Wolfram von Eschenbach
Parzival und Titurel
Wolfram von Eschenbach

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        Ob dem König von Kukumerland,
Gefällt von Parzivalens Hand,
160   Frau Ginover die Königin
Sprach jammervoller Worte Sinn:
»Weh, o weh und heia hei!
Artusens Würdigkeit entzwei
5   Muß brechen dieses Wunder:
Der aller Tafelrunder
Höchsten Preis sollte tragen,
Wo der vor Nantes liegt erschlagen.
Sein Erbtheil nur begehrte,
10   Den man hier sterben lehrte.
Er war doch lange Ingesind
Allhier, daß weder Mann noch Kind
Uebles je von ihm vernahm.
Aller Falschheit war er gram,
15   Ueber allen Trug erhaben.
Nun muß ich allzufrüh begraben
Des höchsten Preises Siegel.
Sein Herz, der Tugend Spiegel.
Der Treue Grundfeste,
20   Rieth immer ihm das Beste,
Wo man nach Frauenminne
Mit festem Muth und Sinne
Sollt erweisen Mannestreu.
Den Frauen wuchert immer neu
25   Des hier gesäten Leides Kraut,
Aus deiner Wunde Jammer thaut.
Dir war doch wohl so roth dein Haar,
Daß dein Blut die Blumen klar
Nicht röther konnte machen.
Du verbietest weiblich Lachen.«

161  

Ither der lobesreiche Held
Ward königlich der Gruft gesellt.
Sein Tod die Frauen seufzen lehrte,
Als ihm die Rüstung den bescherte:

5   Das Ende gab ihm ja nach ihr
Des blöden Parzivals Begier;
Als er mehr Verstand gewann,
Da hätt ers lieber nicht gethan.

Dieser Sitte pflag das Ross,

10   Daß keine Arbeit es verdroß:
Ob es kalt war oder heiß,
Es gerieth vom Laufen nie in Schweiß,
Obs über Stein und Wurzeln ging.
Das Gürten war an ihm gering:
15   Ein Loch schnallt' es nur hinauf,
Wer zwei Tage saß darauf.
Gewappnet ritts der kindsche Mann
Den Tag so weit, ein Kluger kann
Es nicht in zweien reiten,
20   Stünd er auch auf bei Zeiten.
Er ließ es rennen, selten traben
Und wust ihm wenig anzuhaben.

Da der Abend anbrach,
Gewahrt' er eines Thurmes Dach.

25   Da wähnt' in seinem Sinn der Thor,
Der Thürme wüchsen mehr hervor;
Ihrer stunden viel auf Einem Haus.
Er dachte, Artus säe sie aus.
Das schrieb er ihm für Wunder an
Und dacht, er wär ein heilger Mann.
162   Also sprach der blöde Held:
»Meiner Mutter Volk baut schlecht ihr Feld:
So hoch ja wächst ihr nie die Saat,
Die sie in dem Walde hat,
5   Wo es doch selten trocken wird.«
Gurnemans de Graharz162, 6. Gurnemans ist schon 68, 22 erwähnt. hieß der Wirth
In der fern erschauten Veste.
Eine Linde wiegte breite Aeste
Davor auf grüner Wiese.
10   Zu breit noch lang war diese,
Nur in dem rechten Maße.
Da trug ihn Ross und Straße
Dahin, wo er ihn sitzen fand,
Dem die Burg war und das Land.

15  

Ermüdung war es, die ihn zwang,
Daß er den Schild nicht richtig schwang,
Zu sehr vor, zu sehr zurück,
Und nimmer nach der Sitte Schick,
Die da galt für rechtes Maß.

20   Fürst Gurnemans alleine saß.
Die Linde gab mit Wonne
Schatten vor der Sonne
Dem Hauptmann aller wahren Zucht.
Des Sitte Tadel zwang zur Flucht,
25   Der empfing den Gast: so war es recht;
Nicht Ritter war bei ihm noch Knecht.

Parzival alsbald begann,
In seiner Einfalt hub er an:
»Meine Mutter hieß mich dessen Rath
Erflehn, der graue Locken hat.

