Wolfram von Eschenbach
Parzival und Titurel
Wolfram von Eschenbach

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IX.
Trevrezent.

Inhalt.

Die Aventüre begehrt Einlaß in des Dichters Herz, um ihm weiter von Parzival zu sagen. Sie übergeht Manches, Anderes deutet sie nur an, wie das Abenteuer von dem zersprungenen, in dem Brunnen Lach bei Karnant wieder ganz gewordenen Gralsschwerte. Es folgt eine neue Begegnung mit Sigunen, die jetzt im härenen Hemde eine Klause über dem Grabe des Geliebten bewohnt. Sie verzeiht ihm, in Betracht, daß er hart genug gestraft sei, die unterlaßene Frage und räth ihm, Kondrieen, welche ihr alle Samstag Nacht Speise brächte und sie erst vor Kurzem verlaßen hätte, nachzureiten. Parzival folgt der frischen Spur, hat sie aber wieder verloren, als ein Gralsritter ihm Kampf bietet, weil er es gewagt habe, Monsalväsch so nahe zu reiten. Der Templeise wird besiegt, entkommt aber lebend; sein Ross mit der Turteltaube, dem Wappen des Grals, am Buge besteigt Parzival statt des ihm erschlagenen. Lange Zeit darnach begegnet ihm ein grauer Ritter, der mit seinem Weib, zweien Töchtern und fürstlichem Gefolge barfuß, obgleich Schnee gefallen war, seine jährliche Buß- und Bittfahrt durch den Wald zu einem Einsiedel unternommen hat und es herzlich beklagt, daß Parzival im Harnisch die heilige Zeit nicht begehe, indem heute Karfreitag sei; er räth ihm, gleichfalls bei dem Einsiedel zu beichten und Buße zu thun. Die Jungfrauen laden ihn zu Gaste: er will aber nicht neben ihnen reiten, während sie zu Fuße gehen den zu verehren, welchen er haßt, beurlaubt sich und reitet weiter. Darauf aber wird er reuig, gedenkt zum Erstenmal seines Schöpfers, und überläßt, dessen hülfreiche Führung zu versuchen, dem Ross die Zügel. Da bringt es ihn gen Fontain-sauvasche, wo Trevrezent als Einsiedel ein strenges Bußleben führt. Hier erfährt er die Märe von dem Gral, welche der Dichter bisher absichtlich verschwiegen hat. Parzival erkennt die Stelle, wo er Orilus durch einen Eid über Jeschutens Treue beruhigt hat. Er steigt vom Pferde und erzählt dem Klausner von dem Ritter, der ihn hieher gewiesen habe, seine Sünden zu beichten. Trevrezent führt sein Ross an einen Felsenbrunnen, ihn selbst zu einem Feuer in einer Gruft, wo der Held sich wärmt, entwappnet und einen Rock des Einsiedels anlegt. In einer zweiten Höhle findet er auf dem Altar die Heiltumskapsel, der er bei jenem Schwur die Hand aufgelegt hat. Er fragt, wie lange das her sei, und erfährt, daß fünftehalb Jahre seitdem verfloßen sind. Er bekennt, in all dieser Zeit kein Gotteshaus besucht zu haben, indem er Haß zu Gott im Herzen trage. Der Klausner belehrt ihn über Gottes hülfreiche Barmherzigkeit und Güte, warnt ihn vor Vermeßenheit an Lucifers, Evas und Kains Beispiele und fragt, welcher Kummer ihn beschwere. Als ihm Parzival seine Sorgen um den Gral und sein Weib klagt, lobt er letztere und nennt die andere thöricht, weil den Gral nur der vom Himmel dazu Benannte gewinnen könne. Nun erzählt er von dessen himmlischem Ursprung, von der Taube mit der Oblate, von der erscheinenden und verschwindenden Schrift u. s. w. Als Parzival ihn mit dem Wunsch unterbricht, durch die Schrift zum Gral benannt zu werden, warnt er ihn vor Hochfahrt an dem Beispiele des Anfortas und fährt fort zu berichten, wie die Templeisen die Grenzen des Gralreichs schützen; gleichwohl sei Lähelein bis an den See Brumbane vorgedrungen, wo er einen Gralsritter getödtet und dessen Ross erbeutet habe. Für Lähelein hält der Einsiedel seinen Gast wegen seines Pferdes: doch bekennt sich dieser für den Sohn Gachmurets und Ithers Sieger. Trevrezent erschrickt, als er hört, daß sein Neffe den nahe Verschwägerten (Ither war mit Lamiren, der Tochter Gandeins, also Gachmurets Schwester, vermählt) erschlagen; wie er denn auch scheidend seine Mutter, Trevrezents Schwester, getödtet habe. Er erzählt nun von seinen übrigen Geschwistern, Tschoisianen, der Mutter Sigunens, Repansen de Schoie, die den Gral zu tragen gewürdigt wird, und Anfortas, dem König des Grals; dann des letzten Verirrung im Minnedienst, seine Verwundung mit dem vergifteten Sper des Heiden, die vergeblichen Heilungsversuche, und wie zuletzt die Schrift am Gral einen Ritter gemeldet, dessen Frage Erlösung brächte, der aber dann keine Frage gethan habe. Dann gehen Beide Gras und Laub für das Ross, sich selber Wurzeln und Kräuter suchen. Nach dem kargen Mal gesteht Parzival, daß er jener Ritter gewesen sei. Sein Oheim beklagt ihn, hofft aber, ihm werde noch Heil blühen, wenn er sein Herz so erkühnen könne, daß er an Gott nicht mehr verzweifle. Darauf erklärt er ihm Alles, was er zu Monsalväsche gesehen hat, die blutige Lanze, die Meßer mit den Silberklingen, Anfortas Frieren und Lehnen, sein Fischen auf dem See Brumbane und die dienenden Frauen; schildert ihm dann der Templeisen Leben, wie der Gral aus seiner Schar den herrenlosen Ländern Fürsten heimlich schicke, die Jungfrauen aber, wie Parzivals Mutter, öffentlich vermähle, und wie alle Gralsritter, außer dem Könige, Frauenminne verschwören müsten, eine Vorschrift, die auch er in seiner Jugend unbeachtet gelaßen, wie seine Erzählung ergiebt. Nach solchen und ähnlichen Gesprächen gehen sie zur Ruhe. Vierzehn Tage bleibt Parzival bei dem Einsiedel; beim Abschied ermahnt ihn dieser, Frauen und Priester zu ehren und spricht ihn frei von Sünden.

