neffen,
Die im Kampf sich wollen treffen:
Drum laßen wir ihn nicht geschehn.
Nichts andres mag daraus entstehn,
Als daß sie zwei sich minnen
Mit Herzen und mit Sinnen.
727   Itonje, eure Nichte, soll
Meinem Neffen dräun mit ihrem Groll.
Daß er dem Kampf entsage,
Wenn er Minne zu ihr trage.
5   So wird fürwahr der Kampf vermieden,
Der Streit geschlichtet sein im Frieden;
Nur sorgt, daß von der Herzogin
Meinem Neffen sei verziehn.«

Artus sprach: »Das thu ich schon.

10   Gawan, meiner Schwester Sohn,
Hat wohl so viel Gewalt bei ihr,
Daß sie ihm zu Lieb und mir
Dem König seine Schuld verzeiht.
Versühnt ihr andrerseits den Streit.«
15   »Ich thus,« sprach Brandelidelein.
Sie traten beide wieder ein.

Sich setzte der von Punturtois
Zu Ginover; die war kurtois.
Dort saß Parzival bei ihr:

20   Der trug noch solcher Schönheit Zier,
Daß kein Auge schönern Mann noch sah.
Von hinnen hob sich Artus da
Zu seinem Neffen Gawan.
Dem war zu wißen schon gethan,
25   Roi Gramoflanz wär angekommen.
Artus, wurde jetzt vernommen,
Halte draußen vor dem Zelt:
Ihm entgegen sprang er auf das Feld.

Die beiden brachtens nun dahin,
Daß Sühne gab die Herzogin;

728   Doch anders nicht, als wenn Gawan,
Ihr Freund und vielgeliebter Mann,
Dem Kampf entsage ihr zu Ehren:
So wolle Sühne sie gewähren;
5   Und wenn der König seiner Klage,
Der angemaßten, ganz entsage,
Wider ihren Schwäher Lot:
Das war es, was sie ihm entbot.

Diese Märe bracht ihm dann

10   Artus, der weise höfsche Mann.
Da muste König Gramoflanz
Wohl verschmerzen seinen Kranz.
Sein alter Haß auch gegen
König Lot von Norwegen,
15   Der zerging wie in der Sonne Schnee
Um die klare Itonjê
Lauterlich ohn allen Haß.
Das geschah, indem er bei ihr saß:
Er bewilligte, was sie ihn bat.
20   Nun seht, wie dort Herr Gawan naht
Mit herlichen Leuten.
Ich könnt euch nicht bedeuten,
Wie sie all genannt sind und von wannen.
Da muste Liebe Leid verbannen.

25  

Orgeluse die fiere
Und ihre kühnen Soldiere,
Dazu auch Klinschors Degen
(Nicht alle sind zugegen)
Sah man mit Gawanen kommen.
Artusens Zelte ward genommen

729   Der Lufthelm von dem Hute.
Arniv auch kam, die gute,
Sangiv und Kondriê zum Schluß:
Gebeten hatte sie Artus
5   Bei dieser Sühne zu sein.
Wen Solches unwerth dünkt und klein,
Der größe, was er meint von Werthe.
Jofreit, Gawanens Gefährte,
Führte die schöne Herzogin
10   An seiner Hand zum Zelte hin.
Doch sah man sie die Zucht beginnen:
Diese drei Königinnen
Ließ sie vor sich gehn hinein.
Die küsste Brandelidelein;
15   Seinen Kuss auch Orgelus empfing.
Des Sühnekusses willen ging
Ihr auch Gramoflanz entgegen,
Wo ihr süßer rother Mund den Degen
Zum Pfande der Versöhnung küsste,
20   Wie sehr auch Weinens sie gelüste.
Sie dacht an Cidegastens Tod.
Da zwang zu weiblicher Noth
Sie die Trauer um den Degen gut;
Daran erkennt getreuen Muth.
25   Zwischen Gawan und Gramoflanz
Macht' auch ein Kuss die Sühne ganz.
Artus gab Itonjê
Gramoflanzen dann zur Eh;
Er hatte lang gedient der Schönen.
Da das geschah, das freute Benen.
730   Den auch die Minne lehrte Pein,
Dem Herzogen von Gowerzein,
Lischois, ward Kondriê gegeben:
Alle Freude fehlte seinem Leben,
5   Eh er ihre Minn empfand.
Dem Türkowiten Florand
Zur Eh Sangiven Artus bot,
Die vermählt einst war dem König Lot.
Wie der Fürst sie gerne nahm!
10   Solcher Gab ist Minne niemals gram.

