Wolfram von Eschenbach
Parzival und Titurel
Wolfram von Eschenbach

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§. 9. Kiot.

Ein fruchtbarer nordfranzösischer Dichter, Chrestien de Troyes, der gegen das Ende des zwölften Jahrhunderts (1170–90) blühte, hat ein Gedicht von Parzival hinterlaßen, das nach seinem Tode von mehrern Andern fortgesetzt worden ist. Aus diesem will aber Wolfram, obwohl er es kannte, nicht geschöpft haben, vielmehr tadelt er 827, 1 ff. ausdrücklich Meister Christians Behandlung dieser Sage. Zur Rechtfertigung seiner eigenen abweichenden Darstellung beruft er sich 453, 11 ff. auf einen Provenzalen Namens Kiot (Guiot) als seinen Gewährsmann, welchen auch schon Chrestien gekannt haben müste: Wolframs Worte, über das Unrecht, das Meister Christian der Sage gethan habe, möge Kiot wohl zürnen, laßen die Annahme nicht zu, daß umgekehrt Kiot schon Chrestiens Behandlung gekannt habe: denn als Kiots Quelle nennt Wolfram den Flegetanis (s. unten §. 10) und die Chronik von Anjou (s. §. 14): mithin kann unser Dichter nicht meinen, sein Gewährsmann Kiot habe aus Chrestien geschöpft. Aber obgleich Kiot ein Provenzale gewesen sein soll, von dem man erwarten würde, daß er sich der provenzalischen Sprache, der Langue d'Oc, nicht aber des nordfranzösischen Idioms, der Langue d'Oui, bedient habe, so meldet doch unser Dichter ausdrücklich, er habe französisch vom Grale gesprochen, und ein Irrtum oder eine Ungenauigkeit im Ausdruck ist hier um so weniger zu vermuthen als die einzelnen Worte und Verse, welche er aus seiner Quelle aufnimmt, nordfranzösisch, nicht provenzalisch sind. Kiot hätte also in französischer Sprache gedichtet.

Da Kiots Werk, wenn es mehr ist als eine Fiktion, uns nicht vorliegt, so kann uns keine Vergleichung über den Grad von Selbständigkeit belehren, welchen unser Dichter seiner Quelle gegenüber behauptet hätte. Indessen können wir sie uns kaum groß genug denken, da Wolframs scharf ausgeprägte Persönlichkeit überall auf das Bestimmteste hervortritt, jede Zeile seinen Geist athmet, und die vielen höchst individuellen Ergüße sowohl als die Anspielungen auf deutsche Verhältnisse und deutsche Sage jeden Gedanken an eigentliche Uebersetzung ausschließen. Nicht einmal im Thatsächlichen müste Kiot überall als Wolframs Gewährsmann gelten. Schon von Andern ist bemerkt worden, daß ein Theil der Geschichten Gachmurets deutschen Ursprung verrathe. Der Schottenkönig Friedebrand, der mit Heuteger von Schotten den Mohren Eisenhart, seinen Verwandten, zu rächen gekommen, aber mit Morhold wieder heimgefahren ist, um sein eigen Land vor den Verwandten Hernants, den er Herlindens willen erschlagen hatte, zu schützen, und dessen Weib eine Tochter Schiltungs genannt wird, würde schon dieser deutschen Namen wegen nicht romanischen Ursprungs scheinen, wenn auch nicht das in der sog. Manessischen Sammlung enthaltene Lehrgedicht von König Tirol von Schotten und seinem Sohne Friedebrand, und die im Wartburgkriege erwähnte, offenbar aus einem größern erzählenden Gedichte von König Tirol und Friedebrand, von dem neuerlich Bruchstücke zum Vorschein gekommen sind (Zeitschrift für deutsches Alterth. I. 1, 7.), herrührende Sage von dem als Fliege in den Rubin eines Ringes gebannten Geist, der dem König Tirol beim Schachspiel Rath ertheilt habe, auf einen noch unerforschten heimischen Zusammenhang, und zwar mit der Gudrunsage, deutete. Daß diese Namen und die entsprechenden Theile der Fabel schon Kiot gekannt hätte, wäre zwar möglich, wenn man annähme, daß so frühe schon deutsche Ueberlieferungen unter romanische gedrungen wären; aber die unentstellten deutschen Namensformen sprechen dagegen und die Ueberlieferung der Meistersänger, Wolfram von Eschenbach habe von seinem Meister »Friedebrand« zu Siegbrunnen in Schottland Bücher empfangen, scheint anzudeuten, daß man schon damals diese Sagenbestandtheile nicht aus Kiots Gedicht abgeleitet habe. Vgl. die Anmerkung zu 496, 21. Aber auch die Anordnung, die poetische Gestaltung eignet Lachmann unserm Dichter zu. Hören wir ihn selber: »Die Abgeschlossenheit des Inhalts, das Ebenmaß der Theile, die Wärme, Wahrheit und Tiefe der Darstellung haben wir ohne Zweifel dem deutschen Dichter allein zu danken: wie überhaupt die französische Poesie des zwölften Jahrhunderts durch den Reichtum der erhaltenen und ausgebildeten, theils eigenen, theils entlehnten Sagen weit über die deutsche des dreizehnten hervorragte: aber in einer dürftigen, unbefestigten Sprache, starr an den hergebrachten epischen Formeln haftend, und auf die Ausführung zu ungeheuern Massen ausgehend, blieb die Darstellung weit hinter dem Reichtum der Erfindung zurück, während die deutsche Poesie, die schwindenden Sagen ebenfalls in größern Massen festzuhalten und fremde sich anzueignen bestrebt, aus der alten epischen Umschreibung des Einzelnen erst zu der einfachen farblosen Erzählung überging, dann aber, je mehr Situation und Fortschritt der Begebenheiten die Empfindung traf, in den Eigentümlichkeiten sehr verschiedener Dichter sich zu mannigfaltigen, freilich nicht lange dauernden Blüten entwickelte. Den ausgezeichneten Werken dieser Zeit werden in der Darstellung die Originale nie gleichkommen: und wenn bei den Franzosen das Studium der ältern Literatur nicht noch allzu oft Liebhaberei ohne historische Betrachtung wäre, so möchte man es für Absicht oder Scheu vor der Vergleichung halten, daß sie den Chevalier au lion, ein Werk des bedeutendsten Dichters, das in mehrern Handschriften erhalten, schon den Trieb zur Kritik wecken sollte, noch immer nicht herausgegeben haben. Den Inhalt und Gang des französischen Gedichts unter des Provenzalen Guiots Namen können wir noch vollständig genug angeben. Denn es leidet keinen Zweifel, daß der Dichter des Titurel dasselbe Werk vor sich hatte (vgl. u. §. 24) und der Ordnung desselben streng folgte, wenn er auch den innern Zusammenhang der Sage noch weniger als der französische Dichter faßte. Wolfram, dem das Ganze, wie uns, ein Gewirr unverständlicher, schlecht verbundener Fabeln scheinen mochte, ward von Parzivals Sage, die auch schon Christian ausgeschieden hatte, besonders angezogen, und ihn bewegte offenbar der epische Gedanke, den er wohl erst durch seine Behandlung wird hineingetragen haben, wie Parzival in der Gedankenlosigkeit der Jugend das ihm bestimmte Glück verfehlt, und erst nachdem er die Verzweiflung überwunden und in dem unverschuldeten Kampfe gegen Freund und Bruder das Härteste erfahren hat, in der Treue gegen Gott und sein Weib der erstrebten höchsten Glückseligkeit würdig befunden wird. Um diesen Gedanken darzustellen, nahm er mit verständiger Wahl die Geschichten von Gachmuret und Gawan auf: aber er ließ, außer dem, was er für den Titurel bestimmte, noch Manches aus, was entweder unbedeutend oder störend schien. – Diese Geschichten, die auch meistens an sich wenig Werth haben, opferte Wolfram der ohne Zweifel weit größern und edlern Ansicht auf, daß Parzival in seiner Verzweiflung nicht der Herr der Aventüre sein dürfte. Und daß seit der Erlösung Pardiskalens der Held sich entschließt, überall, wo er hinkommt, nach Land und Leuten zu fragen, ist gewiss dem ursprünglichen Sinne der Sage nicht so angemeßen, als daß ihm weit später noch (559, 9–28) das Abenteuer von Chastel merveil entgeht, weil er nicht fragt.«

