Wolfram von Eschenbach
Parzival und Titurel
Wolfram von Eschenbach

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        Die Königin von Feirefiss
Zum Willkomm gern sich küssen ließ,
Von Anfortasen ebenso;
Auch war sie seiner Heilung froh.
807   Der Heide führte sie an der Hand,
Wo sie des Wirthes Muhme fand,
Repansen de Schoie, stehn,
Noch musten Küsse viel geschehn.
5   Ihr Mund, schon zuvor so roth,
Litt nun von Küssen solche Noth,
Daß ich für sie so manche Maid
Nicht küssen kann, das ist mir leid,
Statt der reisemüden Königin.
10   Da führten sie die Jungfraun hin.

Die Ritter blieben in dem Saal:
Da sah man Kerzen ohne Zahl
Wonniglich entbronnen.
Da ward mit Zucht begonnen

15   Ein Festmal mit dem Grale.
Nicht bei jedem Male
Pflag man ihn vorzutragen,
Nur an festlichen Tagen.
Sie hatten damals Trost zu finden
20   Gehofft, da ihre Freude schwinden
Der blutge Sper ließ jenen Abend:
Weil er lindernd ist und labend,
Trug man da hervor den Gral;
Doch ließ in Noth sie Parzival.
25   Heut trug man ihn zur Freude vor,
Da all ihr Kummer sich verlor.

Da des Reisekleids entledigt war
Die Köngin, und gekränzt ihr Haar,
Da trat sie wiederum herfür;
Der Heid empfing sie an der Thür.

808  

Nun, da war es ohne Streit,
Es hört' und sprach zu keiner Zeit
Niemand von schönerm Weibe.
Auch trug sie an dem Leibe

5   Seidenzeug von Meisterhand
Gewirkt, ein Stoff, den einst Sarant
Mit großer Kunst erfunden hat
Dort zu Thasme in der Stadt.
Feirefiss Anschewein
10   Führte sie, der lichter Schein
Entstralte, mitten durch den Saal.
An großer Feuer dreien zumal
Gab Aloeholz Geruch und Hitze.
Vierzig Teppiche und Sitze
15   Sah man heute mehr, als da
Zuerst den Gral der Waleis sah.
Vor allen war Ein Sitz geziert
Wo mit Anfortas der Wirth
Sitzen sollt und Feirefissen.
20   Wohl war der Zucht beflißen,
Wer da dienen wollte,
Wenn der Gral erscheinen sollte.

Wie man vor Anfortas ihn trug,
Davon vernahmt ihr einst genug:

25   Sie halten es nach gleichem Brauch
Vor des werthen Gachmuret Sohn auch
Und König Tampentärens Kind.
Die Thür geht auf; im Zuge sind
Da schon die Jungfraun allzumal,
Fünf und zwanzig an der Zahl.

809  

Die erste schien dem Heiden klar
Und schön, mit langem Lockenhaar,
Die andern schöner, die er da
Auf die erste folgen sah,

5   Ihre Kleider kostbar all und reich;
Minniglich und schön zugleich
War all der Jungfraun Angesicht.
Die letzte war vor Allen licht,
Repans de Schoie, eine Magd.
10   Tragen ließ, so wird gesagt,
Sich der Gral von ihr allein;
Keine andre durft es sein.
Demuth wohnt' in ihrem Herzen;
Den Schnee schien ihre Haut zu schwärzen.

15  

Wollt ihr nochmals Kunde haben,
Wie viel Kämmerer das Waßer gaben,
Wie viel man Tafeln vor sie trug
(Heut wären hundert nicht genug),
Wie Unordnung floh den Saal,

20   Dann der Karossen große Zahl
Mit den theuern Goldgefäßen,
Beschrieb' ich, wie die Ritter äßen,
So käm ich allzuspät ans Ziel,
Drum nehm ich Kürze mir zum Ziel.
25   Mit Zucht man von dem Grale nahm
Alle Speise, Wild und Zahm
Hier den Meth und dort den Wein,
Wie es Jeden mocht erfreun,
Sinopel, Morass und Klaret.
Le fils dü Roi Gachmuret
810   Fand Pelrapär nicht so bestellt,
Als es zuerst ersah der Held.