163   Dafür will ich euch dankbar sein,
Da so mir rieth die Mutter mein.«
»Kommt ihr guten Rath zu hören
Hieher, so müßt ihr es verschwören
5   Mir zu zürnen um den Rath
Und immer thun, wie ich euch bat.«

Da warf der edle Fürst zuhand
Einen jährgen Sperber von der Hand,
Der gleich sich in die Veste schwang,

10   Daß seine goldne Schelle klang.
Das war ein Bote: Jungherrn gleich
Kamen in Kleidern schön und reich.
Die bat er: »Führt hinein den Gast
15   Und entledigt ihn der Eisenlast.«
Der sprach: »Meine Mutter sprach wohl wahr,
Altmannes Wort bringt nicht Gefahr.«

Da führten sie ihn ein zuhand,
Wo er viel werthe Ritter fand.
Auf dem Hof war eine Statt,

20   Wo man ihn abzusteigen bat.
Der warf in seiner Thorheit ein:
»Mich hieß ein König Ritter sein;
Was mir darauf auch widerfährt,
Ich komme nicht von diesem Pferd.
25   Euch zu grüßen rieth die Mutter mir.«
Sie dankten beiden, ihm und ihr.
Da so das Grüßen war gethan
(Das Ross war müd und auch der Mann),
Manches Grundes sie gedachten,
Eh sie vom Ross ihn brachten
164   Zu einer Kemenaten.
Da hört' er Alle rathen:
»Laßt den Harnisch von euch thun,
Daß sich die müden Glieder ruhn.«

5  

Sie entwappneten ihn insgemein.
Als sie die rauhen Ribbalein
Und die Thorenkleider sahen,
Da erschraken, die sein pflagen.
Mit Scheu ward es am Hof gesagt;

10   Der Wirth war schier vor Scham verzagt.
Ein Ritter sprach mit höfscher Zucht:
»Gleichwohl, so edle Frucht
Ersah nie meiner Augen Licht;
Er hat, was Glück und Heil verspricht,
15   In reiner hoher süßer Art.
Wie ist so der Minne Stolz bewahrt?
Mich jammert immer, daß ich fand
An der Lust der Welt so schlecht Gewand.
Wohl doch der Mutter, die ihn trug,
20   Der aller Gaben hat genug.
Sein Helmschmuck ist wohlgethan,
Die Rüstung stand ihm herlich an,
Eh wir sie niederbanden,
Und von Quetschungen fanden
25   Manche Schramme roth von Blut,
Die an sich trug der Knappe gut.«

Zu dem Ritter sprach der Wirth: »Gieb Acht,
Ein Weib gebot ihm diese Tracht.«
»Nein Herr, er hat noch solche Sitten,
Er wüste wohl kein Weib zu bitten,

165   Ihn zum Diener zu erwählen;
Sonst möcht ihm nichts zur Minne fehlen.«
Der Wirth sprach: »Laßt uns zu ihm gehn,
Und seine fremde Tracht besehn.«

5  

Die Herren gingen hin zu Stund
Und fanden Parzivalen wund
Von einem Sper; der blieb doch ganz.
Sein unterwand sich Gurnemans.
Der war solch ein Unterwinder,

10   Daß ein Vater seine Kinder,
An Treue Theil zu haben,
Nicht beßer könnte laben.
Seine Wunden wusch und band
Ihm der Wirth mit eigner Hand.

15  

Nun war auch aufgelegt das Brot.
Des war dem jungen Gaste Noth:
Hungrig war er überaus.
Nüchtern war er Morgens aus
Geritten von dem Fischersmann.

20   Die er vor Nantes dann gewann,
Die Wunde, und der Harnisch schwer,
Macht' ihn müd und hungrig noch viel mehr,
Dazu die weite Tagereise
Von Artus dem Bretaneise,
25   Wo man ihn allwärts fasten ließ.
Der Wirth ihn mit sich eßen hieß;
Da mocht erlaben sich der Gast:
In den Gaumen schob er solche Last,
Viel Speise ward zu nicht gemacht.
Des hatte doch der Wirth nicht Acht:
166   Ihn ermahnte stäts aufs Neue
Gurnemans der Vielgetreue,
Daß er wacker äße
Und der Müdigkeit vergäße.

