Wolfram von Eschenbach
Parzival und Titurel
Wolfram von Eschenbach

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§. 4. Wolfram und Walther.

Wir finden zwar Wolfram mit Walthern zugleich in Eisenach am Hofe des milden Landgrafen Herman, der für die Dichter des hohenstaufischen Zeitalters das gewesen scheint, was ein benachbarter thüringischer Hof den Heroen unserer neuern poetischen Literatur geworden ist. Aber wenn auch Wolfram in dem Landgrafen einen Gönner verehrte, so nimmt er doch ihm gegenüber eine viel unabhängigere Stellung ein, als Walthern die Verhältnisse gönnen mochten. Dieser schildert das Getümmel am Hofe zu Eisenach zwar lebhaft, doch ohne ein Wort des Tadels einzuflechten:

Der Hof zu Eisenach.
        Wer in den Ohren siech ist oder krank im Haupt,
Der meide ja Thüringens Hof, wenn er mir glaubt:
Käm er dahin, er würde ganz bethöret;
    Ich drang so lange zu, daß ich nicht mehr vermag.
Ein Zug fährt ein, ein andrer aus, so Nacht als Tag:
Ein Wunder ists, daß da noch Jemand höret.
    Der Landgraf hat so milden Muth,
Daß er mit stolzen Helden, was er hat, verthut,
Von denen Jeder wohl als Kämpe stände:
Mir ist sein hohes Thun wohl kund.
Und gält ein Fuder guten Weines tausend Pfund,
Doch Niemand leer der Ritter Becher fände.

Die vierte Zeile sagt nicht, daß es Walthern nicht sonderlich zu Eisenach gefalle, weil es da zu geräuschig hergehe. Mit einer solchen Andeutung würde er seinen Zweck verfehlt haben. Er klagt nur, daß er bisher noch nicht zu Worte kommen konnte; zugleich aber, da er mit diesem Liede zu Worte gekommen ist, rühmt er den Hof und die Milde des Landgrafen. Auch scheint er seine Absicht erreicht zu haben: denn in einem zehn Jahre später gedichteten Spruch preist er den Landgrafen wegen seiner Stätigkeit in der Milde; »er war es einst und ist es noch.« S. Meine Uebersetzung (VII. Aufl. Leipzig 1883) S. 61; M. Ausg. S. 73.

Dagegen redet Wolfram, indem er von Keien, dem strengen Seneschal an Artus Hofe spricht, 297, 16, den Landgrafen an:

»Von Thüringen Fürst Herman,
Wie ich dein Ingesind befinde,
Ein Theil hieß beßer Ausgesinde.
Dir war auch eines Keien Noth,
Da wahre Milde dir gebot
Deinen Hof so bunt zu mischen,
Daß zu den Werthen, Höfischen
Auch viel Verächtliche dringen.
Darum muß Herr Walther singen:
»Gut und Böse, guten Tag.«
Wo man also singen mag,
Da sind die Falschen geehrt:
Das hätt ihn Keie nicht gelehrt,
Noch Herr Heinrich von Rispach.«

Ein solches Lied Walters hat man bisher vergebens aufgesucht. Doch ist noch die Frage, ob Wolframs Worte wirklich als ein Zeugniss dafür gelten müßen, daß er ein Lied mit dieser Zeile gedichtet habe. Vielleicht beziehen sie sich nur auf Walthers so eben mitgetheilte Schilderung des bewegten Lebens und Treibens am Hofe zu Eisenach, an welcher es Wolfram zu missbilligen scheint, daß sie allzubeifällig ausgefallen sei und im Getümmel der ein- und ausfahrenden Gäste zwischen Guten und Bösen keinen Unterschied mache. Hätte Walther wirklich ein solches Lied gedichtet, so könnte es, wie auch W. Wackernagel annimmt, nur ein Spottlied sein, wenigstens hätte Walther doch selbst zu verstehen gegeben, daß er nicht Alle, die am Hofe Aufnahme fanden, für gut halte, wenn er gleich seiner Stellung gemäß auch die Bösen gelten laßen müße: immer bräche also an Wolframs Tadel die Spitze. Wolfram, von dem wir nicht wißen, daß er je einen Fürsten gelobt hätte, durfte wohl einen solchen Seitenblick thun, welcher den freimüthigen Tadel des Landgrafen einschließt, der sich gleichwohl noch späterhin als seinen Gönner erwies.

