Wolfram von Eschenbach
Parzival und Titurel
Wolfram von Eschenbach

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§. 17. Kritik des Mabinogi.

St. Marte erklärt dieß Mabinogi für die alte echte Quelle der Parzivalsage, die demnach fast ihrem ganzen Inhalte nach wälischen Ursprungs wäre. Letztern kann ich nicht zugestehen. Das rothe Buch von Hergest, aus dem es entnommen ist, ward, wie er selber angiebt, erst gegen Ende des vierzehnten Jahrhunderts geschrieben, und auch seine erste Abfaßung setzt er nicht viel früher an. Sollte nun sein Stoff dritthalb Jahrhunderte älter sein und sich von 1150, wo er nach Frankreich oder der Provence gebracht und von Kiot oder Chrestien benutzt wurde, im Munde der Barden von Wales unverändert erhalten haben? Ist es nicht glaublicher, daß der Verfaßer des Mabinogi das Werk eines der nächsten Vorgänger Chrestiens benutzt habe? St. Marte hält es für unmöglich, daß ein wälischer Barde, zu einer Zeit, wo die Gralssage schon die ganze Dichterwelt ergriffen habe, Alles dahin Gehörige abgestreift und Peredur in der Nacktheit und Simplizität wiederhergestellt hätte, wie er in dem Mabinogi erscheint. Aber erscheint er denn wirklich in solcher Simplizität, wie man sie einer altwälischen Bardensage zutrauen sollte, und ist Alles zum Gral Gehörige abgestreift? Findet sich nicht der bluttriefende Sper und die Schüßel mit dem blutigen Haupt, ein echter und alter Zug, der für die Identität der Templeisen und Tempelritter spricht und uns oben auf den ersten Ursprung der Sage gewiesen hat, den gelähmten König und die unterlaßene Frage? Sind nicht fast alle Abenteuer Parzivals, die wir aus Wolfram kennen, schon vorhanden, und sehen wir nicht offenbar, daß der Verfaßer auch sämtliche Abenteuer Gawans, die der Parzival enthält, wenigstens kannte, wenn er auch vermeidet, sie ausführlich zu berichten? Nur das mit Antikonien erzählt er, das von Chatelmerveil deutet er an, indem das schwarze häßliche Mädchen, das die Stelle Kondriens vertritt, dazu auffordert; aber auch das Abenteuer mit Obien leitet er ein (was Kondrie la Sorziere im Parzival nicht thut), indem er von dem Ort auf luftiger Höhe spricht, wo ein Mädchen gefangen gehalten werde. Ich finde im Gegentheil Wolframs Erzählung einfacher, da das Mabinogi noch eine Menge anderer, bei den nordfranzösischen Gralsdichtern wiederkehrender Abenteuer einflicht, die doch nicht zur Sache gehören, und die Kiot sehr mit Recht ausgeschieden hätte, wenn diese wälische Erzählung seine, er aber Wolframs Quelle wäre. Entscheidender ist mir aber, daß in Peredurs Geschichte die wälischen Namen nicht gespart sind, während die romanischen verschwiegen werden. Geneyr Gwystyl und Howel werden ganz ohne Noth genannt, während Parzivals Mutter (Herzeleide), der rothe Ritter (Ither von Gahevieß), der eisgraue Mann (Gurnemans), der lahme König (Anfortas) nur so bezeichnet, aber so gut als Kondrie la Sorziere, Orilus und Jeschute, Sigune und Schionatulander ungenannt bleiben. Klangen diese Namen zu romanisch und war es zu mühsam, wälische an die Stelle zu setzen? Die Art wie die beiden obengenannten Abenteuer Gawans angelegt und hernach doch nicht ausgeführt werden, beweist wohl, daß wir keine sehr sorgfältige Arbeit vor uns haben. Fand vielleicht der Verfaßer die Namen in seiner romanischen Quelle nicht vor? Auch Chrestien vermeidet die Personen der Fabel mit Namen zu nennen. Freilich der Name des Haupthelden und seiner Gattin konnten nicht verschwiegen bleiben, aber Parzival und Blanchefleur (Kondwiramur) hätte ein wälisches Ohr gleich als eingeschwärzt erkannt, darum musten sie mit Peredur und Angharad Law Evrawc vertauscht werden. Die Namen Artus (Arthur), Ginover (Gwenhwyvar), Gawan (Gwalchmai), die wälischen Ursprungs sind, brauchten nur in die heimische Form zurück übersetzt zu werden. Die Vergleichung lehrt uns, was wir bisher nicht wusten, und vielleicht Wolfram selber nicht ahnte, daß der freundliche Knappe Iwanet Eine Person ist mit Iwein, den wir aus Hartmanns gleichnamigem Gedicht als den Ritter mit dem Löwen kennen, denn das Mabinogi nennt ihn Owein, Uriens Sohn.