Vortrefflich hat hier Lachmann den Grundgedanken des Gedichtes ausgesprochen; wir müsten ihm ganz beistimmen, wenn wir überzeugt sein dürften, daß dieser Gedanke und die Wahl der angegebenen Mittel zu seiner Darstellung auf Rechnung unseres Dichters, nicht seines Gewährsmannes, zu stellen wären. Daran aber, daß erst Wolfram durch seine Behandlung jenen epischen Gedanken in das Gedicht getragen habe, erregt Lachmann selber Zweifel durch die Angabe, daß auch Chrestien von Troyes Parzivals Sage ausgeschieden hatte: bei Kiot, dem unser Dichter den Vorzug vor Chrestien giebt, sollte man darnach kein Gewirr unverständlicher, schlecht verbundener Fabeln erwarten. Dazu kommt nun, daß die von Lachmann gerühmte verständige Wahl in der Aufnahme der Geschichten von Gawan unserm Dichter gleichfalls nicht zu Gute gerechnet werden kann, da schon Chrestien, den er neben dem frühern Kiot kannte, die Episode von Gawan während Parzivals Verzweiflung einflocht. Aber die Sache steht noch viel schlimmer für unsern Dichter, solange wir von der Voraussetzung ausgehen, daß er überhaupt einem Kiot folgte: ihm kann dann unmöglich so viel Verdienst um die Anordnung und poetische Gestaltung des Stoffes beigemeßen werden, als ihm Lachmann zuerkennen will. Denn aus der von dem jüngern Titurel befolgten Ordnung schließen zu wollen, daß Kiots Werk ein Gewirr unverständlicher, schlecht verbundener Fabeln war, geht darum nicht an, weil wie schon in unserer ersten Auflage dargethan wurde (vgl. unten §. 25. Albrecht und Kiot), der Dichter des jüngern Titurel Kiots Werk keineswegs vor sich hatte.

Aus dem, was wir jetzt von Chrestiens Werk wißen, geht vielmehr deutlich hervor, daß Wolfram von Parzivals Geburt bis zu dem ersten Auftreten des nur ihm bekannten Feirefiss derselben Ordnung folgte, die sich schon bei Chrestien und seinen Nachfolgern findet. Von da ab nimmt seine Erzählung einen selbständigen Gang und wendet sich unmittelbar der Darlegung der oben mit Lachmanns Worte ausgesprochenen Grundidee zu, die, wie schon Wolframs Einleitung andeutet, mit der Elsternfarbe des Feirefiss zusammenhängt. Des Feirefiss wegen sind auch die zwei ersten Bücher von Parzivals Vater Gachmuret vorausgeschickt, deren zum grösten Theil aus der Nordseesage geschöpfter Inhalt dem französischen Dichter ganz fremd ist. Hätte Wolfram diese Theile des Gedichts, welche seine Idee zur Anschauung bringen, ihm erst den Stempel eines Kunstwerks aufdrücken, dem Kiot entlehnt, dann wäre er ihm wahrscheinlich auch für alles Schöne verpflichtet, das seine frühere Darstellung vor der Chrestiens auszeichnet: damit aber sänke er fast zu einem Uebersetzer herab, wie Hartmann nicht viel mehr war in dreien seiner Werke, nicht im vierten, im armen Heinrich.

Ueber die Ansicht Lachmanns, aus Scheu vor der Vergleichung mit Hartmanns Werk hätten die Franzosen Chrestiens Chevalier au lion noch nicht herausgegeben, vgl. Dr. W. L. Holland Chrestien von Troyes 1851, S. 178 bis 184. Wie aber auch jetzt, da Chrestiens Werk wenigstens nach einer Handschrift gedruckt vorliegt, das Urtheil zu Ungunsten Hartmanns sich stelle, für das Verhältniss Wolframs zu seiner Quelle läßt sich daraus kein Schluß gewinnen. Die Krone, die man aus der Treue gegen seinen Gewährsmann für unsers Dichters Haupt flechten zu wollen scheint, würde der eigentümlichste und kühnste unserer höfischen Dichter unwillig von sich weisen. Wer die blitzende Schönheit der beiden lyrisch-epischen Abschnitte von Sigunen und Schionatulander im sog. ältern Titurel, im Willehalm die gewaltige Heldenkraft empfunden hat, die in der Scene mit dem sterbenden Vivianz oder in jener von dem schwachen Loys und seinem Weibe athmet, wer dem Dichter das stolz freudige Bewustsein gegönnt hat, mit der er im Parzival 337, also unmittelbar vor der Einführung der Obilot, die seine schönste Schöpfung ist, auf die geschilderten Frauen zurückblickt, der wird wißen, hier ist mehr als Hartmann. Was hätte dieser, was die ganze alte französische und provenzalische Literatur nur neben diese Obilot zu stellen, deren lebensvolle Anmuth kaum Goethe wieder erreicht hat? Wer empfände nicht mit Gawan (395, 22–24) ein freundliches Gelüste, dieß schöne Kind wie eine Docke an seine Brust zu ziehen und abzuküssen? Sie ist erst, was wir Backfisch nennen, ihr fehlen noch fünf Jahre, ehe sie Minne geben könnte (370, 15), und wie liebenswürdig, wie reizend ist sie doch; wie Recht hatte ihr Vater Lippaut, wenn er (374, 10) laut schreien wollte vor Freude, daß ihn Gott mit diesem Mädchen berathen hatte, das, wie er voraussah, durch ihre glückliche Naturanlage der gute Engel seines Hauses werden sollte. Edle Frauengestalten zu erschaffen und darzustellen ist eine Gabe, die Wolfram mit unserm grösten neuern Dichter gemein hat: er durfte sich wohl etwas darauf zu Gute thun, und nicht ohne Absicht hat er jenen Rückblick an diese Stelle gesetzt, wo er auf Belakane, auf Herzeleide, auf Sigune dieses allerliebste kleine Geschöpf folgen laßen wollte. Schon der Gedanke war verwegen, ein Mädchen in solchen Jahren zum Mittelpunct dieser lieblichen Ritteridylle zu wählen: Niemand hätte darauf verfallen können, der sich nicht der Meisterschaft in der Schilderung weiblicher Seelen bewust war. – Ueber Rochats Bemerkung, das von mir in Bezug auf Obilot dem Wolfram gespendete Lob gebühre vielmehr dem Chrestien, bin ich sehr verwundert. An Chrestiens unbenannt bleibender Obilot finde ich nichts zu loben; sie entbehrt aller Anmuth. Daß sie ihrer Schwester Geschmack nicht theilt und dem übertriebenen Preis, den diese ihrem Befreier Meljanz de Lis zuerkennt, den Gawan entgegenstellt, den sie für einen Kaufmann oder Wechsler nicht gelten laßen will, macht sie noch nicht liebenswürdig. Sie klagt dem Gawan, daß ihre Schwester sie seinetwegen misshandelt habe, und verlangt, daß er sie zu rächen gegen Meljanz kämpfe. Darin liegt noch nicht die für ein junges Mädchen naive Zumuthung, daß er ihr Ritter sein und ihr Kleinod tragen solle; auf diesen Gedanken kommt sie nicht einmal selbst, erst ihr Vater muß ihr rathen, ihm ein solches, etwa einen Ermel zu schicken. Hier ist offenbar unser Dichter im Vortheil: der Vater sollte doch wißen, daß sie dafür viel zu jung ist, und auch wenn sie älter wäre, Gawans Werbung abzuwarten hätte. Gawan wird wirklich durch ihre Bitte bestimmt, am Turnier Theil zu nehmen, läßt aber ihr Kleinod nicht auf seinen Schild schlagen, und schenkt ihr auch nicht den von ihm bezwungenen Meljanz de Lis: sie erhält nur eines der vier erbeuteten Pferde; die drei andern schickt er seiner Wirthin und deren beiden Töchtern. Meljans bleibt für todt auf dem Kampfplatz liegen; Obilot kann ihn also ihrer Schwester nicht zum Geschenk machen und sie so durch ihre Großmuth beschämen. Auch von ihren kindlichen Spielen ist keine Rede, nichts von ihren Docken, nichts von ihrem Gespiel Klauditte, nichts von Allem, was sie bei Wolfram so reizend macht, namentlich fehlt gänzlich die von Gawan angeregte Liebesdialektik, auf die sie, fünf Jahre zu früh, sehr beredt eingeht, 371, 1. Aber was hilft es uns, diese unvergleichlichen Schönheiten hervorzuheben, wenn Wolfram sie wieder abtreten müste an den Dichter, der mit Feirefiss und Gachmuret dem Gedichte von Parzival erst seine Idee, seine Seele einhauchte: denn diesem wird man schon auch zutrauen, daß er jene so lebenswarmen als naturgetreuen weiblichen Gestalten erschaffen habe. Lachmann, der Wolframs schöpferische Kraft wohl erkannte, wollte ihm in der Anordnung, in der poetischen Gestaltung seines Stoffs eine Selbständigkeit zuschreiben, die sich mit der Annahme, daß er an Kiot einen Gewährsmann gehabt habe, nicht mehr verträgt, seit uns der Rückschluß aus dem jüngern Titurel auf Kiots Werk versagt ist. Glücklicherweise wird aber dieser Kiot, den die provenzalische Literaturgeschichte so wenig kennt als die französische, auch aus der deutschen gestrichen werden müßen. Wolfram hatte ihn nur fingirt, um die Autorität Meister Christians in sklavischen Gemüthern zu brechen, welche dem Dichter die ihm von Gott und Rechtswegen gebührende Freiheit nicht zugestanden, einen von außen überlieferten Stoff aus sich heraus umzubilden, damit er seiner Idee entspreche.