Der Heide frug verwundert,
Wie die Becher alle hundert

5   Vor der Tafel würden voll?
Ihm gefiel das Wunder wohl.
Da sprach der klare Anfortas,
Der ihm an der Seite saß:
»Herr, seht ihr vor euch nicht den Gral?«
10   Der bunte Heide sprach zumal:
»Ich sehe nur ein Achmardi;
Eine Jungfrau bracht es, sie
Die gekrönt dort vor uns steht;
Ihre Schönheit mir zu Herzen geht.
15   Ich wähnte doch so stark zu sein,
Daß mir kein Weib noch Mägdelein
Frohen Muth mehr rauben könnte.
Wenn je mir werthe Minne gönnte
Ein Weib, mir widert all ihr Minnen.
20   Wohl ists unziemliches Beginnen,
Daß ich euch künde meine Noth,
Der ich noch nie euch Dienste bot.
Was hilft nun all die reiche Habe,
Und was ich um Fraun gestritten habe?
25   Was frommt mir, daß ich mild gegeben,
Wenn ich in solcher Qual soll leben?
Mein starker Gott Jupiter,
Schicktest du mich zur Marter her?«

Man sah vor Schmerz die weißen Stellen
Seiner Haut sich bleichend hellen:

811   Kondwiramur die Schöne sah
Ihren Schein so licht beinah
Als der Jungfrau Weiße prangen.
In ihrer Minne Strick gefangen
5   War Feirefiss der werthe Gast.
Andre Minne ward ihm so verhaßt,
Er vergaß sie ganz mit Willen.
Was half da Sekundillen
Ihre Minne, was Tribalibot?
10   Eine Magd schuf ihm so strenge Noth:
Olympia und Klauditte,
Sekundille dann die dritte,
Und wo ihm Lohn in andern Landen
Ein Weib für Dienste zugestanden,
15   Aller dieser Frauen Minne
Schlug sich Gachmurets Sohn aus dem Sinne

Da sah der klare Anfortas,
Daß sein Gesell gefoltert saß,
Wie seine blanke Farbe blich,

20   Ihm aller hohe Muth entwich.
Da sprach er: »Herr, die Schwester mein,
Leid wär mir, schüfe die euch Pein,
Die Niemand noch von ihr erlitten.
Kein Ritter hat für sie gestritten,
25   Auch empfing noch Niemand Lohn von ihr;
Sie theilte großes Leid mit mir.
Ihre Schönheit must es auch entgelten,
Daß man sie fröhlich sah so selten.
Euer Bruder ist ihr Schwestersohn,
Der schafft vielleicht euch Hülf und Lohn.«

812  

»Die Magd soll eure Schwester sein,«
Sprach Feirefiss Anschewein,
»Die die Kron auf bloßem Haupte hat?
Gebt mir zu ihrer Minne Rath;

5   Nach ihr nur hat mein Herz Begehr.
Erwarb mir jemals Preis der Sper,
Wär das allein für sie geschehn,
Und ließ sie mich den Lohn ersehn!
Fünf Stiche zählt man zum Turnier:
10   Wie oft gelangen alle mir!
Der erste beim Entgegenreiten;
A Travers nennt man den zweiten;
Der dritte lehrt entweichen
Den Tapfern, die uns gleichen;
15   Auch hurtiglich hab ich geritten,
Und auch zur Folge wohl gestritten:
Seit der Schild mir Deckung bot,
Empfand ich heut die gröste Noth.
Einen feurgen Ritter glühn
20   Sah ich vor Agremontin:
War nicht mein Salamanderkleid,
Von Asbest mein Schild zu jener Zeit,
Ich wäre von der Tjost verbronnen.
Hab ich Preis je mit Gefahr gewonnen
25   In solchem Kampf, was sandte mich
Nicht eure Schwester minniglich?
Ihr Bot im Kampf noch wär ich gern.
Meinem Gotte, Jupitern,
Will ich ewig Haß im Herzen tragen,
Schafft er kein Ende bittern Klagen.«

813  

Hieß Frimutel ihr Vater nicht,
Daß so gleiche Farb und Angesicht
Anfortas wie die Schwester trug?
Der Heide sah sie an genug

5   Und sah dann wiederum auf ihn.
Wieviel man Speisen her und hin
Da trug, sein Mund davon nicht aß,
Obgleich er scheinbar eßend saß.