Was bewog aber, die wahre Bewandtniss mit der unterlaßenen Frage, der Schüßel, dem bluttriefenden Sper und dem lahmen Könige nicht bloß zu verschweigen, sondern mit einer andern, ganz unmöglichen zu vertauschen? Denn wenn wirklich die Hexen von Gloucester den Vetter Peredurs, dessen Haupt auf der blutigen Schüßel lag, getödtet und seinen Oheim, den lahmen König, verwundet hatten, und Peredur berufen war, alle diese Dinge zu rächen, so war kein Grund vorhanden, warum er nicht schon bei der ersten Zusammenkunft auch ohne seine Frage von dem Zusammenhang unterrichtet und zur Rache aufgefordert ward, da es bei der letzten geschieht, ohne daß er gefragt hätte. Und wie soll die Rache für diese Dinge vermögen, dem lahmen König seine Gesundheit wieder zu geben? Läßt sich wohl denken, daß derselbe Barde, der so Schönes dichten konnte, wie Alles ist, was in Peredurs Geschichte mit der Parzivals übereinstimmt, etwas so Albernes und Haltloses wie diese Auflösung erfunden hätte? Ich halte also die Hexen von Gloucester und Alles, was mit ihnen zusammenhängt, für interpoliert. Die Ursache dazu liegt nahe: der Mythus vom Gral, der in Wales unerhört war und den ausländischen Ursprung des Mabinogi sofort verrathen hätte, sollte mit einem heimischen Wunder vertauscht werden, und da kamen die Hexen von Gloucester recht gelegen. Eine Verfälschung, um nicht zu sagen Verwälschung, scheint es auch, daß statt Kunnewarens und Antanors die in Wales und der Bretagne beliebten Zwerge eingeführt sind, worüber der alte märchenhafte Zug von der trauernden, nun endlich zum Lachen bewegten Königstochter und dem schweigenden, nun endlich sprechenden Antanor vergeßen wird. Indem diese Zwerge den Peredur als die Blüte der Ritterschaft begrüßen, greift der Verfaßer des Mabinogi die willkürliche Wendung jenes alten Zuges, der noch bei Wolfram Parzivals künftigen Preis vorhersagt, auf, während er das Ursprüngliche, das Lachen über die Einfalt des Knappen, berichten müste, wenn sein Werk die älteste Quelle der Parzivalssage wäre. Aus dem Mabinogi ist also Parzivals Sage ursprünglich nicht gefloßen, sondern etwa aus einem Dümmlingsmärchen, die überall in jener Nacktheit und Simplizität zu Hause sind, die wir an Peredur vermissen. Es versteht sich von selbst und ist oben §. 14 schon angedeutet, daß lange vor Chrestiens Zeit die brittische Sage von der Tafelrunde des Artus in Frankreich, in Anjou bekannt sein konnte. Es war also leicht, den Helden in jene oberflächliche Beziehung zu Artus und der Tafelrunde zu bringen, in der wir ihn noch bei Wolfram finden. Denn daß Parzival, so wenig als Tristan, der auch späterhin mit Artus, ja mit dem Gral in Bezug gesetzt worden ist, eigentlich kein Held der Tafelrunde ist und zu dieser nur in einer ganz äußerlichen Beziehung steht, sieht man schon daraus, daß Parzival nie nach der Tafelrunde, wohl aber die Tafelrunde nach ihm strebt, und Gawan, der Neffe des Artus und der vornehmste Held der Tafelrunde, sich verpflichten muß, nach dem Grale zu forschen, wie man denn in den spätern Romanen, wo das Verderbniss immer tiefer einreißt, alle ihre Helden auf den Gral Jagd machen sieht. Ursprünglich hatte gewiss Parzival nichts mit der Tafelrunde und die Massenie des Artus nichts mit dem Gral zu schaffen. Die Einführung des Artuskreises in die Gralssage war aber letzterer vorteilhaft, denn Artus, Gawan, Kai und Segramors musten dem Parzival zur Folie dienen. Wenn nun das Mabinogi nicht die erste Quelle der Parzivalsage sein kann, so müßen wir uns nach einem andern Ursprung erkundigen.


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