 

        433   »Thut auf!« Wem? Wer seid ihr?
»Ich will ins Herz hinein zu dir.«
So begehrt ihr engen Raum.
»Was thut es, faßt er mich auch kaum;
5   Ueber Druck wirst du nicht klagen,
Ich will dir nun viel Wunder sagen.«
Seid ihrs, Frau Abenteuer?
Was macht der Degen theuer?
Ich meine den werthen Parzival,
10   Den Kondrie nach dem Gral
Mit unsüßen Worten jagte;
Manch schönes Weib beklagte,
Daß unerläßlich wär sein Reisen.
Von Artus dem Bretaneisen
15   Schied er da: wo ist er nun?
Die Märe eilt uns kund zu thun:
Ob er an Freuden ganz verzagte
Oder hohen Preis erjagte.
Blieb heut ihm seine Würdigkeit
20   Noch ganz wie sonst, so lang und breit,
Oder ward sie kurz und schmal?
Sagt uns Alles auf einmal,
Was noch von seiner Hand geschah;
Ob er Monsalväsch nun sah
25   Und Anfortas den klagenswerthen,
Dem Seufzer das Herz beschwerten?
Gebt Trost uns aus Barmherzigkeit,
Ob er des Jammers ward befreit.
Laßt hören, gebt uns Kunde,
Ist da Parzival zur Stunde,
434   Der uns beiden zu gebieten hat?
Ach, erhellt mir seinen Pfad:
Gachmurets Sohn, was beginnt
Der süßen Herzeleide Kind,
5   Seit er von Artus Abschied nahm?
Hat er Freude, hat er Gram
Seitdem erkämpft im Streite?
Stürmt er noch in die Weite
Oder liebt er sich zu ruhn?
10   Sagt mir sein Ueben und sein Thun.

Aventüre macht uns nun bekannt.
Erkundet hab er manches Land
Zu Ross, in Schiffen auch zu Meer;
Landsmann, Blutsfreund, oder wer

15   Sich ihm tjostierend stellte,
Daß er den siegreich fällte.
So kann sich seine Schale neigen,
So weiß sein Preis empor zu steigen
Und der Andern Preis zu dämpfen.
20   Er hatt in harten Kämpfen
Der Niederlage sich erwehrt,
Sich so versucht mit Lanz und Schwert,
Wer Preis von ihm zu borgen
Gedachte, thats mit Sorgen.
25   Das ihm Anfortas verehrt434, 25. Vgl. zu 254[, 15], und Einl. §. 25.
Bei dem Grale, jenes Schwert,
Da ers im Streite schwang, zerbrach:
Bei Karnant der Brunnen Lach
Macht' es dann ihm wieder ganz;
Stäts mehrt' er seines Ruhmes Glanz.