Die Widersprüche, in welche sich Wolfram in Bezug auf Kiot verwickelt, indem er ihn einen Provenzalen nennt, der aber doch französisch vom Grale gesprochen haben soll, laßen sich nur lösen, wenn man annimmt, daß Wolfram von jenem als Liederdichter bekannten Guiot von Provins, einer kleinen Stadt in Brie, Kunde hatte, der auch seinen Zeitgenossen nicht ganz unbekannt geblieben sein kann, da er mit Heinrich von Veldecke an Kaiser Friedrichs großem Hofe zu Mainz 1184 zusammengetroffen war. Er benutzte diese Kunde, vielleicht mit absichtlichem Missverständnisse des Namens, um dem Ansehen des berühmten nordfranzösischen Dichters, Chrestien, einen namhaften provenzalischen Gewährsmann gegenüberzustellen, der als Provenzale vom Grale und der Gralssage beßer unterrichtet scheinen konnte. Gleichwohl sagte er, Kiot habe französisch vom Grale gesprochen, weil ein Theil der eingeflochtenen romanischen Namen und alle Zeilen und Halbzeilen, die er wohl dem Chrestien entnommen hatte, französisch waren. Ein wirklicher Provenzale, der ein erzählendes Gedicht in kurzen Reimpaaren (auf solche deuten die eingeflochtenen welschen Zeilen) gedichtet hätte, würde schwerlich la (sic!) schantiure heißen: diese Bezeichnung kann auf Guiot de Provins weisen, von dem uns Lieder erhalten sind (vgl. W. Wackernagels altfränkische Lieder und Leiche). Warum wäre von einem so bedeutenden Dichter, wie jener Provenzale gewesen sein müste, auch gar keine Kunde gerettet, so wenig als von seinem Gedichte? Und warum fänden sich überhaupt in der Provence, wenn dort Kiot gedichtet hätte, so wenig Anspielungen auf die Gralssage, und unter diesen keine, die nicht auf Chrestien zurückgehen könnte?

Chrestiens und seiner Nachfolger Werk kannten wir, auch nach Hollands Monographie, bisher nur oberflächlich. Gewiss war es nicht Scheu vor der Vergleichung, so begründet diese hier wäre, was die Franzosen so lange abgehalten hatte, seinen Romans de Perceval, oder nannte er ihn «Le conte du Graal»?, zu veröffentlichen. Längst aber hätten die Deutschen, die sich so eifrig mit romanischer Literatur beschäftigen, die eigene deutsche so gern von ihr abhängig zeigen, ihnen darin zuvorkommen sollen. Indessen bezeugt uns W. Wackernagel (Altfr. Lieder und Leiche S. 191), daß bei Wolfram ganze lange Stellen beinahe wörtlich mit Chrestien stimmen. Mögen auch die von ihm verglichenen Stellen am Eingange von Chrestiens Gedichte gestanden und von der Erziehung des jungen Parzival im Walde Soltane gehandelt haben, immer sprach dieses Zeugniss dafür, daß unser Dichter dem Chrestien folgte. Zwar wollte Wackernagel des Dichters Angabe über Kiot mit seiner eigenen Wahrnehmung so vereinigen, daß das Werk Kiots, den auch er wie wahrscheinlich schon A. W. v. Schlegel (Lachm. Vorrede XXIV.) für Guiot de Provins nimmt, eine Umarbeitung des von Chrestien gewesen sei; aber theils steht dieß im Widerspruche mit den Worten unseres Dichters (416, 25–27), wonach Kiot aus Flegetanis und der Chronik von Anjou geschöpft und die ganze Sage mühsam erforscht habe; theils kannte Wolfram nach seinem eigenen Zeugnisse Chrestiens Werk, und was kann näher liegen, als aus dieser Kenntniss seine fast wörtliche Uebereinstimmung mit demselben in den von Wackernagel verglichenen Stellen abzuleiten?

Faßen wir Chrestiens Werk näher ins Auge, so fehlt in demselben der Inhalt der zwei ersten Bücher Wolframs, derselben, die so viel aus der deutschen Nordseesage enthalten. Chrestien kennt nicht einmal den Namen von Parzivals Vater Gachmuret, der sonach nur in deutschen Gedichten genannt wird. Mit der Erziehung des vaterlosen Knaben im Walde Soltane anhebend, giebt Chrestien die aus Wolfram bekannten Abenteuer bis zu dessen vierzehnten Buche; er hatte also auch, wie schon erwähnt, nach Parzivals Verwünschung von der maulvaise damoiselle (Kundrie) Gawan (Gauvain) als Herren der Aventüre für ihn eintreten, dann aber, nach dessen ersten Abenteuern im siebenten und achten Buch unseres Dichters (Obilot und Antikonie) Parzival zu dem Einsiedler (Trevrezent) gelangen laßen. Nun folgen die Abenteuer Gauvains mit dem Wunderbette, die Befreiung der Frauen auf dem Zauberschloß und das Zusammentreffen mit Giromelans (Gramoflanz), bei dem nur der Baum fehlt, den dieser hegt. Erst nach Gawans Einladung des Artus am Schluß unseres zwölften Buchs beginnt bei Chrestien eine lange Reihe dem Wolfram fremder Abenteuer; der Held der zwölf ersten scheint immer noch Gawan, der nun auch zum Gralskönig gelangt. Mit dem zwölften tritt endlich Parzival wieder ein; aber noch befinden wir uns nicht auf bekanntem Gebiete. Nur das Abenteuer mit dem Schachbrett, dessen Steine von selbst spielen, und ein anderes mit dem Hirsch, stimmt wenigstens mit dem Mabinogi (§. 14, 15 unten), wie dort bemerkt ist. Nachdem nun Parzival nach Beauripaire (Pelrapär) zu seiner Gemahlin Blancheflour (Condwiramur) zurückgekehrt war, die er aber bald wieder verließ, findet er das Grab seiner Mutter und zieht dann zurück zu dem Einsiedler (Trevrezent), dem er beichtet. Hier etwa geht Chrestiens Antheil zu Ende, und seine Fortsetzer treten ein; damit heben aber auch neue uns und dem Grale fremde Abenteuer an, bis endlich Parzival ohne den Feirefiss, von dem sich keine Spur findet, zum Fischerkönig zurückgelangt. Ehe er aber nach dem Tode des Roi Pechor das Gralkönigtum erwirbt, wirren sich noch einmal wilde zwecklose Abenteuer.

