Wolfram von Eschenbach
Parzival und Titurel
Wolfram von Eschenbach

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§. 11. Mythus vom Gral.

Was sollen wir nun von der Nachricht über Flegetanis halten?

Daß Kiot zu Toledo ein arabisches Manuskript solchen Inhalts gefunden haben könne, wird Niemand läugnen, aber auch Niemand uns zumuthen wollen, diesen Inhalt selber für wahr zu halten. Daß Flegetanis in den Sternen vom Gral gelesen habe, sind wir, bis auch die Astrologie wieder zu Ehren gebracht sein wird, nicht zu glauben verpflichtet. Daß der Gral von einer himmlischen Schar auf die Erde gebracht worden, klingt ganz gut im Munde eines Heiden, der ein Kalb anbetete und mutterhalb von Salomon stammte. Auffallen muß nur die Unvollständigkeit dieser Nachricht, die uns weder über das eigentliche Wesen des Grals belehrt, noch ahnen läßt, warum ihn die Engel auf die Erde gebracht haben möchten. Hierüber sollte doch vor Allem Flegetanis, wenn nicht von den Sternen, doch von seiner Mutter Auskunft erhalten haben. In der That ist uns diese Auskunft überliefert, aber nicht im Parzival, noch im Titurel. »Sechzigtausend Engel,« heißt es im Wartburgkriege, »die Gott vom Himmel verdrängen wollten, ließen eine Krone für Lucifer wirken. Als diese der Erzengel Michael vom Haupte Lucifers brach, sprang ein Stein daraus, und dieser Stein ist der Gral.«

»Ich sehe in dem Bericht über Flegetanis nur eine Andeutung, daß die Sage vom Gral orientalisch-heidnischen Ursprungs sei, möge ihr nun »das Heliotrapezon, der Sonnentisch der frommen Aethiopen, der schon bei Herodot jede Nacht mit Fleisch und Fisch sich bedeckte,« oder »der altegyptische Hermesbecher, der des Dschemschid, Herkules und Bacchus der Mysterien,« oder »der schwarze Stein in der Kaaba zu Mekka« der, einer der Edelsteine des Paradieses, mit Adam zugleich auf die Erde gefallen sein soll, oder eine andere Form des vielgestaltigen Mythus, mit der auch der Stein der Weisen, oder das deutsche Tischchen deck dich verwandt sein mag, zu Grunde liegen. Es ist uns aber nicht umsonst gesagt, daß Flegetanis mutterhalb aus israelitischem Geschlecht entstammt sei: mit dem ursprünglich heidnischen Mythus haben sich altjüdische Vorstellungen verbunden, und es ist, obgleich Wolfram nichts davon meldet, um so wahrscheinlicher, daß der himmlische Ursprung des Grals schon bei Flegetanis mit Lucifers Empörung in der vom Wartburgskrieg gemeldeten Weise zusammenhing, als darauf jenes Vorgeben Trevrezents hinzielt.«

So schrieb ich 1841; mir scheint jetzt, über den Ursprung der Gralssage, die eine besondere Untersuchung fordre, könne aus Wolframs Angaben allein nicht entschieden werden. Sie spiegeln uns nur seine eigenen Vorstellungen darüber, oder die seiner Quelle: denn wir wißen nicht, ob er die Nachricht über Flegetanis aus der Luft griff oder irgendwoher entlieh. Flegetanis ist derselbe, welcher im Wartburgkrieg Zabulon heißt. denn auch von ihm wird dort gesagt, er habe ein Kalb angebetet und sei ein Jude von der Mutter Art, ein Heide vaterhalb gewesen. Dieß würde uns doch wieder auf jüdische Ueberlieferungen leiten, wie sie im Mittelalter verbreitet waren. Dagegen schreibt Ferdinand Wolf an Dr. Holland (Chrestien von Troyes 209): »Die Gralmythe ist wohl aus keltisch- druidischen Elementen im südlichen (?) Frankreich von den Anhängern des Tempeltums ausgebildet worden, und da lag die Versetzung des Montsalvage nach Spanien nahe genug und ist wohl ebensowohl wie Kiots Fund zu Toledo, dem Sitze der schwarzen Kunst, nur eine Mystifikation, wie denn bekanntlich Spanien, das Morgenland, Griechenland und Ungarn in der Geographie der Sagen die Heimatländer des Wunderbaren und Mystischen sind oder nur die Bedeutung der fernen unbekannten Fremde haben.«

Ans das unbekannte Gebiet des druidischen Tempeltums darf ich mich nicht verlocken laßen; doch macht mir, was ich über Ursprung und Bedeutung der Gralssage jetzt mitzutheilen habe, nicht wahrscheinlich, daß druidische Elemente den Grund derselben bildeten.

Was zunächst den Ursprung der Gralssage betrifft, so ist der Gral eine Schüßel, auf der jedoch, nicht mehr bei Wolfram, wohl aber noch in dem unter §§. 16 und 17 besprochenen Mabinogi das Haupt eines Menschen lag. Das erinnert an Johannes den Täufer, auf welchen wir auch §. 19 in den gegen die Templer erhobenen Beschuldigungen gewiesen werden, und wieder daran, daß die Genueser die bei der Einnahme von Cäsarea erbeutete kostbare Schale, die schon Helinandus auf den Gral bezog, der Capelle Johannes des Täufers weihten. Vgl. überhaupt §. 19 und San Marte Wolframs Leben und Dichten II, 415. Nach Chrestiens Fortsetzer Menessier legt Parzival, nachdem er zum König des Grals gekrönt ist, an einem Johannistage ein strenges Gelübde ab, lebt fünf Jahre nur von den Speisen des Grals genährt und wird dann bei seinem Tode zu den Heiligen emporgeführt. San Marte S. 423. Nach dem Prosaroman vom Gral setzt Artus auf einen Johannistag, nicht zu der Ritter Verwunderung auf Pfingsten, jenen großen Hoftag an, bei welchem die Häßliche (Kundrie) über die unterlaßene Frage Klage erhebt. S. Marte S. 422.