Milde war Artus mit Frauen,
Gern ließ er solche Gabe schauen.
Das geschah mit Rath und Wohlbedacht.
Da dieß Alles war vollbracht,

15   Da gestand die Herzogin,
Daß Gawan mit kühnem Sinn
Ihre Minne hätt errungen,
Ihr Herz, ihr Land bezwungen
Und beider Herr nun wäre.
20   Nicht wohl gefiel die Märe
Ihren Söldnern, die der Spere viel
Verthan nach ihrer Minne Ziel.

Gawan und die da mit ihm ziehn,
Arnive und die Herzogin

25   Und viel der Frauen wohlgethan,
Auch Parzival der kühne Mann,
Sangive dann und Kondriê
Nahmen Urlaub: Itonjê
Verblieb allein bei Artus dort.
Nun sagt nicht, daß an anderm Ort
731   Schönre Hochzeit je geschah.
In die Pflege nahm Ginover da
Itonjen und ihr werth Gemahl,
Den König, der so manchesmal
5   Den Preis erlangt im Ritterspiel,
Als Itonjes Minne war sein Ziel.
Der Herberg ritt da Mancher zu,
Dem hohe Minne nahm die Ruh.
Wie sie zu Nacht gegeßen,
10   Das darf ich wohl vergeßen:
Wer da auf Minne war bedacht,
Der zog dem Tage vor die Nacht.

Da erbot der König Gramoflanz
(Sein Stolz erwünschte höchsten Glanz)

15   Zu Roschsabins den Seinigen.
Sie sollten es beschleunigen,
Das Gezelt abbrechen bei dem Meer
Und vor Tag noch kommen mit dem Heer;
»Und daß mein Marschall auf dem Plan
20   Raum nehme, der es faßen kann.
Mir sorgt für hohen Staat mit Fleiß,
Jeglichem Fürsten eignen Kreiß.«
Der König sann ans hohe Pracht.
Da die Boten fuhren, war es Nacht.

25  

Da war auch mancher traurge Mann,
Dem hattens Frauen angethan:
Wem sein Dienst ins Leere schwindet,
Daß er nie Erhörung findet,
Der muß in Sorgen leben,
Bis ein Weib will Hülfe geben.

732  

Da gedachte wieder Parzival
An sein wonniglich Gemahl,
Ihre süße Keusche schuf ihm Noth.
Ob er niemals andern Dienste bot

5   Und mit unstätem Sinne
Warb um fremde Minne?
Solch Minnen wird von ihm gespart.
Die Treue hielt ihm so bewahrt
Sein mannlich Herz und auch den Leib,
10   Daß wahrlich nie ein ander Weib
Seine Minne nahm dahin
Als allein die Königin
Kondwiramur,
Der schönste Flor der Minneflur.

15  

Er gedachte: »Seit ich minnen kann,
Wie hat die Minne mir gethan?
Aus Minne ward ich doch geboren:
Wie hab ich Minne so verloren?
Soll ich nach dem Grale ringen,

20   So muß mich immer Sehnsucht zwingen,
Daß mich ihr keuscher Arm umfange,
Von der ich schied, es ist zu lange!
Soll mein Auge Freude sehn
Und Jammer doch mein Herz durchwehn,
25   Die Dinge sehn sich wenig gleich.
Leider hohen Muthes reich
Wird Niemand durch Verzichten.
Mag mich das Glück berichten,
Was für mich das Beste sei.«
Sein Harnisch lag ihm nahe bei.

733  

Er dachte: »Da sich mir entzieht,
Was allen Glücklichen blüht,
Ich meine die Minne,
Die manches Traurgen Sinne

5   Fröhlich macht und freudenreich,
Da dieß mein Looß, so gilt mir gleich
Alles andern Leids Beschwerde.
Gott will nicht, daß mir Freude werde.
Die mir zur Minne zwingt die Sinne,
10   Stünd es so um unsre Minne,
Daß sich ein Scheiden ließe denken,
Uns je ein Zweifel könnte kränken,
Wohl möcht ich andre Minne finden;
Doch unsrer Minne muß verschwinden
15   Andre Minne, fremde Lust:
Drum flieht der Harm nie meine Brust.
Das Glück mög Allen Freude geben,
Die nach voller Freude streben.
Gott schenke Freud all diesen Scharen:
20   Ich will aus diesen Freuden fahren.«

Hin griff er, wo die Rüstung lag,
Der sich allein wohl rüsten mag,
Und wappnete sich bald darein.
Nun will er suchen neue Pein.

25   Da der freudenflüchtge Mann
Seinen Harnisch angethan,
Das Ross allein auch sattelt' er;
Bereit schon stand ihm Schild und Sper.
Am Morgen hörte mans beklagen.
Er schied, als es begann zu tagen.

 << zurück weiter >>