Hieraus ergiebt sich, daß Wolfram, wenn er aus Chrestien schöpfte, wofür Alles spricht, die beiden ersten Abenteuer, deren Held Gachmuret ist, selber hinzugefügt hat; dem Chrestien folgte er dann von Parzivals einsamer Erziehung im Walde, bis Gawans Abenteuer in dem Zauberschloß zu Ende gehen. Diese ließen sich noch, was sie bei Chrestien nicht waren, mit der Hauptbegebenheit in Verbindung bringen, durch die neue Erfindung nämlich, daß um dieselbe Orgeluse, um deren Huld sich jetzt Gawan bemüht, früher Anfortas, der Gralkönig, geworben habe. Hierin ward nun der Grund aufgedeckt, wodurch dieser das Gralskönigtum verwirkt und die schmerzhafte Wunde davon getragen habe, von der ihn Parzivals Frage heilen sollte, und so die große Episode von Gawans Abenteuern, welche Parzivals Gemüthsverfinsterung nur nothdürftig rechtfertigt, aus einem bloßen Außenwerke in ein wesentliches Glied der Erzählung verwandelt.

Daß diese Verbindung erst hergestellt werden muste, wird eine nähere Betrachtung der Abenteuer Gawans ergeben. Diese liegen uns jetzt, außer Wolframs Darstellung, noch in drei abweichenden Versionen vor: bei Chrestien, in dem Mabinogi, (vgl. §. 16), wo Gawan Gwalchmai heißt, und in Der Aventüre Krone Heinrichs von dem Türlin ed. Schöll, Stuttgart 1852.

Das erste Abenteuer (Obilot), das auch Chrestien kennt, ist bei Heinrich wenig verändert, nur der Hauptreiz, Obilots Kindheit, fehlt. Die Namen sind Fursensephin (Obie), Quebelepluz (Obilot), Fiers von Arramis (Meljanz von Li), Leigamar (Lippaut). Chrestien nennt den Lippaut Thybaut de Tintaguel, während Melians stimmt, und die beiden Mädchen ungenannt bleiben. Nur bei Wolfram handelt es sich um eine Belagerung (wenn nicht im Mabinogi das Mädchen, das auf luftiger Höhe gefangen gehalten wird, entspricht), bei Chrestien und Heinrich nur von einem Turnier. Nicht Fiers (Meljanz) trägt bei diesem die Braut davon, sondern Gawan, der sie im Turnier gewonnen hat, wendet sie einem dritten, Quoikos, zu.

Fast unmittelbar schließt sich auch bei Heinrich wie bei Chrestien und Wolfram das zweite Abenteuer (Antikonie) an. Im Mabinogi ist es nicht wie das vorhergehende bloß leise angedeutet, sondern ausführlich und ziemlich übereinstimmend erzählt. Auch das Schachbrett, das als Schild dient, fehlt nicht. Namen nennt es nicht; bei Chrestien heißt der König von Askalon Descavillon. Ganz andere Namen bei Heinrich, wo überhaupt die Uebereinstimmung geringer ist als in dem Mabinogi. Die Beschuldigung des Todtschlags wird von Angaras, dem jungen Sohne des Schloßherrn, erhoben, dem Gawan einen Bruder im Turnier erschlagen hatte. Die Jungfrau, mit der er Schach gespielt hatte, heißt Seimuret; sie rettet ihn auf den Thurm, wo er sich mit dem Schachbrett vertheidigt. Der Schloßherr ist aber hier seiner wirklichen Pflicht eingedenk. Auch der Ausgang ist derselbe wie bei Wolfram: Gawan muß geloben, den Gral zu erfahren oder sich in Jahresfrist wieder auf Karamphi, so heißt das Schloß, gefänglich einzustellen.

Nach einem neuen Abenteuer, von dem sich sonst keine Spur findet, folgt bei Heinrich das mit Lohenis von Rahas, der dem Urjans bei Wolfram entspricht. So verliert auch nach Heinrich wie bei Wolfram Gawan sein Pferd und muß mit einer elenden Mähre, nicht der des Lohenis (Urjans), sondern eines missgeschaffenen Reiters, der dem Malkreatüre bei Wolfram gleicht, den Kampf mit Ansgü (Lischois Giwelljus) auf dem Blumenfelde vor der Fähre bestehen. Nirgend erscheint auch Parzival in der Ferne wie bei Wolfram, der mit bewunderungswürdiger Kunst in den Abschnitten, wo Gawan der Herr der Aventüre geworden ist, doch den Haupthelden nie ganz aus den Augen verlieren läßt, indem er immer aus dem Hintergrunde kämpfend und siegend hervorblickt. Nur dadurch, daß auch Gawan sich verpflichten muste nach dem Grale zu forschen, ist bei Heinrich und im Mabinogi noch eine lose Verbindung mit der Haupthandlung zu erkennen. Der Fährmann, bei Wolfram Plippalinot, heißt bei Heinrich Karadas; auch er heischt so theuern Fährlohn. Es folgt nun, wie man erwartete, und wie bei Chrestien, gleich nach Gawans Aufenthalt bei dem Fährmann das Abenteuer mit dem Lit merveil (perilleux bei Chrestien) auf dem Zauberschloß des Nekromanten (Klinschor), den Chrestien nicht nennt; bei Heinrich heißt er Gansguoter von Micholde: er zieht sich durch das ganze Gedicht hindurch, ohne daß von seiner Entmannung eine Spur begegnete. Auch boshaft scheint er nicht, vielmehr ist ein Liebesverhältniss mit Igern (Arnive), Artusens Mutter, angedeutet, die mit ihrer Tochter Orcades (Sangive) und ihrer Enkelin Clarisanz (Itonjê), Gawans Schwester, in dem Schloße, hier Salie genannt, wohnt. Clarisanzens Hand ist der Lohn des bestandenen Abenteuers; aber nur einem Tadellosen mag das gelingen. Als es Gawan bestanden hat, wird er von Mancipicellen, die ihn schon früher zu einem neuen Kampfe über den Fluß gerufen hat, aufgefordert, auf einem benachbarten Anger, wo verjüngende Blumen wüchsen, einen Kranz für ihre Herrin zu winden, die unter der Last des Alters seufze. So ist das Abenteuer mit Giremelanz (bei Chrestien Giromelanz = Gramoflanz) angeknüpft, obwohl nicht ausdrücklich gesagt wird, daß er der Blumen hüte. Doch wird der Kampf auch hier vertagt, um vor Artus ausgekämpft zu werden. Bei Artus gilt Gawan in Folge früherer, hier allein erzählter Begebnisse für todt, und der Bote, der seine Einladung an Artus Hof bringt, verursacht hier so großen Jubel, daß er fast erdrückt wird. Weil dieser Zug bei Wolfram, der nur einen Theil der spätern Abenteuer Gawans einflechten konnte, nothwendig fehlen muste, befriedigt die entsprechende Erzählung von des Boten Aufnahme bei Artus im Parzival weniger. Als Artus mit großem Gefolge sich einstellt und seine von Gawan befreiten Verwandten, Mutter, Schwester und Nichte findet, wird auf der letztern Bitte, die schon längst mit Giromelanz, wie Itonjê mit Gramoflanz, ein Liebesverhältniss hat, der Kampf aufgehoben, und die Zwietracht durch eine Hochzeit beigelegt.

