Wolfram von Eschenbach
Parzival und Titurel
Wolfram von Eschenbach

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VII.
Obilot.

Inhalt.

Gawan, während Parzivals Verzweiflung Herr der Aventüre, begegnet einem Heere, das der junge König Meljanz von Li gegen Lippaut, seinen Erzieher und Lehensträger, nach Beaurosche führt, weil ihm dessen Tochter, die schöne Obie, obwohl sie ihn liebte, Minnelohn verweigert hat. Sein Oheim, König Poidikonjonz von Gross, dessen Sohn Meljakanz, und der Herzog Astor von Lanveronz, der die vor Jahren von Poidikonjonz gefangen genommenen Britten führt, bilden die Stärke seines Heeres, das sonst meist aus Kinden (Edelknaben) besteht, die Meljanz zu Rittern geschlagen hat. Die Bürger, welche die Pforten vermauert hatten, öffnen sie wieder, als ihnen Hülfe zuzieht. Auch Gawan, welcher der Burg zugeritten ist, wird von Obiens kleiner Schwester Obilot zum Beistand ihres Vaters vermocht, während Obie selbst, aus Minnezorn und um gegen die Schwester Recht zu behalten, ihn als einen Falschmünzer verfolgen läßt. Die kindische Jungfrau nimmt ihn zu ihrem Ritter an und schenkt ihm einen Aermel als Kleinod, den er auf seinen Schild schlagen läßt. Gawan reitet mit seinem Wirthe, dem Burggrafen Scherules, in den Streit, rennt Lisavander, den Schatelier (Kastelan) von Beauvais, einen der Kinde des jungen Königs, der die Sporen an ihm verdienen will, nieder, schützt den Herzog Kardefablet de Jamor, den Schwager Lippauts, vor Meljakanz, fängt den starken Lahduman, Komte de Montan, weicht den gefangenen Britten aus, verwundet und fängt Meljanzen und würde auch Meljakanzen gefangen haben, wenn ihn der Herzog Astor ihm nicht entzogen hätte. Unterdessen hat ein rother Ritter (Parzival), der auf Meljanzens Seite focht, den König Schirniel von Lirivoin, dessen Bruder König von Avendroin und den Herzog Marangließ gefangen, die er nun in die Stadt schickt, um gegen Meljanz ausgewechselt zu werden. Gawan giebt den im Kampf zerfetzten Aermel Obiloten zurück, die ihn sogleich anlegt. Hernach schenkt er ihr auch seinen Gefangenen König Meljanz. Sie schenkt ihn ihrer Schwester Obie, wodurch Sühne und Vermählung zu Stande kommt. Gawan, dessen Ross Ingliart, mit den kurzen Ohren, bei Meljanzens Gefangennehmung dem rothen Ritter zugelaufen ist, nimmt Abschied von Obiloten und zieht weiter.

 

        338   Wer Schande floh bis in den Tod,
Eine Weile soll ihm zu Gebot
Diese Aventüre stehn,
Gawan, dem Degen ausersehn.338, 1–4. Der Grund, warum hier der Dichter einen andern Helden in den Vordergrund stellt, ist in der Einl. §. 9 mit Lachmanns Worten angegeben.
5   Manchen Helden rühmt sie gern
Neben oder vor dem Herrn
Dieser Märe, Parzival.
Wer seinen Freund in jedem Fall
Auf den höchsten Thron will tragen,
10   Muß Andern billges Lob versagen.
Doch dem alleine glaubt die Welt,
Des Lob sich an die Wahrheit hält;
Sonst, was er spricht und was er sprach,
Bleibt seine Rede sonder Dach.
15   Wer soll des Sinnes Haus erhalten,
Will die Weisheit sein nicht walten?
Verlogne, falsche Märe,
Bedünkt mich, beßer wäre
Die dach- und fachlos auf dem Schnee,
20   So daß dem Munde würde weh,
Der für Wahrheit sie verbreitet:
So hätt ihn Gott dahin geleitet,
Wo ihn der Gute gerne sieht,
Dem oft um Wahrheit Leid geschieht.
25   Wer sich zu solcher That beeilt,
Der Unglück billig Lohn ertheilt,
Will den ein werther Dichter preisen,
Des müst ihn Thorheit unterweisen.
Er meidets, weiß er sich zu schämen:
Den Brauch soll er zum Vogte nehmen.