435  

Wer es nicht glaubt, der sündigt.
Die Aventür verkündigt,
Daß Parzival der kühne Held
Geritten kam in ein Gewäld,

5   Zu welcher Stunde, weiß ich nicht:
Da stand vor seinem Angesicht
Eine neuerbaute Klause;
Ein Quell lief durch mit Brause:
Sie war darüber ausgehöhlt.
10   Der junge Degen muthbeseelt
Suchte Abenteuer dort:
Da kam er zu der Gnade Port.
Er fand da eine Klausnerin;
Gott zu Liebe gab sie hin
15   Magdtum und alle Erdenlust.
Ihrer weiblichen Brust
Entblühte Trauer, ewig neue,
Doch aus der Wurzel alter Treue.

Schionatulander

20   Und Sigunen fand er.
Begraben lag der Held und todt;
Sie erlebt' auf seinem Sarge Noth.
Sigune la Düschesse
Hörte selten Messe;
25   Doch all ihr Leben war Gebet.
Ihr rother Mund von Glut gebläht,
Nun war er blass, so ganz erblichen,
Seit alle Weltlust ihr gewichen.
Keine Maid litt je so hohe Pein:
Um zu trauern will sie einsam sein.

436  

Da der Fürst sie nicht erwarb,
An ihm die Minne ihr erstarb,
Sie minnte seinen todten Leib.
Wär sie wirklich jetzt sein Weib,

5   Frau Lunet hätt ihr im Leben436, 5. Vgl. zu 253, 10–14.
Solchen Rath wohl nie gegeben,
Wie sie gab ihrer Frauen.
Man mag noch Frauen schauen,
Bei denen eine üble Statt
10   Fände Frau Lunetens Rath.
Ein Weib, die um des Lieben willen
Und der Zucht Gebot zu erfüllen,
Sich enthält fremder Minne,
Täuscht mir kein Trug die Sinne,
15   Läßt sie's bei ihres Mannes Leben,
Dem ward an ihr ein Heil gegeben.
Kein Fasten kleidet sie so wohl:
Das beeid ich wenn ich soll.
Hernach mag sie beliebig schalten;
20   Kann sie auch dann noch sich enthalten,
Das ziert sie, keinen schönern Kranz
Trägt sie je beim Freudentanz.

Vergleich ich Freude mit der Noth,
Die Sigunen ihre Treu gebot?

25   Das sollt ich lieber laßen.
Ueber Blöcke sonder Straßen
Ritt Parzival dem Fensterlein
Allzunah: das schuf ihm Pein.
Er wollte nach dem Walde fragen,
Und wohin der Weg ihn werde tragen.
437   Bescheid zu finden hofft' er da.
»Ist Jemand drin?« Da sprach sie: »Ja.«
Als er die Frauenstimm erkannte,
Auf unzertretnen Rasen wandte
5   Der Held zurück das Rösselein;
Schon daucht es ihn zu spät zu sein:
Daß er nicht gleich war abgestiegen,
Fühlt' er Scham sich überfliegen.

An des gefällten Baumes Ast

10   Band sein Ross alsbald der Gast
Und hing des Schildes Scherben dran.
Der bescheidne kühne Mann
Das Schwert auch von der Seite band:
So trat er zu des Fensters Rand
15   Nachzufragen, wo er wär.
Die Klaus war aller Freuden leer
Und aller Kurzweil bar und bloß:
Nur Jammer fand er, der war groß.
Er bat, daß sie ans Fenster trete.
20   Da erhob sich vom Gebete
Mit Zucht die Jungfrau bleich und fahl.
Noch immer war ihm dazumal,
Wer sie wäre, völlig fremde.
Sie trug ein hären Hemde
25   Unter grauem Rock zunächst der Haut.
Großem Jammer war sie angetraut:
Der hatt ihr hohen Muth gesenkt,
Ihrem Herzen Seufzer viel geschenkt.

Mit Zucht die Magd zum Fenster ging,
Wo sie den Fremdling wohl empfing.