Dem Haupt des Täufers ward schon früh große Verehrung gewidmet. Als es unter dem arianisch gesinnten Kaiser Valens entdeckt wurde, fand man es nach dem fast gleichzeitigen Berichte des Sozomenus (hist. eccl. VII. 21) bei Mönchen, die zur Secte der Macedonianer gehörten: es konnte aber nicht nach Constantinopel gebracht werden, weil die vorgespannten Maulthiere es nicht weiter ziehen wollten als bis zu dem Dorfe Cosilai unweit Chalcedon. Als es der rechtgläubige Kaiser Theodosius später von dort nach der Hauptstadt bringen ließ, wohnte in Cosilai eine fromme Matrone jener Secte, welche das heilige Haupt als Dienerin und Wächterin hütete und sich jetzt seiner Beibringung mit aller Macht widersetzte. Der Kaiser verbot, ihr die Reliquie mit Gewalt zu nehmen, bewog aber die Frau durch gütliche Vorstellungen, nachzugeben, wozu sie sich indes nur in der festen Ueberzeugung herbeiließ, die Reliquie werde abermals wie unter Kaiser Valens nicht von der Stelle weichen. Theodosius erhob aber nun das Heiligtum und setzte es in einer Vorstadt Constantinopels bei, wo sich bald ein prächtiger Tempel über ihm erhob. Jene Frau blieb in Cosilai; dagegen ein Priester persischer Abkunft, der gleich ihr das heilige Haupt gehütet hatte, folgte ihm, als er sah, daß das Heiligtum dem Kaiser keinen Widerstand geleistet hatte, nach Constantinopel, wo er, bisher ebenfalls Macedonianer, in die Gemeinschaft der Katholischen trat und täglich über der Reliquie das heilige Opfer darbrachte.

Im fünften Jahrhundert verschwindet das heilige Haupt aus Constantinopel; erst im neunten ward es wieder dahin zurückgebracht Als im Jahre 1027 Basil der Purpurgeborene auf dem Sterbebette lag, brachte Alexius, der Abt des Klosters Studion, die Reliquie an das Bette des Kaisers, wofür ihn dieser alsbald zum Patriarchen ernannte. Glaubte man etwa, der Anblick des heiligen Hauptes werde den Kaiser nicht sterben laßen? Von dem Grale wird uns gemeldet, daß Niemand demselben Tages sterben konnte, da er ihn sah und noch die nächste Woche nicht (Parz. 469, 15–17).

Es mag dahin gestellt bleiben, ob die oben erwähnten Macedonianer in irgend einer, wenn auch nur äußerlichen Verbindung standen mit der ketzerischen, halbjüdischen Secte der sog. Johannischristen (Mondäer), die aus den schon Apostelgeschichte 18, 25 und 19, 3 erwähnten Johannisjüngern hervorgegangen, sich durch eine eigene Taufe unterscheiden, außer diesem Sacrament aber auch noch das Abendmal festhalten. Vgl. Petermann, deutsche Zeitschrift für christliche Wißenschaft u. s. w. 1856, Nr. 42. Auf eine solche Verbindung scheint zu deuten, daß Persien, wo sich ihre Lehre ausbildete, und noch jetzt 10,000 Johannischristen leben sollen (Freiberger Kirchenlexicon s. v. Zabier), für die Heimat jenes macedonianischen Priesters ausgegeben wird. Von den Johannischristen aber weiß man, daß sie lange mit andern Christen unter dem Patriarchen der Nestorianer vereinigt gelebt haben. Vgl. Schröckhs Kirchengeschichte Bd. 35, S. 193. Da es nun Nestorianer waren, welche jenes schon unserm Dichter (P. 822, 23, 823, 3) bekannte Reich des Priesters Johannes (s. unten §. 22) bildeten, so ist die Vermuthung begründet, daß es jene Johannischristen gewesen, welche die auch in der ältesten Gestalt der Gralssage nachtönende Verehrung des enthaupteten Täufers in den fernen Orient trugen und jenem priesterlichen Könige den Namen gaben, der sich von Geschlecht zu Geschlecht vererbte.

Wolfram, der fast Alles, was noch bei den spätern Nordfranzosen an Johannes erinnerte, aus der Sage getilgt hatte, scheint nach §. 22 gleichwohl der erste gewesen zu sein, der den Priester Johannes in dieselbe einführte. In beiden Stücken müßen wir seine Wahl verständig finden: denn nachdem einmal das blutige Menschenhaupt von der Schüßel verschwunden war, konnten jene Anklänge an Johannes nicht mehr verstanden werden; indem er aber den Priester Johannes in das Geschlecht der Gralskönige aufnahm, that er der Sage ihr Recht und stellte den ursprünglichen, geschichtlich begründeten Zusammenhang wieder her.


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