339  

Gawan trug den rechten Muth:
Seine Tapferkeit hielt solche Hut,
Daß Verzagtheit seinem Preise
Schaden mochte keinerweise.

5   Im Felde war sein Herz ein Thurm,
Und doch so rasch im Kampfessturm,
Daß man stäts ihn im Gedränge fand.
Freund und Feind ihm zugestand,
Sein Schlachtruf laute löblich hell,
10   Wie gern ihm auch Kingrimursel
Hätte solchen Preis benommen.
Nun war von Artus gekommen,
Ich weiß nicht, schon wie manchen Tag
Gawan, der aller Mannheit pflag.
15   So ritt der Degen wohlgestalt
Seines Wegs aus einem Wald
Mit dem Gefolg durch einen Grund.
Da ward ihm auf dem Hügel kund
Ein Ding, das Angst wohl lehrte,
20   Doch seine Mannheit mehrte.

Da sah der Held wohl unbetrogen,
Unter Panieren zogen
Volle Scharen mit Gepränge.
»Hier wird es,« dacht er, »mir zu enge:

25   Kehr ich wieder in den Wald.«
Da ließ der Degen gürten bald
Ein Ross, das Orilus ihm ließ;
Zwei rothe Ohren senkte dieß.
Gringuljet sein Name war:
Er empfing es ohne Bitte gar.
340   Es war von Monsalväsch gekommen;
Da hatt es Lähelein genommen
Bei Brumban, so hieß der See.
Seine Tjost that einem Ritter weh,
5   Den er todt herunter stach:
So erzählte Trevrezent hernach.

Gawan gedachte: »Wer verzagt
Flieht, bevor ihn Einer jagt,
Das ist zu früh für seinen Ruhm:

10   Stapf ich näher hin darum,
Was mir davon auch mag geschehn.
Die Meisten haben mich gesehn;
Doch wird Rath zu Allem werden.«
Da schwang er sich zur Erden,
15   Als wollt er rasten sich einmal.
Die Haufen waren ohne Zahl,
Die da rottenweise ritten.
Er sah viel Kleider wohlgeschnitten
Und manchen Schild mit solchen Zeichen,
20   Daß er noch nie gesehn dergleichen,
Noch die im Fähnlein an dem Sper.
»Fremd bin ich sicher diesem Heer,«
Sprach der werthe Gawan,
»Da ich ihrer Kunde nie gewann.
25   Will man mir das zum Argen kehren,
Einer Tjost wohl will ich sie gewähren
Mit eignen Händen, Gott weiß,
Eh ich scheid aus ihrem Kreiß.«
Da war auch Gringuljet bereit,
Der oft in ängstlichen Streit
341   Tiostierend ward gebracht.
Das war ihm jetzt auch zugedacht.

Gawan sah da reich floriert,
Mit manchem Wappenbild geziert

5   Kostbarer Helme viel.
Sie führten vor ihr Kriegsziel
Neuer Spere manche Garbe.
Sie waren bunt von Farbe,
Junkern in die Hand gegeben;
10   Im Banner sah man Wappen schweben.

Gawan Fils du Roi Lot
Sah von Gedränge große Noth.
Mäuler musten Rüstzeug tragen,
Rosse zogen volle Wagen;

15   Zur Herberg eilte Maul und Ross.
Hinterdrein der Krämertross
Zog gar wunderlich daher;
Es geht halt anders nimmermehr.
Auch Frauen sah man da genug;
20   Manche den zwölften Schwertgurt trug
Zu Pfande für verkaufte Lust.
Nicht Königinnen warens just:
Solche Buhlerinnen
Nannte man Marketenderinnen.
25   Dabei Hallunken mannigfalt,
Der eine jung, der andre alt:
Sie liefen sich die Glieder krank.
Manchem ziemte mehr der Strang,
Als daß er hier das Heer vermehrte
Und werthes Volk verunehrte.