In den zuletzt verglichenen Abenteuern haben wir die Abweichungen Chrestiens, die man jetzt bei Rochat Germ. III. a. a. O. nachlesen kann, nicht näher angegeben. Worauf es hier allein ankommt, ist, daß weder bei Heinrich noch bei Chrestien des Verhältnisses Orgelusens zu dem Gralskönig (Parz. 616, 11–617, 10) gedacht wird: dieß kannte also wohl Wolframs Vorgänger noch nicht; es ist auf Rechnung unseres Dichters zu stellen, der damit die lange Episode von Gawan mit dem Gralskönig Anfortas und seiner schmerzhaften Wunde in Verbindung brachte: sie kann jetzt in keiner Weise mehr als müßig gelten, sie wird zu einem Theil der Hauptbegebenheit erhoben.

Der Dichter nun, der diese, wie sich ergeben hat, der frühern Sage und noch den nordfranzösischen Dichtern fremde Erdichtung erdachte, wird auch die weitern Abenteuer Gawans, die sich keiner Anknüpfung an das Gralskönigtum mehr fähig erwiesen, als müßig ausgeschieden haben, wahrscheinlich auch die fernern zwecklosen Abenteuer Parzivals vor und nach der Erwerbung des Gralskönigtums, die wir bei Chrestiens Nachfolgern finden so wie auch in dem neuerdings von Dr. Alfred Rochat bekannt gemachten »Parcheval li Galois« (Zürich 1855), der fast nur Abenteuer enthält, die in Wolframs Darstellung absichtlich und mit gutem Grunde übergangen scheinen, weshalb wir ihn nicht weiter in die Untersuchung zu ziehen brauchen, zumal sich von all den Dingen, die Wolfram nicht aus Chrestien haben kann, keine Spur bei ihm zeigt.

Alle diese mit der überlieferten Sage vorgenommenen Veränderungen zeugen von gleichem Geiste und dienen demselben Zwecke, dem nämlich, durch Hervorhebung des Grundgedankens Einheit in das Gedicht zu bringen. Daß sie von der Hand desselben Dichters herrühren, ist nicht zweifelhaft; es fragt sich nur, wer dieser Dichter gewesen sei. Das aber können wir nur an dem erkennen, was er an die Stelle der ausgeschiedenen müßigen und zwecklosen Abenteuer setzte; den Feirefiss mit seiner Elsternfarbe, die für die Veranschaulichung der Grundidee unentbehrlich waren, und den Zweikampf mit diesem Feirefiss, über welchem es bei Parzival erst zum Durchbruche kam, zu jenem Durchbruche, welchen Trevrezent 489, 13 ff. erhofft und als die Bedingung göttlicher Gnadenwahl ausgesprochen hatte. Dieser Dichter, der die selbstgeschaffene Lücke so ausfüllte, war ohne Zweifel derselbe, welchem wir außer der Einleitung auch die beiden ersten Bücher von Parzivals Vater Gachmuret verdanken, die eben auf Feirefiss vorbereiten sollten. War nun dieser Dichter ein Deutscher oder ein Provenzale? Ich will nicht fragen, ob es sonst der Charakter provenzalischer oder überhaupt romanischer Dichtung sei, sich in den Gedanken so zu vertiefen und einen leichtfertig ersonnenen Zusammenhang unterhaltender Aventüren schonungslos wegzuschneiden und auch in das Beibehaltene noch Beziehungen auf die Hauptbegebenheit einzulegen, damit der Faden des geistigen Interesses nicht verloren gehe, und die Grundidee zuletzt desto stärker hervortrete. Ich will die Möglichkeit zugeben, daß ein Provenzale, ein Nordfranzose auch einmal Neigung zu deutschem Tiefsinn und gründlicher Composition verrathen und den vorherrschenden Charakter romanischer Poesie verläugnen könne, die über dem Reichtum der Erfindung, über dem Gewirre unterhaltender Episoden den Gedanken zu verlieren pflegt. Nur das will ich festhalten, ob den Theilen des Gedichts, welche die Nordfranzosen nicht kannten, und die also entweder dem Kiot oder unserm Wolfram angehören müßen, sich nicht äußerlich ansehen laße, wer sie erfunden habe, ein Deutscher oder ein Romane. Zu diesen Theilen gehört zwar auch die im letzten Buche angefügte Sage von dem Schwanenritter; von ihr will ich aber einstweilen noch absehen und mich hier zunächst noch auf die von Gachmuret und Feirefiss handelnden Bücher beschränken.

Die erste Erwägung, die sich hier aufdrängt, ob sich bei den Provenzalen oder andern Romanen von Gachmuret und seinem Sohne Feirefiss, von Belakanen und den Königreichen Aßagog und Zaßamank, von Schiltung und seinem Schwiegersohne Friedebrand, von Hernant und Herlinde u. s. w. Spuren nachweisen laßen, will man zwar künftiger Forschung überweisen; aber hieße das nicht die Sache ad calendas graecas verweisen? Ist es nicht schon bedeutend genug, daß es den bisherigen Forschungen nicht gelingen wollte, von allen diesen Dingen dort auch nur das leiseste Anzeichen aufzuspüren? wohingegen in deutschen Gedichten ein Theil dieser Namen erscheint, nicht bloß die deutschen wie Schiltung (Skiöldung) und Friedebrand, die so tief in unsere Sage verflochten sind, während Hernant und Herlinde schon die Alliteration als der deutschen Poesie angehörig bezeichnet, sondern auch der romanische Name Gachmuret, der allerdings nicht in dieser schon halb verdeutschten Gestalt, dafür aber in der echten romanischen Form als Amuret in demselben deutschen Gedichte begegnet, das auch einen Theil jener deutschen Namen bewahrt, einem Gedichte, das sich zugleich auf demselben Schauplatz zu bewegen scheint, auf den uns das erste Buch des Parzival führt. Schon oben ist von dem in der sog. Manessischen Sammlung erhaltenen Lehrgedichte von König Tirol von Schotten und seinem Sohne Friedebrand die Rede gewesen sowie von der Anspielung, die sich im Wartburgkrieg auf die Sage von ihnen findet. Gehört auch dieses Gedicht dem dreizehnten Jahrhundert an, so muß doch die Sage älter sein, und Grimm urtheilt (Haupts Zeitschr. I. 8), das in der Gudrun erwähnte Land der Friedeschotten, das mit König Friedebrand von Schotten in Zusammenhang stehen müße, sei schwerlich aus Wolframs Parzival in die Gudrunsage gerathen, sondern schon im zwölften Jahrhundert, also vor Wolframs Werke, darin gewesen. Dagegen finde ich dort bei Grimm kein einleuchtendes Urtheil über das Alter des andern größern erzählenden Gedichts von K. Tirol und Friedebrand, von welchem er erst a. a. O. wenige und zum Theil bis zur Unlesbarkeit zerrüttete Bruchstücke bekannt gemacht hat. Daß es älter ist als jenes Lehrgedicht, wird man gegen Grimm anzunehmen geneigt sein, weil aus ihm K. Tirol von Schotten mit seinem Sohne Friedebrand schon bekannt gewesen sein muß, ehe das Lehrgedicht daran anknüpfend sie Räthsel vorlegend und Räthsel lösend einführen konnte. Mir scheint aber die darin enthaltene Sage älter als der Parzival, weil das, was dieser von Friedebrand erzählt, den Inhalt jener Bruchstücke voraussetzt. Im Parzival ist Friedebrand schon wieder nach Schottland heimgefahren; in den Bruchstücken finden wir ihn noch in dem heidnischen Lande, das schon darum dasselbe sein muß, worin auch das erste Buch des Parzival spielt, weil hier auch jene Halbleute auftreten, die schon Grimm für die sog. Elsternmenschen (negrepies, altn. hâlfslitumenn) nahm, zu welchen auch Feirefiss im Parzival gehörte. Zum Ueberfluß bieten dieselben Bruchstücke auch den Namen Amuret, wozu Grimm bemerkt, auf jener Spalte habe vermuthlich der Name Gamuret gestanden. In der That steht aber nur Amuret in der Handschrift und in dieser Form hat auch der Name echten romanischen Klang. Nachdem Rochat bei Chrestien einen Ortsnamen Gomoret gefunden hat, wäre es freilich nicht unmöglich, daß diesen Wolfram zum Personennamen gemacht hätte. Er konnte ihm des Anlauts wegen willkommen sein, durch welchen er mit Gandin und Galoes, Gachmurets Vater und Bruder, alliterirte. Oder was ist wahrscheinlicher, daß ein Romane wie Kiot oder ein Deutscher wie Wolfram das Gesetz der alliterierenden Namengebung befolgt habe? Vgl. Anm. zu P. 496, 21. Und ist es wohl überhaupt einem Romanen zuzutrauen, daß er jene offenbar der deutschen Sage entnommene Namen eingeführt habe? Es hieße dem Kiot eine höchst befremdende Kunde von deutschen Sagenverhältnissen zutrauen, wenn er alle jene deutschen Helden in das erste und dann auch in den Gruonlanden 48, 29 noch das Grœnlands fylki der Landschaft Wik in Norwegen (Zeitschr. a. a. O. S. 8) in das zweite Buch des Parzival gebracht haben sollte. Wolfram dagegen konnte diese Namen kennen, da er unter allen höfischen Dichtern am Meisten Bekanntschaft mit deutschen Heldensagen zeigt, eine Bekanntschaft, die sich bis zur Vertrautheit steigert, und selbst seinen Ausdruck volkstümlich färbt. Vgl. die Anm. zu 143, 21–144, 4.