5  

Man hob den Tisch hinweg zur Zeit.
»Ich wette, daß ihr schläfrig seid;
Ihr wart früh auf am Morgen doch.«
»Meine Mutter, Gott weiß, schlief wohl noch,
Sie pflegt nicht früh zu wachen.«

10   Der Wirth begann zu lachen
Und führt' ihn zu der Schlafstatt hin:
Da bat er ihn sich auszuziehn;
Er thats nicht gern, doch must es sein.
Von Härmelin ein Laken fein
15   Bedeckte seinen bloßen Leib;
Nie gebar so werthe Frucht ein Weib.

Wie ihn Schlaf und Müde lehrte,
Auf die andre Seite kehrte
Sich der Held nicht manches Mal;

20   So lag er bis zum Morgenstral.
Der edle Fürst gebot bei Zeit,
Daß ein Bad ihm wär bereit
Vor dem Teppich, wo er lag,
Eh höher stiege der Tag.
25   Also must es Morgens sein;
Viel Rosen warf man ihm hinein.
Ob Niemand ihn bei Namen rief,
Der Gast erwachte, der da schlief:
Der werthe, süße Jüngling
In die Kufe sitzen ging.
167   Ich weiß nicht, wer sie darum bat:
Jungfraun in reichem Staat
Und von Ansehn minniglich
Kamen zu ihm sittsamlich:
5   Die wuschen ihm und strichen sanft
Seiner Quetschungen Ranft
Mit blanken linden Händen.
Das durft ihn nicht befremden,
Dem Witz noch wenig Hülfe bot.
10   Also trug er Freud und Noth
Und entgalt der Einfalt nicht bei ihnen,
Da ihn mit holden Mienen
Jungfrauen so hantierten.
Wovon sie parlierten,
15   Zu Allem schwieg er stille fein,
Es dürft ihm doch zu früh nicht sein:
Denn sie schienen wie ein zweiter Tag.
Als so ihr Schein im Wettstreit lag,
Da löscht' er selbst das Doppellicht:
20   Versäumt an Weiße war er nicht.

Sie boten ihm ein Laken dar;
Doch nahm er des mit Nichten wahr.
So konnt er sich vor Frauen schämen:
Er wollt es nicht vor ihnen nehmen.

25   Die Jungfrauen musten gehn,
Sie durften da nicht länger stehn.
Sie hätten gern vielleicht gesehn,
Ob tiefer ihm was wär geschehn.
So getreu ist Weiblichkeit,
Des Freundes Schaden ist ihr leid.

168  

Da schritt der Gast ans Bett und fand
Für sich bereit schön weiß Gewand.
Von Gold und edler Seide fein
Einen Hosengürtel zog man drein.

5   Auch gab man roth scharlachne Hosen
Dem nimmer Kraft- noch Muthlosen.
Avoi! wie seine Beine standen!
Da war der rechte Schick vorhanden.
Scharlachbraun von schönem Schnitte
10   Und wohlgefüttert nach der Sitte
Waren Rock und Mantel lang,
Von Härmelin inwendig blank.
Schwarz- und grauer Zobel stand
Als Besatz vor jedem Rand;
15   Die warf er über sogleich.
Mit einem Gürtel schön und reich
Must er den Leib verzieren,
Und dazu sich affischieren
Einen theuern Fürspann;
20   Sein Mund dabei vor Röthe brann.

Da kam der treue Wirth daher,
Ihm folgten Ritter stolz und hehr.
Der empfing den Gast. Als das geschehn,
Die Ritter musten all gestehn,

25   Sie sahen niemals schönern Leib.
Getreulich priesen sie das Weib,
Die solche Frucht der Welt gebar.
Aus höfscher Zucht, und weil es wahr,
Sprachen sie: »Ihm wird gewährt,
Wohin um Huld den Dienst er kehrt.
169   Minn und Gruß sind ihm bereit,
Ergehts nach seiner Würdigkeit.«
Das gestanden Alle da
Und Jeder, der ihn künftig sah.