So würdevoll hier Wolframs Betragen dem Walthers gegenüber erscheint, so darf man doch nicht glauben, daß dieser sich gegen den Landgrafen anders als in stillschweigender Duldung etwas vergeben hätte. Er würde nicht einmal an dessen Hofe erschienen sein, wenn der Landgraf sich nicht kurz vorher dem Könige Philipp, dem Walther aufrichtig anhing, und bei seinem zweiten Aufenthalt dem Kaiser Otto unterworfen hätte. Diese Treue Walthers gegen seine politische Gesinnung, von der wir ihn in einem langen Sängerleben nicht einmal abweichen sehen, hilft uns den Zeitpunkt seines Zusammentreffens mit Wolfram am Hofe zu Eisenach bestimmen, von welchem in den Anmerkungen zu seinen Liedern erwiesen ist, daß es sich vor dem Jahre 1204 nicht ereignet haben kann. In das Jahr 1207 setzt die Sage vom Wartburgkrieg jenen Sängerkampf, wo um Tod und Leben gesungen wurde. Obgleich ich ihn durchaus für fabelhaft halte, und die Meinung jetzt wohl auch Niemand mehr theilt, als wären die Lieder, welche das spätere Gedicht vom Wartburgkriege den Sängern in den Mund legt, wirklich von diesen gedichtet oder improvisiert und von Geschwindschreibern sogleich aufgefaßt worden, so wird er doch nicht aller historischen Grundlage ermangeln. Indes bestand diese wohl schwerlich in etwas Anderm als eben in der Kunstliebe des Landgrafen und in seiner Milde gegen die Sänger, die außer Walther und Wolfram, beide Teilnehmer am Wartburgkriege, noch andere namhafte Dichter an seinen Hof zog, wie schon früher Herbort von Fritzlar, Albrecht von Halberstadt und Heinrich von Veldeke, der, nach dem Ausdrucke Gottfrieds von Straßburg, das erste Reis in deutscher Zunge impfte, dort Aufnahme gefunden hatten. Sollte jene Meinung gelten, so müste auch der Teufel Nasion vor dem Hofe zu Eisenach Lieder gesungen haben, die aus seinem Munde von Stenographen niedergeschrieben wären. Daß aber überhaupt das Gedicht mehr auf der Sage als auf geschichtlichen Vorgängen ruht, zeigt am deutlichsten die Art, wie hier Wolfram einer Figur seines Parzivals, dem Zauberer Klinschor, als einer historischen Person, im Singekampf gegenüber gestellt wird.

Bei dieser Natur des Wartburgkrieges dürfen wir seiner Angabe nicht trauen, wonach Wolfram zu Masfeld an der Werra von dem Grafen von Henneberg zugleich mit dem tugendhaften Schreiber in den Ritterstand erhoben worden sei, obgleich diese Stelle mit einem Theile des Gedichts, einer Art Todtenfeier des Landgrafen und des Hennebergers, zusammenhängt, der ausnahmsweise wirklich von dem Sänger herrühren könnte, welchem er zugeschrieben wird. Wenn freilich dieser tugendhafte Schreiber, der auch Heinrich heißt, mit dem Henricus notarius oder scriptor, der in thüringischen Urkunden von 1208–1228 erscheint, einerlei Person wäre, so würde die Glaubwürdigkeit jener Angabe sehr gewinnen.

Noch ein anderes Mal finden wir Wolfram am Hofe des Landgrafen zu Eisenach, wo ihn dieser mit dem Gegenstande seines Willehalm (W. 3, 8) bekannt machte. Im Verlauf dieses Gedichts (W. 47, 22) spricht Wolfram von Herman als einem Verstorbenen. Schon hieraus dürfen wir schließen, daß jene Mittheilung nicht allzulange vor Hermans Tode stattgefunden habe. In einer andern Stelle des »Willehalm« (393, 30) giebt sich Wolfram als Anhänger Kaiser Otto IV. zu erkennen. Dessen Gegner war aber Herman bis kurz vor seinem Tode, wo er sich wieder mit dem Kaiser verband. Um diese Zeit finden wir auch Walther wieder bei dem Landgrafen; beide Dichter können hier abermals zusammengetroffen sein. Wolfram spielt im »Willehalm« auf ein erhaltenes Lied Walthers an, worin dieser den Köchen rieth, sie möchten die Braten etwas dicker schneiden, damit die Fürsten nicht durch die Kargheit ihres Herrn von ihm abwendig gemacht würden; in Griechenland habe einmal ein König darüber sein Reich verloren. Dieses Lied scheint mir jetzt auf Philipp bezüglich, wenn auch nicht gegen ihn, sondern gegen die Fürsten gerichtet. Bei dieser Ansicht kann es nicht zum Beweise dienen, daß die beiden Sänger sich noch ein anderes Mal bei dem Landgrafen begegnet wären.


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