Wolfram von Eschenbach
Parzival und Titurel
Wolfram von Eschenbach

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§. 7. Wolframs Werke.

Es sind folgende.

1) Sieben Lieder, meistens Tageweisen oder Wächterlieder, eine nach Wolfram, der für ihren Erfinder gilt, lange in Gebrauch gebliebene Gattung, die den provenzalischen Albas nahe verwandt, doch das Eigentümliche hat, daß die Liebenden, welche verstohlener Minne pflegen, nicht unmittelbar durch das Morgenroth (alba, aube), sondern durch den Wächter auf der Zinne, in dessen Hut sie sich befohlen haben, geweckt und zum Scheiden ermahnt werden. Der Dichter scheint aber das sittlich Bedenkliche solcher Schilderungen empfunden und sich, als er zur Ehe schritt, derselben fernerhin enthalten zu haben. Eins dieser Lieder, das als ein Abschied von der Gattung gelten kann, schließt mit den Worten:

Wem es das Glück gefügt,
Daß er beim Liebchen liegt
Den Spähern unverborgen,
Der braucht nicht vor dem Morgen
Hinwegzustreben,
Er harrt des Tags gelaßen,
Muß nicht bewachen laßen
Sein armes Leben:
Ein offenkundig süß Gemahl kann solche Minne geben.

Aehnlich warnt Gurnemans (172, 17) vor unedler Minne:

Da wird des Schleichers Klage
Das dürre Holz im Hage:
Denn es knistert und kracht,
Daß der Wächter erwacht.«

2) Der Parzival, sein gröstes und allein vollendetes Werk und zugleich das bedeutendste deutsche Kunstepos: denn die Nibelungen, die Gudrun u. s. w. gehören als Volksepen in eine ganz andere Klasse. Zwar ist der Parzival so wenig als Hartmanns Iwein oder Gottfrieds Tristan für den Gesang bestimmt, wie denn alle diese Gedichte nicht einmal in einem strophischen Maß, sondern in jenen beliebten kurzen Reimpaaren gedichtet sind, aus welchen sich späterhin der Knittelvers entwickelt hat; nur der Titurel macht davon eine Ausnahme. Wollte man sie aber darum nicht für epische Gedichte, sondern nur für gereimte Romane erklären, so träfe das Urtheil mit gleichem Recht jedes andere Kunstepos: denn auch Dante, Ariost und Tasso haben nicht für den Gesang gedichtet, und wenn in Italien einzelne Strophen ihrer Gedichte noch wirklich gesungen werden, so hat auch der Parzival lyrische Stellen, die sich für den Gesang eignen würden, wenn die Weise erhalten wäre, nach welcher ursprünglich auch die kurzen Reimpaare, z. B. das Ludwigslied, gesungen wurden. Hat aber der Parzival dieß Maß mit den meisten erzählenden Gedichten seines Zeitalters gemein, so ragt er doch durch seinen Inhalt schon darum weit über sie alle hervor, weil er sich nicht, wie die bedeutendern der übrigen, auf die bretonische Sage und den Kreiß der Tafelrunde beschränkt, sondern von dem Mythus des Grals ausgehend, den König Artus und den vornehmsten Helden der Tafelrunde zwar nur episodisch einflicht, aber doch anschaulicher schildert als irgend ein anderer Roman. Indem er das weltliche wie das geistliche Rittertum umfaßt, die eben damals in ihre höchste Blüte traten, stellt er das gesamte, nur im Ritterstande athmende, Leben seiner Zeit, das äußere wie das innere, mit solcher Treue und Gewißenhaftigkeit dar, als wenn er es darauf angelegt hätte, die Trachten, Sitten und Gebräuche nicht minder als den Glauben, die Gesinnung und die höchsten Ideen einer schnell vorüber rauschenden Glanzperiode der Nachwelt in einem dauernden Spiegelbilde zu feßeln. Doch all dieser Reichtum der Begebenheit und Schilderung, alle Herlichkeit des Grals, alle Pracht der Tafelrunde wären verschwendet, wenn sie der Gedanke des Dichters nicht beherrschte und durchdränge. Was den Parzival zum unvergänglichen Kunstwerke stempelt, wodurch Wolfram seine welschen Vorgänger, die ihm den Stoff überliefert haben, weit hinter sich läßt, ist eben das dichterische Bewustsein, womit er alle diese Aeußerlichkeiten auf das innere Leben seines Helden bezieht, dessen geistige Entwickelung er in allen ihren Phasen offen vor uns darlegt, den er aus der kindischen Einfalt in die Entzweiung, ja zur Verzweiflung führt, um ihn aus dieser durch harte Prüfungen geläutert, zur Versöhnung und Heiligung gelangen zu laßen. Bei Meister Chrestiens von Troyes, der vor Wolfram die Gralssage behandelt hatte, tritt uns dieser Grundgedanke noch nicht entgegen, und soweit wir die französischen und provenzalischen Dichter kennen, ist er keinem derselben zuzutrauen. Vgl. was unten über Wolframs vorgeblichen Gewährsmann, den Kiot, gesagt werden wird.