Zwei andere Namen, Sigune und Frimutel, sind schon Grimm a. a. O. wegen ihres deutschen Klanges aufgefallen. Sigune wird unten mit Sigyn verglichen werden; hier stelle ich den Namen Herzeleide hinzu, den freilich Wolfram gleich dem Gamurets der deutschen Sprache angenähert haben könnte, während Frimutel umgekehrt durch romanische Endung entstellt scheint. Was die große Menge romanischer Namen anbetrifft, die Wolfram nicht aus Chrestien schöpfen konnte, so wird es nur darauf ankommen, ob wir ihm Erfindungsgabe und Kenntnisse genug zutrauen, sie zu bilden; die letztern scheinen indes bei Einem derselben nicht ausgereicht zu haben. Parzivals Gemahlin, bei Chrestien Blanchefleur genannt, heißt bei Wolfram Condwiramur. Was konnte den Dichter bewegen, hier den überlieferten Namen zu verlaßen? Kannte er etwa den gleichlautenden der Mutter Tristans und wollte der Verwechslung aus dem Wege gehen? Glaublicher ist mir bei des Dichters Vertrautheit mit deutscher Dichtung und Sage, daß in dem Namen Lufamur, den Parzivals Gemahlin in dem altenglischen Gedichte (§. 8 unten) führt, die Grundlage zu Condwiramur gefunden ist. Die letzten Silben (Amur) konnte er ihres für den Gegenstand der Liebessehnsucht seines Helden so höchst passenden Sinnes wegen unverändert beibehalten; die erste, unromanisch klingende, die sich dem Verständniss seiner Leser entzog, vertauschte er mit Condwir-, beging aber dabei einen Fehler, der wohl einem Deutschen, dem Provenzalen Kiot oder dem Franzosen Guiot de Provins nicht begegnen konnte. Der Name Condwiramur ist gegen den Gebrauch der romanischen Sprache gebildet, welche Zeitwörter, die sie mit Hauptwörtern zusammensetzt, wohl in den Imperativ, nicht in den Infinitiv zu stellen pflegt. Der Name ist hienach von Wolframs Präge, aus Kiot hat er ihn nicht geschöpft.

Eine ähnliche Bewandtniss hat es mit dem Namen von Gachmurets Vater Gandin, der mit Gachmuret und Galoes im Stabreimsverbande steht. Vgl. die Anmerk. zu 496, 21. Gandin ist der Name einer steiermärkischen Stadt (498, 25), bei der Wolfram selbst an Parzivals Ahn erinnert, der nach ihr benannt worden sei. Wir dürfen das dem Dichter wörtlich glauben: denn er selber war es wohl, der den Namen der Stadt auf Gachmurets Vater übertrug. Was ihn dazu veranlaßte, war vielleicht nur, daß er eines auf Gachmuret alliterierenden Namens bedurfte, da er aus seiner frühern Beschäftigung mit der deutschen Heldenpoesie die alliterierende Namengebung, die schon bei Hernant und Herlinde hervortrat, kannte. Der ihm überlieferte Name Amuret passte als ein Diminutiv von Amur (Amor) wenig für einen so mannhaften Helden: das vorgesetzte G half dem ab, und das zugleich eingeschobene ch verlieh dem Namen halbdeutschen Klang, was bei Gachmurets Auftreten mitten unter deutschbenamten Helden willkommen sein konnte. Den Namen Gandin zu wählen mochte den Dichter noch ein anderer Umstand bestimmen. Die Steiermark führte den Panther im Wappen und dem nach der steiermarkischen Stadt Gandin benannten König von Anjou gab der Dichter gleichfalls den Panther zum Wappenbild. Ob das Anjousche Geschlecht den Panther oder die Lilie im Wappen führte, darauf scheint mir wenig anzukommen; war jenes der Fall, so konnte das dem Dichter ein Grund mehr sein, jenen Namen Gandin von der Stadt auf den König von Anjou zu übertragen. Ist es aber wahrscheinlich, daß der Romane Kiot das Wappen der Steiermark gekannt habe?

Die Annahme, daß Wolfram in Kiot einen Gewährsmann gehabt habe, beruht lediglich auf seinem Vorgeben, dem man bisher unbedingt Glauben geschenkt hat, der Würdigung des Dichters zu großem Nachtheile und unserer Literaturgeschichte wahrlich nicht zur Ehre. Ich glaube dargethan zu haben, daß er schwerlich viel mehr als ein Uebersetzer war, wenn er in den Theilen des Gedichts, die von Chrestiens Darstellung abweichen, dem Kiot folgte. Aber auch die innere Unwahrscheinlichkeit seines Vorgebens habe ich nachgewiesen; vollen Beweis des Gegentheils kann Niemand fordern, weil eine Negative sich überhaupt nicht beweisen läßt. Sollte Wolframs Vorgeben von Kiot darum für wahr gelten, weil er es vorgab, so müste auch Kiot das in arabischer Sprache geschriebene Buch des Flegetanis (§. 10) in Toledo gefunden haben, das er nur lesen konnte, weil ihm die Taufe zu Gute kam (453, 11–22); so müste auch Flegetanis vom Gral in den Sternen gelesen haben. Wenn wir Wolfram wörtlich zu glauben verpflichtet sind, der doch ein Dichter war, warum nicht auch dem Kiot, und warum nicht auch dem Flegetanis? Will man einmal eine Grenze stecken, so stecke man sie an den rechten Fleck, wodurch alle jene Räthsel (Anmerk. zu 496, 21) ihre Lösung finden.