342  

Die hier Gawan traf, die Haufen
Waren vor geritten und gelaufen;
So begab es sich da,
Daß wer den Helden halten sah,

5   Meint', er wär desselben Heers.
Weder dieß- noch jenseits Meers
Fuhr jemals stolzre Ritterschaft;
Sie hatten hohen Muth und Kraft.

Dicht hinter ihnen fuhr

10   Eilends folgend ihrer Spur
Ein Knapp gar alles Tadels frei;
Ein ledig Ross ging nebenbei.
Er führte einen neuen Schild;
Die Sporen stieß er unmild
15   Dem Ross in die Seiten:
Denn ihn lüstete zu streiten.
Sein Gewand war wohlgeschnitten.
Gawan hatt ihn bald erritten
Und frug ihn nach dem Gruß um Märe,
20   Wes das Ingesinde wäre?

Der Knapp sprach: »Herr, ihr spottet mein.
Hätt ich solcher Züchtgung Pein
Von euch verwirkt durch mein Betragen?
Lieber wollt ich andre Noth ertragen:

25   Sie beschimpfte mich nicht so wie das.
Um Gott, besänftigt euern Haß.
Ihr seid bekannter hier als ich:
Warum also fragt ihr mich?
Sicher tausendmal so gut
Kennt ihr dieses Heeres Flut.«

343  

Gawan ihm hoch und theuer schwur,
Alles Volk, das vor ihm fuhr,
Sei ihm unkund völliglich.
Der Degen sprach: »Ich schäme mich;

5   Doch hab ich Alle nie gesehn,
Wie ich in Wahrheit muß gestehn,
Vor dieser Zeit an keinem Ort,
Dient' ich gleich bald hier bald dort.«
Der Knappe sprach zu Gawan:
10   »So that ich Unrecht, Herr, daran,
Daß ich euch nicht Bescheid gesagt:
Da war mein beßrer Sinn verzagt.
Richtet über meine Schuld
Nach eurer eigenen Huld:
15   Hernach will ich euch Alles sagen;
Erst ziemts, mein Unrecht zu beklagen.
»Nun sagt mir, Junker, wer sie sei'n,
Wollt ihr so gefällig sein.«

»Herr, so heißt der vor euch fährt

20   Und dem die Reise Niemand wehrt:
Roi Poidikonjonz,
Mit Dük Astor de Lanveronz.
Bei ihnen fährt ein wüster Mann,
Der Frauenminne nie gewann.
25   Er trägt der Unsitte Kranz
Und heißt mit Namen Meljakanz.343, 26. Meljakanz ward schon im dritten Abschnitte als Jungfrauräuber genannt. In Hartmanns Iwein entführt er die Königin Ginover, und zwar, wie Aehnliches im Tristan geschieht, mit Zustimmung ihres Gemahls, der ihm die Gewährung einer Bitte verheißen und nichts weniger vermuthet hatte, als daß jener den Besitz Ginovers erbitten würde. Artus, dem sein Wort ein Eid war, mußte die Königin hinführen laßen; doch erbietet sich, seinen Unwillen zu beschwichtigen, Meljakanz mit jedem seiner Ritter, der ihm nachreiten würde, um sie zu kämpfen. Auf dieses Abenteuer wird 357, 22 angespielt; denn Keie, der der Erste sein wollte, ward so hoch abgestochen, daß er an einem Baumast hängen blieb; und auch 387, 2–8 bezieht sich darauf. Vgl. 583, 8. Der franz. Roman von Lanzelot (Roman de la Charette), dessen Verfaßer Chrestien von Troyes ist, bestätigt nach dem Auszuge in der hist. lit. de la France 15, 255 diesen Zusammenhang. Meljakanz (Méléaganz fils de Bademaguz, roi de Gorre) wird aber zuletzt von Lanzelot besiegt und getödtet.
Ob es Weib war oder Magd,
Von der er Minne je erjagt,
So nahm er sie mit Nöthen:
Man sollt' ihn drum ertödten.
344   Poidikonjonzens Sohn ist er
Und will auch kämpfen mit dem Heer.
Oftmals hat er Ritterschaft
Gethan mit unverzagter Kraft.
5   Was hilft sein mannlicher Brauch?
Ein Mutterschwein wehrt sich auch
Tapfer, wenns dem Ferkel gilt.
Der Mann verdient, daß man ihn schilt,
Der zum Muth nicht Sitte fügt;
10   Ihr bezeugt mir, daß mein Mund nicht lügt.