438   Den Psalter trug sie in der Hand.
Parzival der Weigand
Sah sie ein kleines Ringlein tragen,
Dem sie im Leid nicht mocht entsagen;
5   Sie behielts nach treuer Minne Rath.
Das Steinlein war ein Granat:
Das sah man aus dem Dunkel glühn,
Recht wie Feuer Funken sprühn.
Sie trug ums Haupt ein schwarzes Band.
10   Sie sprach: »Da draußen bei der Wand
Seht ihr eine Bank gestellt:
Setzt euch, wenn es euch gefällt,
Und vergönnt die Muße.
Daß ich zu euerm Gruße
15   Kommen durfte, lohn euch Gott;
Der hilft getreulich in der Noth.«

Der Degen folgte gern dem Rath;
Vors Fenster setzt er sich und bat:
»Sitzet ihr da drinnen auch.«

20   Sie sprach: »Gar selten wars mein Brauch,
Daß ich hier saß bei einem Mann.«
Da hub der Held zu fragen an,
Was sie der Sitte pflege,
»Daß ihr so fern dem Wege
25   Wohnet in der Wildniss hier.
Große Unbill scheint es mir,
Herrin, was ihr hier begeht,
Da rings kein Haus euch nahe steht.«

Sie sprach zu ihm: »Mir wird vom Gral
Der Kost genug gesandt zum Mal.

439   Kondrie la Sorzier
Bringt mir von dorten her
Jeden Samstag in der Nacht
(Den Vorsatz hat sie sich gemacht),
5   Was ich die Woche haben soll.«
Sie sprach: »Wär mir nur anders wohl,
Um die Nahrung würd ich wenig sorgen;
In diesem Stück bin ich geborgen.«

Da wähnte Parzival, sie löge

10   Und daß sie sonst ihn gern betröge.
Er sprach im Spott zu ihr hinein:
»Von wem habt ihr dieß Ringelein?
Stäts hab ich sagen hören,
Liebschaft müsten verschwören
15   Klausner und Klausnerinnen.«
»An der Rede werd ich innen,
Ihr zeihtet mich der Falschheit gerne.
Wenn ich jemals Falschheit lerne,
Merkt sie wohl, seid ihr dabei;
20   Wills Gott, ich bin der Falschheit frei:
Aller Fehltritt widert mir.«
Noch sprach sie: »Diesen Mahlschatz hier
Trag ich um einen lieben Mann.
Seine Minne nie gewann
25   Ich zwar mit menschlicher That.
Magdtumlichen Herzens Rath
Rieth mir zu seiner Minne.«
Sie sprach: »Er ist hier drinne,
Dessen Kleinod ich trug,
Seit ihn Orilus im Kampf erschlug.

440  

»Ich will ihm Minne geben
All mein jammerreiches Leben.
Rechte Minne muß ich ihm gewähren,
Da er mit Schwert, Schild und Speren

5   Um meine Minne wehrlich warb,
Bis er in meinem Dienst erstarb
Reines Magdtum blieb mir noch;
Er ist vor Gott mein Mann jedoch.
Rechnet Gott Gedanken an
10   Für That, so sind wir Weib und Mann
Verbunden in der rechten Ehe.
Sein Tod that meinem Leben wehe.
Vor Gott soll dieses Ringelein
Uns wahrer Ehe Zeugniss sein.
15   Es bindet meine Treue fest,
Mit Herzensthränen oft genäßt.

»Hier bin ich selbander:
Schionatulander,
Und die andere bin ich.«

20   Nun erst überzeugt' er sich,
Daß es Sigune war, die Maid.
Ihr Kummer schuf ihm Herzeleid.
Eh er weiter sprach zu ihr,
Zog er herab das Härsenier,
25   Daß sie sein bloßes Haupt erschaue.
Da sah an ihm die Jungfraue
Durch Eisenrost die Haut so licht.
Jetzt erkennt sie ihn und spricht:
»Wie, seid ihrs, Herr Parzival?
Sagt an, wie steht ihr mit dem Gral?
441   Habt ihr nun seine Kraft erkannt?
Wie ists um eure Fahrt bewandt?«

Er sprach zur Jungfrau wohlgeboren:
»Ich habe Freud und Glück verloren,

5   Der Gral giebt Sorgen mir genug.
Das Land, wo ich die Krone trug,
Ließ ich, dazu das schönste Weib.
Geboren ward so schöner Leib
Auf Erden nie von Menschenfrucht.
10   Ich sehne mich nach ihrer Zucht,
Um ihre Minne traur ich viel;
Doch mehr noch nach dem hohen Ziel,
Wie ich Monsalväsche mög ersehn
Und den Gral: das ist noch ungeschehn.
15   Base, du vergehst dich schwer,
Sigun, an mir: ich leide sehr,
Und doch feindest du mich an.«
Da sprach sie: »All mein Zorn fortan,
Vetter, sei auf dich verschworen,
20   Du hast doch Freude viel verloren,
Da die Frage unterließ
Dein Mund, die dir so viel verhieß,
Als dir der edle Anfortas
Dein Wirth, dein Glück, zur Seite saß.
25   Da hätt dir Fragen Heil erjagt;
Doch nun ist Freude dir versagt
Und all dein hoher Muth gelähmt.
Dein Herz hat Sorge nun gezähmt,
Die stäts dir fremde wäre,
Erfrugst du dort die Märe.«

442  

»Ich that wie der sich schaden soll.
Nun, liebe Base, rath mir wohl:
Nahverwandt ja bist du mir;
Und sag mir auch: wie stehts mit dir?