5  

Der Wirth ergriff ihn bei der Hand
Und führt' ihn mit sich unverwandt.
Unterwegs fragt' ihn der,
Wie seine Ruhe wär
Bei ihm gewesen diese Nacht?

10   »Herr, lebend wär ich nicht erwacht!
Ein Glück, daß mir die Mutter rieth,
Euch zu besuchen, als ich schied.«
»Nun Gott lohn es euch und ihr;
Herr, zu gütig seid ihr mir.«
15   Hin ging der Held, an Witz noch krank,
Wo man dem Wirth und Gotte sang.
Der Wirth ihn bei der Messe lehrte,
Was der Seele Heil ihm mehrte:
Opfern, und segnen sich
20   Und rüsten vor des Teufels Schlich.

Sie gingen wieder auf den Saal:
Da stand der Tisch gedeckt zum Mal.
Der Wirth bei seinem Gaste saß,
Der ungeschmäht die Speisen aß.

25   Da sprach der Wirth mit Höflichkeit:
»Wär euch die Frage, Herr, nicht leid,
So hätt ich gern vernommen,
Wannen ihr wärt gekommen?«
Er sagt' ihm Alles ungelogen,
Wie er von der Mutter war gezogen,
170   Vom Ringlein und vom Fürspann,
Und wie er Harnisch gewann.
Der Wirth erkannte den Ritter roth:
Er seufzte: denn es schuf ihm Noth.
5   Dem Gast er nun den Namen ließ
Und ihn den rothen Ritter hieß.

Da man hinweg die Tafel nahm,
Da wurde wilde Sitte zahm.
Der Wirth sprach zu dem Gaste sein:

10   »Ihr redet wie die Kindelein:
Was geschweigt ihr eurer Mutter nicht
Und gebt uns anderlei Bericht?
Haltet euch an meinen Rath,
Der scheidet euch von falschem Pfad.

15  

»So heb ich an: »Legt nimmer hin
Die Scham, die aller Zucht Beginn.
Schamloser Mann, wie taugte Der?
Als ob er in der Mauße wär,
So rieselt von ihm Würdigkeit

20   Und weist ihn zu der Hölle Leid.

»Ihr tragt so edeln Schickes Schein,
Wohl mögt ihr Volkes Herre sein.
Ist hoch und höht sich eure Art,
Seht, daß ihr stäts im Herzen wahrt

25   Erbarmung gegen dürftgen Mann;
Wider dessen Kummer kämpfet an
Mit Gut und milden Gaben:
Solche Demuth sollt ihr haben.
Der kummervolle werthe Mann,
Der vor Scham nicht betteln kann
171   (Das ist ein unsüßes Leid),
Dem seid zu helfen gern bereit.
Wenn ihr dessen Kummer stillt,
Das ist zu lohnen Gott gewillt.
5   Er ist übler dran, als der da geht
Zur Thüre, wo das Fenster steht.

»Ihr sollt verständig überein
Wißen arm und reich zu sein.
Denn wo der Herr zu viel verthut,

10   Das ist nicht herlicher Muth,
Und will er Schatz nur mehren,
Das mag ihn auch nicht ehren.

»Das rechte Maß sei euer Orden.
Ich bin wohl inne geworden,

15   Daß ihr rathbedürftig seid:
Nun meidet Unfug jederzeit.

»Ihr sollt so viel nicht fragen;
Doch dürft ihr nicht versagen
Bedachte Antwort, die gemeßen

20   Ziemet auf die Frage dessen,
Der euch mit Worten will erspähn.
Ihr möget hören, möget sehn,
Erwittern, kosten, merken:
Das wird den Sinn euch stärken.