»Herr, noch meld ich Wunder viel:
Merket, was ich sagen will.
Uns folgt mit großer Heeresmacht,
Den Unart hat in Leid gebracht,

15   Von Li Meljanz der König hehr.
Sich selber schuf er viel Beschwer
Durch Zorn und Hochfahrt ohne Noth.
Verschmähte Lieb es ihm gebot.«

Noch sprach der höfsche Knappe da:

20   »Herr, ich sag euch was ich selber sah.
König Meljanzens Vater,
Auf dem Todbett zu sich bat er
Die Herrn in seinem Lande.
Unlöslich zu Pfande
25   Stand sein tugendreiches Leben:
Es muste sich dem Tod ergeben.
Da solches Leid ihm widerfuhr,
Bei ihrer Treu er sie beschwur
Und befahl Meljanz den klaren
Den Fürsten, die da waren.
345   Aus diesen wählt' er Einen dann,
Der war sein höchster Lehensmann;
Er hatte stäts sich treu bewährt,
Von aller Falschheit abgekehrt.
5   Den bat er, seinen Sohn zu ziehn.
Er sprach: »Bewähre gegen ihn
Deine Treu aufs Beste.
Lehr ihn, daß er die Gäste
Und die Heimschen halte werth.
10   Wenn der Dürftige begehrt,
So lehr ihn milde sein mit Gaben.«
So befahl er ihm den Knaben.

»Da that der Fürst Lippaut,
Was sein Herr, der König Schaut,

15   Ihm befohlen hatt im Sterben.
Er ließ kein Wort verderben,
Richtet' Alles treulich aus.
Er nahm den Knaben in sein Haus.
Zwei liebe Kinder hatt er dort,
20   Er liebt sie wohl noch immerfort:
Eine Tochter, welcher nichts gebräche
Als das Alter, daß man spräche,
Sie möge Minn um Minne leihn.
Obie heißt das Töchterlein;
25   Ihre Schwester heißet Obilot.
Obie schafft uns diese Noth.

»Eines Tags es sich begeben hat,
Daß sie der junge König bat
Für seinen Dienst um Minne.
Sie verfluchte seine Sinne

346   Und fragt' ihn, was er dächte,
Daß er sich von Sinnen brächte?
Sie sprach zu ihm: »Wärt ihr so alt,
Daß ihr gefochten, wo es galt,
5   Den Helm aufs Haupt gebunden
Unterm Schild in würdgen Stunden,
In Gefahr und hartem Drang
Fünf volle Jahre lang;
Hättet stäts den Preis gewonnen
10   Und wäret dann zurück gekommen,
Mir zu Gebot gewesen da,
Und ich spräche dann erst Ja
Zu dem, was ihr schon heut begehrt,
Noch hätt ichs euch zu früh gewährt.
15   Ihr seid mir lieb (wer leugnet des?)
Wie Annoren Galoes,346, 16. Vgl. zu91, 16.
Die den Tod um ihn erwarb,
Da er in einer Tjost erstarb.«

»Ungern, Frau, ich muß bekennen,

20   Seh ich euch so in Liebe brennen,
Daß euer Zorn sich auf mich kehrt.
Dienst,« sprach er, »ist doch Gnade werth,
So mag man Minne wohl erproben.
Frau, ihr habt euch überhoben,
25   Als ihr mich von Sinnen schaltet;
Da hat Klugheit nicht gewaltet.
Wenig dachtet ihr daran,
Daß euer Vater ist mein Mann
Und daß er hat von meiner Hand
Burgen viel und all sein Land.«

