Wolfram von Eschenbach
Parzival und Titurel
Wolfram von Eschenbach

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§. 15. Parzivals Jugendgeschichte.

Wenn Wolfram meldet, Kiot habe aus lateinischen Büchern geschöpft, so stoßen wir allerdings in der Sagengeschichte überall auf frühe mönchische Niederschreibungen der noch jungen unentwickelten Sage; diese haben aber ihren Inhalt aus der mündlichen Ueberlieferung entliehen, welcher die Niederschreibung den Todesstoß nicht versetzt, die also fortlebt und fortwächst, und wenn sie dereinst als Gedicht in voller Blüte steht, jenen mönchischen Compilationen wohl Manches verdanken mag, aber keineswegs allein aus ihnen gefloßen ist. So werden auch Parzivals Jugendabenteuer, die eine sagenhafte Gestaltung verrathen, ursprünglich aus der mündlichen Ueberlieferung herrühren.

Gewiss sind Jedem, der in Sagen und Märchen belesen ist, die vielen märchenhaften Züge aufgefallen, die sich namentlich in Parzivals Jugendgeschichte finden. In den altdeutschen Wäldern I, 1–30 hat J. Grimm schon vor vielen Jahren den Zusammenhang der Blutstropfen im Schnee, durch die Parzival (VI) an Kondwiramur erinnert wird, mit andere Ueberlieferungen, namentlich in altbritannischen, italienischen und deutschen Märchen nachgewiesen, und es wäre nicht schwer, für alle die Züge, welche Parzivals kindische Einfalt schildern, so wie für Kunnewarens Lachen und Antanors Schweigen aus denselben oder verwandten Quellen, selbst aus Tausend und Einer Nacht, Gleichnisse zu häufen. Was aber die zuletzt erwähnten Züge betrifft, so verhält es sich damit in den Märchen gewöhnlich so, daß eine Königstochter so trauriger Gemüthsart ist, daß sie weder lachen noch sprechen will (KM. 9. 49. Pentam. I, 3), weshalb der König demjenigen ihre Hand und die Hälfte seines Reichs verspricht, der sie zum Lachen brächte. Dieß gelingt den Klügsten nicht; als aber der Dümmling in seinem albernen Aufzug erscheint, lacht sie von selber, und so erwirbt er ohne sein Verdienst Gemahlin und Reich. In Parzivals Geschichte, wo Kunneware nicht lacht, und Antanor nicht spricht, ist dieser Zug etwas anders gewendet: denn Kunneware lacht weder über Parzivals albernen Aufzug, noch über seine kindische Einfalt, obgleich dieß der natürliche Zusammenhang wäre, sondern sie erlacht freudig, weil sie den ersieht, der den höchsten Preis zu erwerben bestimmt ist. Ueber die Bedeutung des Lachens in jenen Sagen vergleiche Mein Handbuch der Mythologie §. 99. Hienach ist nicht zu zweifeln, daß wir in Parzivals Jugendgeschichte eine Variation der bei allen Völkern vorkommenden Dümmlingsmärchen vor uns haben. Welchem Volke aber das Märchen angehörte, welches die schriftliche oder mündliche Ueberlieferung mit der Gralssage in Verbindung brachte, ist schwer zu bestimmen, doch würde dasjenige Volk den meisten Anspruch darauf haben, bei welchem sich dieß Märchen außerhalb jenes Zusammenhangs nachweisen ließe.


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