5   Dein Leid sollt ich beklagen,
Müst ich nicht größres tragen,
Als je war eines Mannes Looß:
Meine Noth ist allzugroß.«
Sie sprach: »Dir helfe Dessen Hand,
10   Dem aller Kummer ist bekannt.
Vielleicht, daß es dir noch gelingt,
Daß ein Pfad dahin dich bringt,
Wo du Monsalväsch ersiehst
Und deinem Herzen Trost entsprießt.
15   Kondrie la Sorzier ritt noch
Nicht lange fort: hätt ich sie doch
Gefragt, ob sie dahin will ziehn
Oder anderswohin.
Ihr Maulthier läßt sie dort wohl halten,
20   Wo der Brunnen fließt aus Felsenspalten.
Mach dich auf und folg ihr unverweilt,
Vielleicht daß sie vor dir nicht eilt:
So holst du sie in Kurzem ein.«
Da durfte nicht gezögert sein:
25   Mit Sigunens Urlaub folgt' er bald
Den frischen Stapfen durch den Wald.
Doch ritt ihr Maulthier solche Wege,
Daß bald im dichten Waldgehege
Die Spur verschwand, die er erkoren.
So war der Gral aufs Neu verloren.
443   Da vergaß er Freud und Lust.
Beßer hätt er jetzt gewust
Zu fragen, wär er hingekommen,
Als damals, wie ihr habt vernommen.

5  

Nun laßt ihn reiten; doch wohin?
Dort sich entgegen sieht er ziehn
Einen Ritter, der sich bloßhaupt trug.
Sein Wappenrock war theur genug,
Der Harnisch drunter stralt von Glanz:

10   Denn sonst ist er gewappnet ganz.
Der ritt auf Parzival einher
Und sprach: »Herr, ich zürn euch sehr,
Daß ihr dringt in meines Herren Wald.
Fort, sonst ermahn ich so euch bald,
15   Daß euer Herz sich ferne sehnt.
Monsalväsch ist nicht gewöhnt,
Daß ihm wer so nahe ritt,
Es sei denn, daß er siegreich stritt
Oder solche Buße bot,
20   Die sie vor dem Walde heißen Tod.«

Einen Helm in der Hand
Sah man ihn tragen, dessen Band
War von seidenen Schnüren;
Einen scharfen Sper auch führen;

25   Von frischem Holze war sein Schaft.
Der Held band mit Zorneskraft
Sich den Helmhut fest aufs Haupt.
Man hätt es gerne geglaubt,
Er wolle zu den Zeiten
Nicht vergebens dräun mit Streiten.
444   So schickt' er zu der Tjost sich an.
Spere hatt auch viel verthan
Parzival wie diese reich:
Er gedacht: »Ich wär des Todes gleich,
5   Ritt' ich dem Manne durch sein Korn:
Wie gerieth' er dann wohl erst in Zorn?
Hier tret ich nur auf wilde Haide.
Versagt ihr Arme mir nicht beide,
So lös ich mich mit solchem Pfand,
10   Daß mich nicht bindet seine Hand.«

Sie brachten ihre Pferde drauf
Beiderseits in vollen Lauf
Und trieben sie mit Sporenschlägen
Einander pfeilgeschwind entgegen.

15   Die Tjost missrieth auch Keinem jetzt;
Doch in mancher Tjost blieb unverletzt
Parzivals hohe Brust.
Den lehrte Kunst und sein Gelust,
Daß seine Lanzenspitze fuhr
20   Recht in den Strick der Helmschnur.
Er traf ihn, wo man hängt den Schild,
Wenn es Tjostieren gilt,
Daß der Templer von dem Gral
Vom Ross herabfiel in ein Thal
25   Und sank die Hald hinunter tief:
Wohl scheints, daß unser Held nicht schlief.