Was Wolfram zu jenem Vorgeben bestimmte, läßt sich hier noch nicht ganz sagen (vgl. §. 23); aber Einen Grund habe ich schon angeführt: er bedurfte Chrestiens großem Ansehen gegenüber eines Rückhaltes, um seine Umbildung der Sage zu rechtfertigen, da seine tiefere, geistigere Auffaßung derselben den Autoritätsgläubigen jener Zeit seine Berechtigung, von dem berühmten Vorgänger abzuweichen, nicht dargethan hätte. Ihm war es nur um die Wirkung seines Gedichtes zu thun, und diese hing von dem Glauben ab, den man seiner Darstellung schenkte. Für seinen Ruhm brauchte er nicht besorgt zu sein, da die Originalität der Erfindung nicht zu den Ansprüchen gehörte, welche jene Zeit an die Werke ihrer Dichter stellte. Ganz anders verhalten wir uns jetzt zu ihnen: wir stellen den Uebersetzer mit dem Dichter nicht auf gleiche Linie, und schon darum glaube ich nicht etwas Unnöthiges zu thun, indem ich den grösten deutschen Dichter des Mittelalters auf seine eigenen Füße stelle. Ich gestehe aber gern, daß dieß nicht der einzige Antrieb war. Es ist schon beschämend genug, daß unser nationales Epos durch die an den Höfen herschende Vorliebe für britische und welsche Stoffe nur in den Nibelungen und etwa noch in der Gudrun, nicht in seinem übrigen großartigen Zusammenhang zu voller Ausbildung gelangen konnte, da alle namhaften Kunstdichter sich von ihm abwandten. Sollten wir auch noch einräumen müßen, daß sie in der neuen Gattung, zu der sie sich durch den herschenden Zeitgeschmack gedrängt sahen, von den Erfindungen der Franzosen abhängig geblieben wären, es über deren Leistungen nicht hinaus gebracht hätten?

Von Hartmann, dem ersten, der auf diese Bahn lenkte, mag dieß zugegeben werden müßen, aber nimmermehr von Wolfram, und ich glaube auch nicht von Gottfried. In diesen beiden hebt sich unsere höfische Dichtung zu einer den Franzosen ungeahnten Höhe: sie haben die uralten mythischen Sagen, die ihnen von jenen überliefert waren, aus der welschen Verflachung erlöst, indem sie den tiefsinnigen Gedanken, der ihnen zu Grunde lag, aufgriffen und die ganze Kraft ihres Geistes und Gemüthes auf seine Durchführung und Darstellung wendend, Meisterwerke schufen, die für alle Zeiten gelten werden.

Ich habe mich, den Kiot zu läugnen, der bloßen Möglichkeit willen nicht bedacht, daß doch noch einmal Kiots Parzival an den Tag kommen möchte: ich kann deßhalb ruhig schlafen: denn diese Möglichkeit halte ich für unmöglich. Leicht aber kann es geschehen, da bisher nicht einmal Chrestiens und seiner Nachfolger Werk gedruckt war, geschweige die ganze nordfranzösische und provenzalische Literatur uns vorliegt, daß über einzelne Dinge, auf welche meine Ausführung sich stützt, wie z. B. die Namen Frimutel, Gachmuret, Gandin und Galoes, Blanchefleur und Condwiramur u. s. w. künftig neues Licht fällt; aber schwerlich dürfte sich Wolframs Verhältnis zu seinen Vorgängern dadurch ungünstiger stellen.

(Zusatz von 1876.) Seitdem ist die Literatur um zwei schätzbare Abhandlungen über die im Parzival vorkommenden Namen bereichert worden: die eine von St. Marte (Schulz) Germ. II, 385 ff., die andere von Bartsch in dessen Germanistischen Studien II, 114 ff. Bartsch weist nach, daß Wolfram außer Chrestien noch Hartmanns Erek, Eilharts Tristan, Ulrichs Lanzelot, aber auch Chrestiens Chevalier de la Charette, ja außerdem auch noch andere romanische Gedichte gekannt und benützt habe. Dann fährt er (S. 131) fort: »Wenn Wolfram noch mehr Quellen kannte, die wir nur nicht nachzuweisen vermögen, so könnten wir kurz sagen, daß alle bei Chrestien nicht vorkommenden Namen aus solchen Quellen stammen und nichts für Guiot beweisen.«

Wirklich wäre dieß das Richtige gewesen. »Aber ehe wir uns,« fährt Bartsch fort, »zu einer so wohlfeilen Annahme entschließen, ist es doch gerathen, die Namen näher zu prüfen.«

Das Wort »wohlfeile Annahme« klingt mir nicht unbekannt. Einen wohlfeilen, aber haltlosen Einfall, nannte auch Haupt (s. Anm. zu 496, 21) meine Annahme, daß von der Steiermark und den deutschen Namen Friedebrand, Isenhart, Hernant und Herlinde, Schiltung und Heuteger in Kiots Gedichte nichts gestanden habe. Ich finde den entgegengesetzten Einfall, daß Wolfram das Alles aus dem Kiot habe, noch viel wohlfeiler: er kann nur wenig Nachdenken gekostet haben. Auch will ihn Bartsch ihm nicht abkaufen: er hält das Alles mit mir für Wolframs Eigentum.

Der Ansicht, daß Wolfram neben Chrestien noch andere Quellen gehabt habe, würden wir gerne beipflichten. Aber Bartsch spricht nur noch von Einer zweiten und diese muß Kiot ihm gewesen sein. »Die Nothwendigkeit,« sagt er, »ergiebt sich aus der Betrachtung der übrigen Namen, unter denen viele einen entschiedenen romanischen Charakter und eine leicht zu erklärende Bedeutung haben.« Dieß zugegeben fragt es sich immer noch nach der Nothwendigkeit Kiots. Da finden wir denn als ersten zwingenden Grund, warum Kiot Wolframs zweite Quelle gewesen sein müße, die bekannte Verwechselung von Famorgan und Terdelaschoie. Wir haben in der Anmerkung zu 56, 18 gezeigt, daß diese Verwechselung, wie auch J. Grimm annahm, dem Abschreiber zur Last fällt, da Wolfram aus dem Erek wuste, daß Famorgan die Zauberin selbst war. Aber Bartsch behauptet: Weil Chrestien die Fee nicht nennt, so muß die Stelle auf Kiots Texte beruhen. Das ist das alte Vorurtheil: was Wolfram aus Chrestien nicht hat, muß er aus Kiot haben, als wenn die Welt nur aus Chrestien und Kiot bestände. Ganz ähnlich heißt es auf der folgenden Seite: »So nennt Wolfram, sicherlich Kiot folgend, den Ritter, der bei Chrestien Gifles heißt.« Für dieses »sicherlich« fehlt es an jeder Angabe des Grundes. Aehnlich fragt er in Bezug auf Graswaldane: »Wie kam Wolfram zur Kenntniss dieser wenig bekannten Grafschaft, wenn er sie nicht in seiner Quelle fand?« Eine Quelle dafür wird Wolfram freilich gehabt haben, aber warum muß Kiot diese Quelle gewesen sein? Seine Kenntniss derselben war auch nicht so genau: er scheint sie sich in der Nähe der Bretagne zu denken, wozu ihn doch Kiot nicht verführt haben kann. Es ist überhaupt Zeit, dem wiederholten Muß ein Muß nicht, Kann nicht entgegenzusetzen. Unsere Gegner liefern uns selber dazu den Stoff: sie belehren uns, daß die Königreiche Waleis und Norgals mit ihren Hauptstädten Kanvoleis und Kingrivals in England zu suchen sind. Wolfram setzt sie aber nach Spanien; das kann er doch nicht von Kiot haben, der in dieser südlichen Gegend zu gut Bescheid gewust hätte; unser Dichter hat es also selber zu vertreten.