25  

»Laßt Erbarmung bei der Kühnheit sein:
Dem Rathe sollt ihr Folge leihn.
Wer im Kampf euch bietet Sicherheit,
That er euch nicht solches Leid,
Das Herzleid müste geben,
Nehmt sie und laßt ihn leben.

172  

»Ihr legt oft Harnisch an euch:
Legt ihr ihn ab, so reinigt gleich
Euch an Händen und Gesicht
Vom Rost des Eisens, das ist Pflicht.

5   So schaut ihr wieder hell und klar:
Des nehmen Frauenaugen wahr.

»Seid mannlich und wohlgemuth,
Das ist zu werthem Preise gut.
Die Frauen haltet lieb und werth:

10   So wird ein junger Mann geehrt.
Gebt keinem Wankelmuth euch hin:
Das ist rechter Mannessinn.
Wenn ihr sie thören wollt mit Lügen,
Wohl mögt ihr ihrer viel betrügen:
15   Lohnt treuer Minne falsche List,
Das bringt euch Lob gar kurze Frist.
Da wird des Schleichers Klage
Das dürre Holz im Hage,
Denn es knistert und kracht,
20   Daß der Wächter erwacht.
Strauchweg und verbotner Schlich
Führen übeln Streit mit sich.
Dieß meßet gegen wahre Minne.
Die werthe hat auch kluge Sinne
25   Wider Falschheit und Betrug.
Haßte sie euch je mit Fug,
So müstet ihr geschändet sein
Und immer dulden Scham und Pein.

»Dieß sollt ihr nah dem Herzen tragen:
Ich will euch mehr von Frauen sagen.

173   Mann und Weib, die sind geeint
Wie die Sonne, die heut scheint,
Und der heut genannte Tag,
Die beide Niemand scheiden mag.
5   Sie blühn hervor aus Einem Kern:
Das merket und erwäget gern.«

Dem Wirthe dankt' er für das Wort.
Der Mutter schwieg er hinfort
Mit Reden, doch im Herzen nicht;

10   Das ist getreuen Mannes Pflicht.

Der Wirth sprach, was ihm Ehre schuf:
»Lernt auch Kunst, euch ists Beruf,
An ritterlichen Sitten.
Wie kamt ihr her geritten!

15   Glaubt mir, ich sah schon manche Wand,
Wo der Schild an seinem Band
Beßer hing als euch am Hals.
Es ist wohl Zeit noch allenfalls:
Laßt uns hinaus zu Felde,
20   Daß ich von Kunst euch melde.
Bringt sein Ross und mir das meine
Und jedem Ritter das seine.
Auch sollen Junker mit zuhand:
Ein jeder führ' an seiner Hand
25   Einen starken Schaft und neu durchaus;
Den bring er uns aufs Feld hinaus.«

So kam der Fürst auf den Plan:
Da ward mit Reiten Kunst gethan.
Er unterwies seinen Gast
Wie er das Ross in voller Hast

174   Mit des Sporengrußes Pein,
Bei fliegender Schenkel Schein
Auf den Gegner sollte schwenken,
Den Schaft gehörig senken
5   Und den Schild tjostierend vor sich halten:
»So müßt ihr Schildesamt verwalten.«

So trieb er Ungeschick ihm aus,
Wie ein schwankes Reis im Saus
Unartgen Kindern gerbt das Fell.

10   Dann ließ er kommen Ritter schnell,
Daß er mit ihnen tiostierte.
Seinen Gast er selber führte
Ihnen entgegen in den Ring.
Da brachte dieser Jüngling
15   Seinen ersten Tjost durch einen Schild,
Daß es wohl für ein Wunder gilt,
Und daß er hinters Ross verschwang
Einen starken Ritter groß und lang.

Ein andrer Gegner war gekommen.