3) Die beiden Bruchstücke des sog. Titurel, die gleichsam zum Parzival gehören und ein Ganzes mit ihm bilden, indem sie die Liebesgeschichte Schionatulanders und Sigunens, die wir schon im Parzival kennen lernten, zum Gegenstand haben. Sie bilden keine fortlaufende Erzählung, da nach dem ersten einige Zeit vergangen ist, und wir nicht erfahren, warum die Liebenden sich beim Beginn des zweiten allein in einem Zelte befinden. Den Namen Titurels führen sie nur zufällig, da der Dichter St. 39 ausdrücklich sagt, daß Schionatulander der Herr der Aventüre sei. Läge uns das Gedicht vollendet und ganz erhalten vor, so würde es einen seltsamen Gegensatz zum Parzival bilden, dessen Held der höchsten Aventüre nachjagt, während Schionatulander sein Leben um den Besitz eines Brackenseiles hinopfert. Es scheint indes nicht, daß Wolfram mehr als diese Bruchstücke gedichtet habe, und wenn die letzten Zeilen nicht ausdrücklich auf das Folgende hinwiesen, so dürfte man glauben, es sei nie seine Absicht gewesen, die Geschichte noch weiter zu führen, um so mehr als der tragische Ausgang derselben den Lesern aus dem Parzival bekannt war. Jedenfalls müste es auffallen, wenn der Dichter zwei unvollendete Werke hinterlaßen haben sollte, da der Willehalm doch wohl unzweifelhaft Bruchstück geblieben ist. Wie es sich auch damit verhalte, so möchte uns eher der Titurel als der Willehalm Wolframs letztes Werk scheinen, da wir in diesen wenigen Strophen das Schönste und Feinste besitzen, das unserm Dichter und der mittelhochdeutschen Kunstpoesie überhaupt gelungen ist. Man pflegt unsere Bruchstücke den ältern Titurel zu nennen, weil ein jüngerer (vgl. §. 24) vorhanden ist, der lange Zeit gleichfalls für Wolframs Werk gegolten hat, obgleich dieß eben so langweilige als lange Gedicht seiner völlig unwürdig ist.

4) Der Willehalm, welcher die Thaten des heiligen Wilhelm von Orange, eines Zeitgenossen Karl des Großen, in dessen Sagenkreiß er gehört, zum Gegenstand hat. Da aber der Dichter den ersten Theil dieser heroischen Legende als bekannt voraussetzt und ihren Inhalt nur kurz andeutet, sein Werk überdieß unvollendet geblieben ist, so daß es nur die Schlacht auf Alischanz und die Belagerung von Orange umfaßt, so haben zwei andere Dichter, Ulrich von dem Türlin und Ulrich von Türheim, die man ihrer ähnlich lautenden Namen wegen nicht für Eine Person halte, Anfang und Ende hinzugefügt, und zwar scheint Ulrichs von Türheim Fortsetzung, der sg. dritte Theil, gegen das Jahr 1250, und Ulrichs von dem Türlin erster Theil zwischen 1252 und 1278 gedichtet.

Der Parzival ist das älteste von Wolframs Gedichten, da sowohl im Willehalm als im Titurel darauf Bezug genommen ist. Er scheint vor der Mitte des ersten Jahrzehents des dreizehnten Jahrhunderts begonnen, und vor der Mitte des zweiten beendigt. In die folgenden fünf Jahre mögen der Titurel und der Willehalm fallen.


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