Die 772, 1–23 aufgeführten von Parzival bezwungenen Fürsten, die keineswegs, wie Bartsch irrtümlich schreibt, sarazenische waren, deren Namen aber durchs Romanische durchgegangen seien, soll Wolfram aus Kiot aufgenommen haben, was er damit erweist, daß die bei Wolfram jedes Maßes spottenden Zeilen, in denen diese Namen vorkommen, bei der Rückübertragung regulär würden. Freilich, wenn man sich die Freiheit nimmt, den nicht in den Vers gehenden Namen andere dreingehende unterzuschieben, statt des dreisilbigen Schirniel den zweisilbigen Isnel, statt des fünfsilbigen Villegarunz den bei folgendem Vocal nur dreisilbigen Villegran zu setzen. Nur acht Zeilen hat hier Bartsch ins Romanische umgeschrieben, aber durch ähnliche Hexereien, oder ist es bloß Geschwindigkeit? hätte er es auch mit den folgenden vermocht. Auch hier lautet es wieder als ob Kiot und romanisch identisch wäre.

Zuweilen wird uns die Wahl gelaßen zwischen mehrern wahrscheinlichen (?) Deutungen. So, wenn Schionatulander S. 142 entweder aus li joenet de la lande, der Jüngling von der Aue, oder aus li joenet ù l'alant, der Jüngling mit dem Hunde, erklärt werden soll. Letztere Deutung käme sehr gelegen für die Romanisierung der Titurelsage, für die freilich nach S. 153 schon allein der Name Gardevias vollen Beweis liefern soll. Der deutsche Name Sigune, der ebensogut schon allein für den deutschen beweisen könnte, scheint hierbei nichts zu verschlagen. Als deutsch wird er zwar S. 141 anerkannt, aber wohl nur in dem Sinne, wie ihm auch Schoisiane deutschen Ursprung haben darf. Sigune soll ein zusammengesetztes Wort sein: an Sigyn wird also dabei nicht gedacht, denn das ist ein abgeleitetes, wie Hlodyn, Fiörgyn gebildet; auch Idun steht nicht weit ab. Schon in M. deutschen Mythologie S. 114 (§. 42) habe ich Sigune mit Sigyn verglichen und aus dem gleichen Charakter rührender Gattentreue auf beider Identität geschloßen. Vgl. S. 347 u. So lange Schionatulanders Schicksale nicht in einer romanischen Quelle nachgewiesen sind, halte ich sie für unseres Dichters Erfindung, der einer Folie für Parzival bedurfte, vgl. S. 331 o. Die Ableitung des Namens aber, die den Hund hinein trägt, stelle ich, mit Haupt (s. Anm. zu 496, 21) zu reden, zu der von Lisavander aus Teudaves (S. 120), für die sich wohl auch wenig Abnehmer finden. Von Sigunens Schicksalen weiß allerdings schon das Mabinogi §. 15, wo von dem schönen Weibe berichtet wird, das die Leiche ihres Gemahls im Schooß hält: so mochte sie auch Wolfram in einer seiner Quellen gefunden und ihr den Namen Sigune gegeben haben, den sie freilich erst im Verlauf seiner Darstellung ganz verdienen sollte; im Chrestien ist sie dessen noch nicht würdig.

Auch der Name des Zauberers Klinschor soll romanischen Ursprungs und aus clergeot entstellt sein. Im Wartburgkrieg 67, 6 und 85, 7 wird der wenig abweichende Name Klingsor aus klingesære erklärt, was einen Sänger oder Spielmann bedeutet. Wolfram hat hier eine deutsche Mythe eingewebt, welche von der Zauberkraft des Gesanges ausgeht. Auf die ursprüngliche Bedeutung seines Namens weist die Schwalbe genannte Harfe in seinem Kram zurück. Unverstanden ist Wolframs Schalkheit geblieben, wenn er dem Neffen des neapolitanischen Zauberers Virgilius das benachbarte Capua zur Hauptstadt anweist, weil er mit einem Schnitt zum Capaun gemacht ist.

Der Name Belakane ist allerdings undeutsch, aber nicht mehr als Matelane und Cassiane in der Gudrun, die demselben Nordseesagenkreise angehören wie diese Mohrenkönigin. Auch kannte die ältere deutsche Dichtung mit Bel– beginnende Namen genug: Belian oder Pelian im Großen Wolfdietrich (dieselben Namen im Morolf und Orendel), ebendaselbst Belamunt, das an Patelamunt erinnert, dann Belagunder im Tannhäuser, Belagog im Sir Tristrem u. s. w. Was aber ganz übersehen wurde, Belakane ist eine Möhrin wie Siegfried in der Gudrun ein Mohr ist, d. h. nur ein Heide, wie man sich im Mittelalter alle Heiden und Saracenen als Mohren oder Neger vorstellte. In Herman von Sachsenheims Möhrin wird sogar Brunhild als Möhrin verschwärzt, weil sie heidnischen Ursprungs ist. Daß man Belakanen in den Orient dachte, war nur eine weitere Folge dieses Missverständnisses. Ursprünglich gehörte sie auch dem Nordseesagenkreise an wie alle Helden, mit denen sie im Kampfe begriffen ist, Friedebrand, Hernant und Herlinde, Schiltung und Heuteger, dessen Name vielleicht aus Lüdeger entstellt und uns schon aus den Nibelungen bekannt ist. Da sich Bartsch geweigert hat, alle diese der deutschen Sage angehörige Namen, und darunter auch den Eisenharts, von dem ausdrücklich gesagt wird, daß auch er ein Mohr ist, auf Kiots Rechnung zu nehmen, so darf er auch auf Isenharts Freundin Belakane keinen Anspruch erheben.

Nach Bartsch hätte Kiot schon dem Chrestien zur Quelle gedient, und das Buch, das ihm sein Gönner, der Graf Philipp von Flandern verschaffte, wäre eben dieses Kiots Werk gewesen. Wenn demnach Chrestien den Kiot vor sich hatte, wie kommt es denn, daß er der Märe Unrecht that und die ganzen zwei ersten Bücher bei Seite ließ? Wie kommt es ferner, daß seine Fortsetzer auch von dem Inhalt der zwei letzten Bücher nichts wißen und sich mit wilden Abenteuern, die gar nicht zur Sache gehören, behelfen, wenn sie den Kiot kannten. Und warum hätten sie ihn in Frankreich nicht kennen sollen, da man selbst dem deutschen Verfaßer des jüngern Titurel diese Kenntniss zutraut? Wie kommt es ferner, daß Chrestien so wenig Namen nennt, die doch selbst Wolfram aus Kiot gelernt haben soll? Warum enthält er sich so ansprechender Namen wie Ither, Titurel, Anfortas, Frimutel, Trevrezent, Klinschor, Obie und Obilot? Warum sollte er den Namen Kondwiramur mit Blanchefleur vertauscht und so die Gefahr der Verwechselung mit Tristans Mutter herbeigeführt haben, der eher Wolfram ausweichen wollte? Warum fehlen selbst so manche Personen, die wir ungern vermissen, z. B. Liaße und Klauditte, Obilots Gespiel? Auf alle diese Fragen weiß die Annahme, daß Kiot Chrestiens Quelle gewesen sei, keine Antwort. Dagegen wird die andere, daß es Wolfram war, der die zwei ersten Bücher hinzusetzte, durch den ganz deutschen Inhalt des ersten und die unromanische Geographie im zweiten mehr als wahrscheinlich. Die beiden letzten Bücher, von deren Inhalt die Fortsetzer zu ihrem großen Nachtheile nichts wißen, knüpfen wieder an das erste an und ziemlich deutlich bezeichnet Wolfram den Inhalt derselben (734, 1–9) als sein Eigentum, was wir ihm gerne glauben, da Niemand als er ihn kennt.


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