Der Sieger folgt des Schwungs Gewalt;
Umsonst gebot dem Ross er Halt:
Es fiel hinab, zerbrach im Fall.
Den Ast ergriff noch Parzival

445   Einer Ceder mit den Händen.
Es wird ihn wohl nicht schänden,
Daß er sich ohne Schergen hing.
Mit den Füßen glücklich fing
5   Er sich auf festem Felsengrund.
Im unerreichbaren Schlund
Lag sein Ross da unten todt.
Der Templer aus der Lebensnoth
Floh zu der andern Thalwand hin.
10   War er stolz auf den Gewinn,
Den er erwarb an Parzival,
So frommt' ihm mehr daheim der Gral.

Da sich Parzival hinauf begab,
Des Templers Zügel hing herab

15   Vom Ross, das sich darin verfangen:
Drum war es weiter nicht gegangen,
Als es der Ritter dort vergaß.
Da Parzival im Sattel saß,
Hat er den Sper nur eingebüßt:
20   Der Verlust war durch den Fund versüßt.
Gewiss, der starke Lähelein,
Noch der stolze Kingrisein,
Noch der König Gramoflanz,
Noch Komte Laskoit Fils Gurnemans
25   Hatten nimmer beßre Tjost geritten,
Als womit er dieses Ross erstritten.
Da ritt er weglos immerdar,
Und der Monsalväscher Schar
Bot ihm weiter keinen Streit.
Ihm gebrach der Gral, das war sein Leid.

446  

Wers hören will, dem geb ich Kunde,
Was ihm widerfuhr nach dieser Stunde.
Doch weiß ich nicht der Wochen Zahl,
Wie lang hernach noch Parzival

5   Auf Abenteuer ritt wie eh.
Eines Morgens war ein dünner Schnee,
Doch wohl so dicht herabgeschneit,
Daß Frost daraus ward prophezeit.
Es war in einem tiefen Wald:
10   Da begegnet' ihm ein Ritter alt.
Dem war ergraut des Bartes Haar,
Jedoch das Antlitz licht und klar;
Klar und licht auch war sein Weib.
Die beiden auf dem bloßen Leib
15   Trugen Röcke rauhbehaart
Auf ihrer Buß- und Bittefahrt.
Ihre Kinder, zwei Jungfrauen,
Die man gerne mochte schauen,
Gingen auch in solchem Kleid.
20   Ihnen rieth Bescheidenheit,
Daß sie barfuß waren allzumal.
Seinen Gruß bot Parzival
Dem grauen Ritter, der da ging,
Von dem er selgen Rath empfing.
25   Er mocht ein Landesfürst wohl sein.
Den Frauen folgten Hündelein.
Demüthig schritten, nicht zu hehr,
Ritter noch und Knappen mehr
Sittig auf der Gottesfahrt,
Noch Mancher jung und ohne Bart.

447  

Parzival der Weigand
Trug am Leibe solch Gewand,
Daß sein reiches Ritterkleid
Ihm herlich stand wie allezeit.

5   Er fuhr so stolz gerüstet,
Daß er sich anders brüstet',
Als jener graue Mann sich trug.
Aus dem Wege früh genug
Wandt er mit dem Zaum sein Pferd.
10   Gern hätt er fragend sich belehrt
Ueber der frommen Leute Fahrt;
Sie beschieden ihn mit guter Art.
Das war des grauen Ritters Klage,
Daß er die heiligen Tage
15   Nicht also ehrte nach der Sitte,
Daß er ungewappnet ritte
Oder bärfuß ginge
Und des Tages Fest beginge.

Da gab ihm Parzival Bescheid:

20   »Herr, ich weiß zu keiner Zeit,
An welchem Ziel das Jahr nun steht
Und wie der Wochen Zahl vergeht.
Wie die Tage sind benannt,
Das ist mir Alles unbekannt.
25   Ich diente Einem, der heißt Gott,
Eh seine Ungunst solchen Spott
Mir gab und solchen Ungewinn,
Da doch nie von ihm gewankt mein Sinn.
Man sagte mir, er helfe gern;
Doch bleibt mir seine Hülfe fern.«

448  

Da sprach der Ritter grau von Haar:
»Meint ihr Gott, den eine Magd gebar?
Glaubt ihr, daß er Mensch geworden
Und heut für uns am Kreuz gestorben,

5   Weshalb wir diesen Tag begehn,
So muß solch Kleid euch übel stehn.
Denn es ist Karfreitag heut,
Des alle Welt sich billig freut
Und doch in Leid befangen ist.
10   Sprecht, ob ihr höhre Treue wißt
Als die Gott an uns beging,
Da man für uns ans Kreuz ihn hing?
Habt ihr die Tauf empfangen,
So muß euch Leid umfangen:
15   Er hat sein heiliges Leben
Um unsre Schuld dahingegeben;
Sonst wär der Mensch verloren,
Zu der Hölle Pein erkoren.
Wofern ihr nicht ein Heide seid,
20   Herr, so heiligt diese Zeit.
Reitet eures Weges fort:
Nicht ferne wohnt von diesem Ort
Ein heilger Mann: der giebt euch Rath,
Wie ihr büßet eure Missethat.
25   Wollt ihr ihm Reue künden,
Er spricht euch los von Sünden.«

Seine Töchter huben an zu sprechen:
»Was willst du, Vater, an ihm rächen?
So böses Wetter wie nun ist,
Was räthst du ihm zu solcher Frist?