Anfortas sprach zu Parzival:

10   »Herr, euer Bruder hat den Gral,
Wie mich dünkt, noch nicht gesehn.«
Da must ihm Feirefiss gestehn,
Vom Grale würd er nichts gewahr;
Das schien den Rittern wunderbar.
15   Da vernahms auch Titurel der Greis,
Der gelähmt zu Bette lag schneeweiß.
Der sprach: »Ists ein ungläubger Mann,
So gedenk er nicht daran,
Daß des Ungetauften Augen
20   Zu solcher Gnade taugen,
Daß er je den Gral erschaut:
Da sind Schranken vorgebaut.«

In den Saal entbot er das.
Da sprach der Wirth und Anfortas:

25   Was die Ritter hier im Kreise
Labe mit Trank und Speise,
Bevor ein Heide sich bekehrt,
War ihm das anzuschaun verwehrt.
Sie riethen, daß er durch die Taufe
Sich ewigen Gewinn erkaufe.

814  

»Wenn ich die Taufe denn gewinne,
Die Taufe, hilft sie mir zur Minne?«
Sprach Gachmuretens Sohn, der Heide:
»Es that mir sonst nicht viel zu Leide,

5   Ob Streit mich oder Minne zwang.
Es sei kurz oder lang,
Seit mich der erste Schild umfangen,
Nie ließ mich solche Noth erbangen.
Es ziemte, Minne zu verhehlen;
10   Doch kann mein Herz sie nicht verstehlen.«

»Wen meinst du?« sprach Parzival.
»Die Maid mit lichter Schönheit Stral,
Meines Nachbarn Schwester hier.
Verhilfst du, Bruder, mir zu ihr,

15   Viel Reichtum bringt ihr meine Hand,
Ihr dienstbar wird manch weites Land.«

Der Wirth sprach: »Läßest du dich taufen,
So magst du ihre Minne kaufen.
Wol duzen jetzo darf ich dich,

20   Denn unser Reichtum gleichet sich,
Da der Gral mir ward zu Theil.«
»Hilf mir zu meinem Heil,«
Sprach Feirefiss Anschewein,
»Bruder, bei der Muhme dein.
25   Wenn man die Tauf im Streit gewinnt,
In Streit nur schaffe mich geschwind.
Gern leist ich Dienst um ihren Lohn.
Ich hörte gerne stäts den Ton,
Wenn von der Tjost die Splitter sprangen,
Schwerter laut aus Helmen klangen.«

815  

Der Wirth der Rede lachte sehr,
Und Anfortas noch viel mehr.
»Hier richtest du nichts aus mit Streit,«
Sprach der Wirth; »doch kommt die Maid

5   Kraft rechter Tauf in dein Gebot.
Jupitern, deinem Gott,
Must du um sie entsagen,
Sekundillens dich entschlagen.
Morgen früh geb ich dir Rath,
10   Der führt dich auf den rechten Pfad.«

Anfortas, eh ihn Siechtum band,
Mit Ruhm erfüllt' er manches Land
Durch kühne That um Minne.
In seines Herzens Sinne

15   Wohnte Güt und Mildigkeit;
Auch erwarb er oft den Preis im Streit.
Da saßen hier dem Grale bei
Der allerbesten Ritter drei,
Die je Schildesamts gepflogen;
20   Sie waren kühn und verwogen.

Geliebts, so end ich hier das Mal.
Die Tafeln trug man aus dem Saal
Und das Geräthe wonniglich.
Mit höfschem Gruße neigten sich

25   Vor ihnen all die Jungfräulein.
Feirefiss Anschewein
Sah sie aus dem Saale gehn:
Um seine Freude wars geschehn.
Seines Herzens Schloß trug hin den Gral;
Urlaub gab ihnen Parzival.