347  

»Dem ihr was leiht, verdien ers auch,«
Sprach sie; »doch höher zielt mein Brauch.
Von Niemand nehm ich Lehen an.
Meine Freiheit ist sogethan,

5   Jeder Krone hoch genug,
Die ein irdisch Haupt noch trug.«
Er sprach: »Das hat man euch gelehrt,
Daß ihr so die Hochfahrt mehrt.
Da euer Vater gab den Rath,
10   So büß er mir die Missethat.
Ich will hier Wappen also tragen,
Gestochen werd und geschlagen.
Ob es Krieg heißt ob Turnei:
Hier bricht mancher Sper entzwei.«

15  

»Im Zorne schied er von der Magd.
Sein Unmuth wurde schwer beklagt
Von all der Massenie;
Wohl klagt' auch drum Obie.
Auf des Herrn Beschuldigung

20   Drang auf Untersuchung
Und erbot zum Eid sich gar
Lippaut, der unschuldig war.
Ob es krumm wär oder schlicht,
Von Genoßen heisch' er ein Gericht,
25   Wenn die Fürsten all bei Hofe wären:
Denn er käm zu solchen Mären
Ganz ohn alle seine Schuld.
Er bat um gnädigliche Huld
Inständigst seinen Herrn;
Den hielt der Zorn von Freuden fern.

348  

»Es wär nicht angegangen,
Daß Lippaut hätt gefangen
Seinen Herrn: er war sein Wirth;
Das wär von Treue weit verirrt.

5   Der König ohne Urlaub schied,
Wie sein bethörter Sinn ihm rieth.
Da weinten mit Gestöhne
Seine Knappen, Fürstensöhne,
Die mit dem König dort gewesen:
10   Sie ließen Lippaut gern genesen.
Getreulich hatt er sie erzogen,
Um edle Sitte nicht betrogen.
Meinen Herrn nur lockt ehrgeizger Sinn;
Wohl pflegte doch der Fürst auch ihn.
15   Mein Herr, der ist ein Franzais,
Le Schatelier de Beauvais;
Er heißt Lisavander.
Alle Knappen miteinander
Musten dem Fürsten widersagen;
20   Sie sollten Schildesamt hier tragen.
Fürsten- und Grafenkinder schlug
Zu Rittern Meljanz heut genug.

»Des vordern Heeres pflegt ein Mann,
Der scharfen Streit wohl kämpfen kann,

25   König Poidikonjonz von Gross;
Er führt manch wohlgewappnet Ross.
Meljanz ist seines Bruders Sohn.
Hochfahrt verstehen Beide schon,
Der Junge wie der Alte.
Daß denn der Unfug walte!

349  

»So hat der Zorn sich vorgenommen,
Daß die Könige gezogen kommen,
Beide vor Beaurosch: da muß
Uns Kampf erwerben Frauengruß.

5   Mancher Sper wird da zerbrochen,
Gerannt wird und gestochen.
Doch steht Beaurosche wohl zur Wehr:
Hätten wir zwanzigmal dieß Heer
Und größer als wirs haben,
10   Wir füllten nicht den Graben.

»Dem hintern Heer bleibt verhohlen
Meine Fahrt: ich trug verstohlen
Diesen Schild weg vor den andern Kinden,
Ob mein Herr möge finden

15   Eine Tjost durch seinen ersten Schild,
Die seinen jungen Ehrgeiz stillt.«
Da sah der Knappe hinter sich:
Sein Herre folgt' ihm hurtiglich.
Zwei blanke Spere und drei Rosse
20   Wurden ihm nachgebracht vom Trosse.
An seiner Hast verrieth sich klar,
Er sann, vorauf der ganzen Schar,
Die ersten Tjoste zu erjagen;
Die Aventüre hört ichs sagen.