449   Hilf ihm vielmehr, daß er erwarme.
Seine geharnischten Arme,
Wie ritterlich und stark sie sind,
Doch ist die Kälte nicht gelind:
5   Er erfrör und wär er seiner drei.
Hast du doch hier nahe bei
Gezelt und Kleiderkammer stehn;
Käm Artus und sein ganzes Lehn,
So gebräch dir auch die Speise nicht.
10   So übe denn des Wirthes Pflicht
Und nimm dich dieses Ritters an.«
Da sprach alsbald der graue Mann:
»Herr, meine Töchter sprechen wahr.
Mit Zelt und Hütten jedes Jahr
15   Fahr ich durch diesen wilden Wald,
Ob es warm sei oder kalt,
Naht uns Dessen Marterzeit,
Der stäten Lohn für Dienst verleiht:
Was ich Gott zu Liebe hergebracht,
20   Das ist euch willig zugedacht.«

Die beiden Jungfrauen
Ließen guten Willen schauen.
Sie baten ihn zu bleiben;
Ihn solle nichts vertreiben,

25   Sprachen sie mit holden Mienen.
Parzival ersah an ihnen,
Obgleich das Wetter Frost nur bot,
Munde heiß und voll und roth.
Sie hatte Trauer nicht entstellt
Um den Heiland der Welt.
450   Hätt ich mit ihnen mich entzweit,
Ich nützte die Gelegenheit
Den Kuss der Sühne zu empfahn,
Nähmen sie die Sühne an.
5   Frauen sind doch immer Fraun:
Wo sie den tapfern Mann erschaun,
Da sind sie bald bezwungen;
Das bezeugen tausend Zungen.

Mit süßem Wort, mit holden Sitten

10   Hörte Parzival sie bitten,
Kinder und Aeltern beide.
Er gedachte: Wenn ich bleibe,
Gern zieh ich nicht in dieser Schar.
Die Mädchen sind so schön fürwahr,
15   Mein Reiten würde übel stehn,
Da Mann und Weib zu Fuße gehn.
Es fügt sich beßer, daß wir scheiden,
Da Haß mir Jenen muß verleiden,
Den sie von Herzen minnen
20   Und auf seine Hülfe sinnen.
Mir hat er Hülfe stets verwehrt,
Nur meiner Sorgen Zahl gemehrt.

»Herr und Frau,« hub er an,
»Laßt euern Urlaub mich empfahn.

25   Das Glück verleih euch volles Heil,
Und Freude werd euch stäts zu Theil.
Ihr süßen Jungfraun beide,
Eure Zucht euch Lohn bescheide,
Daß ihrs so gut gemeint mit mir.
Nun gebt mir euern Urlaub hier.«
451   Da neigt er sich, und Jene neigen;
Sie konnten Klage nicht verschweigen.

Hin reitet Herzeleidens Frucht.
Den lehrte mannliche Zucht

5   Demuth und Barmherzigkeit.
Dem die junge Herzeleid
Angeboren Treu und Güte,
Traurig ward sein Gemüthe.
Jetzt zuerst gedacht er Seiner Macht,
10   Der die Welt aus Nichts gemacht,
Der ihn erschaffen und erhalten,
Wie Der gewaltig müße walten:
»Wie, wenn Gott doch sendete
Was meinen Jammer wendete?
15   Ward er jemals einem Ritter hold,
Erwarb ein Ritter seinen Sold,
Hält er seiner Hülfe werth,
Die da führen Schild und Schwert
Unverzagt und mannhaft,
20   So lös er mich aus Sorgenhaft:
Ist heute seiner Hülfe Tag,
So helf er, wenn er helfen mag.«

Er ritt zurück daher er kam.
Noch standen jene, wie im Gram,

25   Daß er so von ihnen schied.
Wie ihr getreuer Sinn es rieth,
Blickten ihm die Jungfraun nach.
Doch auch das Herz des Ritters sprach,
Daß er sie gerne möge sehn:
Denn sie waren hold und schön.