816  

Wie die Wirthin selber ging hindann,
Und was man weiter noch begann;
Daß man sein wohl mit Betten pflag,
Der unsanft doch durch Minne lag;

5   Wie die Templeisen allzumal
Ausruhten von der Unruh Qual,
Auf den Bescheid muß ich verzichten:
Ich will euch von dem Tag berichten.

Bei des Morgens lichtem Schein

10   Kam Parzival überein
Mit Anfortas dem Helden,
Worin? das werd ich melden.
Sie ließen den von Zaßamank
Kommen, den die Minne zwang,
15   In den Tempel vor den Gral.
Die weisen Templer allzumal
Lud man auch dazu. Schon war
Von Rittern, Knappen große Schar
Versammelt, als der Held erschien.
20   Der Taufnapf war ein Rubin,
Eine runde Stufe sein Gestell
Von Jaspisstein: Titurel
Hatt ihn so köstlich hergestellt.
Da sprach zum Bruder unser Held:
25   »Minnest du die Muhme mein,
All den falschen Göttern dein
Must du um sie entsagen
Und Haß dem Bösen tragen,
Der widersagt dem höchsten Gott,
Getreulich leisten des Gebot.«

817  

»Wodurch ich sie erwerben kann,«
Sprach der Heide, »das wird all gethan
Und getreulich bald vollendet.«
Ein wenig ward gewendet

5   Der Taufnapf hin zu dem Gral:
Da ward er Waßers voll zumal,
Nicht zu warm noch zu kalt.
Da stand ein grauer Priester alt,
Der manch heidnisch Kindelein
10   Schon getaucht hatte drein.

Der sprach: »Ihr sollt glauben,
Wollt ihr dem Feind die Seele rauben,
An den höchsten Gott alleine.
Dreifaltig ist der Eine,

15   Doch Eins und einig immerfort.
Gott ist Mensch und seines Vaters Wort.
Da er Vater ist und Kind,
Die beide gleich gewaltig sind
Und an Macht dem Geiste gleich,
20   In der dreien Namen wehret euch
Dieses Waßer Heidenschaft
Durch der Dreieinigkeit Kraft.
Die Tauf im Waßer mied er nicht,
Der Adam lieh sein Angesicht.
25   Vom Waßer kommt der Bäume Saft,
Befruchtend giebt das Waßer Kraft
Aller Kreatur der Welt,
Vom Waßer wird das Aug erhellt,
Waßer giebt mancher Seele Schein,
Daß kein Engel lichter möchte sein.«

818  

Feirefiss zum Priester sprach:
»Lindert es mein Ungemach,
So glaub ich, was ihr mir befehlt.
Wenn ihre Minne mir nicht fehlt,

5   So leist ich gerne sein Gebot.
Bruder, an der Muhme Gott
Will ich glauben und an sie
(So große Noth empfand ich nie):
Meinen Göttern all sei abgeschworen,
10   Sekundille hat verloren
Jede Forderung an mich:
Dem Gott der Muhme taufet mich.«

Da sprach man mit Handauflegen
Ueber ihn der Taufe Segen.

15   Als der Heide die bekam
Und dann die Pathengabe nahm,
Was ihm nur zu lange währte,
Die Maid wars, die man ihm verehrte:
Man gab ihm Frimutellens Kind.
20   Den Gral zu schauen war er blind
Gewesen vor der Taufe Feier:
Gehoben jetzo war der Schleier,
Daß er den Gral mochte sehn.
Als die Taufe war geschehn,
25   Am Grale man geschrieben fand:
Welchem Templer Gottes Hand
Fremdem Volk zu helfen aufgetragen,
Verbieten soll' er dem, zu fragen
Nach seinem Namen und Geschlechte,
So lang er ihnen Hülfe brächte.
819   Wenn sie die Frage nicht vermeiden,
Muß er sich von ihnen scheiden.
Seit der gute Anfortas
So lang in bittern Schmerzen saß,
5   Weil die Frage nicht geschah so lange,
Ist ihnen jetzt vor Fragen bange.
All des Grales Dienstgesellen
Darf man keine Frage stellen.