20   Da hatt auch Parzival genommen
Einen starken neuen Schaft.
Seiner Jugend blühte Muth und Kraft.
Den jungen süßen sonder Bart
Lehrte Gachmuretens Art
25   Und angeborne Mannheit:
Das Ross ersprengt' er wohl zum Streit
In gestrecktem Laufe, wie man soll,
Und zielt' auf die vier Nägel174, 28. Der vier Nägel in der Mitte des Schildes, auf den man beim Tiostieren zielt, wird öfter gedacht. wohl:
Des Wirthes Ritter hielt nicht Bügel,
So daß er fallend maß den Hügel.
175   Viel kleiner Stücklein wohl zerschellt
Von Splittern sah man auf dem Feld.
Also stach er fünfe nieder.
Da nahm der Wirth ihn zu sich wieder;
5   Erhalten hatt er hier den Preis;
Er ward im Streit noch klug und weis.

Die sein Reiten hier gesehn,
Die Kundgen musten all gestehn,
Es wohne Kunst und Kraft ihm bei.

10   »Mein Herr wird seines Jammers frei.
Nun verjüngt sich wohl sein Leben.
Er soll zum Weib ihm geben
Seine Tochter, unsre Frauen.
Ist er klug, ihr sollt es schauen,
15   So lischt ihm seines Kummers Noth.
Für der dreien Söhne Tod
Ritt ihm nun Ersatz ins Haus:
Nun endlich blieb sein Heil nicht aus.«

So kam der Fürst am Abend heim:

20   Gedeckt die Tafel muste sein.
Seine Tochter ließ er kommen
Zu Tisch, so hab ich es vernommen.
Da das Mägdlein kam heran,
Nun höret wie der Wirth begann
25   Zu der schönen Liaßen:
»Du sollst dich küssen laßen
Diesen Ritter, biet ihm Ehre;
Ihn beräth des Heiles Lehre.
Euch aber macht ichs zum Beding,
Daß ihr der Magd den Fingerring
176   Ließet, wenn sie einen hätte;
Sie hat ihn nicht, noch Spang und Kette.
Wer schenkt' ihr einen Fürspann
Wie der Frauen dort im Tann?
5   Die hatte Einen, der ihr gab,
Was ihr der Schönen nahmet ab.
Liaßen könnt ihr wenig nehmen!«
Der Gast begann sich des zu schämen;
Er küsste sie doch auf den Mund:
10   Dem war wohl Feuerfarbe kund.
Liaße war gar minniglich,
Voll wahrer Keusche sicherlich.

Der Tisch war nieder und lang;
Man sah an ihm nicht großen Drang.

15   Am Ende saß der Wirth allein;
Den Gast setzt' er mitten ein
Zwischen sich und sein Kind.
Ihre blanken Hände lind
Musten schneiden, wie der Wirth gebot,
20   Den man hieß den Ritter roth,
Was der zu eßen trug Begehren.
Niemand wird es ihnen wehren,
Blickten sie sich heimlich an.
Das züchtige Mädchen wohlgethan
25   That gern des Vaters Gebot.
Sie und der Fremdling blühten roth.

Bald ging das Mägdlein hinaus.
So pflegte man den Gast im Haus
Bis an den vierzehnten Tag.
In seinem Herzen Kummer lag,

177   Um anders nicht, als weil ihm schien,
Ihm müß erst Ruhm im Streite blühn,
Eh er daran würde warm,
Was man da heißet Frauenarm.
5   Ihn dauchte, werthe Brautschaft
Sei ein Glück von hoher Kraft
Für dieses Leben wie für dort.
Ungelogen ist das Wort.

Eines Morgens er um Urlaub bat:

10   Da räumt er Graharz die Stadt.
Der Wirth gab ihm ins Feld Geleit:
Da hob sich neues Herzeleid.
Da sprach der Fürst aus Treu erkoren:
»Mir geht der vierte Sohn verloren,
15   Da ich mich entschädigt glaubte
Dreier, die der Tod mir raubte.
Nur dreifach war bisher mein Schmerz;
Wer mir aber jetzt das Herz
Mit der Hand in Viere schlüge,
20   Jedes Stück von dannen trüge,
Das dauchte mich ein Hochgewinn.
Eins für euch (ihr reitet hin);
Für meine Söhne drei, die lieben,
Die muthig sind im Kampf geblieben.
25   Doch solchen Lohn giebt Ritterschaft;
Ihr End umstrickt mit Jammers Haft.