25  

Der Knappe sprach zu Gawan hier:
»Herr, euern Urlaub gönnet mir.«
Er wandte seinem Herrn sich zu.
Was wollt ihr nun, daß Gawan thu?
Soll er nicht bei dem Tanze sein?
Ein Bedenken schuf ihm scharfe Pein:

350   Er dachte: »Soll ich kämpfen sehn,
Und solls von mir nicht auch geschehn,
So ists um meinen Preis gethan.
Und fang ich erst zu kämpfen an
5   Und versäume meine Stunde,
So muß ich mit Grunde
Auf allen Preis verzichten.
Nein, ich bleibe hier mit Nichten;
Ich folge meinem Kampfgebot.«
10   Verwickelt wurde seine Noth:
Zu bleiben bis sein Tag erschien,
Allzugefährlich daucht' es ihn;
Und doch war hier nicht durchzukommen.
»Nun mag mir Gottes Hülfe frommen,
15   Daß ich bestehe wie ein Mann.«

Gen Beaurosche ritt Gawan.
So vor ihm lagen Burg und Stadt,
Daß Niemand beßern Wohnsitz hat.
Er sah sie glänzend glästen,

20   Eine Krone aller Vesten,
Mit starken Thürmen wohlgeziert.
Schon war das äußre Heer quartiert
Vor der Stadt auf den Plan.
Da ersah Herr Gawan
25   Manch reich geschmückten Zeltbering.
Die Hochfahrt war da nicht gering!
Von Panieren mannigfalt
Sah er einen ganzen Wald
Und fremden Pöbel aller Art.
Mit Zweifel war sein Muth gepaart;
351   Der legt' ihm scharfe Foltern an:
Mitten hindurch ritt Gawan.

Eine Zeltschnur die andre drang
Das weite breite Heer entlang.

5   Da sah er, wie sie lagen,
Was der, was jene pflagen.
Wer zu ihm sprach Bien sois venü,
Dem gab er Antwort Grand Merzi.
In großer Rotte dorten lag
10   Ein Söldnerheer von Semblidag;
Von Bogenschützen lag dabei
Ein Geschwader auch aus Kahetei.
Unbekanntschaft zeugt oft Haß,
An König Lotens Sohn bewies sich das:
15   Da ihn zu bleiben Niemand bat,
Gawan wandte sich zur Stadt.

Er dachte: »Muß ich Schmuggler sein,
So berg ich vor Verlust, was mein,
Draußen nicht so gut als drinnen.

20   Auf Gewinn will ich nicht sinnen,
Nur das Meine zu erhalten,
Will das Glück mir freundlich schalten.«

Zu einer Pforte ritt er hin:
Was er da sah, bekümmert' ihn.

25   Die Bürger hatt es nicht gedauert,
Ihre Pforten waren all vermauert.
Die Thürme stehen wohl verwahrt:
An jeder Zinne gewahrt
Einen Schützen er, die Armbrust
Gerichtet auf der Feinde Brust;
352   Sie flißen sich zu trotzger Wehr.
Bergauf ritt der Degen hehr.

War er gleich dort unbekannt,
Er ritt, bis er die Veste fand.

5   Da durften edler Frauen
Seine Augen viel erschauen.
Gekommen war des Wirths Gemahl
Sich umzuschauen auf den Saal
Mit ihren schönen Töchtern zwein;
10   Ihre Farbe hatte lichten Schein.

Wohl hat er ihr Gespräch vernommen:
»Wer mag uns da zu Hülfe kommen?«
Sprach die alte Herzogin:
»Wo will er mit den Säumern hin?«

15   Da hub die ältre Tochter an:
»Mutter, es ist ein Kaufmann.« –
»Er führt doch manchen Schild daher.« –
»Das thun der Kaufleute mehr.«
Die Jüngere versetzte da:
20   »Du zeihst ihn, was wohl nie geschah,
Schwester, dessen schäme dich:
Er war nie Kaufmann sicherlich.
Er ist so minniglich und hold,
Zum Ritter ich ihn haben wollt.
25   Er mag um Dienst hier Lohn begehren:
Ich will ihm Lieb und Lohn gewähren.«

Da sah sein Ingesinde,
Daß bei Oelbäumen eine Linde
Unten an der Mauer stund;
Das dauchte sie ein lieber Fund.