Der getaufte Feirefiss

10   Sich der Bitte sehr befliß,
Daß sein Schwager mit ihm fahre
Und sein reiches Gut nicht spare
Daheim bei ihm in Zaßamank.
Doch abgelehnt mit großem Dank
15   Ward sein Gesuch von Anfortassen:
»Ich möchte nicht verderben laßen
Zu Gott den dienstbereiten Muth.
Des Grales Krone war so gut,
Durch Hochfahrt ging sie mir verloren;
20   Nun hab ich Demuth auserkoren:
Reichtum und Frauenminne
Bleiben fern von meinem Sinne.
Ihr führet heim ein edles Weib:
Den Dienst wird euch ihr keuscher Leib
25   Mit holder Weiblichkeit belohnen;
Derweil will ich mich hier nicht schonen,
In meinem Orden Tjoste reiten
Und im Dienst des Grales streiten.
Um Frauen streit ich nimmermehr:
Meinem Herzen gab ein Weib Beschwer.
820   Doch ich will sie nicht verklagen,
Nicht Haß den Frauen tragen:
Sie leihen Freud und hohen Sinn,
Erwarb ich selbst auch Ungewinn.«
5   Daß er die Mitfahrt ihm gewähre
Bat bei seiner Schwester Ehre
Feirefiss ihn flehentlich;
Doch mit Versagen wehrt' er sich.
Feirefiss Anschewein
10   Bat, daß Loherangrein
Mit ihm von dannen möchte fahren.
Die Mutter wollt ihm nicht willfahren;
Auch sprach da König Parzival:
»Gewidmet ist mein Sohn dem Gral:
15   Dem muß er Herz und Dienste weihn,
Will Gott ihm rechten Sinn verleihn.«

Noch großer Freud und Kurzweil pflag
Feirefiss bis zum eilften Tag;
Am zwölften schied er hindann.

20   Da wollte dieser reiche Mann
Sein Weib zum Hafen führen.
Das muste schmerzlich rühren
Den getreuen Parzival.
Ihm schuf der Lieben Abschied Qual.
25   Er berieth sich mit den Seinen bald
Und sandte mit ihm durch den Wald
Seiner Ritter große Schar.
Anfortas der Degen klar
Gab seinem Schwager das Geleit.
Da sah man weinen manche Maid.

821  

Sie sollten sich auf öden Wegen
Gegen Karkobra bewegen.
Dem, der dort als Burggraf saß,
Entbot der werthe Anfortas,

5   Er würde jetzt gemahnt daran,
Hab er reichlich je empfahn
Aus seiner Hand Geschenke,
Daß er der Treue denke
Und seinen Schwager mit Geleit
10   Führe manche Meile weit,
Dazu sein Weib die Königin,
Durch den Wald Läprisin
Bis zum Hafen an den Strand.
Des Urlaubs Stunde war zur Hand.
15   Nicht weiter fuhr mit ihm das Heer.
Erwählt ward Kondrie la Sorzier
Als Botin ihm voranzureisen.
Urlaub nahmen die Templeisen
Alle von dem reichen Mann.
20   So schied der Höfische hindann.

Den Burggraf, der nicht unterließ
Zu thun wie ihn Kondrie hieß,
Feirefiss, den reichen Mann
Sah man ihn ritterlich empfahn

25   Und ihm gut Gemach ertheilen.
Doch nicht lange durft er weilen,
Er fuhr am Morgen weiter,
Und viel Ritter als Geleiter.
Noch manches Land durchzog er da,
Bis er das Feld vor Joflanz sah.

822  

Sie fanden Leute noch genug,
Wo einst das Lager stand: da frug
Sie Feirefiss um Märe,
Wo das Heer geblieben wäre?