»Mir lähmt ein Tod die Freude gar,
Meines Sohnes, der so blühend war;
Er hieß mit Namen Schenteflur.
Da Kondwiramur

178   Leib und Leben nicht wollt ergeben,
Verlor ihr Helfer, er das Leben
Von Klamide und von Kingraun.
Mir ist durchlöchert wie ein Zaun
5   Das Herz von Jammersschnitten.
Nun zu früh seid ihr geritten
Von mir trostlosem Mann.
O weh, daß ich nicht sterben kann,
Da Liaße die schöne Magd
10   Und mein Land euch nicht behagt.

»Mein andrer Sohn hieß Komte Laskoit:178, 11–26. Sowohl Ider fils Noit als Mabonagrein kennen wir aus dem Roman von Ereck und Enite, unser Dichter mag nun hier seiner Quelle gefolgt sein, oder was wahrscheinlicher ist, bei dieser Anspielung Hartmanns Ereck im Sinne gehabt und diese Anknüpfung an Begebenheiten eines bekannten deutschen Gedichts selber erfunden haben. Unter den Abenteuern, welche Ereck besteht, sind die Siege über die beiden Helden, vor welchen nach Wolfram zwei Söhne des Gurnemans früher erlegen waren, die bedeutendsten. Schoidelakurt (Joie de la cour) hieß aber nicht etwa eine Schöne, sondern das Abenteuer selbst, das zu Brandigan gegen Mabonagrein bestanden werden sollte. Da Klamide, durch den Schenteflur, wie wir aus dem nächsten Abschnitte ersehen, erst jüngst das Leben verlor, jetzt König zu Brandigan ist, so ergibt sich obige Wahrscheinlichkeit: denn Schenteflurs Todesart fand der Dichter vermuthlich in seiner Quelle vor, da auch andere Bearbeitungen der Sage die freilich bei Wolfram verdoppelte Beziehung zwischen Gurnemans und Kondwiramur kennen. daß sich aber auch des andern Sohnes Tod an Brandigan knüpft, scheint nicht ursprünglich, weil zwischen den beiden auf Brandigan bezüglichen Geschichten kein innerer Zusammenhang ist. Nur einen äußerlichen hat Wolfram hineingebracht. Der König von Brandigan in Ereck heißt Ivreins und ist des riesenhaften Mabonagrein Oheim; Klamide nennt P. 220, 9 Mabonagrein seines Oheims Sohn; er selbst (Kl.) könnte also Ivreins Sohn und Nachfolger sein.
Den hat mir Ider Fils de Noit
Erschlagen eines Sperbers halb:
Davon ist meine Freude falb.

15   Mein dritter Sohn hieß Gurzgri,
Dem Mahaute verlieh
Ihren blühenden Leib:
Denn es gab sie ihm zum Weib
Ihr stolzer Bruder Eckunat.
20   Gen Brandigan der Hauptstadt
Kam er um Schoidelakurt geritten;
Da hat auch er den Tod erlitten:
Ihn erschlug Mabonagrein.
Mahaute ließ den lichten Schein.
25   Seine Mutter auch, mein Weib, ist todt
Vor Leid um ihn und Sehnsuchtsnoth.«

Wohl sah der Gast des Wirthes Qual;
Der unterschied sie ihm zumal.
Da sprach er: »Herr, ich bin nicht weise;
Doch komm ich je zu Ritters Preise,

179   Daß ich wohl Minne mag begehren,
Liaßen sollt ihr mir gewähren,
Eure Tochter, die schöne Magd.
Ihr habt mir allzuviel geklagt:
5   Kann ich des Jammers euch entschlagen.
Des laß ich euch so viel nicht tragen.«

Urlaub nahm der junge Mann
Von dem getreuen Fürsten dann
Und von dem Ingesind zumal.

10   Die Dreizahl in des Fürsten Qual
Stieg traurig nun zur Vierzahl auf.
Die vierte Einbuß ist sein Kauf.

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