353   Was meint ihr, daß geschehen werde?
Herr Gawan schwang sich vom Pferde,
Wo er willkommnen Schatten sah.
Sein Kämmrer säumte nicht, ihm da
5   Matratz und Kissen hinzulegen:
Drauf setzte sich der stolze Degen;
Ein Heer von Frauen sahs von Oben.
Von den Saumthieren hoben
Die Knappen Rüstzeug und Gewand.
10   Wo sich sonst ein Baum noch fand,
Da nahmen Herberg im Schatten,
Die ihn dahin begleitet hatten.

Die alte Herzogin begann:
»Tochter, welcher Kaufmann

15   Wüste so sich zu gehaben?
Du unterschätzest seine Gaben.«
Da sprach die junge Obilot:
»Unart ihr noch mehr gebot:
Durch Hochmuth verletzte sie
20   Den König Meljanz von Li,
Der sie um Minne wollte bitten:
Das sind unfeine Sitten.«
Obie sprach dagegen,
Unmuth mochte sie bewegen:
25   »Ich kann so viel nicht an ihm finden:
Ein Wechsler sitzt dort an der Linden;
Er wird ein gut Geschäft hier machen.
Den Goldschrein hütet gleich den Drachen
Dein Ritter, närrsche Schwester mein:
Er will sein Wächter selber sein.«

354  

In Herrn Gawans Ohren
Ging kein Wort verloren.
Nun laßen wir die Rede bleiben
Und sehen, was die Städter treiben.

5  

Ein schiffbar Waßer floß vorüber;
Von Stein ging eine Brücke drüber:
Dort war noch unverheert das Land,
Da der Feind der Stadt im Rücken stand.
Ein Marschall angeritten kam,

10   Der vor der Brücke Herberg nahm
Auf einem Felde groß und breit.
Sein Herr kam auch zur rechten Zeit
Und die Andern, die noch sollten kommen.
Ich sag euch, habt ihrs nicht vernommen,
15   Wer dem Wirth zu Hülfe ritt,
Und wer für ihn mit Treue stritt:
Ihm kam von Brevigariez
Sein Bruder Dük Marangliez;
Und dem zu Lieb zwei Ritter schnell,
20   Der werthe König Schirniel,
Der die Krone trug zu Lirivoin,
Und sein Bruder, Herr zu Avendroin.

Als die Bürger sahen,
Ihnen solle Hülfe nahen,

25   Was mit Aller Willen war geschehn,
Schien ihnen jetzt ein groß Versehn.
Da sprach der Herzog Lippaut:
»Weh daß Beaurosch den Tag erschaut,
Wo ihm vermauert sind die Pforten.
Doch wenn ich meinem Herren dorten
355   Im offnen Feld entgegen stünde,
So würde Tapferkeit zur Sünde.
Mir ziemt' und frommte seine Huld
Mehr als sein Haß ohn alle Schuld.
5   Eine Tjost steht meinem Schilde schlecht,
Die mein Herr mir stößt im Zwiegefecht;
Ungern auch verletzt mein Schwert
Den Schild ihm, meinem Herren werth!
Wenn ein kluges Weib das lobt,
10   Die hat sich allzulos erprobt.
Gesetzt, ich hätte meinen Herrn
In meinem Thurm: ich löst' ihn gern
Und ginge mit in seinen.
Wie er mich wollte peinen,
15   Ich stünd ihm gänzlich zu Gebot.
Danken gleichwohl muß ich Gott,
Daß ich noch ungefangen,
Da Lieb und Zorn ihn zwangen,
Daß er mich hier umlagert hat.
20   Gebt mir einen weisen Rath,«
Sprach er zu den Bürgern nun,
»Was ist in solcher Noth zu thun?«