452  

Er sprach: »Ist Gottes Kraft so groß,
Daß sie beide, Mann und Ross,
Mag rechte Wege weisen,
Seine Hülfe will ich preisen.

5   Kann von Gott uns Hülfe nahn,
So weis er dieses Kastilian,
Daß meine Reise glücklich sei:
Seine Güte steh mir hülfreich bei.
Nun geh nach göttlichem Bescheide.«
10   Zaum und Zügel legt' er beide
Frei zu des Rosses Ohren
Und trieb es mit den Sporen.

Gen Fontän sauvasche wars gegangen,
Wo den Eid hatt Orilus empfangen.

15   Der fromme Trevrezent dort saß,
Der manchen Montag wenig aß
Und auch den Rest der Wochen.
Sich hat er abgebrochen
Moraß, Wein, dazu das Brot.
20   Strenger war noch sein Gebot:
Fisch und Fleisch, und was nur Blut
Trüge, mied sein keuscher Muth.
So war sein heiliges Leben.
Gott hatt ihm solchen Sinn gegeben.
25   Zu des Himmels Herlichkeit
Macht' er übend sich bereit,
Indem er fastend Noth erlitt,
Der Freud entsagend widerstritt.

Von Dem erfährt nun Parzival
Die verhohlne Märe von dem Gral.

453   Wer mich früher drum gefragt
Hätt, und weil ichs nicht gesagt,
Mir Feindschaft bieten wollen,
Verschwendet wär sein Grollen.
5   Zu hehlen bat michs Kiot,
Weil ihm die Aventür gebot
Es heimlich noch zu wahren;
Niemand sollt es erfahren,
Bis im Verlauf der Märe
10   Davon zu sprechen wäre.453, 1–10. Hier will nun Wolfram sein 241, 5 gegebenes Versprechen, über Monsalväsche zu seiner Zeit das Nöthige zu melden, lösen. Zugleich erklärt sich aus dieser Stelle das räthselartige Gleichniss von dem Bogen 241, 10.

Kiot, der Meister wohlbekannt,
Zu Toled verworfen liegen fand,
Und in arabischer Schrift,
Die Märe, die den Gral betrifft.

15   Der Charakter ABC
Must er innehaben eh
Ohne nigromantische Kunst.
Ihm half dabei der Taufe Gunst,
Sonst wär die Mär noch unvernommen.
20   Heidenkunst mag nimmer frommen
Zu künden, was uns offenbart
Ist von des Grales Kraft und Art.

Ein Heide, Flegetanis,453, 23. Vgl. Einl. §. 10.
Den man um seltne Künste pries,

25   Hatte manche Vision.
Er stammte von Salomon,
Aus israelischem Geschlecht erzielt
Von Alters her, eh unser Schild
Die Taufe ward vor Höllenqual.
Der schrieb der Erste von dem Gral.
454   Ein Heide war er vaterhalb,
Flegetanis, der noch ein Kalb
Anbetete, als wär es Gott.454, 1–3. Im Wartburgkriege (in jenen Strophen im Thüringer Herrenton, die in der Jen. Handschrift fehlen) wird von dem Zauberer Zabulon von Babylon gesagt, er sei ein Heide vaterhalb und ein Jude von der Mutter Art und der erste gewesen, der sich der Astronomie unterwunden habe, woraus hervorgeht, daß Flegetanis und Zabulon eine und dieselbe mythische Person sind. Unserm Dichter konnte diese vielverzweigte Sage bekannt sein.
Wie darf der Teufel solchen Spott
5   Doch an so weisen Völkern thun?
Will sie zu wahren nicht geruhn
Davor des Allerhöchsten Hand,
Dem alle Wunder sind bekannt?

Flegetanis den Heiden

10   Mochte seine Kunst bescheiden
Vom Lauf aller Sterne
Und ihrer Heimkehr aus der Ferne,
Wie lang ein jeder hat zu gehn,
Bis wir am alten Ziel ihn sehn.
15   Menschliches Geschick und Wesen
Ist in der Sterne Gang zu lesen.
Flegetanis der Heid erkannte,
Wenn er den Blick zum Himmel wandte,
Geheimnissvolle Kunde.
20   Er sprach mit scheuem Munde
Davon: »Ein Ding wird Gral genannt;
Im Gestirn geschrieben fand
Er den Namen, wie es hieß.
Eine Schar ihn aus der Erde ließ,
25   Die zu den Sternen wieder flog,
Ob Gnad ob Unschuld heim sie zog.
Dann pflegte sein getaufte Frucht
Mit Demuth und reiner Zucht.
Die Menschheit trägt den höchsten Werth,
Die zum Dienst des Grales wird bekehrt.«

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