5   Da hatten sie sich längst gewandt,
Ein Jeder heim zu seinem Land;
Artus gegen Schamilot.
Der von Tribalibot
Eilte sich nur desto mehr
10   Nach dem Hafen an dem Meer.
Da hielten trauernd seine Scharen,
Weil sie von ihm geschieden waren.
Doch brachte neuen hohen Muth
Seine Heimkehr manchem Ritter gut.
15   Der Burggraf von Karkobra
Und all die Seinen wurden da
Mit reichen Gaben heimgesandt.
Neue Märe ward Kondrien bekannt:
Boten meldeten dem Heere,
20   Daß Sekundill gestorben wäre.

Repans de Schoie wurde so
Erst ihrer Reise wahrhaft froh.
In Indien gebar sie dann
Einen Sohn, den man Johann,

25   Priester Johannes später hieß,
Und der den Namen hinterließ
Den Köngen bis auf unsre Zeiten.
Da ließ das Christentum verbreiten
Feirefiss in all den Landen,
Die dort ihm zu Gebote standen:
823   Durch seine Pfleg erwuchs es da.
Hier nennen wir es India,
Doch heißt es dort Tribalibot.
Durch Kondrie la Sorzier entbot
5   Feirefiss dem Bruder Märe,
Wie es ihm ergangen wäre
Seit Sekundillens Todesstunde.
Gern hörte Anfortas die Kunde,
Daß seine Schwester ohne Zwist
10   So weiter Lande Herrin ist.

Wahrheit habt ihr von fünf Kindern
Frimutels gehört, nicht mindern.
Davon sind zweie längst gestorben;
Drei haben hohes Heil erworben.

15   Schoisiane hieß die Eine,
Die vor Gott der Falschheit reine;
Herzeleid die andre hieß,
Die Falschheit aus dem Herzen wies.
Schwert und ritterliches Leben
20   Hat Trevrezent dahin gegeben
An die süße Gottesminne
Und strebt nach ewigem Gewinne.
Der klare Anfortas verband
Das keusche Herz der kühnen Hand,
25   Indem er noch viel Tjoste ritt
Für den Gral und nicht um Frauen stritt
Zur Kraft erwuchs Loherangrin,
Verzagtheit sah man von ihm fliehn;
Als er sich kühner That befliß,
War ihm Preis im Dienst des Grals gewiss.

824  

Hört weiter von dem jungen Helden.
Von einer Fürstin laßt euch melden:
Der Falschheit ledig war ihr Muth;
Erlaucht Geschlecht und reiches Gut

5   Ihr angeartet waren.
Man sah sie stäts gebahren
In reinem Wandel vor dem Herrn;
Irdisch Verlangen blieb ihr fern.
Es warben Herrn um sie genug;
10   Mancher, der die Krone trug,
Und Mancher, der ihr Standsgenoß:
Doch ihre Demuth blieb so groß,
Daß sie jeder Werbung widerstand.
Der Grafen viel aus ihrem Land
15   Schalten sie im Grolle:
Worauf sie warten wolle,
Daß sie den Mann nicht wähle,
Dem sie Leut und Land befehle.

Auf Gott allein war ihr Verlaß,

20   Geduldig trug sie Zorn und Haß.
Sie hört' unschuldig sich verdammen:
Ihre Fürsten rief sie da zusammen;
Die zogen weit und breit heran:
Da verschwur sie jeden Mann,
25   Den ihr Gott nicht zugesendet;
Dessen Minne sei ihr Herz verpfändet.
Fürstin war sie in Brabant;
Von Monsalväsche ward gesandt,
Vom Schwan im Nachen hergebracht,
Welchen Gott ihr zugedacht,
825   Und in Antwerpen ans Land gezogen;
Sie war auch nicht an ihm betrogen:
So wohl konnt er gebahren,
Daß man ihn für den klaren,
5   An aller Mannheit reichen
Lobpries in allen Reichen,
Wo man sein Kunde je gewann.
Züchtig und weis, ein höfscher Mann,
Freigebig ohne Aderschlag,
10   Dem es an jedem Fehl gebrach.