Wohl sprach da mancher werthe Mann:
»Säh der König eure Unschuld an,

25   So stünd es anders hier zur Stunde.«
Sie riethen ihm aus Einem Munde,
Daß er die Pforten aufthäte
Und die Besten alle bäte
Zur Tjost hinaus zu reiten.
»Laßt uns offen streiten,
356   Statt von den Zinnen uns zu wehren,
Mit Meljanzens beiden Heeren.
Es sind doch meist nur Kinde
In des Königs Heergesinde.
5   Vielleicht, daß wir ein Pfand uns fangen:
So ist oft schon großer Zorn vergangen.
Wenn er Ritterschaft hier thut,
So legt sich wohl sein Unmuth,
Daß er aus dieser Noth uns nimmt
10   Und seinen Zorn herunterstimmt.
In der Feldschlacht lieber sterben
Als vermauert hier verderben.
Es sollt uns wohl gelingen
Vor ihren Zeltberingen,
15   Wär Poidikonjonz nicht so stark:
Dem folgt des Heeres Kern und Mark.
Dann müßen wir zumeist erbangen
Vor den Britten, die er hält gefangen:
Sie führt der Herzog Astor,
20   Der kämpft im Streit den Andern vor.
Dann ist sein Sohn Meljakanz:
Hätte den erzogen Gurnemans,
So mehrte sich sein Preis erst recht,
Und so schon scheut er kein Gefecht.
25   Doch auch uns ist Hülfe jetzt gekommen.«
Nun habt ihr ihren Rath vernommen.

Der Herzog that, wie man ihm rieth:
Die Maur er aus den Pforten schied.
Um Kraft und Muth unbetrogen
Die Bürger aus den Pforten zogen,

357   Hier Eine Tjost, die Andre dort.
Auch zog das fremde Heer sofort
Der Stadt zu mit hohem Muth;
Ihr Vesperspiel wurde gut.
5   Zu beiden Seiten zahllos Heer:
Die Knappen riefen hin und her;
Wälsch und Schottisch her und hin
Und durcheinander ward geschrien.
Von Ritterthat wär viel zu melden:
10   Waidlich versuchten sich die Helden.

Es waren meistens wohl nur Kinde
In des Königs Heergesinde,
Die doch viel kühne That begingen,
Die Bürger auf dem Saatfeld fingen.

15   Der ein Kleinod nie von einem Weibe
Verdiente, mocht an seinem Leibe
Beßer Gewand nicht tragen.
Von Meljanz hört' ich sagen,
All seine Rüstung wäre gut;
20   Er trug auch selber hohen Muth
Und ritt ein schönes Kastilian,
Das einst Meljakanz gewann,
Als er Kei'n so hoch herunter trieb,
Daß er am Aste hängen blieb.
25   Das dort Meljakanz erstritt,
Meljanz von Li wars, der es ritt.
Er war voraus schon so bekannt,
Obiens Blick hing unverwandt
Vom Saal an seinem Ritterspiel,
Wo sie zusah mit der Frauen viel.

358  

Sie sprach zur Schwester: »Sieh doch, Kleine,
Fürwahr, mein Ritter und der deine
Begehn hier ungleiche That.
Der deine wähnt, daß wir die Stadt

5   Und die Burg verlieren sollen;
Andre Wehr wir suchen wollen.«
Die Junge must ihr Spotten tragen.
Sie sprach: »Man soll an nichts verzagen:
Ich trau es seiner Kraft noch zu,
10   Er schafft vor deinem Spott sich Ruh.
Mag er mit seinem Dienst mich ehren,
Dafür will ich ihn Freude lehren:
Da du sagst, daß er ein Kaufmann sei,
Meinen Lohn erhandeln mag er frei.«

15  

Von dem Streit der Jungfraun über ihn
Ließ Gawan sich kein Wort entfliehn.
Ohn einen Laut zu sagen
Must ers geduldig tragen.
Soll sich ein lauter Herz nicht schämen,

20   Das muß der Tod von hinnen nehmen.

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