Da ihn die Fürstin wohl empfing,
Vernehmt wie seine Red erging:
Im Kreiß versammelt hörte dort
Arm und Reich des Fremdlings Wort.

15   »Frau Herzogin,« so hub er an,
»Soll ich des Landes Kron empfahn,
So verlier ich anderwärts ein Reich.
Diese Bitte stell ich euch:
Fraget nimmer, wer ich bin,
20   So bleib ich bei euch fürderhin:
Werd ich zu eurer Frag erkoren,
Meine Minne habt ihr bald verloren.
Wollt ihr der Warnung nicht willfahren,
So warnt mich Gott hinwegzufahren.«
25   Ihre Treue setzte sie zum Pfand
(Der sie sich doch aus Lieb entband),
Sie woll ihm zu Gebote stehn
Und es nimmer übersehn,
Was er sie leisten hieße,
Wenn sie Gott bei Sinnen ließe.

826  

Der nächten ihre Minn empfand,
Hieß am Morgen Herzog von Brabant.
Bei der Hochzeit, die man reich beging,
Ein jeder Fürst von ihm empfing

5   Die Lehen, die er sollt empfahn.
Ein gerechter Richter war ihr Mann,
Auch übt' er oftmals Ritterschaft
Und behielt den Preis durch Muth und Kraft.

Sie gebar ihm manches schöne Kind.

10   Viel Leute noch in Brabant sind,
Die wohl wißen von den Beiden,
Seinem Kommen, seinem Scheiden,
Und wie lang er dort verblieb,
Bis ihr Fragen ihn vertrieb.
15   Er schied auch ungern hindann.
Doch schwamm herbei sein Freund, der Schwan,
Und nahm ihn in den Kahn an Bord.
Zum Angedenken ließ er dort
Ein Schwert, ein Horn, ein Ringelein.
20   Von hinnen fuhr Loherangrein.
Diese Märe sagt' euch schon,
Er war Parzivalens Sohn;
Der fuhr auf unbekannten Wegen
Wieder heim, des Grals zu pflegen.

25  

Wie geschahs der edeln Herzogin?
Was trieb den Herzensfreund ihr hin?
Daß sie nicht früge, war sein Rath,
Als er vom See zu Lande trat.
Hier sollte nun Herr Ereck sprechen,826, 29. Ereck, den wir schon mehrfach besprochen haben, hatte seiner Enite im Zorn über den von ihr erduldeten Vorwurf des Verliegens (vgl. zu 134, 6) Schweigen auferlegt, welches sie nur brach, um ihn vor dringender Gefahr zu warnen, und gleichwohl darüber hart von ihm angelaßen wird. Vgl. zu 135, 7. 143, 21.
Der Bruch des Schweigens weiß zu rächen.

827  

Daß von Troyes Meister Christian
Dieser Märe Unrecht hat gethan,
Wohl zürnen mag darum Kiot,
Der uns die wahre Mär entbot.

5   Erschöpfend sagt der Provenzal,
Wie Herzeleidens Sohn den Gral,
Der ihm geordnet war, erwarb,
Als des Anfortas Heil verdarb.
Von Provenz ins deutsche Land
10   Ward uns die rechte Mär gesandt
Und der Aventüre letztes Ziel.
Nicht mehr davon hier sprechen will
Ich Wolfram von Eschenbach,
Als dort davon der Meister sprach.
15   Des Helden Kinder, sein Geschlecht
Lehrt' ich euch erkennen recht;
Ihn selber bracht ich an den Ort,
Wo Heil ihm blühet immerfort.
Wes Leben so sich endet,
20   Daß Gott nicht wird gepfändet
Der Seele durch des Leibes Schuld,
Und er dennoch sich die Huld
Der Welt erhielt mit Würdigkeit,
Der blieb vom rechten Ziel nicht weit.
25   Mich sollten billig gute Frauen,
Verständge, desto lieber schauen,
Wenn noch ein Weib mir freundlich lacht,
Weil ich dieß Werk zum Schluß gebracht.
Geschah das einer Frau zu Ehren,
Die soll mir süßen Dank gewähren.

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